Atomarer »Race War«?

von Lea Jehlen

Magazin "der rechte rand" Ausgabe 173 - Juli / August 2018

#NaziTerror

der rechte rand MagazinMartialischer geht es kaum. Unterlegt von kämpferischer Musik marschieren vermummte Neonazis. Ein schwarzgekleideter Sprecher mit Totenkopfmaske verkündet vor einer Hakenkreuzflagge: »Der Natio­nalsozialismus lebt trotz einer ganzen Welt, die ihn zerstören will.« Und weiter: »Wir bereiten uns auf den langen, letzten Kampf in Trümmern vor, der bald kommen wird. Die Messer werden schon gewetzt!« Schließlich legt ein maskierter Mann ein Magazin in eine Pistole ein, lädt sie durch und hält sie in die Luft.

Das Video, das seit Anfang Juni 2018 im Netz kursiert, mag, eventuell sogar zu Recht, wie das militante Gehabe einiger durchgeknallter Neonazis wirken, die sich etwas davon versprechen, eine möglichst kämpferische Filmbotschaft zu verbreiten. Solche Filmchen, schnell gedreht und zusammengeschnitten, kursieren in rauen Mengen im Netz. Aufmerken lässt, dass es für eine rechtsterroristische Gruppierung wirbt, die in den USA mit blutigen Taten von sich reden gemacht hat: Die »Atomwaffen Division« (AWD). »Deutsche Freiheitskämpfer, folgt der Atomwaffen Division«, fordert der Anonyme im Film, der einen Kapuzenpullover mit dem Emblem der Gruppe trägt – dem Logo für Kernenergie auf einem Wappen – und verliest auf Englisch eine Grußbotschaft an die »wahren Kameraden der Atomwaffen Division«.

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In dem Video finden sich einige Hinweise, welchem Milieu sich die Neonazis zugehörig fühlen: In der Eingangsszene wird eine Demonstration der 2012 verbotenen neonazistischen »Unsterblichen« gezeigt. Durch das nächste Bild marschieren Neonazis, vermutlich aus der Kameradschaftsszene, da sie Flaggen mitführen, auf denen ein Hammer mit einem Schwert gekreuzt ist – eine Reminiszenz an den Strasser-Flügel der NSDAP, die gerne von »Freien Nationalisten« verwendet wird. Am Ende posiert ein Aktivist mit einer AWD-Fahne vor der ostwestfälischen Wewelsburg, die während der NS-Zeit von Himmler für die SS genutzt wurde und seit Jahrzehnten ein Anziehungspunkt für Neonazis ist.

Die AWD in den USA
Die AWD, die gerne mit Totenkopfmasken auftritt, ist eine US-amerikanische Neonazigruppe innerhalb der breit gefächerten »White Supremacy«-Szene (»Weiße Vorherrschaft«). Durch ihre extreme Gewaltverherrlichung und ihren ausgesprochenen Rassismus und Antisemitismus positioniert sie sich selbst innerhalb der »Alt-Right«-Bewegung am äußersten rechten Rand. Ende 2015 entstanden, besteht die AWD nach den Erkenntnissen des »Southern Poverty Law Centers« (SPLC), einer antirassistischen US-Organisation, vor allem aus jungen Männern, die sich über das neofaschistische »Iron March Forum« zusammengefunden haben. Der geographische Fokus liegt auf dem Süden der USA, vor allem Florida, und der Ostküste. Wie gut die »Atomwaffen Division« in den USA tatsächlich organisiert ist, scheint unklar. BeobachterInnen sprechen von rund 80 Mitgliedern und einem Netz an Zellen, das dem Prinzip des »leaderless ­resistance« (»Führerloser Widerstand«) folgt.
Im November 2015 begannen die AWD-Aktivisten Brandon Clint Russell und Devon Arthurs, Propagandaflyer an der Universität von Florida zu verbreiten, weitere Aktionen an anderen Universitäten folgten. Zudem wurden Trainingslager durchgeführt und Anhänger der Gruppe nahmen an rassistischen Demonstrationen und Kundgebungen teil.

Die AWD versteht sich als explizit nationalsozialistisch und kultiviert ihren Hass auf Schwarze, MigrantInnen, JüdInnen und Homosexuelle mit krassen Gewaltfantasien, wie aus den Website-Eintragungen und den Forumsbeiträgen der Gruppenanhänger hervorgeht. Als ideologisches Fernziel steht der »Rassenkrieg« (»Race War«), eine kalkulierte Gewalteskalation gegen verhasste Minderheiten, die schlussendlich zum Bürgerkrieg und zum Triumph der »Weißen« führen soll. Auch sind bei den Äußerungen der AWD-Gefolgschaft deutliche misanthrope Töne zu hören. So schrieb Brandon Russell anlässlich des Massakers in einem überwiegend von LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual, Trans) besuchten Nachtclub in Orlando (Florida) im Juni 2016 im »Iron March Forum«: »Ich hasse es, von ‹Unschuldigen› zu hören. Es gibt keine Unschuldigen in dieser widerwärtigen modernen Welt.«

Ideologische Einflüsse der Gruppe lassen sich auf US-amerikanische Neonazis wie James Mason, Joseph Tommasi (»National Socialist Liberation Front«) und William Pierce, Autor der »Turner Diaries«, zurückführen. Aber auch Charles Manson, Anführer der sektenähnlichen »Manson Familiy«, die 1969 sieben Menschen ermordete, zählt zu den Vorbildern. Manson, der Ende 2017 im Gefängnis starb, hatte schon in den 1960er Jahren zu einem »Race War« aufgerufen.

Eine Serie von Gewalttaten
Die AWD wurde nach einer Serie von Gewalttaten öffentlich wahrgenommen. Im Mai 2017 stürmte Devon Arthurs einen Tabakladen in Florida und nahm mehrere Menschen als Geiseln. Als die Polizei eintraf, ergab er sich und enthüllte ein schreckliches Verbrechen: Er habe zwei seiner Mitbewohner in der gemeinsamen Wohnung ermordet. Das Motiv: Arthurs sei zum Islam konvertiert und die beiden jungen Männer, ebenfalls Neonazis, hätten dies nicht akzeptiert. Tatsächlich fand die Polizei die Leichen der beiden in dem Apartment und traf auch auf den vierten Mitbewohner, Brandon Russell. Außerdem stellten die BeamtInnen diverses Material zum Bombenbau sicher, das Russell gehörte. Arthurs befindet sich zur Zeit in einer psychiatrischen Klinik, wo er auf seinen Mordprozess wartet. Russell sitzt für den Bombenbau eine fünfjährige Haftstrafe ab. Er gilt als Fan des Bombenlegers von Oklahoma City, Timothy McVeigh, da die Polizei ein gerahmtes Foto von McVeigh auf seiner Kommode fand.

Im Dezember 2017 erschoss der 17-jährige Nicholas Giampa in Virginia die Eltern seiner Ex-Freundin. Sie hatten wegen seiner extrem rechten Einstellung darauf eingewirkt, dass sich das Mädchen von ihm trennte. Giampa war kein Mitglied der AWD, fühlte sich aber zu der Gruppe hingezogen, wie seine Posts in sozialen Medien belegen.
Im Januar 2018 wurde in Kalifornien die Leiche eines 19-jährigen Studenten gefunden: Blaze Bernstein, ein homosexueller Jude, ermordet mit zwanzig Messerstichen. Als dringend Tatverdächtigen nahm die Polizei Sam Woodward fest, einen ehemaligen Mitschüler Bernsteins. Woodward gehörte ebenfalls der »Atomwaffen Division« an und wartet nun auf seinen Prozess. Die Tat ist bisher nicht vollständig aufgeklärt, die Polizei sagt, über das Motiv habe sie noch keine endgültigen Erkenntnisse.

Diese Morde sollten nicht als eine geplante und kalkulierte Strategie einer rechtsterroristischen Gruppe interpretiert werden, sondern vielmehr als Taten von Neonazis, für die extreme Gewalt – bis hin zum Mord – ein legitimes Mittel darstellt. Wer online und in der »echten Welt« immer wieder Gewalt verherrlicht, an Militärübungen teilnimmt und Waffen sammelt, für den ist der ideologisch begründete Schritt zur Tat nicht mehr so groß. Der Name »Atomwaffen Division« sowie das gewählte Logo für Kernenergie können daher als bedingungsloser Vernichtungswille interpretiert werden.

Und in Deutschland?
Es wäre nicht das erste Mal, dass deutsche Neonazis Terrorstrategien aus den USA übernommen hätten. Gerade in den 1990er und 2000er Jahren machten die »Turner Diaries« in der Szene die Runde; auch das Konzept von »leaderless resistance« wurde nicht nur debattiert, sondern vom NSU auch umgesetzt. Die rechtsterroristische US-Gruppe »The Order«, die in den 1980er Jahren mehrere Menschen umbrachte und Banküberfälle beging, hatte nachweislich großen Einfluss auf die terroraffine Szene in Deutschland.

Dennoch wäre es verfrüht, bei der deutschen »Atomwaffen Division« von einer existierenden rechtsterroristischen Gruppe zu sprechen. Bisher ist die vermeintliche oder tatsächliche Gruppe außer in dem Video nicht in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten. Ein solches Video bezeugt weder die Bereitschaft, terroristische Taten auch tatsächlich zu begehen, noch die erforderlichen Kenntnisse.

Allerdings kann eine Art »Grundrauschen« – in diesem Fall ein unverhohlener Aufruf zu Terrorakten – ein Indiz dafür sein, dass in der extrem rechten Szene eine Affinität zu rechtsterroristischer Gewalt existiert, vor allem im Kontext eines allgemeinen gesellschaftlichen Rechtsrucks und steigender Zahlen extrem rechter Gewalt. Selten entstehen rechtsterroristische Gruppen »aus dem Nichts«. Selbst wenn die selbsternannten AWD-AnhängerInnen nicht zur Tat schreiten werden, kann ein solcher Aufruf motivierend und inspirierend auf andere wirken.