Rezensionen Ausgabe 177
Von Sascha Schmidt, Kai Budler, Paul Wellsow
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 177 - März / April 2019
Globaler Antisemitismus
von Sascha Schmidt
Mit seinem neuesten Buch »Globaler Antisemitismus« begibt sich der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn auf eine »Spurensuche in die Abgründe der Moderne«. Salzborn (Gastprofessor für Antisemitismusforschung am Zentrum für Antisemistismusforschung der TU Berlin) zielt darauf ab, die globale Entwicklung des Antisemitismus der letzten zwei Jahrzehnte zu analysieren und theoretisch zu erklären. Ausgangspunkt für Salzborns Betrachtung ist 9/11. In den Terroranschlägen aus dem Jahr 2001 sieht Salzborn den Versuch einer von »radikalen Islamist(innen)« initiierten antisemitischen Revolution und zugleich einen Kristallisationspunkt, der antidemokratische, antiaufklärerische Kräfte im Geist des Antisemitismus in der Folgezeit zusammengeführt und einen »Prozess der Entstehung einer antisemitischen Internationale(n)« ausgelöst habe. Nationalsozialistische, islamistische und linke Strömungen dominieren seitdem, so Salzborn, die globale antisemitische Agenda. Beispielhaft analysiert Salzborn antisemitische Ausdrucksformen der genannten Strömungen und zieht dabei immer wieder Parallelen zwischen diesen. Der Hass auf Israel erweise sich als zentrale ideologische Verbindungslinie, der Teile der eigentlich unterschiedlichen Strömungen dann und wann vereine. Dabei betont Salzborn, dass Antisemitismus innerhalb linker Bewegungen – anders als in der extremen Rechten und dem Islamismus – nicht »Kernelement linker Weltanschauung« sei, »sondern ganz im Gegenteil der Großteil der politischen Linken (…) durch die Kritik am Antisemitismus verbunden ist.« Linken Antisemitismus verortet Salzborn vor allem innerhalb antiimperialistischer Strömungen, als auch im Bereich postmoderner Identitätspolitik.
Weiterführend analysiert Salzborn die gesellschaftliche Verbreitung antisemitischer Einstellungen und Diskurse, wie sie beispielsweise im Bemühen um die Historisierung der Verbrechen des Nationalsozialismus und einer diesbezüglichen Schuldabwehr sowie im Kontext klassischer Verschwörungsphantasien zu beobachten seien. Abschließend begibt sich der Politikwissenschaftler – auch mittels »jüdischer Inspiration« – auf die Suche nach universalistischen Prinzipien, »um Perspektiven zu entwickeln, die die kognitive wie emotionale Inversion des Antisemitismus bekämpfen«. Samuel Salzborn legt ein sehr lesenswertes, anregendes und streitbares Buch vor. Seine überzeugenden Analysen zur Thematik leiden jedoch hier und da an einer zum Teil pauschalisierenden Zuschreibung an ganze politische Strömungen oder wissenschaftliche Theorieansätze.
»Zielobjekt rechts. Wie die Stasi die westdeutsche Neonaziszene unterwanderte«
von Kai Budler
Hätte sich Arnulf Priem, Gründer der neonazistischen Rockergang »Vandalen« und bis in die 1990er Jahre bundesweit einer der wichtigsten Neonazi-Führer, als Informant für die Stasi verdingt? Eine Antwort auf die Frage steht aus, denn der Fall der Mauer stoppte auch die Versuche der Stasi, für Informationen in die Szene der westdeutschen DissidentInnengruppen und Neonazis einzudringen. Seit Ende der 1970er Jahre befasste sich eine eigene Abteilung im »Ministerium für Staatssicherheit« (MfS) ausschließlich mit der extremen Rechten in Westdeutschland. Den Anstoß dafür gab ein Anschlag auf die innerdeutschen Grenzanlagen im Kreis Meiningen in Thüringen in den 1970er Jahren, der von dem langjährigen NPD-Funktionär und Rechtsterroristen Peter Naumann begangen worden war. Den entscheidenden Hinweis auf Naumann gab ausgerechnet Odfried Hepp der Stasi, der sich dem Dienst kurz zuvor in Ost-Berlin angedient hatte. Nur kurze Zeit später formierte Hepp mit Walter Kexel die rechtsterroristische »Hepp-Kexel-Gruppe«, seiner Verhaftung entzog sich Hepp mit Hilfe der Stasi durch die Flucht nach Ost-Berlin. Für die Stasi war die Zusammenarbeit mit den Neonazis ein politisch heikles Unterfangen, für die Durchleuchtung der westdeutschen Szene nutzte sie zeitweise rund 100 Inoffizielle MitarbeiterInnen, etwa ein Fünftel davon stammte aus Westdeutschland. Viele aktive Neonazis stammten aus der DDR, waren dort im Gefängnis und wurden von der BRD freigekauft. Für Informationen über sie warb die Stasi Verwandte aus der DDR an, die damit auch erleichterte Reisebedingungen erhielten. So auch im Fall Priem, in dem der Vater laut Akten seinen Sohn fast dazu gebracht hatte, für die Stasi zu arbeiten – doch dann fiel die Mauer. Andreas Förster wertet in seinem Buch die überlieferten MfS-Akten aus und zeigt: der Stasi ging es bei der Beobachtung der westdeutschen Neonazi-Szene vor allem um antikommunistische Hetze als Gefahr für die DDR, nicht aber um die Gefahr des Rechtsterrorismus für Andersdenkende in der BRD. Nichtsdestotrotz zeichnet die Aktenlage auch ein Bild der mangelnden Anstrengungen westdeutscher Geheimdienste bei der Bekämpfung rechtsterroristischer Gefahren. Und die Akteneinsicht kann erheblich zur Aufklärung und Analyse des Rechtsterrors beitragen wie das Beispiel Oktoberfestattentat 1980 zeigt. Trotz des Wiederaufnahmeverfahrens sind die Akten des Verfassungsschutzes bis heute nicht geöffnet worden. Anders sieht es bei den Stasi-Unterlagen aus, die zur Aufklärung herangezogen werden können.
Rückhaltlose Aufklärung?
von Paul Wellsow
Ist parlamentarische Kontrolle von Geheimdiensten möglich und wo liegen deren Grenzen? Diesen Fragen gehen die HerausgeberInnen und 22 weitere AutorInnen des Sammelbandes nach. Auch wenn es ebenfalls um den NSA-Skandal oder um den dschihadistischen Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt geht, so steht die Aufklärung – oder: Nicht-Aufklärung – der rechtsterroristischen Mord- und Anschlagserie des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) im Mittelpunkt. »Das tödliche Staatsversagen bleibt bis heute unaufgeklärt«, schreibt die Vizepräsidentin des Bundestags, Petra Pau, im Vorwort. Die AutorInnen kommen aus Wissenschaft, Journalismus und Politik oder sind AnwältInnen und Aktive aus antifaschistischen Initiativen. Ihre Beiträge durchzieht meist ein kritischer Blick auf die Aufklärung; sie sei – so schreibt es prononciert der Journalist Dirk Laabs – »gescheitert« – nicht »auf ganzer Linie, aber doch bislang eindeutig.« In den Ausschüssen hätten Ministerien, Polizei, Geheimdienst und Neonazis blockiert. »Die großen Fragen bleiben. Aber viele Details konnten teils in minutiöser Arbeit aufgehellt werden«, resümiert der Journalist Martin Steinhagen die Aufklärung in Hessen. Ein Fazit, das übertragen werden kann, wie Beiträge zu Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen zeigen. Fehlende Akten, Verzögerungen, Sabotage oder merkwürdige Erinnerungslücken hätten sich überall gezeigt. Doch auch – darauf weist der Grünen-Politiker Christian Ströbele hin – durch mangelndes Ausschöpfen rechtlicher Instrumente seitens der Abgeordneten seien Möglichkeiten verschenkt worden.
Durch viele Beiträge zieht sich Kritik am Geheimdienst. Deren »Informanten strukturierten (…) aktiv die militante Szene und konnten auf Geld zurückgreifen, das sie erst von den Verfassungsschutzbehörden bekommen hatten«, kritisiert Laabs. Obwohl die Dienste die Szene infiltriert hatten, konnten sie die Taten nicht stoppen. Weitere Beiträge widmen sich den Grenzen parlamentarischer Informationsrechte zu Hintergründen des Oktoberfest-Attentats oder der Bilanz der Prozess- und Ausschussbeobachtung durch »NSU-Watch«. Der Wert des Buches ist, die Arbeit der parlamentarischen Gremien zu vergleichen und ihre Möglichkeiten und Grenzen zur Aufklärung zu untersuchen. Zur Vorbereitung künftiger Untersuchungsausschüsse und deren Begleitung liefert das Buch Anregungen.