Dresden: Aufmärsche und Mythen einer Stadt

von @derrechterand uns @analyse&kritik
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 176 - Januar / Februar 2019 - online only

#Dresden

eine Wiederveröffentlichung aus 2012

 

Magazin der rechte rand

Dresden Broschüre 2012

 

Da kann der Winter noch so mild ausfallen – in Dresden ist es
im Februar immer kalt. Zumindest gefühlt. Jedes Jahr, gar nicht
lange bevor die ersten Primeln durch den Winterboden brechen,
versinkt eine Stadt in Trauer. Dabei sind die Bombardierungen
durch die Alliierten nicht nur Konsequenz eines deutschen Vernichtungskriegs,
es waren auch weit mehr Städte davon betroffen
als nur diese eine. Beides gerät zum 13. Februar oftmals in
den Hintergrund.
Dresden liegt in Sachsen. Über das sächsische Demokratieverständnis
kann man momentan eigentlich nur den Kopf schütteln.
Es ist das Land der ungeahnten Möglichkeiten – zumindest,
was die Strafverfolgung vermeintlich Unliebsamer sowie die Auslegung
demokratischer Grundsätze angeht. Und wahrscheinlich
ist es auch kein Zufall, dass auf dem extremismustheoretischen
Hufeisenmodell „Made in Sachsen“ steht. Diesen und anderen
Normalitäten, vor allem in der Landeshauptstadt, geht Andreas
Speit auf den Grund.
Mitten in diesen Normalitäten blieb eine Gruppe mordender Neonazis
im Freistaat jahrelang unbehelligt. Nicht einmal jetzt, nach
Bekanntwerden der Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds
und seinen Verstrickungen mit den Verfassungsschutzbehörden,
hält man es in Sachsen für nötig, eine unabhängige
Untersuchungskommission einzurichten. Stattdessen setzt man
auf „schnelle“ Erfolge: Wegen Teilnahme an einer nicht angemeldeten
Demonstration starteten die sächsischen Behörden Mitte
Januar eine Großrazzia bei 40 Neonazis in Sachsen, Thüringen,
Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Man muss sich nicht mit den
Neonazis solidarisieren, um die sächsische Auslegung der Versammlungsfreiheit
als verlogen und überzogen zu verurteilen.
Ticken die Uhren in Sachsen grundsätzlich ein bisschen anders,
blieben die Zeiger um den 13. Februar herum lange Jahre
stehen – in Dresden drehte sich zu diesem Tag alles um sich
selbst, wie Philipp Klein schreibt. Er zeigt, wie das Gedenken
das Klima in der Stadt prägt und welche Wandlungen es im geschichtspolitischen
Diskurs gegeben hat. Denn ohne einen Blick
auf jenes Klima zu werfen, wird kaum verständlich, wie sich ein
Naziaufmarsch dieser Größe und Bedeutung entwickeln konnte.
Angefangen hat alles mit ein paar Nazis vor der Frauenkirche.
Doch es dauerte, das wird in Alexa Anders Rückblick deutlich,
etliche Jahre, bis das Problem in der Stadt auch als ein solches
wahrgenommen wurde. Aber was macht das Thema Dresden für
Nazis eigentlich so attraktiv? Dieser Frage geht Maike Zimmermann
nach; sie kommt zu dem Schluss, dass nicht nur die Stadt
dafür ausschlaggebend ist. Schließlich lässt sich auch andernorts
beobachten, dass historische Bezüge für Nazis nicht nur
identitär wichtig sind, sondern dass sich damit viele – zumeist
junge – Nazis mobilisieren lassen. Auch das, was man als nationalen
Opferdiskurs bezeichnet kann, ist keineswegs auf Dresden
beschränkt. Der 13. Februar spielt und spielte in der geschichtspolitischen
Auseinandersetzung zwar immer eine Rolle, aber
folgt man Guido Speckmann, ist die Politik mit der Erinnerung
auch für die gesamtdeutsche Selbstfindung als Nation konstituierendes
Element.
Wir, das Magazin Der Rechte Rand und ak – analyse & kritik,
wollen mit diesem Sonderheft zur Diskussion anregen. Vieles von
dem, was in diesem Heft steht, ist jenen, die sich seit Jahren
mit dem Thema beschäftigen, sicherlich nicht neu. Doch Mythen
sind hartnäckig, und gerade das beständige Einfordern von thematischer
Auseinandersetzung kann Veränderungen bewirken.
Auch das hat die Erfahrung in Dresden gezeigt.

 

Glockengeläut in der Elbmetropole
Dresdner Normalitäten zwischen Erinnerung und der „guten Mitte“
von Andreas Speit

Eine Stadt pflegt ihren Mythos
Die Erinnerung an den 13. Februar 1945 bestimmt noch immer den geschichtspolitischen Diskurs
von Philipp Klein

Auf der Suche nach der passenden Kulisse
Vom Sprechchor vor der Frauenkirche zum größten Naziaufmarsch Europas
von Alexa Anders

Die Brücke über das Tränenmeer
Warum das Gedenken an deutsche Opfer für Neonazis so wichtig ist
von Maike Zimmermann

Moralisch Maß nehmen
Der Mythos Dresden und die Wandlungen der deutschen Erinnerungskultur
von Guido Speckmann

 

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