Es droht ein rauer Wind

von Sascha Schmidt
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 174 - September / Oktober 2018

#LTWHessen

Hessen wählt am ­28. Oktober einen neuen Landtag.

Magazin der rechte rand

Robert Lambrou und Klaus Herrmann © Mark Mühlhaus / attenzione

Der Landesverband der hessischen »Alternative für Deutschland« (AfD) war seit seiner Gründung im Mai 2013 geprägt von internen Auseinandersetzungen. Den Richtungsstreit gewann im Mai 2015 auch in Hessen der rechte Flügel um die Landessprecher Albrecht Glaser (nun Mitglied des Bundestages), Rolf Kahnt und das ehemalige Landesvorstandsmitglied der hessischen »Republikaner«, Peter Münch. Nachdem sich auch dieses Trio öffentlich zerrieben hat, stehen mit Robert Lambrou und Klaus Herrmann seit Dezember 2017 zwei in den Medien häufig als »gemäßigt« beschriebene Personen an der Spitze der Partei (s. drr Nr. 170). Dass der ehemalige Vereinsvorsitzende des neu-rechten Think-Tanks »Institut für Staatspolitik« (IfS), Andreas Lichert, seinen Posten im Landesvorstand räumen musste, wurde ebenfalls als Ausdruck einer Mäßigung des Landesverbandes (LV) interpretiert.

Rückendeckung für Rechtsruck
Seitdem scheint der Landesvorstand konfliktfrei zusammenzuarbeiten. Innerhalb einzelner Kreisverbände (KV) hingegen entbrannten in den vergangenen Monaten Querelen, die vor allem durch Richtungsstreitigkeiten geprägt waren und in deren Folge Mandatsträger ihre Ämter niederlegten. So beispielsweise in den hessischen AfD-Stimmenhochburgen Offenbach und Fulda. Im KV Offenbach hagelte es gegenseitig Vorwürfe über die vermeintliche Veruntreuung von Geldern, Drogenmissbrauch und die »Versendung von Hitler-Bildern« in internen Chat-Gruppen. Den politischen Kurs des KV um Sprecherin Christin Thüne bezeichnete ein ehemaliges KV-Mitglied als »braun«. Die einst siebenköpfige Fraktion im Offenbacher Stadtparlament um Thüne und den Ex-Republikaner Hans-Joachim Münd ist mittlerweile auf drei Personen geschrumpft. Während der alte Landesvorstand ein Ausschlussverfahren gegen Thüne einleiten und den gesamten Kreisvorstand absetzen wollte, sieht der jetzige Vorstand bisher keinen Handlungsbedarf.

Ein ähnliches Szenario in Fulda: Dort verließ der ehemalige Kreissprecher, Heiko Leimbach, im Sommer medienwirksam die Partei. Derzeit sind mehrere Klagen wegen Beleidigung, Verleumdung und Körperverletzung zwischen ehemaligen und aktiven Mitgliedern des KV anhängig. Leimbach führte als Ausstiegsgrund den Rechtskurs im KV an, der sich an einem Treffen von Kreisvorstandsmitgliedern mit Björn Höcke sowie an Sympathien für die »Identitäre Bewegung« (IB) festmachen lasse. Für die Landtagswahl tritt als Direktkandidat für den KV Fulda der Kreistagsabgeordnete Jens Mierdel an. Er gehörte bis 2015 zu den Aktivposten der hessischen IB. Sympathien für die IB bekundete im Juli auch der Fuldaer Bundestagsabgeordnete der AfD, Martin Hohmann. Doch auch im Fall des KV sieht Landessprecher Lambrou keinen Bedarf zum Handeln. Er verharmloste die Vorgänge stattdessen als gescheiterten »Machtkampf«. Ungeklärt ist derweil der Aufnahmeantrag des Fuldaer »Republikaners« Anton Rummel. Hierüber muss der Landesvorstand entscheiden.

Wölfe im Schafspelz
Lambrou und Herrmann bemühen sich im Umgang mit Presse und Öffentlichkeit um ein sachliches Auftreten sowie um die Darstellung der AfD als »liberalkonservativ« bis »nationalkonservativ«. Innerhalb der eigenen Partei und gegenüber dem eigenen Klientel wissen Herrmann und Lambrou jedoch den gewünschten Ton zu treffen, wenn sie im Rahmen der Wahlen zu den Landeslisten von »Multikultiwahn« (Herrmann) sprechen und ein Ende »der Islamisierung des Alltags« (Lambrou) fordern.

Lambrou und Herrmann ist als Zweit- und Drittplazierte der Landesliste, bei einem Einzug der AfD in den Landtag, jeweils ein Sitz im Parlament sicher. Das gilt auch für Andreas Lichert, den Vorsitzenden des Wetterauer KV, der bei der Listenwahl auf Platz fünf landete. Er engagiert sich nicht nur für das IfS, war zudem Bevollmächtigter beim Kauf eines Hauses im sachsen-anhaltischen Halle, das von der IB, dem IfS und der »Ein Prozent«-Initiative genutzt wird. Dass Lichert dennoch auf einen sicheren Listenplatz gewählt wurde, muss als Ausdruck einer breiten Akzeptanz von VertreterInnen der »Neuen Rechten« im hessischen LV gewertet werden. Einen maßgeblichen Anteil daran tragen die Landessprecher, die sich wiederkehrend öffentlich vor Lichert gestellt haben. So betonte der Kriminalbeamte a. D. Klaus Herrmann, er habe »keinen Zweifel an Licherts demokratischer Grundeinstellung«.

Weitgehend unbekanntes Personal
Sollte die AfD bei der Landtagswahl am 28. Oktober zehn Prozent der Stimmen bekommen, kann sie mit rund elf Abgeordnetensitzen rechnen. Lambrous Maßgabe lautet 15 Prozent – das wären 17 bis 18 Sitze. Sicherheitshalber wurde gleich eine 30-köpfige KandidatInnenliste aufgestellt. An deren Spitze steht der stellvertretende Sprecher des LV und Fraktionsgeschäftsführer der AfD im »Frankfurter Römer«, Rainer Rahn, der auf Landesebene bisher äußerst unauffällig blieb. Er behauptete auf dem Bundesparteitag in Augsburg, dass Deutschland zum »Importweltmeister von fremden Kulturen, Terror und Kriminalität« geworden sei. Im weiteren Feld der ersten 15 finden sich, mit Ausnahme des ehemaligen Landessprechers Rolf Kahnt (Platz 15), bestenfalls regional bekannte Personen, denen allesamt gemein ist, in ihren Reden zur Wahl der Landesliste nicht ohne die Themen Geflüchtete, ‹Islamisierung› oder ‹Gender› auszukommen.

Der einzig verbliebene Sprecher, der um moderate Töne bemühte, jedoch im LV isolierten Arbeitsgruppe »Alternative Mitte«, Walter Wissenbach, schaffte es nur auf Platz 16 (s. drr Nr. 170). Den Vorzug bekamen stattdessen KandidatInnen, die dem rechten Flügel zuzuordnen sind. So der Sprecher des Stadtverbandes Gießen, Arno Enners (Platz 8), der im Frühjahr 2015 die »Erfurter Resolution« des völkischen »Flügels« um Höcke unterschrieben hatte. Auf Platz zehn steht der stellvertretende Sprecher des KV Rheingau-Taunus, Frank Grobe. Der ‹Alte Herr› der Burschenschaft »Teutonia Aachen« ist Vorstandsmitglied der »Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung e. V.«, die dem extrem rechten Dachverband »Deutsche Burschenschaft« nahesteht. Erst kürzlich lobte Grobe den Protest seiner Verbindung aus dem Jahr 1998 gegen die »manipulatorische und wissenschaftlich anfechtbare Wehrmachtsausstellung«.

Als einziger Vertreter der »Jungen Alternative« befindet sich der Wiesbadener Stadtverordnete Dimitri Schulz (Platz 14) unter den ersten 15. Der Sprecher der »Interessensgemeinschaft der Russlanddeutschen« in der AfD Hessen sprach in seiner Rede von einem »Genozid an den Deutschen in der Sowjetunion«, über den jedoch geschwiegen werde. Demnach seien »vor dem Zweiten Weltkrieg […] hunderttausende Deutsche in Gulags und Vernichtungslagern« aufgrund ihres »Deutsch-Seins« umgebracht worden. Daran gelte es ebenso zu erinnern wie an die »positiven Aspekte [der] deutschen Geschichte, die bei weitem alles Negative überwiegen« würden.
Lediglich zwei Frauen können sich Hoffnung auf den Einzug in den Landtag machen, Andrea Walther und Claudia Papst-Dippel (Platz 12 und 13). Während Frauen auf der Wahlliste deutlich unterrepräsentiert sind, fällt auf, dass die Berufsgruppe der Polizisten übermäßig stark vertreten ist.

Lobbypartei der Polizei?
Denn mit Klaus Herrmann, Nikolaus Pethö (Platz 4) sowie Dirk Gaw (Platz 11) finden sich drei aktive oder ehemalige Polizisten auf den ersten 15 Plätzen. Pethö betonte, dass »auffällig viele der rund 80 Bewerber ehemalige oder Noch-Polizisten« unter den KandidatInnen gewesen seien. Laut der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« gäben Polizisten »den Ton auf Parteitagen« an. Fakt ist: Der LV bemüht sich auffallend um diese Klientel. Als im April 2018 Polizisten in Fulda einen Geflüchteten erschossen, der die Beamten mit Steinen attackiert haben soll, und medial die Frage der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes diskutiert wurde, rief die AfD zu einer Solidaritätskundgebung – unter dem Motto »Polizei unser Freund« – in Fulda auf. Im Fall der in Wiesbaden ermordeten Susanna wurde zwar der Mord für die Hetze gegen die Geflüchtetenpolitik der Kanzlerin genutzt, mit Kritik an der Polizei hielt sich die AfD jedoch auffallend zurück. Schließlich versteht man sich als »Lobby der Polizisten« (Lambrou). Das wird auch mit Blick auf das Landtagswahlprogramm deutlich.

Das Programm: neoliberal und rassistisch
Das 90-seitige hessische Wahlkampfprogramm, mit dem Titel »Hessen – Aber sicher«, ist wirtschafts- und sozialpolitisch als neoliberal zu bezeichnen. »Der Staat«, so die AfD, habe in marktwirtschaftlicher Hinsicht »den Rahmen zu setzen und sich ansonsten zurückzuhalten«. Dementsprechend will die AfD »auf breiter Front deregulieren und Bürokratie abbauen«.

Profitieren sollen hiervon »kleine sowie mittelständische Unternehmen« – als deren »starke Stimme« sich die AfD begreift – ebenso die »Bankenbranche« sowie der private Wohnungsbau. Der in der Wohnungspolitik geforderte Rückzug des Staates aus dem sozialen Wohnungsbau würde gerade in den hessischen Ballungsgebieten zu einer weiteren Reduzierung des Angebots an bezahlbarem Wohnraum führen. Die Leidtragenden wären vor allem Gering- und DurchschnittsverdienerInnen. Gegenüber der nahezu durchweg unternehmerfreundlichen Wirtschaftspolitik, erweisen sich die Forderungen zugunsten der PolizeibeamtInnen als auffallend beschäftigtenfreundlich. Neben einer »angemessene[n] Bezahlung« wird der »Wiedereinstieg [des Landes Hessen] in die Tarifgemeinschaft der Länder« gefordert. Während die AfD hierbei offen­sichtlich ihrem Verständnis als »Lobby der Polizei« folgt, spaltet sie im Gegenzug die Gesellschaft, indem sie vor einer »Wohlfahrtsindustrie« und »der sozialen Hängematte« sowie vor der »Einwanderung in die Sozialsysteme« warnt. Insbesondere die Themen Asyl- und Migra­tionspolitik, »Ausländerkriminalität« und Islam ziehen sich wie ein roter Faden durch das Programm. Wenn der LV noch »gegen die Islamisierung Deutschlands« wettert und als »Strategien« gegen »die Ausbreitung des Islam« das Verbot des »Tragens von Vollverschleierung und Kopftüchern« fordert sowie den Bau von Minaretten verbieten will; wenn der LV das »Abstammungsprinzip«, als Grundlage der Staatsbürgerschaft, wieder einführen will, wird deutlich, dass der Kurs der hessischen AfD auch programmatisch keineswegs als gemäßigt beschrieben werden kann.

Nach dem 28. Oktober werden sich wohl auch im hessischen Landtag der Ton und die Debatten merklich ändern. Es wird rauer werden.