Mehr Fragen als Antworten

von Sebastian Wertmüller
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 171 - März 2018

#Kommentar

Viele unserer Mitglieder wählen rechts. Die »Alternative für Deutschland« (AfD) kommt unter unseren KollegInnen auf zweistellige Ergebnisse, oft sind es sogar mehr als im Durchschnitt der Bevölkerung. Da spricht die Gewerkschaftssekretärin auf der Betriebsversammlung, thematisiert Rassismus, kritisiert rassistische und nationalistische Positionen und Äußerungen und wird danach von KollegInnen attackiert: Die AfD sei doch eine demokratische Partei, die ja im Bundestag vertreten sei, man dürfe ja wohl noch eine Meinung haben zu den vielen Flüchtlingen und Merkel und alle die da oben, das gehe doch gar nicht. Und die Gewerkschaft möge sich da doch besser raushalten.
Oder es begleitet der Gewerkschaftssekretär eine Betriebsratssitzung und wird dort massiv von einzelnen Betriebsräten angegangen, wieso ver.di die Busse zu den G20-Krawallen finanziere, wieso Andersdenkende im Betrieb ausgeforscht würden, warum der DGB mit »Antifa« und dem »schwarzen Block« zusammenarbeite und ähnliches mehr.

der rechte rand Magazin Ausgabe 171

Sebastian Wertmüller ist Gewerkschaftssekretär und Bezirksgeschäftsführer ver.di Region Süd-Ost-Niedersachsen

Es meldet sich der Betriebs- oder Personalrat und berichtet konsterniert, ein Mitglied seines Gremiums teile und poste rechtsradikale Kommentare auf Facebook. Ein Mitglied eines anderen betrieblichen Gremiums, gewerkschaftlich organisiert, kandidiert für die AfD. Ein betrieblicher Funktionär verlässt ver.di, taucht später auf der Teilnehmerliste eines AfD-Bundeskongresses auf und kurz danach wird er örtlicher Vorsitzender einer betrieblichen Konkurrenzorganisation.
Sind das alles Einzelfälle oder Ausdruck eines Problems?
Zufälle sind diese und weitere Beispiele nicht, wenn man weiß, wie viele Gewerkschaftsmitglieder in Befragungen entsprechende Einstellungen erkennen lassen. Und es ist nicht überraschend, dass dies auch seinen Niederschlag bei einzelnen betrieblichen FunktionärInnen findet.

Auf der Haben-Seite
Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland haben eine lange Tradition im Kampf gegen die extreme Rechte, Nationalismus und Rassismus. Der DGB organisiert Kundgebungen und Proteste gegen Nazi-Aufmärsche und Veranstaltungen und ist Teil von Bündnissen gegen rechts – und dies schon seit Jahrzehnten.
Er ist dabei, wenn es gegen neonazistisches, extrem rechtes, rassistisches Gedankengut geht. Wir produzieren Flugblätter, Plakate, Aufkleber, Buttons, CDs, Broschüren, Flyer, Artikel in unseren Blättern und vieles andere mehr.
Historische Erinnerungsarbeit ist für uns keine Floskel, wir erinnern an Gedenktagen wie dem 27. Januar, dem 8. Mai und dem 9. November und unterstützen Gedenkstätten und organisieren Bildungs- und Informationsveranstaltungen.
Wir haben bundesweite Kampagnen unterstützt: für eine doppelte Staatsbürgerschaft, für ein kommunales Ausländerwahlrecht, gegen die Änderung des Asylrechts im Grundgesetz.
Und nicht zu vergessen, der Kampf gegen die extreme Rechte ist Teil unserer Bildungsarbeit: Seminare für Jugendliche und für Auszubildende, Bildungsangebote für Schulen und Berufsschulen und weitere Bildungsmodule.
Aber all das – und einiges mehr – haben wir bis vor wenigen Jahren noch viel umfänglicher getan, als wir es heute tun. Und – schlimmer noch – wir waren nur wenig erfolgreich, wenn wir auf aktuelle Entwicklungen und auf das gewerkschaftliche Wahlverhalten schauen.

Auch das »Unpolitische« kann rechts sein
Sie rufen viel Wirbel hervor und werden insbesondere während der Betriebsratswahlen 2018 viel diskutiert – rechte Wahllisten: Betriebliche Zusammenschlüsse mit einem extrem rechten Hintergrund sind zwar die Exoten im betrieblichen Alltag, haben dennoch ihre Bedeutung fürs rechte Milieu.
Bedeutender als eine klare rechte politische Positionierung betrieblicher Zusammenschlüsse erscheint mir da eher das Gegenteil: das Bekenntnis zur vermeintlich völlig unpolitischen Interessenvertretung. Dies zeigt sich in der Ablehnung einer politisch bewussten Gewerkschaftsarbeit, in der Forderung nach der ausschließlichen Konzentration auf die angeblichen »eigentlichen Interessen der Beschäftigten« und in der Abkehr von gewerkschaftlichen Werten und Grundsätzen, wenn es um strittige politische Themen geht.
Daher meine These: Die Rechte gibt sich in betrieblichen Strukturen eher unpolitisch und unauffällig. Nur so ist es denkbar, dass betriebliche Funktionäre mit einem rechten Background sich manchmal durchaus erfolgreich bei den KollegInnen und in der Interessenvertretung behaupten können. Auf diese Weise lässt sich auch mit der Mitgliedskarte einer DGB-Gewerkschaft gut zurechtkommen.
Ein anderer Weg wäre die Betätigung bei einer der vielen, überwiegend konservativer aufgestellten Konkurrenzorganisationen. Diese bekennen sich offensiv zu ihrer (allgemein)politischen Zurückhaltung und sind auch von ihrer Historie her nicht mit dem Widerstand gegen die NS-Diktatur verbunden. Der DGB und seine Gewerkschaften dagegen sind 1945 aus einem dezidiert antifaschistischen Verständnis – unter anderem aufgrund ihrer eigenen Verfolgungsgeschichte – heraus aufgebaut worden.

Versäumnisse
Die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten war in der Vergangenheit maßgeblich von bestimmten inhaltlichen Prämissen geprägt. Da gibt es zum einen das oben beschriebene Selbstverständnis, das aus der Verfolgung in der NS-Zeit hervorgeht. Daraus leiten die einzelnen Mitgliedsgewerkschaften, wie auch der DGB als Dachverband, eine klare Orientierung ab, die sich zum Beispiel in der Satzung des DGB niederschlägt: gegen Rassismus und Diskriminierung, für Geschlechterdemokratie und für Europa, für Demokratie in der Wirtschaft und für Gleichberechtigung.
Zugleich bleibt aber die gewerkschaftliche Analyse hinter den gesellschaftlichen Entwicklungen zurück. Klare eigene Überzeugungen und persönliche Abscheu reichen längst nicht aus, um rassistische, antisemitische, neu-rechte Gesinnungsstrukturen zu erkennen, zu verstehen und zu bekämpfen. Die Folge ist ein unverstandenes Wesen durchdrungen von Rassismus und Antisemitismus.
Das Bild vom verführten Menschen, den man aufklären müsse, prägt vielfach das gewerkschaftliche Bild der extremen Rechten. Unheilvolle Einflüsse wie Egoismus und Gier hätten das gesellschaftliche Klima vergiftet. Soziale Ungerechtigkeit und schwindende soziale Sicherheit würden von den geschickt getarnten Rechten benutzt. So wurde die AfD einige Zeit aufgrund von Teilen ihres Programms als neoliberales Projekt wahrgenommen, der völkische und sozialpolitisch reaktionäre Charakter wurde hingegen ignoriert. Ein fataler Irrtum.
Dass Gewerkschaftsmitglieder aber zum Teil wissen, was sie tun, wenn sie rassistisch und völkisch reden, denken und wählen, will nicht so recht ins antifaschistische gewerkschaftliche Weltbild passen. Entsprechend schlecht sind die Gewerkschaften jetzt auf das Wachstum einer rechten Partei und auf ein rechtes Wahlverhalten ihrer Mitglieder vorbereitet.

Hat sich die Gewerkschaftsbewegung abgemeldet?
Da treibt die AfD mit ihren Debatten die bundesdeutsche Politik vor sich her, da gibt es alltägliche Angriffe auf MigrantInnen, da wird der öffentliche Auftritt dieser Partei immer brauner und rassistischer und einer der größten demokratischen Verbände – der DGB mit seinen Einzelgewerkschaften – scheint dabei oftmals nicht mehr öffentlich wahrnehmbar zu sein.
Der Verlust gewerkschaftlicher Organisationsmacht, der sich unter anderem in sinkenden Mitgliederzahlen, abnehmender Tarifbindung und überschaubaren Erfolgen in der Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse der abhängig Beschäftigten niederschlägt, beschränkt die gewerkschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten. Gewerkschaften konzentrieren sich schwerpunktmäßig auf die Mitgliederentwicklung, auf Dienstleistungsaufgaben für Mitglieder und eine eher entpolitisierte Tarifpolitik. Dabei drohen gesellschaftliche und politische Ansprüche an die eigene Arbeit verloren zu gehen.
Am Stellenwert der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit lässt sich dies gut nachvollziehen: viele arbeitgeberfinanzierte Seminare, wenige gesellschaftspolitische Angebote und etwas Bildungsurlaub. Und selbst da, wo mehr angeboten wird, fehlt manchmal inzwischen die Nachfrage.
Nach wie vor gibt es viele Gliederungen des DGB und seiner Gewerkschaften, die sich mit Neonazis, mit Rechts und mit Nationalismus auseinandersetzen. Zur großen Gegenbewegung reicht es aber bisher nicht.
Eine gesellschaftliche Vision, das heißt eine Alternative zu Kapitalismus, Prekarisierung, Deklassierung und Ausbeutung, fehlt häufig. Die Digitalisierung der Arbeitswelt steht für viele Beschäftigte eher als Drohkulisse im Raum, als dass sie Bezugspunkt für eine neue Orientierung wäre.

Was geht?
Die richtigen Fragen stellen: Wir müssen diskutieren, warum unsere Anstrengungen gegen Rechts so wenig erfolgreich und nachhaltig waren. Falsche Analyse? Falscher Ansatz? Haben wir nicht die Richtigen angesprochen oder warum haben wir die eigenen Mitglieder nicht erreichen können?
Verstehen: Das wird das Wichtigste sein müssen. Wieso wählt der gute Kollege, die gute Kollegin plötzlich ganz weit rechts – und versteht sich immer noch als überzeugtes Gewerkschaftsmitglied? Wie interpretieren unsere Mitlieder unsere gewerkschaftlichen Grund­sätze?
Repolitisierung: Wir sollten Gewerkschaftsarbeit wieder politisch verstehen. Gemeint ist ein politischer und menschenrechtsorientierter Umgang mit und in unserer Arbeit, mit unseren Forderungen und mit unseren Mitgliedern.
Organisierung: Wenn es uns gelingt, wieder mehr betriebliche Handlungsfähigkeit herzustellen und durch solidarisches und kollektives Handeln die Arbeitsbedingungen zu gestalten, haben wir ein Handlungsfeld gegen die Ethnisierung sozialer Konflikte.
Als eine der wenigen Großorganisationen, die noch Zugang zu einem Teil der rechten Klientel hat, haben wir einen gesellschaftlichen Auftrag, unsere Mitglieder und Teile unserer Gesellschaft nicht immer weiter nach rechts ziehen zu lassen. Und wir sind immer noch stark genug, mit möglichst vielen anderen die gesellschaftliche Debatte dazu aufzunehmen.

Sebastian Wertmüller ist Gewerkschaftssekretär und Bezirksgeschäftsführer ver.di Region Süd-Ost-Niedersachsen