Gewerkschaften in der NS-Zeit

von Eva Müller



Magazin "der rechte rand" Ausgabe 171 - März 2018

Magazin der rechte rand Ausgabe 171

© Kai Budler

#Geschichte

Während des Nationalsozialismus wurden zahlreiche GewerkschafterInnen wegen ihrer Opposition zum Regime verfolgt, inhaftiert, ermordet oder ins Exil getrieben.

1. Mai 1933: »Tag der nationalen Arbeit«, zum ersten Mal bezahlter Feiertag, Kundgebungen und Massenaufmärsche im ganzen Land. Hunderttausende jubeln Adolf Hitler auf dem Tempelhofer Feld in Berlin zu. Der Maifeiertag 1933 sollte Großes für die deutsche ArbeiterInnenschaft verheißen, die nationalsozialistische Propaganda einer geeinten »Volksgemeinschaft« jenseits von Arbeitskämpfen und Klassengegensätzen festigen. In den drei Monaten seit der nationalsozialistischen Machtübernahme im Januar 1933 hatte das Regime seine Macht festigen können. Dies hatte zur Folge, dass auch Teile der Gewerkschaften sich bereits der neuen Regierung anpassten: Der Bundesvorstand des »Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds« (ADGB), der als Dachverband der »Freien Gewerkschaften« eng mit der SPD verbunden war, hatte zur Teilnahme an den 1. Mai-Feiern aufgerufen, ungeachtet der Verfolgung von GewerkschafterInnen und RegimegegnerInnen, die mit der NS-Machtübernahme eingesetzt hatte.

Zerschlagung der Gewerkschaften
Einen Tag später, am 2. Mai 1933, folgte der Schlag gegen die Gewerkschaften, ein Schachzug, der von der NS-Führung genau geplant war: »Den 1. Mai werden wir zu einer grandiosen Demonstration deutschen Volkswillens gestalten. Am 2. Mai werden dann die Gewerkschaftshäuser besetzt«, notierte NS-Propagandaminister Joseph Goebbels am 17. April 1933 in sein Tagebuch. Die Prinzipien von Inklusion – der Integration von »VolksgenossInnen« – und gleichzeitiger Exklusion – der Ausgrenzung von »Feinden der Volksgemeinschaft« –, die sich durch die gesamte Zeit der NS-Herrschaft erkennen lassen, kamen an diesen beiden Maitagen zum Tragen. Mitglieder der »Sturmabteilung« (SA) und der »Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation« (NSBO) stürmten landesweit die Gewerkschaftshäuser, Redaktionen und andere Einrichtungen der »Freien Gewerkschaften«. Führende GewerkschafterInnen wurden in »Schutzhaft« genommen, nicht selten misshandelt. In frühen Konzentrationslagern, so etwa im SA-Gefängnis in der Berliner General-Pape-Straße, befanden sich unter den politischen Häftlingen auch zahlreiche aktive GewerkschafterInnen, die dort gequält und gefoltert wurden.
Der Zerschlagung des ADGB folgte die Auflösung der beiden anderen Richtungsgewerkschaften, der liberalen »Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine« und der christlich geprägten Organisationen, die im »Deutschen Gewerkschaftsbund« vereinigt waren.

Die »Deutsche Arbeitsfront«
Am 10. Mai 1933 rief die NS-Führung die »Deutsche Arbeitsfront« (DAF) ins Leben, die sich durch die Vermögen der aufgelösten und enteigneten Gewerkschaften sowie über die Mitgliedsbeiträge und Gewinne von Unternehmen finanzierte, an denen die DAF beteiligt war. Die DAF existierte bis Kriegsende und stellte die zentrale nationalsozialistische Massenvereinigung für ArbeiterInnen und Angestellte im NS-Staat dar. Mit zuletzt rund 25 Millionen Mitgliedern war sie die größte NS-Organisation und hatte weitreichenden Einfluss auf das Arbeits- und Privatleben der deutschen Bevölkerung. Angegliedert an die NSDAP und geführt von »Reichsleiter« Robert Ley, war die DAF eine riesige bürokratische Maschinerie und als Großorganisation ein bedeutsamer Machtfaktor im Reich. Sie unterstützte die Propaganda einer geeinten »Volksgemeinschaft«, in der Arbeitskonflikte keinen Platz haben sollten. Freizeitangebote, die mit der Unterorganisation »Kraft durch Freude« (KdF) ihren organisatorischen Ausdruck fanden, sollten dabei befriedend wirken. Die Reisen, Veranstaltungen und Kurse der KdF waren äußerst populär und förderten die Zustimmung der Bevölkerung zum Regime.
Eine gewerkschaftliche Interessenvertretung stellte die DAF bald nicht mehr dar: Tarifverhandlungen und Streitschlichtungen übernahmen ab November 1933 »Treuhänder der Arbeit«, deren Personal sich aus Unternehmerschaft und Verwaltung rekrutierte. Die Tendenz des nationalsozialistischen Staates, Arbeitskonflikte zu unterbinden, zeigte sich auch im Arbeitsrecht, wo die Möglichkeiten von ArbeitnehmerInnen eingeschränkt wurden Konflikte auszutragen, da die DAF beeinflussen konnte, welche Konflikte überhaupt gerichtlich verhandelt wurden.
Die Ambivalenz zwischen Zwang und Druck auf der einen Seite und Versprechen und Vergünstigungen auf der anderen Seite macht ein Kernelement der nationalsozialistischen Gesellschaft aus. Nicht zu vergessen ist, dass es trotz aller Versuche des Regimes, die deutsche Gesellschaft zu vereinheitlichen, im Arbeitsalltag immer wieder zu Konflikten und Arbeitskämpfen kam – allerdings unter repressiven Bedingungen, die eine Organisierung von Beschäftigten jenseits der DAF unmöglich machten. »Wohl selten«, schrieb der Historiker Michael Schneider, »hat ein Regime einen stärkeren Kult der Arbeiter und des arbeitenden Menschen betrieben – und zugleich die Arbeiterschaft dermaßen politisch entmachtet«.

Widerstand und Verfolgung von GewerkschafterInnen
Die Werbung um die Gunst der Beschäftigten, die zugleich von einer faktischen Außerkraftsetzung erkämpfter ArbeiterInnenrechte begleitet wurde, ging mit der Verfolgung aktiver GewerkschafterInnen einher, deren Widerstand nicht selten eine direkte Antwort auf die Zerschlagung der Gewerkschaften darstellte. Lohn- und Arbeitskämpfe waren unter den Bedingungen des nationalsozialistischen Regimes kaum mehr möglich. Zwar trat am Tag nach der Machtergreifung im baden-württembergischen Mössingen ein großer Teil der in der dortigen Textilindustrie tätigen ArbeiterInnen in den Generalstreik und es gab auch nach 1933 noch vereinzelt Streiks.
Am bekanntesten war ein Streik in den Opelwerken in Rüsselsheim am 25. Juni 1936, bei dem sich die Streikenden gegen eine neu eingeführte Akkordnorm wehrten. Das Management, unterstützt von DAF und Gestapo, entließ im Anschluss alle der 262 am Streik beteiligten ArbeiterInnen fristlos. Der gewerkschaftliche Widerstand fand aber vor allem darin seinen Ausdruck, dass ehemalige GewerkschafterInnen ihre Netzwerke aufrecht erhielten, illegale Informationen über die Situation in den Betrieben verbreiteten, den Kontakt zu den ins Exil Geflohenen pflegten und mit Druckschriften und Flugblättern gegen die NS-Propaganda arbeiteten.
Der gewerkschaftliche Widerstand war auch und vor allem ein Widerstand der ArbeiterInnen und häufig kommunistisch oder sozialistisch geprägt, wogegen das Regime mit Terror, Massenverhaftungen und KZ-Inhaftierungen reagierte. Mitte der 1930er Jahre war die Opposition stark geschwächt, ein verdecktes Informationsnetz konnten die Aktiven allerdings aufrecht erhalten. Der Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 verschärfte die Bedingungen drastisch. Der Druck auf RegimegegnerInnen stieg, da die NS-Führung den Verfolgungsapparat ausbaute und sich zugleich bemühte, die »Heimatfront« sozial zu befrieden. Erst als 1943 nach der Schlacht um Stalingrad die Kriegswende zugunsten der Alliierten einsetzte, verschlechterte sich die Stimmung im Reich, ohne dass es jedoch zu einem Aufleben des Widerstands gekommen wäre. Die meisten Aktiven waren, wenn sie nicht ermordet worden waren, in Konzentrationslagern inhaftiert oder ins Exil geflohen. Einige Gewerkschaf­terInnen hielten den Kontakt zu den Widerstandsgruppen des 20. Juli 1944, so etwa Wilhelm Leuschner von den »Freien Gewerkschaften«, der zehn Jahre lang im gewerkschaftlichen Widerstand tätig gewesen war. Nach dem gescheiterten Putsch vom 20. Juli wurde Leuschner inhaftiert und am 29. September 1944 hingerichtet. Innerhalb der Widerstandskreise des 20. Juli, die stark von Militär, Adel und Kirche geprägt waren, versuchten die Beteiligten aus den Gewerkschaften, sich für die Interessen der ArbeiterInnenschaft einzusetzen, freilich auch mit dem Ziel, in einem möglichen Nachkriegsdeutschland kommunistische und revolutionäre Bestrebungen zu verhindern.
Während der NS-Zeit wurden tausende Männer und Frauen, die sich dem gewerkschaftlichen Gedanken verbunden fühlten, inhaftiert, gefoltert und nicht selten ermordet. Im Frühjahr 1942 befanden sich 100.000 Menschen wegen illegaler sozialistischer Tätigkeit in Konzentrationslagern, darunter viele GewerkschafterInnen.

Nach dem Krieg
Die während des Nationalsozialismus gemachten Erfahrungen, vor allem des Widerstands und des Exils, flossen in den Neuaufbau der Gewerkschaften nach Kriegsende ein. Als besonders relevant wurde erachtet, die ideologische Spaltung der Richtungsgewerkschaften in der Zeit vor dem Nationalsozialismus zu überwinden und eine Einheitsgewerkschaft aufzubauen. Die These, die weltanschauliche Zersplitterung der Gewerkschaften habe den Aufbau eines parteiübergreifenden Widerstands nach 1933 erschwert, führte zu dem Bestreben, dies in der Zukunft zu verhindern. Ferner spielte die Überlegung eine Rolle, eine einheitliche Gewerkschaft werde zu einer besseren Organisierung von ArbeiterInnen und damit zu größerer Durchsetzungsfähigkeit gegenüber der ArbeitgeberInnenschaft führen. Auch die Alliierten verweigerten sich einer Zulassung von Richtungsgewerkschaften. So entstand eine in Europa fast einmalige Situation, dass 1949 eine große Dachorganisation, der »Deutsche Gewerkschaftsbund«, gegründet wurde, der sich dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft verbunden fühlte. Mitbestimmung war eine zentrale Forderung; weitreichende antikapitalistische Vorstellungen jedoch konnten GewerkschafterInnen angesichts des politischen Klimas im »Kalten Krieg« nicht umsetzen.