Ergänzung statt Konkurrenz
von Volkmar Wölk
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 172 - Mai / Juni 2018
#Frankreich
Es ist ungewohnt, dass Alain de Benoist, Doyen der französischen »Neuen Rechte«, sich einmal nicht in den Mittelpunkt stellt. Im Interview mit dem Blog der Zeitschrift »Philitt« unter dem Titel »Der Mai 68 hatte etwas von einer Farce« betont er zunächst, der »Mai 68« sei lediglich eine Kristallisation von Tendenzen gewesen, die sich bereits seit den 1950er Jahren herausgebildet hätten.
Diese Veränderungen, wie die Konsumgesellschaft und die neue Rolle der Frau in der Gesellschaft, hätten sich auch ohne diese Revolte durchgesetzt. Zwar habe damals der letzte große Generalstreik in Frankreich stattgefunden, aber letztlich habe es sich um StudentInnen gehandelt, Töchter und Söhne von Bourgeois, die gegen Polizisten vorgingen, die Söhne von Proletariern waren. Benoists rückblickende Einschätzung ähnelt verblüffend dem abschätzigen Urteil der französischen KommunistInnen der damaligen Zeit. Er selbst, damals gerade 25, sei lediglich als Beobachter vor Ort gewesen, um die zahllosen Flugblätter und Zeitschriften zu ergattern. Andere rechte Aktivisten aus seinem Umfeld dagegen hätten sich mit ihren Gruppen den Revoltierenden entgegengestellt, seien gegen die Militanz von Links mit Gewalt vorgegangen.
Neu auf dem Markt
»Philitt«, im Untertitel »Zeitschrift für Philosophie und Literatur«, ist ein ziemlich frisches Produkt auf dem Markt der Zeitschriften der extremen Rechten Frankreichs. In loser Folge, ungefähr halbjährlich erscheinend, bringt das Blatt, dessen Redakteure vom Alter her durchaus die Enkel von Benoist sein könnten, relativ bekannte Gastautoren wie Thibault Isabel aus Benoists direktem Umfeld und InterviewpartnerInnen zu den Themenschwerpunkten wie »Ich bin Barbar« (Nr. 5, Herbst/Winter 2017) oder »Das Heil durch die Politik?«, dabei sich immer wieder in die Tradition der großen Denker der Rechten wie Joseph de Maistre, René Guénon oder Charles Péguy stellend. Zugleich aber versuchen die Blattmacher, sich dabei am Vorbild der Großvätergeneration des GRECE (»Groupement de recherche et d’études pour la civilisation européenne«) orientierend, von aus der Linken stammenden DenkerInnen und Theorien für sich nutzbar zu machen. Besonders deutlich wird das durch den Bezug auf den Philosophen Jean-Claude Michéa, der einen Weg von der Kommunistischen Partei über die linksradikale »Neue Antikapitalistische Partei« bis in das Umfeld der »Neuen Rechten« gemacht hat. Bindeglied ist dabei seine Arbeit an dem Modell der »Decroissance« (eines negativen Wachstums) einerseits und seine vehemente Liberalismuskritik andererseits.
Bernard Lugan wiederum, der damals in der monarchistisch ausgerichteten »Action Française« militanter Gegner der 68er war, treffen die Leute der »Philitt« mit Sicherheit bei den jährlichen Kongressen des »Institut Iliade«, zu dessen Führungsmannschaft Lugan heute gehört. Seine aktivistischen Jugendjahre sind lange vorbei, vom Royalismus hat er zur »Neuen Rechten« gefunden, aus dem Schläger ist ein renommierter Afrikanist geworden. Nach dem Selbstmord von Dominique Venner übernahm er gemeinsam mit dem Historiker Philippe Conrad, ebenfalls dem GRECE entstammend, die Fortführung von Venners rechter Geschichtszeitschrift »Nouvelle Revue d’Histoire«, die Ende vergangenen Jahres eingestellt wurde. Conrad ist inzwischen Präsident des 2014 gegründeten »Institut Iliade«.
Etabliert: »Éléments«
Und auch das engste Umfeld von Benoist ist natürlich bei diesen Kongressen jeweils prominent vertreten, nicht zuletzt durch den aktuellen Chefredakteur der »Éléments«, François Bousquet, und durch seinen Redaktionsdirektor, Pascal Eysseric. Auch wenn das »Institut Iliade« inzwischen zu einem guten Teil die frühere Rolle des GRECE übernommen hat, bleiben die »Éléments«, dessen wichtigstes Publikumsblatt, ungebrochen wichtig. An jedem Kiosk erhältlich, ist sogar vor wenigen Jahren die Erscheinungsweise von vierteljährlich auf zweimonatlich umgestellt worden, ist gleichzeitig der Umfang von ehedem 64 Seiten auf nunmehr 96 erhöht worden. Dissidenten der 1980er Jahre wie Jean-Yves Le Gallou, der damals den sich dem Neoliberalismus annähernden »Club de l’Horloge« gegründet hatte, schreiben wieder für das Blatt, renommierte Wissenschaftler, die nicht Teil der »Nouvelle Droite« sind, wie Olivier Dard oder Michel Onfray, geben ihm Interviews. Und in der aktuellen Ausgabe der »Éléments« (171, April/Mai 2018) findet sich gar anlässlich des Erscheinens des ersten Bandes seiner Memoiren »Fils de la nation« (»Sohn der Nation«), dessen Erstauflage von 50.000 Exemplaren bereits vor der Auslieferung verkauft war, ein vierseitiges Interview mit Jean-Marie Le Pen über dessen Bibliothek und seine kulturellen Vorlieben. Andererseits findet sich im gleichen Heft ein Interview mit dem russischen nationalbolschewistischen Schriftsteller Zakhar Prilepin über dessen Erlebnisse als Freiwilliger in den Donbassrepubliken auf Seiten der Separatisten. Neben der Metapolitik spielt also inzwischen auch die Politik eine Rolle, neben den Autoren der »Nouvelle Droite« finden sich auch solche aus anderen Strömungen – nicht nur der Rechten.
»Krisis« und »Nouvelle École«
Neben den »Éléments« erscheinen weiterhin die beiden Theoriezeitschriften des GRECE, die »Krisis« und die »Nouvelle École«. Letztere ist nach wie vor das Flaggschiff der Mannschaft um Benoist. Auf stattliche 176 Seiten im Großformat, großzügig bebildert und in gediegener Aufmachung, kommt die aktuelle Ausgabe. Wie früher wird mit einem Patronatskomitee geprotzt, das mehrere Druckseiten ausfüllt, und einem Korrespondentenstab in 24 Ländern. Aus Deutschland wird seit Jahren Günter Maschke in dieser Rubrik geführt. Jede Nummer hat ein Schwerpunktthema, die von diesem Jahr hat den anarchistischen Theoretiker Pierre-Joseph Proudhon im Dossier. Der positive Bezug auf Proudhon durch Teile der extremen Rechten reicht in Frankreich gut 100 Jahre zurück. Damals wurde der »Cercle Proudhon« gegründet, ein Diskussionszirkel, in dem sich führende revolutionär-syndikalistische Intellektuelle mit wichtigen Protagonisten der monarchistisch-nationalistischen »Action Française« zum Austausch trafen. Die Initiative ging zurück auf deren unbestrittenen Führer Charles Maurras, dem passenderweise die vorige Ausgabe der »Nouvelle École« gewidmet war.
Die »Krisis« wiederum, die unter ihrem neuen Chefredakteur Thibault Isabel frischen Schwung bekommen hatte, kämpft noch immer damit, das angestrebte vierteljährliche Erscheinen wenigstens annähernd zu gewährleisten. Die bisher letzte Ausgabe mit dem Schwerpunkt »Heidentum« (Nr. 47) erschien im Juni 2017. Die Hefte davor hatten »Nation und Souveränität«, »Fortschritt«, »Modernität«, »Amerika«, »Sozialismus« und – natürlich – »Identität« als Thema. Auch hier wird darauf geachtet, dass die AutorInnen nicht nur aus den Reihen der »Nouvelle Droite« stammen und dass die Internationalität gewährleistet ist. Auch hier ist es Günter Maschke, der als Mitglied des Beraterkreises geführt wird.
Und andere
Die alten Blätter erscheinen also weiterhin. Und es sind neue wie die »Philitt« hinzugekommen, die durch entsprechende Literaturzeitschriften wie die »Livr’arbitres« oder »Raskar Kapac« ergänzt werden. Daneben jedoch gibt es eine Reihe von Zeitschriften, die für Strömungen der »Neuen Rechten« stehen, die nicht unbedingt auf einer Linie mit der Gruppe um Benoist liegen. Teilweise handelt es sich um Zeitschriften von Dissidenten wie Pierre Vial, der lange Zeit führender Funktionär des GRECE war und sich dann abgewandt hatte, da er den Wechsel vom biologistischen zum kulturalistischen Rassismus nicht mitmachen wollte. Er gründete die inzwischen auch in Spanien und Belgien aktive Gruppe »Terre et Peuple«, die sich als »identitärer europäischer Widerstand« charakterisiert und eine gleichnamige Vierteljahreszeitschrift herausgibt. Die aktuelle Ausgabe (Nr. 75) bietet unter anderem ein Interview mit der »identitären« Frauenband »Les Brigandes«.
Über die Person Vial gibt es direkte Verbindungen zur Zeitschrift »Synthèse Nationale«, dem Organ einer gleichnamigen Bündnisorganisation, die sich hauptsächlich aus AkteurInnen rekrutiert, die die Modernisierungsversuche des »Front National« durch Marine Le Pen nicht mitgehen wollten. Sie sehen deshalb »Die nationale Rechte am Scheideweg« (Nr. 46) und sehen, ermutigt durch die Aktionen der »Identitären«, Frankreich auf dem Weg zu einer »neuen Reconquista« (Sondernummer 5, Herbst 2015). Ergänzt wird diese Zeitschrift durch die »Cahiers d’Histoire du Nationalisme«, die Theoretiker und Organisationen des historischen Faschismus vorstellt, und durch eine Buchreihe.
Neben diesen, eigentlich hinter die Ansätze der »Nouvelle Droite« zurückfallenden, Initiativen sind die nationalrevolutionären Projekte zu nennen. »Réfléchir & Agir«,
inzwischen bei Ausgabe Nr. 58 angelangt, erscheint mit einer Auflage von 7.000 Exemplaren. Wesentlicher Autor ist inzwischen Georges Feltin-Tracol, Verfasser zahlreicher Bücher, die für die in Frankreich bedeutende Tendenz des Eurofaschismus stehen. Er bezieht sich dabei auch auf den italienischen Nationalrevolutionär Roberto Fiorini, der ebenso zum terroristischen Flügel dieser Strömung in den Jahren der »Strategie der Spannung« in Italien gehört wie Gabriele Adinolfi. Adinolfi, einer der wichtigsten Stichwortgeber von »CasaPound«, darf in der aktuellen Ausgabe seine heutigen Positionen in einem mehrseitigen Interview darstellen.
Bleibt jenes Blatt zu nennen, das man auf den ersten Blick mit einer Publikation von Autonomen aus früheren Zeiten verwechseln könnte: die »Rébellion«, im Untertitel mit »Autonomie – Antikapitalismus – Gemeinschaft« beschrieben.
Man bezeichnet sich selbst als Organ der »Sozialistischen revolutionären europäischen Organisation«, deren Name sich jedoch bedeutender anhört als es die reale Mitgliederzahl eigentlich gestattet. Hier ist es die traditionelle nationalbolschewistische Linie, die propagiert wird. Was wiederum führende Protagonisten der »Nouvelle Droite« nicht davon abhält, wie »Krisis«-Chef Thibault Isabel, für die Zeitschrift zu schreiben oder aber wie Alain de Benoist für den ersten Sammelband mit Texten der Zeitschrift ein Vorwort zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug sind die Aktivsten der Gruppe bei den Kongressen der »Éléments« oder des »Instituts Iliade« zugegen.
Man ergänzt sich. Das Angebot ist breiter geworden. Konkurrenz belebt das Geschäft. Die Krise des »Front National« tut ein Übriges, damit der Resonanzraum erweitert wird.