Bürgen der NPD
von Ernst Kovahl
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 166 - Mai 2017
Nach Einschätzungen von Verfassungsschutz und eines geheimdienstnahen Gutachters sei die NPD keine Gefahr. Im Verbotsverfahren folgte das Bundesverfassungsgericht dieser Einschätzung.
Am 17. Januar 2017 wies das Bundesverfassungsgericht den Antrag des Bundesrates und der Bundesländer zurück, die »Nationaldemokratische Partei Deutschlands« (NPD) und deren Untergliederungen zu verbieten. Die älteste und wichtigste Partei des deutschen Neonazismus sei zwar eindeutig verfassungswidrig, ziele »auf eine Ersetzung der bestehenden Verfassungsordnung durch einen an der ethnischen ´Volksgemeinschaft´ ausgerichteten autoritären ´Nationalstaat´« hin, gehe »aggressiv-kämpferisch« gegen die »freiheitlich-demokratische Grundordnung« vor, missachte die Menschenwürde und habe eine eindeutige »Wesensverwandtschaft« mit dem Nationalsozialismus. Damit folgte das Gericht der Argumentation der Antragsteller. Doch gegensätzliche Auffassungen gab es in der Einschätzung der Relevanz der Partei. Das Gericht kam – obwohl es seitenweise einschlägige Aktivitäten und Äußerungen der Partei im Urteil auflistet und die Strategien der Partei benennt – zu der Auffassung, dass die Partei zu unbedeutend und ihr Einfluss zu gering sei, um die Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland beseitigen zu können. Die NPD »bekennt sich zwar zu ihren gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Zielen und arbeitet planvoll und mit hinreichender Intensität auf deren Erreichung hin, so dass sich ihr Handeln als qualifizierte Vorbereitung der von ihr angestrebten Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellt (…). Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln (…) zum Erfolg führt«. Und weiter: »Eine Durchsetzung des verfassungsfeindlichen politischen Konzepts der Antragsgegnerin mit parlamentarischen oder außerparlamentarischen demokratischen Mitteln erscheint ausgeschlossen.«
»… ist gefährlich«
Die Länder hatten anders argumentiert: »Die NPD ist politisch bedeutend, und sie ist gefährlich«, sagte der damalige Bundesratspräsident Stanislaw Tillich (CDU). Gerade die Länder hätten »die politische Realität auf lokaler und regionaler Ebene im Blick«. Tillich verwies auf die mehr als 300 kommunalen Mandate der NPD, Wahlerfolge in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sowie die »lokale Verankerung« der Partei in Teilen Ostdeutschlands. Gerade die jüngste Zeit – Tillich zielte damit auf die Debatten um Flüchtlingspolitik sowie rassistische Aufmärsche und Anschläge – zeige, »dass die NPD kampagnenfähig ist, Menschenmengen versammeln und zum Hass aufstacheln kann. Gewalt gegen Menschen und Sachen sowie Brandanschläge auf Asylbewerberunterkünfte sind Folge ihres rassistischen Gedankenguts.« Tillich betonte, dass die Neonazi-Partei »sicherlich nicht kurz davor« stehe, »die Demokratie in ganz Deutschland zu beseitigen«. Sie sei aber eine Gefahr »für die Menschenwürde von Minderheiten und politischen Gegnern und für die Demokratie vor Ort«.
»Materialsammlung«
Auf 1.000 eng beschriebenen Seiten listeten das »Bundesamt für Verfassungsschutz« und die Landesämter für Verfassungsschutz 2012 auf Bitten der Innenministerkonferenz akribisch Fakten auf, die ein Verbot der NPD stützen sollten. In der »Materialsammlung« (»VS – Nur für den Dienstgebrauch«), die dem Magazin »der rechte rand« vorliegt, wurden Aussagen aus Satzung und Programm, Aktivitäten der Partei, einschlägige Äußerungen sowie Straf- und Gewalttaten von Mitgliedern und Funktionären der Partei und offene Bezüge auf den Nationalsozialismus zusammengestellt und die organisatorischen Strukturen, Wahlergebnisse, Mandate, Publikationen, Finanzen und Immobilien der Partei und ihres direkten Umfeldes erfasst. Aufgelistet werden auch ehemalige Mitglieder verbotener Organisationen, die zur NPD wechselten. Zudem stellten die Behörden Verknüpfungen der NPD zum Rechtsterrorismus fest. Auch wenn die Sammlung methodische Fehler, Leerstellen, Unklarheiten und politische Fragwürdigkeiten enthält, wie in der antifaschistischen Publikation »gamma« (Nr. 194/2013) herausgearbeitet wurde, macht das Papier eines deutlich: Die aufgelisteten Fakten sind keine Einzelfälle. Vielmehr sind Antisemitismus, Rassismus, NS-Verherrlichung, Gewalt und antidemokratisches Denken Kern der Partei.
Sachverständige
»Das Bundesverfassungsgericht kann sachkundigen Dritten Gelegenheit zur Stellungnahme geben«, ist im Bundesverfassungsgerichtsgesetz festgelegt. Die RichterInnen aus Karlsruhe entschieden sich, als Sachverständige beziehungsweise Sachkundige die Professoren Dierk Borstel (Fachhochschule Dortmund) und Eckhard Jesse (Technische Universität Chemnitz), den Privatdozenten Steffen Kailitz (Technische Universität Dresden), die Journalistin Andrea Röpke sowie die aktiven und ehemaligen NPD-Funktionäre Holger Apfel, Jürgen Gansel und Udo Voigt anzuhören. Zu den Kriterien zur Auswahl schweigt das Gericht: »Die Senate sind bestrebt, mit der Auswahl der sachkundigen Dritten ein möglichst breites Spektrum abzudecken. Die Auswahl erfolgt durch den jeweiligen Senat im Rahmen der Senatsberatungen, deren Inhalt dem Beratungsgeheimnis unterliegt«, teilte der Pressesprecher des Gerichtes auf Anfrage von »der rechte rand« mit. Ob bisherige Äußerungen zu einem NPD-Verbot eine Rolle spielten, sagte das Gericht nicht.
Dass die aktiven NPD-Funktionäre Gansel und Voigt ihre Partei verteidigten und auch der ehemalige Bundesvorsitzende Apfel wenig Argumente für ein Verbot liefern würde, war klar. Borstel, Kailitz und Röpke legten aus unterschiedlichen Perspektiven die reale Bedrohung von Rechts dar, auch wenn sie sich darin und in ihren Konsequenzen mit Blick auf das Verbot unterschieden. Es war vor allem der Extremismus-Theoretiker und der dem Verfassungsschutz zugeneigte Politikwissenschaftler Eckhard Jesse, der die NPD entlastete. Er argumentiert seit Jahren, ein Verbot sei nutzlos und verstoße gegen die politische Liberalität – zudem sieht er die größere Gefahr eh auf der politischen Linken. Im Urteil wird Jesse dann gleich mehrfach mit seinen, die NPD entlastenden, Einschätzungen zitiert: Die NPD sei »eine isolierte, geächtete Partei, deren Kampagnenfähigkeit – soweit man überhaupt davon reden könne – in den letzten Jahren abgenommen habe«. Und auch die Neonazi-Dominanz im Ort Jamel in Mecklenburg-Vorpommern – in der Verhandlung als Beispiel einer »National befreiten Zone« eingeführt – sei bloß ein Einzelfall: Eine Übertragbarkeit »auf andere, insbesondere größere Ortschaften ist – wie auch der Sachverständige Prof. Jesse in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat – nicht möglich«. Während die im Urteil zitierten Äußerungen von Jesse vom Gericht nicht infrage gestellt werden, konfrontiert das Urteil an mindestens zwei Stellen die Einschätzungen Röpkes mit Gegenargumenten, die die Fachkenntnis des Gerichts infrage stellen. Ein Beispiel: Röpke bekräftigte die Auffassung der Länder, dass der NPD-Ordnungsdienst »in einschüchternder Weise gegen politische Gegner auftrete«. Das Gericht konterte diesen Fakt, man könne der NPD nicht zur Last legen, »dass sie zur Gewährleistung der störungsfreien Durchführung von Kundgebungen überhaupt über einen Ordnungsdienst verfügt«. Dass der Ordnungsdienst in Geschichte und Gegenwart nicht allein durch Ordnung, sondern durch Gewalt auffällt, hätte dem Gericht bekannt sein können.
VS bestätigt: Unbedeutend
»Der Verfassungsschutzbericht des Bundes für das Jahr 2014 stellt eine anhaltende Krise der Antragsgegnerin fest. Obwohl sie weiterhin die wirkmächtigste rechtsextreme Partei sei, leide sie unter innerparteilichen Querelen, sinkenden Mitgliederzahlen, ungelösten strategischen Fragen, finanziellen Problemen und dem anhängigen Verbotsverfahren«, notiert das Gericht die Einschätzung des Geheimdienstes. Wiederholt bezieht sich die Urteilsbegründung auf entsprechende Befunde der Verfassungsschutz-Ämter aus den öffentlichen Verfassungsschutzberichten von Bund und Ländern, die zu zentralen Argumenten werden: »Der Befund geringer Wirkkraft in die Gesellschaft der Antragsgegnerin wird durch die Berichte der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bestätigt.« Dabei legt das Gericht immer wieder sehenswerte Windungen aufs Papier. Mal stellt es zur Entlastung der NPD fest, der Partei gelinge es nicht, für ihre Aufmärsche Menschen über den eigenen Kreis hinaus zu gewinnen. Wenige Zeilen später heißt es dann aber, das an den Anti-Asyl-Protesten der NPD »auch Personen jenseits des Kreises ihrer Mitglieder und Anhänger in erheblicher Zahl teilgenommen« hätten. Das jedoch zeige dennoch keine gesteigerte Attraktivität der Partei, da »nicht ohne weiteres von einer Erhöhung der Zustimmung zu den von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Zielen und einer damit verbundenen Steigerung ihrer Wirkkraft in die Gesellschaft ausgegangen werden« könne, orakeln die RichterInnen.
Staat sichert Überleben der NPD
Erneut scheiterte das Verbot der NPD am Staat. Waren es im ersten Anlauf die Spitzel der Geheimdienste, die der Neonazi-Partei das Überleben sicherten, waren es nun teils dürftig zusammengetragene Fakten der Länder und am Ende eine Entscheidung des Verfassungsgerichts, das an der entscheidenden Stellen maßgeblich auf Einschätzungen des Verfassungsschutzes und einem geheimdienstnahen Wissenschaftler beruht – die VS-Behörden fungierten quasi als Bürgen der NPD. Die Feststellung der »geringen Wirkkraft« der NPD, das zeigt die Urteilsbegründung deutlich, fußt maßgeblich auf den Einschätzungen der Verfassungsschutzämter. Dabei haben die Spitzelbehörden die Neonaziszene und die extreme Rechte schon immer falsch eingeschätzt, Antikommunismus und die unwissenschaftliche Extremismus-Theorie sind ihre ideologische Leitschnur. Die öffentlichen Berichte der Dienste, die im Urteil eine zentrale Rolle spielen, werden in der Regel durch »Copy & Paste« aus vergangenen Berichten zusammengebaut. Ihr dünner Wahrheitsgehalt wird immer wieder durch die Recherchen von Opferberatungsstellen, WissenschaftlerInnen, antifaschistischen Initiativen und JournalistInnen korrigiert. Zahlen über RechtsRock-Konzerte, Gewalt, Aufmärsche und andere Aktivitäten wurden in den staatlichen Angaben immer wieder zu gering angesetzt. Wenn selbst der Präsident eines ostdeutschen Landesamtes für Verfassungsschutz öffentlich kritisiert, dass in seinem Amt »weder mündige Bürger handeln, noch der demokratische Geist stimmt«, dann weiß man, wie die ungeschminkte Wirklichkeit in der Behörde aussieht. Und dann kann man sich auch vorstellen, wie die Grundlagen für die Einschätzung zustande kamen, dass die NPD am Ende ungefährlich sei. Es ist die alte Logik der Dienste, der Extremismus-TheoretikerInnen und einem rein institutionellen Verständnis von Politik: Gefährlich ist nur, wer den Staat und die »freiheitlich-demokratische Grundordnung« in seinem Bestand infrage stellt.