Ein Urteil und dann ein Schlussstrich?
von Björn Elberling
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 168 - September 2017
Viel Substantielles ist im NSU-Prozess zwischen April 2017 und Juli 2017 nicht passiert – berichtenswert ist vor allem der Auftritt des Verteidigungsgutachters Prof. Joachim Bauer. Dafür war es dann Ende Juli endlich soweit: Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl schloss die Beweisaufnahme, so dass die Plädoyers beginnen konnten. Das Plädoyer der Bundesanwaltschaft bestätigt die Sorgen der Nebenklage vor einer Entpolitisierung des Prozesses.
Beate Zschäpes »AltverteidigerInnen« Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm mühten sich weiter am Gutachten von Prof. Henning Saß ab – im Ergebnis allerdings erfolglos. Dieser hatte Beate Zschäpe die für eine Sicherungsverwahrung erforderliche Gefährlichkeit attestierte. Demgegenüber versuchten sich die neuen Verteidiger Mathias Grasel und Hermann Borchert mit einem Psycho-Antrag und zauberten einen eigenen Gutachter aus dem Hut: Der Freiburger Professor Joachim Bauer, der breiten Öffentlichkeit vorher weniger als forensischer Psychiater, sondern mehr als Autor populärwissenschaftlicher Bücher zu Themen der Psychologie bekannt, bescheinigte Zschäpe eine »schwere dependente Persönlichkeitsstörung«. Sie sei von Uwe Böhnhardt, der sie zudem vielfach körperlich misshandelt habe, vollkommen abhängig und nicht in der Lage gewesen, sich aus dieser »verschärften Geiselhaft« zu befreien. Dies habe zu einer Einschränkung ihrer Schuldfähigkeit bei allen Taten geführt – wobei unklar ist, welche Taten Bauer meinte, denn nach seiner Auffassung hatte Zschäpe in ihrer Passivität ja eigentlich gar keine begangen.
Grundlage seiner windigen Diagnose waren nicht etwa die Akten des Verfahrens und die Ergebnisse der Beweisaufnahme: Nein, Bauer gab zum einen wieder, was Zschäpe ihm in einigen Gesprächen in der U-Haft mitgeteilt hatte, zum anderen bezog er sich auf wenige, von den beiden Verteidigern ausgewählte Aussagen von Zschäpe nahestehenden ZeugInnen. Beiden Quellen glaubte er blind, nahm Zschäpe sogar Behauptungen ab, die durch die Beweisaufnahme bereits klar widerlegt worden waren.
Obwohl Bauer vor Gericht zudem auf zahlreiche ernsthafte handwerkliche Mängel aufmerksam gemacht wurde, teilte er allen Ernstes mit, er habe da schon ein »sehr, sehr gutes Gutachten« vorgelegt. Schnell wurde klar, dass dieses Gutachten schlicht nichts wert ist und er nichts ist als ein »Leumundszeuge, dem man ein professorales Mäntelchen umgehängt hat« – so die Zusammenfassung des Nebenklagevertreters Eberhard Reinecke.
Nachdem sein peinlicher Auftritt zu kritischen Medienberichten geführt hatte, setzte Bauer dem Ganzen die Krone auf und verglich in einer E-Mail an einen Pressevertreter den Prozess mit einer »Hexenverbrennung« Zschäpes, die ja Spaß machen solle. Er wurde daraufhin von mehreren NebenklagevertreterInnen als befangen abgelehnt – zu Recht, wie das Gericht entschied.
Eigener Psycho-Antrag der Verteidigung Wohllebens
Auf den von der Verteidigung von Zschäpe angestoßenen Psycho-Zug versuchte die Verteidigung von Ralf Wohlleben mit einem eigenen Antrag aufzuspringen. Sie wollte einen Sachverständigen dazu hören, dass Böhnhardt und Mundlos gar nicht aus rassistischen und neonazistischen Beweggründen heraus, sondern aus reiner Mordlust getötet hätten – was natürlich für ihren Mandanten Wohlleben ,der laut Anklage die Mordwaffe der ?eská-Serie besorgt hat, überhaupt nicht vorhersehbar gewesen sei.
Interessant hieran ist nur, dass sich ausgerechnet die Verteidigung Wohllebens, die ansonsten immer wieder Propaganda im Sinne ihres Mandanten und seiner »Kameraden« gemacht hatte, sich jetzt an einer Entpolitisierung des Verfahrens versuchte. Erfolg hatte sie keinen: Nebenklagevertreter Yavuz Narin wies zu Recht darauf hin, dass genau die Aspekte, auf welche die Verteidigung ihre pseudo-psychiatrische »Diagnose« stützte – Entmenschlichung der Opfer, völliges Fehlen von Empathie, Hang zur »Selbststilisierung bzw. Selbstheroisierung« – schlicht Ausdruck der menschenverachtenden nationalsozialistischen Ideologie sind, der Böhnhardt und Mundlos anhingen. Das Gericht lehnte den Antrag wie erwartet ab.
Ende der Beweisaufnahme und Beginn der Plädoyers
Mit letzten Beweis- und sonstigen Anträgen schaffte es die Verteidigung noch, den Beginn der Plädoyers bis Ende Juli 2017 zu verzögern. Zuletzt ging es in teils unwürdigen Wortgefechten um Anträge der Verteidigung, die Plädoyers der Bundesanwaltschaft aufzuzeichnen – was im Grundsatz sicher wünschenswert wäre, aber im Strafprozessrecht eben einfach nicht vorgesehen ist, so sehr sich auch VerteidigerInnen beschweren mögen, dass sie einfach nicht mitkommen. Zusammen mit anderen NebenklagevertreterInnen zeigten wir übrigens der Verteidigung, dass das alles gar nicht so schwer ist, und veröffentlichten das vollständige Plädoyer der Bundesanwaltschaft in unserem Blog nsu-nebenklage.de.
Nachdem sich das Gericht in den Wochen zuvor teils sehr viel Zeit gelassen hatte, konnte es dann auf einmal nicht schnell genug gehen: Am 18. Juli schloss es die Beweisaufnahme, am 19. Juli sollte die Bundesanwaltschaft ihr Plädoyer beginnen. Der Hinweis verschiedener NebenklagevertreterInnen, ihre MandantInnen könnten sich nicht von einem Tag auf den anderen um Freistellung von der Arbeit, Anreise und Unterkunft kümmern und riskierten daher, den Beginn des Plädoyers zu verpassen, interessierte das Gericht dabei wenig.
Plädoyer der Bundesanwaltschaft
Tatsächlich kamen zum Plädoyer der Bundesanwaltschaft nur wenige Angehörige der Opfer der sogenannten ?eská-Mordserie. Die meisten NebenklägerInnen blieben zu Hause, einige explizit mit der Begründung, dass sie sich vom Plädoyer der Bundesanwaltschaft nichts, aber auch gar nichts für eine ernsthafte Aufklärung des NSU-Komplexes erwarteten. Und solcherlei negative Erwartungen bestätigte die Bundesanwaltschaft dann auch.
Bundesanwalt Dr. Herbert Diemer und seine KollegInnen Anette Greger und Jochen Weingarten beantragten die Verurteilung aller fünf Angeklagten wegen aller in der Anklageschrift benannten Delikte. Sie stellten – mal ausführlich und detailliert, mal in einer bloßen Aneinanderreihung von Beweismitteln – dar, dass allen fünf die ihnen vorgeworfenen Taten nachgewiesen worden sind und warum die Versuche der Verteidigung, dies in Zweifel zu ziehen, erfolglos bleiben müssen. Diesem Teil des Plädoyers ist auch in weiten Teilen beizupflichten.
Das Plädoyer endete dann mit recht hohen Strafforderungen für alle Angeklagten: Lebenslang mit besonderer Schwere der Schuld und zusätzlich Sicherungsverwahrung für Beate Zschäpe; zwölf Jahre für Ralf Wohlleben, und auch für die weitgehend geständigen Angeklagten Schultze und Gerlach noch drei Jahre Jugendstrafe beziehungsweise fünf Jahre Freiheitsstrafe. Mit zwölf Jahren fiel der Antrag zum Angeklagten Eminger höher aus als von vielen erwartet, zudem beantragte die Bundesanwaltschaft den Erlass eines Haftbefehls gegen Eminger, den das Gericht auch antragsgemäß erließ.
… weil nicht sein kann, was nicht sein darf
Gleichzeitig verfolgte die Bundesanwaltschaft indes ihre der Staatsräson verpflichtete These der isolierten NSU-Dreiergruppe bis ins Plädoyer weiter und steigerte diese bis hin zu dreisten Angriffen auf die NebenklägerInnen und ihre AnwältInnen.
So steckte Diemer schon in seiner einleitenden Stellungnahme den Rahmen ab: Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Verstrickung von Angehörigen staatlicher Stellen seien nicht aufgetreten, sonst wären sie aufgeklärt worden. Die Ermittlung eines weiteren UnterstützerInnenumfelds habe nicht Aufgabe dieses Prozesses sein können. Anderes zu behaupten, verunsichere die Opfer und die Bevölkerung. Die zahlreichen Hinweise auf V-Leute im näheren Umfeld des NSU, die Übereinstimmung ihrer Taten mit den in der Neonazi-Szene breit kursierenden Anleitungen, das enge Verhältnis zur UnterstützerInnenszene in Jena und Chemnitz, die Hinweise auf ein solches Verhältnis auch in Zwickau, die Kritik des Bundestags-Untersuchungsausschusses an den unzureichenden Ermittlungen – alles, was seiner These widerspricht, ist Diemer zufolge »wie Fliegensummen in den Ohren«.
Seine Kollegin Greger ging dann in ihrem Teil, der sich der Angeklagten Beate Zschäpe und dem NSU als Organisation widmete, ganz zum Angriff über: »Eine Existenz von rechten Hintermännern an den Tatorten, die einige Rechtsanwälte ihren Mandanten offensichtlich versprochen hatten, hat sich bislang weder in den seit sechs Jahren laufenden Ermittlungen und der Hinweisbearbeitung, noch in der 360-tägigen Beweisaufnahme, wo wieder jedem Hinweis darauf nachgegangen wurde (…), noch in den breit angelegten Beweiserhebungen der zahlreichen Untersuchungsausschüsse bewahrheitet.« Dass die Bundesanwaltschaft zu UnterstützerInnen an den Tatorten gar nicht ernsthaft ermittelt hatte, dass Beweisanträgen der Nebenklage hierzu nicht nachgegangen worden war, dass die Untersuchungsausschüsse gerade Zweifel an der These von der isolierten Dreiergruppe geäußert hatten, verschwieg auch sie geflissentlich. Stattdessen versuchte sie, die NebenklagevertreterInnen als wichtigtuerische RechtsanwältInnen auf MandantInnenfang abzutun, auf welche die naiven NebenklägerInnen hereingefallen seien.
Nur noch als geschichtsrevisionistisch lassen sich Gregers Äußerungen zur Zielrichtung der Morde und ihrer gesellschaftlichen Wirkung vor 2011 nennen, wo es unter anderem heißt: »Die Gruppe hat mit ihren Straftaten jahrelang die Bevölkerung terrorisiert. Dass dabei jeder in ihren Fokus geraten konnte, zeigt das sichergestellte Ausspähmaterial. Institutionen, politische Funktionsträger und potentielle Anschlags- und Überfallsziele hat die Gruppe bundesweit ausgespäht und dann katalogisiert.« Das negiert nicht nur die Tatsache, dass die Taten des NSU primär ganz klar rassistisch ausgerichtet waren, sondern ignoriert auch den institutionellen Rassismus in Ermittlungsbehörden und Medien, der dazu führte, dass die Ermittlungen jahrelang gegen die Opfer der Taten des NSU selbst gerichtet wurden, begleitet von passender Medienberichterstattung. Die Anschläge des NSU versetzten – wie geplant – die migrantische Bevölkerung in Angst und Schrecken, während die Mehrheitsbevölkerung und insbesondere die »politischen Funktionsträger« in den Medien rassistisch geprägte Artikel über »Dönermorde« lasen.
Bundesanwalt Dr. Diemer schließlich setzte dem Ganzen mit einer extremismustheoretischen Ausführung der widerlichsten Sorte die Krone auf, indem er das Strafmaß für Ralf Wohlleben unter anderem damit begründete, »in Zeiten des Terrors, … in denen rechts- und linksextreme Gewalt immer deutlichere Konturen annimmt«, müsse ein deutliches Zeichen der Abschreckung gesetzt werden.
Protest und antifaschistische Mobilisierung
So ist es kein Wunder, dass sich die Bundesanwaltschaft Protest für ihre Rolle im Prozess anhören musste: So störten AktivistInnen der Kampagne »NSU-Komplex auflösen« kurzzeitig das Plädoyer und verlasen einige Sätze aus der Anklageschrift des NSU-Tribunals, die im Internet zu lesen ist (www.nsu-tribunal.de/anklage). Zum Tag der Urteilsverkündung, der etwa Ende dieses Jahres erwartet werden kann, mobilisieren antifaschistische Initiativen unter dem Motto »Kein Schlussstrich« zu einer Demonstration in München.
Mehrere NebenklagevertreterInnen verurteilten die Äußerungen der Bundesanwaltschaft als Kampf um »Deutungshoheit über den NSU-Komplex um den Preis von Diffamierung und Irreführung« und forderten die Öffentlichkeit auf, zu den Plädoyers der Nebenklage zahlreich zu erscheinen. Diese werden ab Mitte September beginnen.
Björn Elberling vertritt einen Nebenkläger im Münchner NSU-Verfahren. Zusammen mit Alexander Hoffmann betreibt er das Blog www.nsu-nebenklage.de, auf dem über jeden Prozesstag auf Deutsch, Englisch und Türkisch berichtet wird.