Rezensionen Ausgabe 169

von Kai Budler, Jan Nowak, Sascha Schmidt


Magazin "der rechte rand" Ausgabe 169 - November 2017

»Reichsbürger«

von Kai Budler

Rund 15.000 Personen sollen aktuell bundesweit zur »Reichsbürger«-Szene gehören, die immer häufiger durch Prozesse von sich reden macht. Trotzdem aber musste erst ein Polizist durch Schüsse eines »Reichsbürgers« sterben, damit die Gefahr dieser Bewegung in der Öffentlichkeit ernst genommen wird. Insofern nimmt der Untertitel »Die unterschätzte Gefahr« mit seinen drei Worten vieles aus den zehn Kapiteln des Sammelbandes »Reichsbürger« vorweg. Während Herausgeber Andreas Speit, der auch regelmäßig für »der rechte rand« schreibt, in der Einleitung die Milieus und Projekte der Reichsbürgerideologie erläutert, skizziert er zusammen mit David Begrich die Entwicklung der Reichsideologie und ihrer ProtagonistInnen in der extremen Rechten. Prägenden Figuren der Szene in Deutschland spüren Gabriela Keller und Jean-Philipp Baeck nach, während sich andere Kapitel der Bewaffnung sowie den Themen Antisemitismus und Gender in der Bewegung widmen. Ein besonderer Erkenntnisgewinn für die alltägliche Praxis sind die Kapitel, in denen es um die Auseinandersetzung mit »Reichsbürgern« verschiedener Couleur in der öffentlichen Verwaltung und auf kommunaler Ebene geht. Und auch bisher in der Öffentlichkeit marginalisierte Aspekte greift das Buch auf, wenn Paul Wellsow die langjährige Verharmlosung durch die Verfassungsschutzbehörden akribisch nachzeichnet. Hinnerk Berlekamp hingegen blickt über den deutschen Tellerrand und beleuchtet »Reichsbürger« in Österreich, der Schweiz, Kanada, den USA, Australien und Neuseeland. Er kommt zu dem Schluss, diese seien »ein globales Netzwerk« mit »direkte(n) Verbindungen zwischen einzelnen dieser Staatsleugner-Gruppen und ihren Gesinnungsgenossen«. In ihrer Gesamtheit bilden die zehn Kapitel ein gut lesbares Grundlagenwerk, das fundierte Einblicke in die Bewegung der ReichsbürgerInnen ermöglicht. Das Buch zeigt, dass die jetzt öffentlich thematisierte Radikalisierung der AkteurInnen aus der Bewegung bereits in ihrer Idee begründet liegt. Die Selbstermächtigung als »Souverän« beinhaltet immer auch das angebliche Recht auf Selbstverteidigung gegen den vermeintlich unrechtmäßigen Staat. Eine Gefahr, vor der Opferberatungsstellen und antifaschistische Recherchen wie in »der rechte rand« schon länger warnen. Diese langjährig gesammelten Erkenntnisse werden im Buch aufgegriffen und beweisen ihren Wert für die Problemanalyse, was sich auch in der Zählung von »Reichsbürgern« zeigt: Anders als die Behörden kommen GerichtsvollzieherInnen derzeit auf etwa 40.000 ReichsbürgerInnen, mit denen die JustizbeamtInnen tagtäglich konfrontiert sind.

Andreas Speit (Hg.): Reichsbürger. Die unterschätzte Gefahr. Berlin 2017, Ch. Links Verlag, 215 Seiten, 18 Euro.

»Autonome Nationalisten«

von Jan Nowak

In der Folge des Aufkommens der »Autonomen Nationalisten« (AN) ab dem Jahr 2003 ist viel Papier beschrieben worden. Dabei ging es oft sensationsheischend zu, ungewollt dienten nicht wenige Veröffentlichungen der Reproduktion des Selbstbildes der Neonazis. Dem entgegen stehen fundierte Arbeiten wie die soeben veröffentlichte Dissertation von Christoph Schulze, in der das Phänomen mitsamt seiner Vorgeschichte umfassend analysiert wird.
Der Autor versteht die AN als vorläufigen Höhepunkt einer Modernisierung des deutschen Neonazismus, der mit dem Modell der »Freien Kameradschaften« (FK) ab Mitte der 1990er Jahre erheblich an Dynamik gewonnen hat. Zwar existierten mit den neonazistischen Skinheads bereits zuvor jugendkulturelle Einflüsse. Als Träger einer umfassenden Kulturalisierung und Verszenung auf dem Weg zu einem Neonazismus als Soziale Bewegung taugte der Typ »Glatze« allein jedoch ebenso wenig wie der bis Ende der 1980er Jahre dominierende »Scheitel«. Erst die FK ermöglichten organisatorische und stilistische Innovationen, aus denen heraus sich die AN entwickeln konnten. Diese begreift Schulze als Subströmung der FK, als neonazistische Bewegungsszene.
Detailliert und kenntnisreich stellt der Autor dar, welche Formen und Symbole aus der Popkultur und der Linken vor und nach der Entstehung der AN aus welchen Gründen und mit welchen Folgen durch den Neonazismus übernommen wurden. Dabei gibt es kaum einen Aspekt, der nicht praxisnah und zugleich theoretisch fundiert behandelt wird: von Alltagspraktiken wie dem Zusammenleben in WGs oder identitätsstiftenden Ernährungsgewohnheiten über den wichtigen Bereich Musik bis hin zu Parolen und Symboliken sowie den ‹Schwarzen Block› als Hauptausdrucksform der AN. Besondere Beachtung verdient dabei die Auseinandersetzung mit neonazistischem Rap, die bisher in Qualität und Umfang nicht in vergleichbarer Form vorlag. Ergänzt werden die Analysen durch den Rückgriff auf Ernst Blochs Überlegungen zu den »Entwendungen aus der Kommune«, das heißt Übernahmen des historischen Nationalsozialismus aus der linken ArbeiterInnenbewegung.
In »Etikettenschwindel« ist umfangreiches Wissen der antifaschistischen Bildungsarbeit und Publizistik eindrucksvoll wissenschaftlich aufgearbeitet und erweitert worden. Der Publikation sind viele LeserInnen zu wünschen, zur theoretischen Fundierung, zum Nachschlagen und Entdecken mühevoll freigelegten Detailwissens. Fragen bleiben offen bei den Quantifizierungsversuchen der AnhängerInnenschaft, die Schulze 2007/2008 und 2014 bei gleichbleibend etwa 1.000 sieht. Interessant wäre zudem ein Blick auf die transnationale Dimension der AN und die eingangs erwähnte mediale Rezeption gewesen.

Christoph Schulze: Etikettenschwindel. Die Autonomen Nationalisten zwischen Pop und Antimoderne. Baden-Baden 2017, Tectum Verlag, 562 Seiten, 44,95 Euro.

»Compact« in der Diskursanalyse

von Sascha Schmidt

Das »Compact-Magazin« erreicht nach Eigenaussage eine Auflage von 85.000 Heften pro Ausgabe. Die professionell erstellten, online-abrufbaren ­Videos werden bis zu 50.000 Mal abgerufen. Treten Prominente wie Ken Jebsen auf, erreicht »CompactTV« schon mal rund 350.000 Zugriffe. Zahlen, die verdeutlichen, warum der Soziologe Felix Schilk die Zeitschrift als »wesentlichen Teil der jüngsten rechtspopulistischen Mobilisierungen« bezeichnet. Schilk hat im Rahmen seiner Diplomarbeit eine lesenswerte Diskursanalyse über »Compact« erstellt, die im Frühjahr 2017 vom Duisburger Institut für Sprach-und Sozialforschung in überarbeiteter Form unter dem Titel »Souveränität statt Komplexität« veröffentlicht wurde.
Das »Compact-Magazin« versteht sich selbst als »Querfront-Debatten-Magazin«und nimmt für sich in Anspruch, »weder links noch rechts« zu sein und stattdessen »jenseits veralterter Definitionen« zu stehen. An diesem Selbstverständnis anknüpfend setzt sich Schilk zunächst im Rahmen eines historischen Exkurses mit den Kategorien ‹Links› und ‹Rechts› sowie mit dem Phänomen der »Querfrontbewegungen« des 20. und 21. Jahrhunderts auseinander. Schilk verfolgt damit das Ziel, Strukturähnlichkeiten zwischen gegenwärtigen Krisenkonstellationen und historischen Phänomenen aufzuzeigen. In der darauf folgenden Gegenwartsdiagnose widmet sich der Autor theoretischen Beschreibungen moderner, gesellschaftlicher Transformationsprozesse. In den vielfach damit einhergehenden Integrations-und Legitimationskrisen gesellschaftlicher Institutionen und politischer Bewegungen sieht Schilk eine der Grundlagen populistischer Tendenzen, an denen »Compact« erfolgreich ansetzt. Dem Magazin gelinge es, »unmittelbare Deutungsmuster für die Krisen der Gegenwart« bereitzustellen und an »realen Folgeproblemen des sozialen Wandels anzudocken«.
Die Analyse des Magazins ergänzt der Autor durch Informationen zum Entstehungshintergrund von »Compact«, zum Mitbegründer und Chefredakteur Jürgen Elsässer, zu zahlreichen AutorInnen und InterviewpartnerInnen sowie zur inhaltlichen Ausrichtung und zu Themen-Schwerpunkten verschiedener Ausgaben. Schilk kommt zu dem Ergebnis: »Im Compact-Magazin dominieren negative Feindbilder und Manipulationsthesen« sowie »eine Besinnung aufs nationale Wir (…) als Selbstermächtigung gegen äußere Feinde.«

Felix Schilk: Souveränität statt Komplexität – Wie das Querfront-Magazin COMPACT die politische Legitimationskrise der Gegenwart bearbeitet. Münster 2017, Edition Diss/Unrast Verlag, 190 Seiten, ­
19,80 Euro.