»Volksdemokratische Exekutive«

von Falko Grimmendorf


Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 165 - März/April 2017

Im Netzwerk der »Reichsbürger«: Das »Deutsche Polizei Hilfswerk«

Mit nur wenigen Worten gab das »Deutsche Polizei Hilfswerk« (DPHW) im Juni 2013 seine Auflösung bekannt: »Das ‹Deutsche Polizei Hilfswerk› ist ab sofort nicht mehr im Bestand.« Die zeitweise uniformierte Gruppe, die sich zur Ordnungsmacht aufspielte, wolle sich mit den »Machenschaften der Polizei« nicht mehr gemein machen, hieß es wenig später auf einer »Reichsbürger«-Website. Der Grund wird etwas spezieller gewesen sein: Es hatte wiederholt Hausdurchsuchungen bei mutmaßlichen Mitgliedern gegeben und eine ganze Reihe von Ermittlungsverfahren. Sie brachten mehreren Beteiligten Haftstrafen ein.

So hatte sich das Volker Schöne, Gründer und »General« der Gruppe, wohl nicht vorgestellt. Im September 2011 hatte der heute 46-Jährige aus Radeburg im Landkreis Meißen erstmals mit einem Artikel von sich reden gemacht: Er »habe Angst« wegen des Abbaus der Polizeibelegschaft im Freistaat Sachsen, schrieb er, und behauptete, dass viele Gesetze längst außer Kraft gesetzt worden seien und in Deutschland wieder »Besatzungsrecht« gelte. Bemerkenswert war, dass der Text auf der Website des sächsischen Landesverbandes der »Deutschen Polizeigewerkschaft« (DPolG) erschienen war. Kopien des Artikels kursieren bis heute. Sie gehören zum Standard-Konvolut, mit dem »Reichsbürger« Behörden traktieren.


Doch Schöne ging noch weiter. Spätestens ab April 2012 baute er mit Gleichgesinnten aus Sachsen und Brandenburg – darunter Mario Benkert aus Gersdorf bei Limbach-Oberfrohna sowie das Ehepaar Andreas (»Inspekteur«) und Kerstin Krautz (»Direktorin«) aus Spremberg – und einigen weiteren Bundesländern das DPHW auf. In einem internen Rundschreiben hieß es, dass die Gruppe »Ordnung und Sicherheit für unsere Bevölkerung« herstellen wolle, ähnlich der Freiwilligen Feuerwehr, »die dann eben nicht nur Feuer und Katastrophen bekämpft«. Schöne verglich das Projekt mit der wehrkundlichen »Zivilverteidigung« der DDR. Die Führung übernahm ein achtköpfiger »Generalstab«, per Schulterklappen abgestuft nach Dienstgraden. Frühere NVA-Ränge wurden auf Antrag angerechnet, lange Haare waren nicht erwünscht. Mitglieder erhielten Uniformen samt Einsatzoverall, Stiefel, Pfefferspray und Metallhandschellen – das Set zu 99 Euro. Später kamen Warnwesten, Armbinden und Landser-Mützen ins Sortiment.

Obligatorisch waren Dienstausweise und eine Vereidigung »nach deutschen Gesetzen«. Dass ein bewusster Unterschied zum »Rechtssystem in der BRD« gemacht wurde, wie es auf der DPHW-Website hieß, wird InteressentInnen klar gewesen sein. Der strömungsübergreifende Ansatz war für die sonst sektiererische Szene der »Reichsbürger« ungewöhnlich. Ausgehend von der Annahme, dass der Staat – sei es »Preußen«, sei es das »Deutsche Reich« – »handlungsunfähig« gestellt sei, wird aber quer durch die Bank eine »Reorganisation« propagiert. Das DPHW wollte damit ernst machen. In einem »Die BRD-GmbH« betitelten Pamphlet, eine Art »Reichsbürger«-Handbuch, wurde die Beteiligung am DPHW empfohlen: Bei der Gruppe handle es sich um einen »übergeordneten Verband« für »Bürgerwehren«, sie diene dem »Aufbau einer volksdemokratischen Exekutive« und schütze vor »Übergriffen durch das ‹BRD›-System« und der »Hochfinanz«. Aus späteren Auflagen verschwanden diese Anmerkungen. Das DPHW war inzwischen zu Tätlichkeiten geschritten. So wie in Bärwalde, einem Ortsteil von Radeburg, nördlich von Dresden. Was dort am 23. November 2012 geschah und die Gruppe bundesweit bekannt machte, legte der »Generalstab« in einer Art Einsatzbericht dar: Man habe einen Gerichtsvollzieher »vorläufig festgenommen« und der Polizei »übergeben«. Für die stellte sich das anders dar. Demnach hatten mehr als ein Dutzend DPHW-AnhängerInnen, teils in ihrer polizeiähnlichen Kluft, einem Gerichtsvollzieher, der ein Bußgeld in niedriger zweistelliger Höhe eintreiben wollte, aufgelauert, ihn mit Kabelbindern gefesselt und eine Dreiviertelstunde lang festgehalten. Die DPHW-Masche verfing anfangs, eintreffende BeamtInnen hielten die Uniformierten zunächst für Kollegen.

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Ein Einzelfall war das nicht, DPHW-Mitglieder bedrängten bereits vorher einen Beamten des Finanzamtes in Chemnitz, später eine Gerichtsvollzieherin in Weimar. Bei einer »Schulung« im Dezember 2012 wurde ein Video der Aktion in Bärwalde gezeigt, in einem Rundschreiben zum Jahresende lobte der Generalstab die erreichte »Intensität« und kündigte an, man werde »einfach weitermachen«. Das machte Eindruck: Bei rund 50 Veranstaltungen im ganzen Bundesgebiet wurden immer mehr AnhängerInnen geworben. Tatsächlich entwickelte sich das DPHW zur bislang größten Gruppierung des »Reichsbürger«-Spektrums.

Bei alledem, so versicherte die Gruppe, gehe es nicht um Selbstjustiz, sondern »nur um die Prüfung der rechtskräftigen Unterschriften«. Tatsächlich war auch Eigennutz im Spiel, wie die Abwendung von Pfändungen und anderer behördlicher Zwangsmaßnahmen gegen Führungsmitglieder der Gruppe sowie Szene-SympathisantInnen. Das Echo folgte: Ende Februar 2013 durchsuchte die Polizei in Sachsen und Brandenburg sieben Wohnungen, vorrangig von Mitgliedern des »Generalstabs«. Ermittelt wurde wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, mehrere Staatsanwaltschaften führten zusätzliche Verfahren durch, unter anderem wegen Amtsanmaßung, Nötigung, Freiheitsberaubung und Urkundenfälschung. Unter dem Ermittlungsdruck löste sich die Gruppe auf.

Außerdem waren die Mitglieder verstimmt: Möglichkeiten, selbst mitzuwirken, gab es außerhalb des »Generalstabes« kaum. Auch hatten einige InteressentInnen eine Mitgliedschaft erworben und für Uniformen gezahlt, ohne diese zu erhalten. Hinzu kam Paranoia vor Repressionen, da Ermittlungsbehörden die Gruppe durchaus gut im Blick hatten.

Motive
Mit der beabsichtigten Anonymität der Gruppe war es nicht weit her, denn ein im Impressum der DPHW-Website verzeichneter »Keven Olschero« war unschwer als Anagramm von Volker Schöne zu entziffern. Und die sorgsam gepflegte Legende, die Gruppe sei auf Wunsch und mithilfe von PolizistInnen gegründet worden, ließ sich nicht halten. Zwar betreute Schöne Fördermitglieder der DPolG und gehörte dadurch zu deren Landesvorstand, doch Polizist war er nie. Sein Beitrag auf der Website der Splittergewerkschaft war ohne viel Aufhebens gelöscht worden, später, nach den Negativschlagzeilen, folgte sein Ausschluss.

Zumindest ein Teil des Treibens beim DPHW erklärt sich angesichts wirtschaftlicher Schieflagen von ProtagonistInnen mit dem Furor deklassierter KleinbürgerInnen, ein Phänomen, das sich heute in weiteren Strömungen der extremen Rechten häuft. Die auf Flugblättern gestreute Eigenbehauptung, man sei »ein Zusammenschluss rechtschaffener Menschen aus allen Bevölkerungsschichten«, war ideologisch verbrämter Nepp. Später, vor Gericht, schilderten Angeklagte auch sektenartige Züge und illustrierten mit vielen Anekdoten eine potemkinsche Scheinwelt – wie im Falle von Mario Benkert, der die »Abteilung Recht« leitete, aber kein Jurist, sondern Klempner sei.


An der Ernsthaftigkeit des Unterfangens, für das im Stile des bis heute anhaltenden Bürgerwehr-Trends auch das Widerstandsrecht des Grundgesetzes in Anspruch genommen wurde, ändert das nichts. Nach der Auflösung des DPHW entstanden Nachfolgestrukturen: Im Landkreis Leipzig das »Deutsche Bürger Hilfswerk« (DBHW), in Westsachsen und Ostthüringen »Die Parteifreien Wähler« (DPFW). Auf früheren DPHW-Profilen wurde wiederholt der Anschein erweckt, insgeheim bestünden Ortsgruppen weiter sowie »Hilfswerke« für SoldatInnen und JuristInnen.

Nachspiele vor Gericht
Einige frühere AnhängerInnen des DPHW engagierten sich zwischenzeitlich bei den »Friedensmahnwachen«. Oder sie erfanden für ihre Probleme neue »Lösungen«, von denen »Reichsbürger« so oft reden: Um seinen eigenen Hof in Bärwalde vor der Zwangsversteigerung zu bewahren, vermietete Schöne ihn an eine selbst gegründete »Jüdische Gemeinde«, vertreten durch seinen Intimus Thomas Uwe Wetzig. Der wiederum geriet im September 2014 in Dresden in eine Verkehrskontrolle, flüchtete und zerrte einen halb im Wagen hängenden Beamten anderthalb Kilometer mit.

Die Ermittlungen gegen das DPHW hielten länger an, als die Gruppe existierte. Während die sächsische Verfassungsschutz-Behörde nur von einer Handvoll aktiver Personen ausging, richtete sich das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Dresden gegen 19 mutmaßliche Führungsmitglieder wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Auswertung von Asservaten, darunter InteressentInnen- und Mitgliederlisten, brachte das Ausmaß ans Licht: Bis zu 400 Personen, vorrangig aus Sachsen, sollen Beitrittserklärungen abgegeben haben. Gegen etliche wurde deshalb zeitweise wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ermittelt.
Der Vorwurf wurde fallen gelassen, was im Großen und Ganzen nicht ins Gewicht fällt: Seit Beginn des Jahres 2012 wurde gegen den gleichen Personenkreis – darunter übrigens einige WaffenbesitzerInnen – allein durch sächsische Staatsanwaltschaften über 600 Ermittlungsverfahren wegen verschiedenster Delikte eingeleitet, von Steuerhinterziehungen bis hin zu einer fahrlässigen Tötung. Teils handelt es sich um sogenannte Mehrfach- und IntensivtäterInnen. Ein Merkmal, das auch zutrifft für einen erheblichen Teil der »mittleren dreistelligen Zahl« an Personen, die in Sachsen nach jüngsten Angaben den »Reichsbürgern« angehören sollen.

Insgesamt dreizehn Mitglieder und UnterstützerInnen der Führungsclique des DPHW wurden ab Ende 2015 unter anderem wegen Freiheitsberaubung vor dem Amtsgericht Meißen angeklagt. Sie erhielten Haftstrafen zwischen zehn und 30 Monaten, die nur in einem Falle zur Bewährung ausgesetzt wurden. Volker Schöne tauchte vorher unter, wurde zwischenzeitlich mit internationalem Haftbefehl gesucht. Er wurde schließlich in Dresden gefunden, mit verändertem Aussehen und ohne Personaldokumente. Sein Urteil: 25 Monate Gefängnis. Wie alle anderen, denen eine Haftstrafe blüht, ging er in Berufung. Ausgerechnet er hatte Erfolg, die Strafe wurde auf anderthalb Jahre abgemildert und zur Bewährung ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft ist in Revision gegangen, über die derzeit noch nicht entschieden ist. Erst dann soll auch über die restlichen Berufungen befunden werden, bis dato ist kein einziges Urteil rechtskräftig. Gar nicht belangt wurden unter anderem DPHW-Mitgründer Mario Benkert, der zeitweilige Pressesprecher Holger Fröhner und weitere Funktionäre.
Von einer Läuterung kann bei Schöne bis heute keine Rede sein. Im Oktober 2016 stand er wieder vor Gericht, wegen versuchter Nötigung und Amtsanmaßung kassierte er ein halbes Jahr ohne Bewährung. Grund: Um sein Haus in Bärwalde zu retten, bediente er sich nicht nur einer fiktiven jüdischen Gemeinde, sondern konterte mit Millionen-Forderungen, die er an Amtspersonen schickte, teils an deren Privatadressen. Um seinen erfundenen Forderungen Nachdruck zu verleihen, war er diesmal nicht als Polizist aufgetreten, sondern als Notar.