»Nichts passiert …«

von Volkmar Wölk


Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 165 - März/April 2017

Die sächsische Staatsregierung hat die »Reichsbürger« trotz Warnungen verharmlost.

Die »Reichsbürger«, die Waffen, die Behörden – eine unendliche Geschichte. »Endlich«, so freute sich die hessische SPD-Landtagsabgeordnete Lisa Gnadl im Februar 2017, »wacht der CDU-Innenminister beim Thema Reichsbürger auf«. Hessen ist damit weiter als Sachsen. Doch die Freude wird getrübt, denn der Innenminister Peter Beuth (CDU) hatte lediglich eine parlamentarische Anfrage zum Thema beantwortet. »Aber wieder einmal musste etwas passieren, ehe er sich rührt«, kritisiert Gnadl. Tausendmal ist was passiert – durch die »Reichsbürger«. Doch tausendmal ist nichts passiert – durch die Staatsregierung. Erst nachdem im Oktober 2016 ein »Reichsbürger« im bayerischen Georgensgmünd einen Polizisten erschossen hatte, fingen die Behörden in Sachsen an, das Thema nicht mehr zu leugnen oder zu verharmlosen.

Zahlenspielerei
Das Vorgehen der sächsischen Behörden war nahezu identisch mit dem in Hessen. »Im unteren zweistelligen Bereich« lägen die Zahlen von »Reichsbürgern«, behauptete die hessische Landesregierung nach dem tödlichen Schusswechsel in Georgensgmünd. Im Dezember 2016 war die Zahl schlagartig auf 400 AnhängerInnen gestiegen, im Februar sogar auf 600 geklettert. Gehen wir davon aus, dass die offiziellen Zahlen weiter in die Höhe schnellen werden, weil man in Hessen, Sachsen und anderswo jetzt endlich anfängt, das Problem zu erfassen.
Seit der Schießerei in Georgensgmünd im Oktober 2016 häufen sich Berichte über »Reichsbürger«, über Straftaten, ihre Bewaffnung und die Schwierigkeiten der Behörden, einen angemessenen und wirkungs­vollen Umgang mit ihnen zu finden. Dass ein Lehrer an einem Berufs­kolleg in Essen seit Jahren die Thesen der »Reichsbürger« verbreitet und nach längerer Zeit von der Schulleitung suspendiert wurde, dann aber doch umgehend von der Schulaufsicht wieder eingesetzt wurde, ist in seiner Widersprüchlichkeit beispielhaft. Widersprüchlichkeit kann man der sächsischen Staatsregierung in Sachen »Reichsbürger« nicht unter­stellen. Hier gilt seit jeher, dass es dieses Problem gar nicht gibt. Und wenn es nicht zu übersehen ist, werden die Augen fest ge­schlossen.

Äpfel oder Birnen?
Bereits seit 2004 sind die Aktivitäten der »Reichsbürger« Thema im sächsischen Landtag. In einer Großen Anfrage der Fraktion »Die Linke« an die Landesregierung wurde damals erstmals Auskunft über diese Szene verlangt. Dafür wurde auch auf Gerichtsverfahren verwiesen, die zuvor in Borna und Grimma stattfanden. Gleichwohl hieß es in der Antwort der Regierung: »Bisher wurde lediglich ein Ermittlungsverfahren gegen ein Mitglied der ‹Reichsbürgerbewegung› bei den Staatsanwaltschaften des Freistaates Sachsen eingeleitet; über mehrere Anzeigenprüfvorgänge ist noch nicht entschieden.«
Ein Widerspruch? Nein, denn die Definition sei entscheidend, so die Behörden. Deshalb wurde den Fragenden vorgeworfen, dass sie nicht zwischen »Reichsbürgerbewegung« und »Kommissarische Reichsregierung« unterschieden: »Die ‹Reichsbürgerbewegung› kann ausschließlich mit den Aktivitäten des Horst Mahler in Verbindung gebracht werden. Der Begriff ‹Reichsbürger› ist hingegen eine nicht nur bei Mahler und seinen Gesinnungsgenossen gebräuchliche Floskel, sondern wird auch von der ‹Kommissarischen Reichsregierung› (KRR) verwendet. Zwischen beiden Personenzusammenschlüssen bestehen keine Verbindungen.« Übersetzt heißt das: Die Staatsregierung unterscheidet ordentlich zwischen Äpfeln und Birnen, zählt diese jeweils einzeln, damit sie nicht unter Kernobst zusammengefasst und eventuell um andere Obstsorten ergänzt werden.

Wirklich keine Kenntnisse?
Geradezu erschütternd sind auch andere Antworten. Die Zahl der »Reichsbürger« war 2004 angeblich nicht bekannt –- folglich auch nichts über ihre Entwicklungstendenz oder über regionale Schwerpunkte. Auch seien keine Veranstaltungen und Demonstrationen »im Namen der Reichsbürgerbewegung« angemeldet worden. Letzteres war auch kaum zu erwarten – deswegen war nach der Durchführung von Veranstaltungen durch PropagandistInnen dieser Bewegung gefragt worden. Höhepunkt des Nicht-Wissens: Verbindungen zwischen der Bewegung der »Reichsbürger« und dem Geschichtsrevisionismus lägen nicht vor, meinte Sachsens Regierung.
An dieser Verharmlosung des Problems änderte sich auch nichts nach der »Verhaftung« eines Gerichtsvollziehers durch Mitglieder des »Deutschen Polizei Hilfswerkes« (DPHW) in der Nähe von Meißen. Der durch einen Funktionär der »Deutschen Polizeigewerkschaft« (DPolG) 2012 gegründete Verein, der sich an der Ideologie der »Reichsbürger« orientierte, soll rund 100 Mitglieder gehabt haben. Allerdings wurde im Zusammenhang mit dem erwähnten Übergriff gegen 292 Beschuldigte ermittelt, 60 Personen wurden mehrfache Straftaten vorgeworfen, darunter Nötigung, Freiheitsberaubungen sowie Bedrohungen und Erpressungen. Nach Einschätzung der Abgeordneten Kerstin Köditz (Die Linke) befanden sich unter den Beschuldigten »offenbar etliche Intensivtäter«.
Spätere Razzien im Zusammenhang mit dem DPHW hätten damals bereits deutlich machen müssen, dass Waffen in diesem Spektrum ein erhebliches Problem sind. Doch noch war ja nichts passiert. Inzwischen wird die Gefahr nicht einmal mehr vom sächsischen Innenminister ­Markus Ulbig (CDU) bestritten. Stattdessen legt jetzt der Bundesrat ­wegen der »Reichsbürger« einen Gesetzesentwurf für ein neues Waffenrecht vor. Künftig soll der Waffenschein auch solchen Personen versagt werden können, für die den Behörden eine »auf Tatsachen gestützte Prognose« vorliegt, dass sie sich künftig einmal extremistisch betätigen werden. Nun wird also die Kristallkugel zum Ermittlungsinstrument. Was die »Reichsbürger« so alles schaffen!