der rechte rand

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Druckzeitpunkt: 25.04.2024, 19:08:39

Aktuelle News

Rechtsaußen in Europa

Redaktion, Layout: Sören Frerks
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 207 - März | April 2024

Europawahlergebnisse 2019 in den Mitgliedsstaaten

Vor der Europawahl in diesem Jahr sind Rechtsaußenparteien in mehreren Ländern im Umfragehoch. Ob die FPÖ um Parteichef Herbert Kickl in Österreich oder die »Partij voor de Vrijheid« von Geert Wilders in den Niederlanden. In Italien führen Giorgia Melonis »Fratelli d’Italia« die Umfragen an und in Ungarn liegt der »Fidesz« von Viktor Orbán trotz Verlusten weiterhin an der Spitze.
Auch in anderen Mitgliedsstaaten gibt es wie in Deutschland Grund zur Sorge. In Slowenien steht die Orbán-freundliche »Slovenska demokratska stranka« wieder unangefochten an erster Stelle. Und in Dänemark wird die »Dansk Folkeparti« in den Umfragen aktuell von den erst 2021 gegründeten »Danmarksdemokraterne« abgelöst. Die Analogie des Parteinamens zu den »Sverigedemokraterna«, die im Nachbarland bis dato zweitstärkste Kraft bleiben, ist offensichtlich gewollt.
Indes sehen Demoskopen den »Rassemblement National« in Frankreich als stärkste Kraft. Schon 2019 stellte die Partei von Jean-Marie Le Pen die drittmeisten Abgeordneten des extremen rechten Lagers im Europaparlament – nach der »Prawo i Sprawiedliwosc« aus Polen und der italienischen »Lega«. Insgesamt nehmen die beiden Fraktionen »Identität und Europa« und »Europäische Konservative und Reformer« in Straßburg aktuell 127 der insgesamt 705 Sitze ein.

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Wanderer nach rechts

von Wolfgang Laskowski
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 201 - März | April 2023

Sein politischer Werdegang ist schillernd. Der Nationalbolschewist Ernst Niekisch, präfaschistischer Vordenker der extremen Rechten der Weimarer Republik, saß während der NS-Zeit im Zuchthaus Brandenburg in Einzelhaft und war Mitbegründer der VVN. Eine historische Figur des Querfront-Gedankens.

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Ernst Niekisch

Der gelernte Volksschullehrer ist 1918/19 Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates der linken Räterepublik in München, Mitglied der SPD, später der linken USPD und verbüßt wegen seiner Beteiligung an der Münchner Räterepublik 1920/21 eine Haftstrafe gemeinsam mit den linken Schriftstellern Erich Mühsam und Ernst Toller. Im Jahr 1923 beginnt Ernst Niekischs Weg in das geistige Umfeld des Neuen Nationalismus. Beruflich als Sekretär des Textilarbeiterverbandes tätig, kommt er in Kontakt mit dem »Hofgeismar Kreis« der Jungsozialisten, einer nationalistischen Strömung innerhalb der SPD, die sich in ihrer programmatischen Erklärung vom Internationalismus abwandte. Zeitweise war Niekisch einer der Wortführer der »Hofgeismarer«. Im Zuge des sich ab Mitte der 1920er Jahre formierenden extrem rechten Lagers des Neuen Nationalismus wandte sich Niekisch endgültig vom Marxismus ab und dem radikalen Nationalismus zu.

Die von ihm ab 1926 herausgegebene Zeitschrift »Widerstand« entwickelte sich rasch zu einer publizistischen Stimme der nationalrevolutionären, konkret der nationalbolschewistischen Strömung im Spektrum des sogenannten Neuen Nationalismus. Hier schrieben zahlreiche Autoren der präfaschistischen extremen Rechten der Weimarer Republik: Ernst Jünger, Ernst von Salomon oder Karl Otto Paetel. Der »Widerstand« nahm Einfluss auf die Selbstverständigungsdebatten des sogenannten linken Flügels der NSDAP. Die Zeitschrift polemisierte gegen den Versailler Vertrag und die Begrenzung der Reichswehr auf 100.000 Mann, warb für die Aufrüstung des Reiches und letztlich eine Revanche gegen die Alliierten des Ersten Weltkrieges, um die politische und ökonomische Obstruktion des Deutschen Reiches, wie sie sich etwa bei der Besetzung des Rheinlandes 1923 durch Frankreich gezeigt hatte, zu beenden. Im der Zeitschrift angeschlossenen »Widerstand Verlag« veröffentlichte Niekisch seine Bücher; das bekannteste dürfte das 1932 erschienene »Hitler, ein deutsches Verhängnis« sein. Um die Zeitschrift gruppierten sich »Widerstandskreise«, die als Lesekreise agierten, jedoch über eine Resonanz sowohl im Umfeld der KPD als auch der NSDAP und der Reichswehr verfügten. Die nationalrevolutionären und nationalbolschewistischen Akteure suchten und fanden politische Anschlusspunkte.

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Ernst Niekisch über Hitler

Feindbestimmung: Der Westen, der Bürger
Die Stoßrichtung von Niekischs Widerstandsideologie war entschieden antiparlamentarisch, antiliberal und autoritär. Im Mittelpunkt seines Denkens stand der Arbeiter und der Soldat als Träger des Staates, beide sollten die wirtschaftliche und politische Macht des Clerks, also des Bürgers brechen. Niekisch schwebte ein autoritär-soldatischer Kasernenhof-Staat vor. Den westlichen Liberalismus beschrieb er, wie andere extrem rechte Publizisten seiner Zeit, als dekadent und den Deutschen nicht wesensgemäß. Eine Wesensverwandtschaft hingegen bestehe zu Russland, seinen Traditionen und seinen Herrschaftsformen, was seine Quelle in dem von Deutschen und Russen gleichermaßen geteilten Anti-Individualismus habe.

Fasziniert von Sowjetrussland
Wie viele Zeitgenoss*innen in allen politischen Lagern war Niekisch fasziniert von den Geschehnissen in Sowjetrussland der 1920er Jahre. Nicht die Idee des internationalistischen Kommunismus war es, die ihn anzog, sondern die politische Praxis des Kriegskommunismus, Russland mit Methoden der Gewalt und der autoritären Formierung binnen weniger Jahre zu industrialisieren. Dort glaubte Niekisch im Anschluss an andere Protagonisten der »Konservativen Revolution« mehr als nur einen Verbündeten Deutschlands zu erkennen. Um seine geopolitische Souveränität im Blick auf den Versailler Vertrag wieder herzustellen, favorisierte Niekisch ein Bündnis mit Russland gegen die Westmächte. Wie andere extrem rechte Strömungen der Weimarer Republik stellten Niekisch und sein »Widerstand« für die Nazis eine Konkurrenz dar, die es auszuschalten galt. Im Gegensatz zu anderen Zeitschriften konnte der »Widerstand« bis 1934 erscheinen und die Nazis in Grenzen kritisieren. In der Literatur heißt es dazu, dies habe Niekisch seinen Verbindungen in die Reichswehr-Führung zu verdanken gehabt, die ihre schützende Hand über ihn und seine Zeitschrift gehalten habe. Nach dem Verbot des »Widerstand« bestehen die gleichnamigen Kreise fort. Niekisch sondiert in den Folgejahren Gemeinsamkeiten mit Gegnern des Nationalsozialismus, trifft sich konspirativ mit dem nationalbolschewistischen Karl Otto Paetel in Paris, und dem vormaligen Herausgeber der nationalrevolutionären Zeitschrift »Gegner«, dem späteren Schlüsselakteur der Widerstandsgruppe, die die Gestapo unter dem Namen »Rote Kapelle« führt, Harro Schulze-Boysen. Im März 1937 wird Niekisch von der Gestapo verhaftet, und im Jahr 1939 wegen Hochverrat und illegaler Parteitätigkeit im Kontext der »Widerstand«-Kreise zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Zu deren Verbüßung wird er ins Zuchthaus Brandenburg/Görden überstellt, in dem die kommunistischen Antifaschisten Robert Havemann und Erich Honecker ebenfalls eine von den Nazis verhängte Haftstrafe verbüßen.

In der Haft erleidet er schwere körperliche Misshandlungen, setzt seine theoretische Arbeit im Gefängnis jedoch fort. Bei seiner Befreiung durch die Rote Armee 1945 ist er fast völlig erblindet. Nach dem Krieg wird er Mitglied der SED, nimmt einen Ruf auf eine Professur für Imperialismus-Forschung an der Humboldt Universität in Ostberlin an, und ist Gründungsmitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Seinen Wohnsitz hat Niekisch jedoch in Wilmersdorf, in West-Berlin. Ernüchtert von der Politik der SED nach dem Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 zieht er sich aus der DDR-Öffentlichkeit zurück, tritt 1955 aus der SED aus und verlässt Anfang der 1960er Jahre die DDR. In West-Berlin kämpft er um seine Anerkennung als Opfer der Nazidiktatur. Seine Anträge auf Entschädigung werden abgelehnt. Erst 1966, ein Jahr vor seinem Tod, erhält Niekisch eine Zahlung für seine in Brandenburg/Görden erlittenen Haftschäden.

Rezeption und Erbe
Ernst Niekischs retrospektive Wirkung in der historisch interessierten Öffentlichkeit heute ist gewiss in erster Linie mit seinem Buch »Hitler, ein deutsches Verhängnis« verknüpft. Es wurde später als antifaschistisch motivierte, frühzeitige und hellsichtige Warnung vor den Nazis interpretiert. In der Tat warnte Niekisch in seinem Buch vor der Hitler-Bewegung und den Mechanismen ihrer Machtausübung. Doch die Lektüre des Buches und seiner Texte im »Widerstand«, welche die Machtübernahme kommentierten, verdeutlichen: Niekisch ist die nationalsozialistische Bewegung zu legalistisch, nicht ausreichend autoritär und radikal. Er kritisiert den Nationalsozialismus aus Sicht einer mit ihm konkurrierenden rechten Strömung. Zur verkürzten Deutung, Niekischs Schriften seien antifaschistisch, trug entscheidend die Arbeit des Grafikers und Mitherausgebers des »Widerstand«, A. Paul Weber, bei. Seine Arbeit für das Buch zeigt eine Menschenmasse, die unter dem Banner des Hakenkreuzes in ein Grab marschiert.

Die Kontinuität in Niekischs Denken und Aktivismus liegt wohl in seinen rabiat antiwestlichen, antiliberalen und antiparlamentarischen Affekten, die, je nach den Zeitumständen nach rechts und links hin anschlussfähig waren. Niekischs antiwestlicher Antiimperia­lismus machte ihn als Denker sowohl für die Neutralist*innen und Gegner*innen der Wiederbewaffnung der frühen Bundesrepublik interessant als auch für den Westberliner SDS, der in den frühen 1960er Jahren auf der Suche nach einer Fundierung seines Antiimperialismus war. Publizisten wie Sebastian Haffner und Wolfgang Venohr griffen einige von Niekischs Denkfiguren zum Thema Preußen auf und bewerteten diese positiv.
In der extremen Rechten sind es die Nationalrevolutionäre um Henning Eichberg und die Zeitschrift »Wir selbst« und die NPD-Jugendorganisation »Junge Nationaldemokraten«, die Niekisch für sich reklamieren. In der internationalen Diskussion ist Niekisch in den 1960er und 1970er Jahren ein Bezugspunkt für den antikolonialen Befreiungsnationalismus gewesen. Und nicht zuletzt war er eine Inspiration für den russischen Faschisten Alexander Dugin in dessen nationalbolschewistischer Phase. Anklang fanden Niekischs Thesen auch im »Nationaldemokratischen Hochschulbund« (NHB). Zu nennen ist hier Uwe Sauermann, dessen Dissertation über Niekisch Anfang der 1980er Jahre zu einem kleinen Revival des Nationalbolschewisten in der Szene führte. Andere neonazistische Organisationen bezogen sich in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls auf Niekisch und reklamierten sein politisches Erbe. Es dürfte jedoch nur eine kleine Minderheit seine Schriften wirklich gelesen haben. Dazu gehörte ohne Zweifel der im Februar 2023 verstorbene rechte Autor und ehemalige NPD-Vordenker Jürgen Schwab, der Niekisch in seinem Buch »Volksstaat statt Weltherrschaft« rezipierte.

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Ernst Niekischs Werk ist kein leicht zugänglicher Stoff. Seine theoretischen Begriffe oszillieren zwischen marxistischer und nationalistischer Rhetorik. Sie setzen eine klassische Bildung zur Antike und die Lektüre Carl Schmitts und Lenins voraus. Ernst Niekisch war zweifelsohne ein Gegner der NS-Herrschaft und deren Opfer, aber ganz gewiss kein Antifaschist in einem linken, emanzipatorischen Sinne. Sein Werk und sein Lebensweg dienen extrem rechten Strömungen bis heute als theoretischer Steinbruch, aus dem sie sich bedienen, wenn es gilt, rechte Zeitdiagnosen zu erstellen. Dass Ernst Niekisch im Hinblick auf sein Russland-Bild derzeit wieder rezipiert wird, überrascht nicht. Manche seiner Texte zur geopolitischen Lage Russlands lesen sich wie eine Deutungsvorlage für den russischen Imperialismus unter Putin.

Antifeministische Anwält*innen-Organisation

von Lucius Teidelbaum
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 199 - November | Dezember 2022

Bisher weitgehend unbemerkt von einer kritischen Öffentlichkeit ist in Europa mit »ADF International« ein Ableger der antifeministischen »Alliance Defending Freedom« aus den USA aktiv.

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Screenshot der deutschen ADF Seite vom 19. April 2024

Mutterorganisation von »ADF International« ist die 1993 als Gegenorganisation zur progressiven »American Civil Liberties Union« gegründete »Alliance Defending Freedom« (ADF) mit Sitz in Scottsdale, Arizona. Zu ihr gehört auch der 2000 initiierte »Blackstone Fellowship«, der Stipendien für konservative Jura-Student*innen anbietet. Die 2010 gegründete »ADF International« operiert laut eigenen Angaben in über 100 Ländern. Die Organisation hat ihren Sitz in Wien. In der Septemberausgabe 2022 ihres Blatts »Impact« heißt es harmlos: »Auf nationaler Ebene arbeiten wir mit lokalen Partnern zusammen, bilden sie aus und bieten kostenlosen Rechtsbeistand zum Schutz und zur Förderung der Glaubensfreiheit, des Lebensrechts, der Familienrechte sowie der Meinungs- und Redefreiheit.«

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Doch das Southern Poverty Law Center charakterisiert die ADF als »anti-LGBT hate group«. Die Ursache für die Einordnung liegt darin, dass die ADF versucht, die Kriminalisierung von Homosexualität aufrechtzuerhalten, zum Beispiel in Belize oder Jamaika. Zudem wird sich für sogenannte Konversationstherapien eingesetzt und gegen Transgenderrechte agitiert. Angestellte der ADF müssen sich »dem Festhalten an dem inspirierten, irrtumslosen und maßgeblichen Wort Gottes in der Heiligen Schrift« verschreiben – ein fundamentalistisches Bibelverständnis.
Senior Counsel der »ADF International« ist der Anwalt Dr. Felix Böllmann, mit einer Kanzlei in Leipzig. Laut Ankündigung trat er am 23. Februar 2019 in München bei dem Symposium »Elternrecht versus Staat auf: Wohin führen ‹Kinderrechte› im Grundgesetz?«, ausgerichtet von der Organisation »Demo für Alle«.
Sophia Kuby, Tochter der bekannten katholischen Antifeministin Gabriele Kuby, ist »Director of Strategic Relations & Training ADF International« der Anwält*innen-Allianz. Sie wurde 2012 als Vize-Bundesvorsitzende in den Vorstand der »Christdemokraten für das Leben« gewählt.

Christlich-fundamentalistischer Rechtskampf
»ADF International« kann auf relativ viel Geld zurückgreifen. Allein in den Jahren 2020 und 2021 soll die Organisation zehn Millionen US-Dollar für Kampagnen in der Europäischen Union ausgegeben haben. Beispielsweise wurde in Zusammenarbeit mit der »Evangelischen Allianz in Deutschland« und »Christ & Jurist e. V.« die Broschüre »Rede frei! – Mit Recht über das Evangelium sprechen« herausgegeben. Mit dem Geld werden Anti-Abtreibungs-Organisationen in ihren juristischen Auseinandersetzungen unterstützt. Nicht selten handelt es sich um die Verteidigung von Antifeminismus im Mantel der Religions-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. So entschied im März 2022 der Verwaltungsgerichtshof Kassel (VGH) die als »Gebetsmahnwache« deklarierte Dauer-Kundgebung der Gruppe »40-Tage-für-das-Leben (Euro Pro Life e. V.)« vor einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle von Pro Familia in Frankfurt/Main sei rechtens. Zuvor hatte die Stadt Frankfurt die Gruppe mit Auflagen belegt, die laut VGH deren Versammlungsfreiheit einschränkten. Diesen Rechtskampf unterstützte »ADF International« durch mehrere Instanzen. Böllmann freute sich: »Angesichts der Vorhaben der Bundesregierung, Menschen zu kriminalisieren, die an friedlichen Gebetsversammlungen in der Nähe von Abtreibungsorganisationen teilnehmen, gibt diese Entscheidung Hoffnung.«

Ähnliche Unterstützung erhielt auch die Pforzheimer Gruppe »40-Tage-für-das-Leben«. Die Stadt Pforzheim hatte ihr verboten, Kundgebungen in Seh- und Hörweite einer Abtreibungsberatungsstelle abzuhalten. In zweiter Instanz erhielt man schließlich vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim Recht mit der Klage gegen die Abweisung einer Klage vor Gericht. Demnach dürfen die Gebetsmahnwachen in Sichtweite und während der Öffnungszeiten von Pro-Familia-Niederlassungen stattfinden.
Weitere Rechtskämpfe dürften in der Bundesrepublik anstehen, denn im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene heißt es: »Sogenannten Gehsteigbelästigungen von Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern setzen wir wirksame gesetzliche Maßnahmen entgegen.« Konkrete Vorschläge der Bundesregierung sind allerdings noch nicht bekannt.
Andere Aktivitäten der ADF in Deutschland erscheinen dagegen erst einmal unproblematisch, etwa wenn sie sich gegen eine drohende Abschiebung christlicher Konvertiten in den Iran einsetzen. Das unterstützt auch die Inszenierung als »weltweit tätige Menschenrechtsorganisation«. Doch findet immer eine Verengung auf Menschenrechte für Christ*innen statt. Das steht im Widerspruch zum universellen Anspruch der Menschenrechte. Schließlich geht es der Gruppe um die Durchsetzung einer antifeministischen, homo- und transphoben Agenda, die sie mit ihrem fundamentalistischen Verständnis des Christentums legitimiert. Ihr Weg ist vor allem ein juristischer und die Kassen für diesen Rechtskampf scheinen gut gefüllt zu sein.

Mythos »Clan-Kriminalität«

von Marianne Esders
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 205 - November | Dezember 2023

Das rechte Narrativ der »Clan-Kriminalität« ist rassistische Stimmungsmache auf dem Rücken Unschuldiger. Nicht nur die AfD und die radikale Rechte nutzen das Thema, um Stimmen am rechten Rand zu gewinnen.

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Wahlkampf der CDU zur Niedersachsenwahl
© Mark Mühlhaus / attenzione

»Staat und Behörden werden der Clan-Kriminalität nicht mehr Herr«, überschrieb die rechtsradikale Zeitschrift »Zuerst!« jüngst reißerisch einen Artikel über Kriminalität in Deutschland. Die Polizei könne angeblich nichts mehr gegen die »verfestigten Parallelwelten« tun. Und das Rechtsaußen-Magazin »Compact« sprang bereits vor Jahren groß auf das Thema auf: «Gangster in Uniform. Wie Clans unsere Polizei unterwandern«, so titelte das Blatt 2017. Auch für die AfD ist der Mythos »Clan-Kriminalität« ein gefundenes Fressen. Seit Jahren bringt sie immer wieder Anträge zu diesem Thema in die Parlamente ein oder stellt Anfragen an die Regierungen. So forderte zum Beispiel die AfD-Bundestagsfraktion im Juni 2019, im März 2021 und im Mai 2022 konsequentes Vorgehen gegen sogenannte »Clan-Familien«, die ähnlich wie Mafia-Familien in Italien den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft gefährden würden. Sie beantragte die Anfertigung eines Bundeslagebildes zur Bekämpfung der »Clan-Kriminalität« durch ethisch abgeschottete, verwandtschaftlich geprägte Subkulturen, die sich zu einem unkontrollierbaren Staat im Staat entwickelt hätten und mit ihrer eigenen Werteordnung und Ablehnung des Rechtsstaates anhaltend Leib, Leben und Eigentum der Bürger gefährden würden. Und auch in den Ländern wird das Thema immer wieder durch die rechtsradikale Partei aufgegriffen: Die AfD-Landtagsfraktion in Niedersachsen forderte beispielsweise im März 2023 ein behördenübergreifendes Lagezentrum zur Bekämpfung der sogenannten Clan-Kriminalität und die Prüfung von Polizeianwärter*innen auf etwaige Bezüge zu Clan-Strukturen.

Mythos ohne Grundlage
Der Mythos der »Clan-Kriminalität« ist ein gefährliches, rechtes Narrativ, das seit Jahren durch Medienberichte und die Aufmerksamkeit der Politik für reißerische Stimmungsmache gegen Menschen mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte inszeniert und mit einem statistisch fragwürdigen Lagebild verfestigt wird. Die Ethnisierung von Kriminalität und die damit einhergehende Stigmatisierung von Menschen anhand ihrer Herkunft oder ihres Familiennamens hält sich hartnäckig und wird von Polizei und Politik instrumentalisiert, obgleich sie jedweder empirischen Grundlage entbehrt. Wird sogenannte Clan-Kriminalität zwar offiziell der Organisierten Kriminalität zugeordnet, umfasst sie ein breitgefächertes Sammelsurium an Bagatellverstößen, wie niedrigschwellige Verkehrsdelikte, Parkverstöße, Beleidigungen oder Körperverletzungen. Sie fließen in die Statistik mit ein und bauschen sie künstlich auf, obwohl diese Delikte weit unterhalb des allgemeinen Verständnisses organisierter Kriminalität liegen. Und selbst diese Bagatelldelikte eingerechnet, macht der Anteil registrierter »Clan-Kriminalität« im Bereich der Organisierten Kriminalität nur einen Bruchteil der Fälle und Taten aus. Diese fragwürdige statistische Erfassung ist Grundlage für die in einigen Bundesländern angewandte »Taktik der tausend Nadelstiche«, die in der öffentlichen Wahrnehmung eine Bedrohungslage inszeniert, die nicht der Realität entspricht. Denn diese Taktik orientiert sich nicht an Taten, sondern an vermeintlichen Täter*innen. Soweit möglich, sollen kleinste Vergehen mit Strafen belegt werden, um – so die Logik – Strukturen offenzulegen und Personen zu zermürben. Nach dem Motto »Wer sucht, der findet« werden Menschen allein aufgrund polizeilicher Einschätzungen und Erfahrungswerte unter Verdacht gestellt und in einem ans Absurde grenzenden Maße immer wieder polizeilich behelligt. So berichtete das Nachrichtenmagazin »Monitor« in der Sendung »Clan-Kriminalität: Unschuldige im Visier« im März 2023 von einem Kioskbesitzer, der in den letzten Jahren mehr als 100 mal von schwerbewaffneten Polizeibeamt*innen kontrolliert worden war.

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Stigmatisierung
Solche Razzien laufen nicht zimperlich ab: Die Kontrollierten werden eingeschüchtert, teils an die Wand gestellt und oft für Stunden festgesetzt. Nicht selten tragen die Polizeibeamt*innen Vollmontur oder Sturmhauben. Begleitet werden sie von Mitarbeiter*innen von Zoll, Ordnungs-, Gesundheits-, und Finanzämtern. Wer derartige Razzien schon einmal beobachtet hat, wird zu dem Schluss kommen, dass die Vorgehensweise ganz klar auch auf Abschreckung nach außen zielt. Betroffene Geschäftsinhaber*innen berichten von ausbleibender Kundschaft, fühlen sich misshandelt, diskriminiert und ohnmächtig. Oft findet sich anschließend eine reißerische Berichterstattung in den lokalen Medien, die in der Umgebung den Verdacht erhärtet, es würde zu Recht gegen verdeckte Kriminalität, wie Drogenhandel und Geldwäsche, durchgegriffen. Und das, obwohl die Razzien zumeist bis auf Bagatellen ergebnislos bleiben, was aber nicht berichtet wird oder bei Menschen mit einem vorurteilsbehafteten Bild kaum auf Interesse stößt.

CDU, FDP, SPD, …
Nicht nur von der AfD, sondern auch von demokratischen Parteien werden die Lageberichte der Länder und der sich festigende Mythos Clan-Kriminalität instrumentalisiert. Da mit einer gesteigerten Zahl an Einsätzen auch die Zahl der registrierten Verstöße zunimmt, werden die so gestiegenen Zahlen als polizeilicher Erfolg deklariert und von den Innenministerien öffentlichkeitswirksam verkauft, womit sich Zuspruch für noch mehr Einsätze und härteres Durchgreifen generieren lässt. Rechtspopulistische Stimmungsmache mit dem Thema wird nun auch verstärkt von Parteien »der Mitte« betrieben. Das Präsidium der FDP legte am 16. Januar 2023 einen Beschluss ­»[f]ür einen starken und effektiven Rechtsstaat gegen Clan-Kriminalität« vor. Und im Hessen-Wahlkampf verkündete Innenministerin Nancy Faeser (SPD), sie wolle Mitglieder vermeintlicher »Clans« abschieben, auch wenn diese nicht straffällig geworden seien. Das Narrativ der »Clan-Kriminalität« passt nur zu gut zu Faesers politischem Kurs der Ausgrenzung und Asylrechtsverschärfungen, den sie auf Bundes- und EU-Ebene im Rahmen der GEAS-Vereinbarungen durchsetzte. Ein gutes Wahlergebnis hat Faeser damit in Hessen dennoch nicht erzielt. Selbst der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul (CDU), stellte jüngst fest, rechtspopulistisches »Wahlkampf-Getöse« mit unhaltbaren Versprechen spiele allein der AfD in die Hände.

Doch auch die CDU nutzt das Narrativ der »Clan-Kriminalität« für politische Zwecke und brachte am 26. September 2023 im Bundestag unter Federführung von Friedrich Merz, der sich in Talk-Shows und den sozialen Medien verstärkt mit hetzerischen Äußerungen in Szene setzt, einen Antrag für einen Kurswechsel in der Migrationspolitik und »Null Toleranz bei Clan-Kriminalität« ein. Die AfD warf der Union sogleich vor, sie hätte deren Forderungen kopiert. Ähnlich der AfD behauptete die CDU/CSU in ihrem Antrag, Menschen, die der »Clan-Kriminalität« zuzuordnen seien, missachteten generell elementare Prinzipien des Rechtsstaates und lehnten die Rechts- und Werteordnung grundsätzlich ab. Die Union räumte zwar ein, dass viele dieser Personen die deutsche Staatsangehörigkeit hätten. Jenen »Clan-Kriminellen« mit doppelter Staatsangehörigkeit wolle sie aber die deutsche Staatsangehörigkeit möglichst aberkennen und sie abschieben. Geflüchteten Personen, die sich im Asylverfahren befänden oder bereits anerkannt seien und mit dieser Form der Kriminalität in Zusammenhang gebracht würden, solle der Asylantrag negativ beschieden oder der Schutzstatus aufgehoben werden. Zudem legte die CDU in dem Antrag ihre Vorurteile schonungslos offen, ohne ihren Behauptungen eine Statistik oder wissenschaftliche Studien zugrunde legen zu können. Basierend auf diesen Behauptungen plädierte sie für einen erweiterten Rechtsrahmen, der nicht nur die Entziehung von Vermögen und Besitz, sondern auch der elterlichen Sorge ermöglichen soll. Zudem forderte sie die Bundesregierung zur Beschaffung der »Verfahrensübergreifenden Recherche- und Analyseplattform (VeRA)« auf. Das Programm des umstrittenen US-Herstellers Palantir soll durch die Verknüpfung von Informationen aus unterschiedlichen Datenbanken Ermittlungen erleichtern.

Anpassung an rechte Debatten
Während die Parteien Die Linke und Bündnis 90 / Die Grünen weiterhin ein Ende stigmatisierender Lagebilder und rechtspopulistischer Stimmungsmache fordern, haben die Parteien der »Mitte« sich offenbar beim Thema »Clan-Kriminalität« für Anpassung entschieden. Der von CDU/CSU, FDP und SPD geführte Diskurs lässt den Schluss zu, dass sie die Existenz des Phänomens als Teil der Organisierten Kriminalität als gegeben hingenommen haben, ohne die zweifelhafte empirische Grundlage zu hinterfragen. Durch Anträge, Maßnahmenkataloge, Debatten und Konferenzen wie den »Internationalen Kongress zur Bekämpfung der Clan-Kriminalität« Ende Oktober 2023 im Düsseldorfer Innenministerium wird die Diskursverschiebung nach rechts aktiv betrieben. Mit der daraus resultierenden Normalisierung des Diskurses zur »Clan-Kriminalität« und der unkritischen Übernahme des Narrativs in den Medien müssen Brandmauern nach rechts nicht mehr eingerissen werden. Rechte Debatten werden unverhohlen vom rechten Rand in die Mitte der Gesellschaft verlagert. Mehr Wähler*innenstimmen bringt es den Mitte-Parteien allerdings offenbar nicht. Umfragewerte zeigen eine Zunahme rechter Einstellungen und eine gestiegene Bereitschaft zur Wahl rechter Parteien.

Verbote & Verfahren

Redaktion
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 205 - November | Dezember 2023

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Hammerskins © Mark Mühlhaus / attenzione

Verbot der »Hammerskins« in Deutschland
Nachdem das Innenministerium am 19. September 2023 die »Hammerskins« und ihre Unterstützer-Gruppe »Crew 38« in Deutschland verbietet, werden die Wohnungen von 28 mutmaßlichen Funktionsträger*innen in zehn Bundesländern durchsucht. Im Einsatz waren rund 700 Polizeibeamt*innen. Zur Verbotsbegründung heißt es, die Organisation agiere gegen die verfassungsmäßige Ordnung, ihr Zweck laufe den Strafgesetzen zuwider. In Mecklenburg-Vorpommern beschlagnahmten die Ermittler*innen unter anderem Sprengstoff, mehrere Lang- und Kurzwaffen, scharfe Munition und Übungsmunition. Durchsucht wurde ein Grundstück in Jamel, auf dem der Neonazi Sven Krüger lebt. Er soll zum Führungskreis der »Hammerskins« gehören, die in Deutschland seit 1992 bestanden und bis zum Verbot bundesweit 14 Chapter unterhielten. Von den Maßnahmen nicht betroffen war Nils Budig, dessen Firma im nordthüringischen Artern drei »Hammerskin«-Labels und die Zeitschrift »Frontmagazin« verantwortet. Budig gilt als Vermögensverwalter der Geschäfte der »Hammerskins« im RechtsRock-Bereich. Gegen das Verbot erhoben zwölf Personen aus neun Bundesländern Klage beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

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Sven Krüger bei der Hausdurchsuchung im September 2023
© Endstation Rechts

Verbot der »Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V.«
Nach dem Verbot der »Artgemeinschaft« am 27. September 2023 finden in zwölf Bundesländern Hausdurchsuchungen in 26 Wohnungen von 39 Vereinsmitgliedern und in Räumlichkeiten des Vereins statt, um das Verbot zu vollstrecken. Die Beamt*innen beschlagnahmen entsprechende Literatur, Devotionalien, Bargeld und Gold sowie in Thüringen und Baden-Württemberg Armbrüste, andere Waffen und Munition. Im Einsatz waren rund 700 Polizist*innen der Länder, das Vereinsverbot war seit mehr als einem Jahr vorbereitet worden. Innenministerin Nancy Faeser bezeichnet die »Artgemeinschaft« als eine neonazistische, rassistische, fremden- und demokratiefeindliche Vereinigung. Sie richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und insbesondere aufgrund antisemitischer Inhalte auch gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die »Artgemeinschaft« wurde 1951 von Wilhelm Kusserow gegründet und 20 Jahre lang von dem langjährigen Neonazi und NPD-Funktionär Jürgen Rieger geleitet. drr-Autorin Andrea Röpke warnt vor dem »StiftungsWerk Zukunft Heimat e.  V.« als Nachfolgestruktur nach dem Verbot der Artgemeinschaft.

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Jürgen Rieger als Redner beim Rudolf-Heß-Marsch 2004 in Wunsiedel © Mark Mühlhaus / attenzione

Scheinauflösung von Neonazi-Gruppen
Nach dem Verbot der »Hammerskins« und der »Artgemeinschaft« gibt der Neonazi Thorsten Heise am selben Tag die Auflösung der Gruppen »Arische Bruderschaft«, »Arische Bruderschaft Supporter«, »Brigade 12« und der »Kameradschaft Northeim« bekannt. Später kursiert die Meldung, auch die »Division 45« habe sich ebenso aufgelöst wie die »Brothers of Honour«, eine Nachfolgestruktur aus den verbotenen Netzwerken »Blood&Honour« und »Combat 18«. Einen Tag später verkündet das Vernetzungsprojekt »Zusammenrücken« seine Selbstauflösung. Offenbar wollen die Neonazis mit diesem Schritt das Vorgehen der Behörden erschweren und ihre Geschäfte und Strukturen vor einem möglichen Verbot schützen, während die Strukturen weiter bestehen.

Erneute Festnahmen bei »Vereinten Patrioten«
Während sich seit Mai 2023 fünf mutmaßliche Mitglieder der Gruppierung »Vereinte Patrioten« vor dem Oberlandesgericht Koblenz wegen der Gründung beziehungsweise Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verantworten müssen, vollstreckt die Polizei am 10. Oktober 2023 fünf weitere Haftbefehle gegen Mitglieder oder Unterstützer*innen der Gruppe. In Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Hessen, Bayern und Baden-Württemberg werden zahlreiche Wohnungen von Verdächtigen aus dem »Reichsbürger«-Milieu durchsucht. Ein 41-Jähriger aus Wolfratshausen wollte der Gruppierung in Kroatien Schusswaffen besorgen, ein 61 Jahre alter Mann aus Hessen hatte seine Garage als Zwischenlager für Waffen angeboten. Ein 49-Jähriger aus dem Kreis Mettmann soll eine regionale Führungsrolle in der Gruppe bei der Umsetzung der geplanten Anschläge auf Energieversorger in Deutschland gespielt haben. Ein 52-jähriger Mann und eine 32 Jahre alte Frau aus Rheinland-Pfalz hatten offenbar bereits Hochspannungsleitungen für Sabotageaktionen ausgekundschaftet sowie Dokumente mit Anleitungen zur Herstellung von Sprengstoff erstellt. Die »Vereinten Patrioten« sollen die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach und einen politischen Umsturz geplant haben, um die Demokratie zu beseitigen und eine neue Verfassung nach dem Vorbild des Deutschen Kaiserreichs 1871 zu erstellen.

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Das Justizwunder Thorsten Heise bei seiner Lieblingsbeschäftigung – Geld machen mit Nazi-Musik. © Mark Mühlhaus / attenzione

Razzien gegen RechtsRock-Netzwerk
Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Generalstaatsanwaltschaft Celle unter anderem wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung führt die Polizei am 26. Oktober 2023 bei zwölf Beschuldigten Hausdurchsuchungen in Niedersachsen, Hamburg, Berlin, Thüringen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und auf Mallorca durch. Als Kopf der Gruppe nimmt sie den 34-jährigen Lasse Bruno Krüger im Landkreis Lüneburg fest, der seit Anfang des Jahres Geschäftsführer der »Dee-Jay Schallplatten GmbH« mit Sitz in Hamburg ist. Neben ihm sollen weitere drei Neonazis zur »Kerngruppe« einer »bundesweit agierenden Tätergruppierung« gehören. In dem Verfahren geht es um die Produktion sowie den nationalen und internationalen Vertrieb von RechtsRock als »strafrechtlich relevante, volksverhetzende rechtsextreme Musik«. Im Fokus stehen Nachpressungen von Tonträgern aus den 1990er und 2000er Jahren von sehr bekannten RechtsRock-Bands. Den vermutlichen Erlös aus den Plattenverkäufen schätzen die Behörden auf 199.000 Euro. Bei den Durchsuchungen stellen die Ermittler*innen mehrere zehntausend Tonträger, elektronische Kommunikationsmittel und Speichermedien, einen fünfstelligen Bargeldbetrag und schriftliche Unterlagen sicher. Unter den elf übrigen Beschuldigten befindet sich der gebürtige Berliner Jens Hessler, der inzwischen auf Mallorca einen Versandhandel für RechtsRock betreibt. Eine Hausdurchsuchung fand auch bei Thorsten Heise in Thüringen statt.

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Vier eingestellte Verfahren in Norddeutschland
Im Oktober 2023 wird bekannt, dass Strafverfolgungsbehörden in Norddeutschland vier große Verfahren gegen extrem Rechte eingestellt haben, weil sie keine Beweise für kriminelle Organisationen gefunden hätten. Zwei Fälle davon fallen in die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Lüneburg. Sie ermittelte seit 2021 gegen 14 Beschuldigte, die in Kreisen von Bundeswehrreservisten eine Wehrsportgruppe gegründet haben und sich damit einer bewaffneten Gruppe angeschlossen beziehungsweise diese befehligt haben sollten. Gegen einzelne Beschuldigte wird wegen Verstößen gegen das Waffen- und das Sprengstoffgesetz weiter ermittelt. Im Fokus eines zweiten Verfahrens standen 13 Beschuldigte, die in einem extrem rechten Netzwerk mit Waffen gehandelt haben sollten. Gegen sie ermittelte die Staatsanwaltschaft Lüneburg wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontroll-, Waffen- und Sprengstoffgesetz. Auch hier erhärtete sich der Verdacht für das Vorliegen einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung nicht, gegen einzelne Verdächtige wird jedoch weiter ermittelt. In einem Verfahren gegen acht Neonazis wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung hat die Generalstaatsanwaltschaft Celle die Ermittlungen eingestellt. Die Neonazis waren Teil der »Calenberger Bande« in der Region Hannover und stammten teilweise aus den Reihen der im September 2012 verbotenen neonazistischen Gruppierung »Besseres Hannover«. Gegen einzelne Beschuldigte laufen noch Verfahren wegen anderer Straftaten. Auch die Ermittlungen gegen 16 Neonazis aus dem »Aryan Circle« um den Neonazi Bernd Töter aus Bad Segeberg wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung wurden von der Staatsanwaltschaft Flensburg eingestellt.

 

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Ein rechtsradikaler Präsident?

von Patrick Eser
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 207 - März | April 2024

In Argentinien regiert seit Ende 2023 der Ökonom Javier Milei. Wie rechts ist er?

Antifa Magazin der rechte rand
© wikimedia (CC BY-SA 3.0) Armenische Botschaft

Im November 2023 wurde in Argentinien in der Stichwahl der Wirtschaftswissenschaftler Javier Milei mit 56 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Er setzte sich gegen Sergio Massa durch, der in der vorherigen Mitte-Links-Regierung Wirtschaftsminister war. Milei hatte sich als exzentrischer Fernsehökonom einen zweifelhaften Ruf erarbeitet und zuvor kein politisches Amt ausgeübt. Er konnte die Wahl als Newcomer und Outsider für sich entscheiden.
Eine Erklärung seines Erfolgs muss vor allem das Scheitern der Vorgängerregierung in der Bekämpfung drängender gesellschaftlicher Probleme berücksichtigen: Korruption, Unsicherheit und Kriminalität, Ungleichheit und Armut, Wachstumsdefizite der Wirtschaft und Einbußen der Reallöhne. Bis in die Mitte der Gesellschaft existierte eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit. Das Gefühl fortlaufender Verschlechterung der Lebensbedingungen förderte eine Krisenatmosphäre, in der Wirtschaft, Politik, Staat und die Gesellschaft als vom Niedergang betroffen wahrgenommen wurden. Dies führte dazu, dass sich ein Großteil der Bevölkerung für einen radikalen Wechsel entschieden und Milei gewählt hat. Er versprach, den korrupten Staatsapparat zu kürzen, die Inflation zu bekämpfen und den Dollar als Zahlungsmittel einzuführen. Seine Partei »La libertad avanza« (»Die Freiheit schreitet voran«, LLA ) war 2021 als Wahlbündnis verschiedener Kleinstparteien gegründet worden.

»Rechtsradikal« oder »ultraliberal«?
Das Profil der von Milei repräsentierten neuen Rechten ist ideologisch nicht klar definiert. In ihr finden sich neoliberale, ökonomisch-libertäre, gesellschaftspolitisch ultra-konservative, sozialdarwinistische und meritokratische Züge. Es wird ergänzt um einen verharmlosenden Blick auf den Staatsterrorismus der letzten Militärdiktatur (1976 – 1983) und einen Geschichtsrevisionismus, der sich gegen den mit der noch jungen argentinischen Demokratie verbundenen Konsens der Erinnerungspolitik richtet. In der kritischen argentinischen Öffentlichkeit wird das Phänomen Milei als »rechtsextrem« oder »rechtsradikal« bezeichnet. Milei selbst nennt sich einen »libertären Liberalen« und »Anarchokapitalisten«. In der deutschen und europäischen Öffentlichkeit wird er als »Rechtspopulist«, als »libertärer Populist«, »Ultraliberaler« oder »libertärer Ökonom« präsentiert.

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Aus deutscher Perspektive mag es seltsam erscheinen, dass Milei in Argentinien »rechtsradikal« oder »rechtsextrem« genannt wird. Denn das, was hier damit assoziiert wird – Xenophobie sowie rassistische und antisemitische Gewalt –, trifft auf die von ihm repräsentierte Rechte so nicht zu. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich in seinem Projekt nicht auch Personen oder Strömungen finden, die einem solchen Denken und Handeln gegenüber eine Offenheit aufweisen. Richtig ist auf jeden Fall, dass unter argentinischen Heranwachsenden und jungen Erwachsenen unter 35 eine Rechtswende zu beobachten ist. Hier ist eine deutliche Ablehnung des »Kirchnerismus« festzustellen, der fast 20 Jahre lang unter Heranwachsenden hegemonial war und politisch als mitte-links bis linkspopulistisch gilt. Diese Wende birgt zugleich ein Radikalisierungspotenzial, das sich 2022 bei dem erfolglosen Attentatsversuch auf die damalige Vize- und Ex-Präsidentin Christina Fernández de Kircher zeigte. Hinter der dilettantisch ausgeführten Tat standen drei Personen, die eine Affinität zur Kultur der extremen Rechten aufweisen. Den Körper des erfolglosen Schützen zieren Tattoos mit Hassbotschaften sowie eine »Schwarze Sonne« – entsprechend ausgerichtet waren seine Nachrichten in den Social Media.

Rechte Influencer
Das Ausmaß der Rechtswende der Jugend ist noch nicht klar. Influencer*innen und junge rechte Intellektuelle haben aber ein Milieu geschaffen, in dem die Ablehnung der politischen Linken und ihrer Politik – zum Beispiel Feminismus, Ökologie, soziale Gerechtigkeit und die Verurteilung der Militärdiktatur – zentrale Eckpunkte sind. Die Rechte habe inzwischen den rebellischen Gestus der Linken beerbt. Sie sei – so das Image – die politische Kraft, die den Staat und die Politik infrage stellt, wie der Soziologe Pablo Stefanoni in seinem 2021 veröffentlichten Buch mit dem suggestiven Titel »Ist die Rebellion rechts geworden?« schrieb. Er zeigt, wie verschiedene rechte Kreise Begriffe besetzt und uminterpretiert haben sowie neue Slogans gegen die Vorherrschaft des »Kulturmarxismus«, der »Genderideologie« und des »Ökofaschismus« schick werden ließen. Junge rechte Influencer*innen haben sich zu bedeutenden Medienpersönlichkeiten entwickelt, ihre Bücher verkaufen sich in hoher Auflage. Der renommierteste von ihnen, der Politologe Agustín Laje, vermittelt das Image eines »alternativen« Rechtsintellektuellen, der der linken Vorherrschaft den Kampf angesagt hat. Diese Töne finden in den sozialen Medien starken Widerhall – von strikt konservativen Interventionen gegen den Schwangerschaftsabbruch bis zu radikalen Äußerungen über die politische Gewalt der Linken in den 1970er Jahren.

Gegen progressive Ideologien und die »politische Korrektheit« gerichtet, zeigt sich diese Agitation eines diffusen, rechten Teils der Jugend in der digitalen Welt und auf der Straße. Dessen konkrete ideologische Orientierung hat allerdings auch mit der Entwicklung des libertären Projekts zum Regierungsprojekt noch keine klaren Formen angenommen. Die neurechte rebellische Orientierung findet vor allem unter den jüngeren Teilen der Bevölkerung Anklang, die oft mit unsicheren Aussichten in den Beruf starten.

Wirtschaftslibertär
Seinem Selbstverständnis zufolge ist Milei ein »libertärer Liberaler« oder »Anarchokapitalist«. Das libertäre Moment ist in seinem politischen Profil sehr präsent und hat jahrelang seine öffentlichen Auftritte geprägt. In Argentinien wurde er aufgrund seines extravaganten Auftretens als Experte in »Wirtschaftsfragen« in Funk und Fernsehen bekannt. Hier entwickelte er sich zu einer öffentlichen Persönlichkeit, lange bevor er in die Politik ging. In rebellischem Gestus und mit missionarischem Eifer vertrat er minoritäre Meinungen und Thesen. Die Annahme einer moralischen wie argumentativen Überlegenheit ist für den Redestil des Politikers Milei kennzeichnend, vor allem wenn er gegen den ineffizienten Staat polemisierte, dessen Aktivität etwa in der Sozialpolitik er mit Korruption und mafiösen Machenschaften assoziiert.

Die dogmatisch libertäre Ausrichtung, die weder bei anderen neu-rechten und prokapitalistischen Populisten wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro zu beobachten ist, kennzeichnet die rechts-konservative und liberale Rebellion Mileis. Sie steht im Zeichen des Kampfs gegen »Political Correctness«, propagiert einen neuen Begriff individueller Freiheitsrechte und artikuliert gegen den vermeintlich progressiven Mainstream in den Medien alternative Sichtweisen und »Wahrheiten«. Der ideologische Kulturkampf gegen die progressive Meinungsvorherrschaft ist ein zentrales Vorhaben Mileis. Seine Obsession, überall »Kollektivismus«, »Kommunismus« und »Sozialismus« wahrzunehmen, wo Nationalstaaten lediglich eine aktive politische Gestaltung vornehmen, kann als Variante der in der »Neuen Rechten« zu beobachtenden Tendenz zu manichäischen Denkmustern, plakativen Erklärungen und affektgeladenen Agitationsformen gelten. Die Orientierung an der US-amerikanischen »alternativen Rechten« und an dem in gesellschaftlichen Fragen konservativen »Paläolibertarismus« von Murray Rothbard ist für Milei zentral. Dieses Spektrum zeichnet sich durch individualistische und antikonformistische Züge aus. Die hierzulande verwendeten Schlagworte des »regressiven Rebellentums« sowie des »libertären Autoritarismus«, die in der Debatte über dieses Milieu in Deutschland verwendet werden, treffen auch Grundzüge von Mileis Programm, Stil und ideologischem Mix.

Rechte Internationale
Anhand der internationalen Allianzen Mileis lassen sich weitere Hinweise auf dessen politische Verortung gewinnen. Victor Orbán, der zur Amtseinführung Mileis gereist war, zeigte sich zufrieden mit dem neuen argentinischen Präsidenten, dank dem der Kampf gegen die internationale Linke effektiver ausgetragen werden könne. Bei der Amtseinführung waren ebenfalls Santiago Abascal von der rechtsradikalen spanischen Partei »Vox« sowie der ehemalige brasilianische Präsident Bolsonaro anwesend. Dass auch Trump in Mileis Sieg ein wichtiges Zeichen sah, verwundert nicht. Aus der deutschen Politik kam Applaus vom neurechten Rainer Zitelmann, der im Wochenmagazin Focus im Januar 2024 die wirtschaftsradikalen und kämpferischen Thesen von Mileis Rede vor dem World Economic Forum zustimmend aufgriff: »Milei hält Kapitalismus für die Lösung vieler Probleme – und er hat Recht.« Seine Kampfansage gegen Sozialismus und Kollektivismus beim Auftritt in Davos fand bis weit ins liberale Lager Zustimmung. Milei bewegt sich seit Jahren im Umfeld internationaler Netzwerke und liberaler sowie libertärer Thinktanks und ist aufgrund seines Berufs in der Wirtschaft sowie seiner Aktivität in zivilgesellschaftlichen Vereinigungen mit bedeutenden Personen aus der internationalen Kapitalistenklasse gut vernetzt. Milei erfuhr von wichtigen Personen des internationalen, digitalen Unternehmertums Unterstützung, so vom CEO des in Lateinamerika dominanten Onlinehandelsplatzes Mercado libre, Marcos Galperin, sowie vom Chef von Twitter/X, Elon Musk.


Frage, ob die in Argentinien verwendeten Begriffe »rechtsextrem« und »rechtsradikal« für Milei angemessen sind, bedarf einer tiefergehenden Analyse. Doch es steht fest, dass Milei seine ökonomisch ausgerichteten, liberal-libertären Anschauungen mit neurechten Symbolen, Praktiken und Slogans verbindet. Mit Milei erfährt die Rechte Argentiniens und auch Lateinamerikas eine Wiederbelebung. Neben Bolsonaro oder dem Präsidenten von El Salvador, Nayid Bukele, hat die »Neue Rechte« Lateinamerikas mit Milei ein weiteres neuartiges Gesicht erhalten.

Intro Antifa-Magazin 207 – März | April 2024

Redaktion #AntifaMagazin
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 207 - März | April 2024

Liebe Leser*innen,

Enough is enough. Genug ist genug. In den vergangenen Wochen sind bundesweit über vier Millionen Menschen in Groß- und Kleinstädten gegen die AfD auf die Straße gegangen. Die Botschaft: Es reicht! Die selbsternannte Alternative darf nicht weiter als rechtspopulistisch verharmlost und ihr Programm muss endlich ernst genommen werden. Den Wähler*innen sollte auch nicht weiter mit viel Verständnis entgegengekommen, sondern mit klaren Einordnungen entgegengetreten werden. Wer die extreme Rechte wählt, wählt die extreme Rechte.

Das Bekanntwerden des Treffens in Potsdam, wo sich AfD-Funktionsträger*innen, CDU-Mitglieder und Unternehmer*innen mit »dem« Kader der »Identitären Bewegung«, Martin Sellner, über »Remigration« austauschten, erschütterte Menschen der unterschiedlichsten Milieus. Sie drängten auf die Straße, weil für sie sichtbar wurde, welche Konsequenzen die Erfolge der AfD für diese Republik haben werden. Sie befürchten, dass die Landtagswahlen im Osten gravierende Folgen haben werden. Vor allem, wenn die CDU die Regierungsmacht halten oder übernehmen will, wie auch immer unterstützt durch die AfD – sei es nur durch Tolerierung ohne vermeintliche Absprache. Die brüchige Brandmauer könnte gänzlich niedergerissen werden. Nach 91 Jahren könnten erneut extrem Rechte in Deutschland direkt im Parlament die Politik bestimmen.

Viele Demonstrierende sehen die Demokratie deshalb massiv gefährdet. Ihnen, uns, wird gewahr, dass diese liberale Demokratie – trotz aller sozial-selektierender Verwerfungen und ausgrenzender Machtmechanismen – gegen reaktionäre Widerstände erst immer erkämpft und nun verteidigt werden muss. Nichts haben die jeweils Herrschenden ohne anhaltenden Kampf zugelassen, Macht und Einfluss freiwillig abgegeben. Kein Tarif- und kein Selbstbestimmungsrecht. Die Freiheiten dieser Republik wurden erstritten und errungen. Ein Kampf für Emanzipation, Liberalität und Diversität, für den Menschen verfolgt, gefoltert, misshandelt, vergewaltigt und ermordet wurden und noch immer werden. Die Geschichtsvergessenheit dieser Kämpfe offenbart auch Machtverhältnisse. Dass sie oft zum Tanzen gebracht wurden, beweist das stets Veränderbare.

Die heute mehr denn je gebotenen sozial-ökonomischen Veränderungen will nicht nur die AfD verhindern. Wenn also Personen oder Parteien der AfD entgegentreten, verdienen sie Unterstützung und keinen Gegenwind. Ein Minimalkonsens, bei dem SPD und Grüne, CDU und FDP auch Kritik an ihrer Politik ertragen sollten. Und Achtung, Trigger-Warnung: Ein noch so linker Redebeitrag würde leider nicht den nötigen Druck erzeugen, ein konservativer Beitrag würde wahrscheinlich mehr Wucht haben. Die Rede von Armin Laschet, Ex-CDU-Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfallen, in Aachen hallt nach: »Man kann sagen: Na ja, so schlimm wird das nicht werden.«  Aber das hätten die Menschen 1932 auch gedacht, nach zwei Monaten war die Republik ausgehöhlt. Antidemokraten dürften »keine staatlichen Funktionen« bekommen, betonte der CDU-Politiker und: »Sie werden sie nutzen, um die Demokratie zu beseitigen.« Der massive zivilgesellschaftliche Druck wirkt auf die politisch Zuständigen – und das ist gut so.

Eure Redaktion

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Warme Worte, keine Taten

von Carsten Neumann
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 206 - Januar | Februar 2024

Antifa Magazin der rechte rand
Die Parole »Nie wieder ist jetzt« wird sowohl seit dem Überfall der Terror­organisation Hamas auf Israel und dem lauter werdenden Antisemitismus als auch als Reaktion auf die völkischen Deportationsphantasien der AfD gezeigt. @ Roland Geisheimer / attenzione

1918 schrieb die Enkelin eines Rabbiners, Rosa Luxemburg, im Militärgefängnis in Breslau: »O Adonai, Adonai! Lass uns nie, solange wir leben, dem heiligen Gebote untreu werden: dem Kampfe wider Unrecht … Laß uns nie die Worte sprechen: retten wir uns selber und überlassen wir die Schwachen ihrem Schicksal.« Wenige Monate später wurde sie von Freikorps-Soldateska auf offener Straße zusammengeschlagen und erschossen und ihr Körper in den Landwehrkanal geworfen. Die deutsche Justiz fand trotz alledem damals keine Schuldigen. Der Sozialdemokrat Gustav Noske verhängte schnell eine Nachrichtensperre. Auch damit wurde von der deutschen Politik und Justiz das fürchterlichste Kapitel der Geschichte der Menschheit vorbereitet.

In Bremen regierte seit der Shoah ohne Unterbrechung die SPD, sie hat seit 2007 auch das Innenressort wieder in ihrer Hand. Ihre Dominanz rechtfertigt sie auch mit den Lehren aus der deutschen Geschichte. »Tu was! Zeig Zivilcourage!« lautet der Name der in Bremen gegründeten Initiative. Mit im Boot sitzen neben der Polizei auch das LidiceHaus, der Flughafen, die bremische evangelische Kirche sowie die Bremer Straßenbahn AG. Eine dieser vielen Kampagnen, die zum Mitmachen auffordern. Zu etwas, das der Duden wie folgt beschreibt: »Mut, den jemand beweist, indem er humane und demokratische Werte (z. B. Menschenwürde, Gerechtigkeit) ohne Rücksicht auf eventuelle Folgen in der Öffentlichkeit, gegenüber Obrigkeiten, Vorgesetzten u. a. vertritt.« Auch die Kneipe »Der Druide« im multikulturellen Hafenarbeiterstadtteil Walle ist einer der Orte, die zu eben dieser Courage aufrufen. In dem Irish Pub hängt hinter dem Tresen ein Plakat von Werder Bremen, auf dem steht »Geh‘ mir wech mit Rassismus«. Der Kneipengründer und Vorsitzende des Vereins, Udo Hollmann, der die Gaststätte seit mehr als zehn Jahren betreibt, sagte 2020 in einem Interview des Weserkuriers, seine Kneipe solle ein Ort für alle sein. Und wird dann konkret: »Und für Faschisten haben wir hier keinen Platz.«

Die Tat
So weit so gut. Was in Worten und mit großer Einigkeit in der Stadtgesellschaft angepriesen wird, kam nur zwei Jahre später nicht durch den Praxistest. Im August 2023 sitzt Roland, ein sechzigjähriger Handwerker, vor seinem Stammlokal und genießt den Feierabend. Er bekommt mit, wie zwei junge Männer um die dreißig in die Gaststätte gehen wollen. Sie fallen auf. Sie pöbeln. Es fallen Worte wie »Judensau«, »Scheißjuden« und weitere antisemitische Schmähungen. Auch andere Gäste vor und in der Kneipe bekommen die Worte mit. Spätestens als Roland den beiden den Zutritt zur Kneipe versperrt, werden die meisten Anwesenden auf die Situation aufmerksam. Doch niemand unterstützt ihn. Ihm wird noch von einigen Anwesenden gesagt, er solle da jetzt nicht so ein Ding von machen. Einer der beiden Pöbler verlässt daraufhin die Kneipe, doch der zweite, Ivo S., greift sich nach einem kurzen Gerangel einen Bierkrug und schlägt diesen gegen den Kopf des Handwerkers. Dieser erleidet durch den Angriff einen Schlaganfall. Angeschlagen versucht Roland mit einer Handsäge aus seinem Lastenrad, sich den Angreifer vom Leib zu halten. Er verliert das Bewusstsein und wird, ohnmächtig auf dem Boden liegend, von Ivo S. noch weiter geschlagen und getreten.
Krankenwagen und Polizei erscheinen vor dem »Druiden«. Der Verletzte kommt ins Krankenhaus, wo er für mehr als eine Woche bleibt. Er erlangt erst nach mehreren Stunden wieder sein Bewusstsein, hat Erinnerungslücken. Zeug*innen werden von der Polizei vernommen.

Juristische Aufarbeitung und Desinteresse
Ende 2023 begann nun der Prozess vor dem Amtsgericht. Die Staatsanwältin kann keinen Antisemitismus in diesem Fall benennen. Deswegen nimmt sich Roland einen Anwalt, um als Nebenkläger auftreten zu können. Er möchte von dem Angeklagten Schadensersatz, da er den Rest seines Lebens täglich fünf verschiedene Medikamente nehmen muss. Und er will, dass die politische Dimension des Verfahrens durch eine Verurteilung des Täters wegen Volksverhetzung erfolgt. Die Erfolgsaussichten dafür sind nach Meinung seines Rechtsanwalts Max Hammer jedoch gering. Der entsprechende Paragraf ist zwar vor wenigen Jahren erst geändert worden, doch in seiner neuen Form nicht praktisch – es gibt kaum Verurteilungen bundesweit, da er von den Staatsanwaltschaften und Gerichten kaum angewendet wird.

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Während des ersten Verhandlungstags entschuldigt sich Ivo S. bei seinem Opfer, doch antisemitische Schmähungen will er nicht ausgesprochen haben und einen Grund für die Gewalt gegen den doppelt so alten Roland nennt er nicht. Alle Zeug*innen versuchen, sich selbst in einem möglichst guten Licht dastehen zu lassen. Doch relevante Widersprüche zu dem oben beschriebenen Ablauf gibt es keine. Als es zum zweiten Verhandlungstag kommt, hält es Ivo S. nicht einmal mehr für nötig, vor Gericht zu erscheinen. Da er anwaltlich nicht vertreten wird, bleiben die Plätze rechts vom Gericht komplett leer. Als der Anwalt Max Hammer dann einen Adhäsionsantrag stellt, um den Schadenersatz mit zu verhandeln, vertagt das Gericht den Prozess. Ivo S. bekommt jetzt einen Pflichtverteidiger beigeordnet und der Prozess wird frühestens im April fortgesetzt.

Nur die taz veröffentlichte nach dem ersten Prozesstag einen kurzen Artikel, der Rest der Stadt sieht weg. Zwar steht auf der Website der Hansestadt: »Zudem erachten wir es als dringend notwendig Zivilcourage im Alltag der Menschen zu verankern, um das soziale Klima in der Gesellschaft zu stärken und um physische und psychische Gewalt nicht zuzulassen.«
Doch weder die Beratungsstelle des Landes für Opfer rechter Gewalt im LidiceHaus »Soliport«, noch Polizei, Staatsanwaltschaft, Politik oder sonstige Institutionen legen irgendeine Art wahrnehmbares Engagement an den Tag. Auch der Verein der Gaststätte und der Wirt unterstützen den Schwerverletzten nicht. Ob das Gericht sich dieser mutlosen Herde anschließen wird, ist derzeit noch offen. Wer sich öffentlich gegen Rassismus, Faschismus und Antisemitismus positioniert, sollte auch entsprechend handeln – Heuchelei und Lippenbekenntnisse helfen niemandem: Ganz im Gegenteil, sie erzeugen eine falsche Sicherheit für potenzielle Opfer. Solidarität ist kein Wort, sondern eine Tat.

Nur Roland ist aufgestanden gegen die beiden Hetzer. Er hat die Aufforderung von Rosa Luxemburg umgesetzt. Das Verfahren und der Umgang mit diesem Fall haben mit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober auf Israel eine noch größere Bedeutung erlangt. Jetzt zeigt sich, ob Politik, Justiz und Zivilgesellschaft Antisemitismus nur dann wahrnehmen und bekämpfen, wenn es ihrem Rassismus gegen arabische und muslimische Menschen hilft. Roland hat dafür einen zu hohen Preis bezahlt. Ihm wird und wurde jede Hilfe vorenthalten. Trotzdem sagt er im Gespräch auf die Frage, ob er noch einmal aufstehen und den beiden den Zutritt zur Gaststätte verweigern würde – ohne auch nur einen Moment zu zögern: »Sicher! Das muss man tun.«

Gute Chancen in Karlsruhe und Straßburg

von Björn Elberling
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 205 - November | Dezember 2023

antifa Magazin der rechte rand

In der Diskussion um eine Kampagne für ein AfD-Verbot wird mitunter als Gegenargument eingeworfen, ein Verbotsantrag würde beim Bundesverfassungsgericht scheitern und/oder ein Verbot würde durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgehoben werden. Mitunter wird dabei auf »schlechte Erfahrungen« aus den beiden NPD-Verbotsverfahren verwiesen.
Nun lässt sich durchaus fragen, ob es ein gutes Argument gegen eine Verbotskampagne wäre, dass ein Verbotsantrag eventuell scheitern könnte – oder ob nicht die Gefahr eines Nichtstuns viel größer ist, wenn viele Menschen angesichts einer befürchteten AfD-Regierungsbeteiligung auf den sprichwörtlich gepackten Koffern sitzen. Aber es spricht juristisch ohnehin sehr wenig gegen den Erfolg eines Verbotsantrags.

Karlsruhe I: keine schlechten Vorzeichen
So spricht zunächst nichts dafür, dass ein Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern würde. Es ist zwar richtig, dass es nach den zwei Parteiverboten gegen die nazistische »Sozialistische Reichspartei« 1952 und gegen die »Kommunistische Partei Deutschlands« 1956 keine weiteren erfolgreichen Verbotsanträge mehr gab, dass sogar insgesamt vier Verbotsanträge gegen neonazistische Parteien nicht zum Verbot führten. Aber keines dieser Verfahren spricht dagegen, dass ein AfD-Verbotsantrag Erfolg haben könnte.

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Den Verbotsantrag gegen die »Freiheitliche Arbeiterpartei« (FAP) wies das Bundesverfassungsgericht 1994 als unzulässig zurück, denn es sah sich schlicht nicht als zuständig an: die FAP sei mangels ausreichender Größe und Organisationsstruktur und angesichts erfolgloser und wohl eher pro forma erfolgter Teilnahme an Wahlen nicht in der Lage, eine parlamentarische Vertretung ihrer Anhänger*innen ernsthaft anzustreben. Sie sei daher keine Partei im Sinne des Grundgesetzes, sondern ein Verein. Für Vereinsverbote aber ist das Innenministerium zuständig, und dieses schritt dann auch 1995 zur Tat und verbot den Verein FAP. Ähnlich im Fall der Hamburger »Nationalen Liste« – kein Parteiverbot in Karlsruhe, dafür Vereinsverbot durch das Innenministerium. Diese Verbote läuteten den Anfang vom Ende neonazistischer Organisationen in »Parteien« ein, die Szene organisierte sich im Folgenden vor allem in für Verbote schwerer greifbaren »Freien Kameradschaften«. Zu den Erfolgsaussichten eines Verbotsantrags gegen die erfolgreiche Wahlpartei AfD sagen beide Entscheidungen nichts aus.
Und auch die beiden NPD-Verbotsverfahren, die nicht zum Verbot der Partei führten, sind kein Grund, ein Scheitern eines AfD-Verbotsantrags zu befürchten. Das erste Verbotsverfahren endete bekanntlich 2003 mit einer Verfahrenseinstellung durch das Bundesverfassungsgericht. Zahlreiche Parteifunktionäre bis in die Bundesführung waren zum Teil über Jahrzehnte als V-Leute geführt worden, einige noch während des laufenden Verbotsverfahrens. Einige der im Verbotsantrag zitierten Äußerungen der Partei stammten von diesen Personen. Und zu allem Überfluss war im Verbotsantrag diese fortbestehende Verbindung zwischen führenden Vertretern der zu verbietenden Partei und dem sie verbieten wollenden Staat nicht einmal offengelegt worden. Hieraus, so drei der Karlsruher Richter*innen, folge ein dauerhaftes Verfahrenshindernis – und da ein Verbotsantrag nur mit einer zweidrittel Mehrheit erfolgreich sein kann, reichte diese Sperrminorität aus, das Verfahren ganz zu beerdigen.
Eine vergleichbare Situation ist bei der AfD nicht zu befürchten. Denn zum einen wird die ja ohnehin erst seit kurzer Zeit von den Verfassungsschutzbehörden überwacht. Und zum anderen haben die Behörden ihre Lehren aus dem erfolglosen ersten NPD-Verbotsantrag gezogen, wie auch der erfolgreiche zweite Verbotsantrag aus 2013 zeigt.

Karlsruhe II: Maßstäbe gesetzt
Und dieser zweite Verbotsantrag sollte durchaus als Erfolg und als positives Vorzeichen für ein AfD-Verbot verbucht werden. Das Gericht lehnte es diesmal ab, das Verfahren wegen der V-Leute-Problematik einzustellen. V-Leute auf Führungsebene waren rechtzeitig vor dem Verfahren »abgeschaltet« worden; die Materialien, auf die der Verbotsantrag gestützt war, stammten nicht von V-Leuten; die fortbestehende Überwachung der Partei durch den Inlandsgeheimdienst diente nachweislich nicht der Ausspähung der Verfahrensstrategie im Verbotsverfahren. Den Fehler aus dem ersten Verbotsverfahren wiederholten die Landesregierungen, die über den Bundesrat den Verbotsantrag stellten also nicht. In der Sache entschied das Bundesverfassungsgericht zwar, die NPD nicht zu verbieten – dies aber nur deswegen, weil es sie letztlich als zu unbedeutend einstufte: Es erscheine angesichts der Schwäche der Partei nicht einmal als möglich, dass ihr verfassungsfeindliches Handeln erfolgreich sein könne, der NPD fehle es an »Potentialität«. Auch dies ist eine Feststellung, die man für die AfD angesichts ihrer Wahlerfolge nicht nur in den ostdeutschen Bundesländern – leider – nicht treffen kann.

Gleichzeitig ließ das Gericht keinen Zweifel daran, dass die NPD inhaltlich als verfassungswidrig einzustufen ist – und dass sie deswegen aus der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden kann. Vor allem setzte es Maßstäbe für die Verfassungswidrigkeit von Parteien, die gerade auch im Falle der AfD angewendet werden können. Denn es begründet die Verfassungswidrigkeit der NPD nicht mit der Lyrik der freiheitlich demokratischen Grundordnung (fdGO), sondern ganz zentral damit, dass die NPD-Politik völkisch-rassistisch und »auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, Muslimen, Juden und weiteren gesellschaftlichen Gruppen gerichtet« ist.

Der Maßstab für ein Parteiverbot ist also maßgeblich auf den Schutz zentraler Menschenrechte von als »nichtdeutsch« eingestuften Personen, von Jüd*innen, von Menschen mit Behinderung, von ­LGBTQI und von anderen gefährdeten Gruppen ausgerichtet. Zu dieser menschenrechtlichen Fundierung passt es, dass die erste umfassende Überprüfung der AfD-Politik hieran vom »Deutschen Institut für Menschenrechte« stammt. Die im Frühsommer 2023 vorgelegte Broschüre »Warum die AfD verboten werden könnte« legt im Einzelnen dar, dass »die national-völkische Programmatik« der AfD derjenigen der NPD in keiner Weise nachsteht und dass daher auch die AfD die materiellen Maßstäbe des NPD-Urteils erfüllt. Jüngste Entwicklungen, wie etwa die Listenaufstellung für die Europawahl, bei der sich nahezu durchweg Kandidat*innen mit »Flügel«-Positionen durchsetzten, oder die im September 2023 im Bundestag kalt lächelnd vorgetragene Ankündigung »millionenfacher Remigration« durch den AfD-Abgeordneten Matthias Helferich bestätigen diese Einschätzung weiter.
Ein Verbotsantrag, der sich die Mühe macht, dies nachzuzeichnen und die Verfassungsfeindlichkeit der AfD anhand von Programm und Aussagen führender Politiker*innen aufzuzeigen, hat also hervorragende Aussichten auf Erfolg beim Bundesverfassungsgericht.

Straßburg: keine Gefahr für ein AfD-Verbot
Und ein Verbotsurteil, das auf diesem strengen und zugleich menschenrechtlich fundierten Maßstab beruht, wird sicher nicht am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte scheitern. Denn wie auch im NPD-Urteil ausführlich dargestellt, lässt der Menschenrechtsgerichtshof den Staaten deutlich mehr Spielräume beim Verbot von Parteien als es das Bundesverfassungsgericht tut. Dieser fordert , dass ein Parteiverbot einen zulässigen Zweck verfolge, etwa den Schutz der Menschenrechte von bestimmten Personengruppen – genau die Rechtspositionen also, die auch ein AfD-Verbot wegen der völkisch-rassistischen Politik dieser Partei schützen würde. Und er fordert weiter ein »dringendes soziales Bedürfnis« für ein Verbot, das insbesondere dann gegeben ist, wenn die Ziele der Partei mit den fundamentalen Grundsätzen der Demokratie und des Menschenrechtsschutzes nicht vereinbar sind. Hinsichtlich der Stärke der Partei und damit des richtigen Zeitpunkts für ein Verbot räumt der Gerichtshof den Staaten einen erheblichen Ermessensspielraum ein – sie müssen nicht warten, dürfen zum Schutz ihrer Bevölkerung nicht warten, bis eine Partei die Macht ergriffen hat und konkrete Schritte hin zu Maßnahmen unternimmt, die grundlegende Menschenrechte verletzen. Sie müssen auch nicht warten, bis eine Machtergreifung kurz bevorsteht. Auch hier dürfte der Maßstab des Bundesverfassungsgerichts zur »Potentialität« von Parteien mindestens so streng sein wie der des Gerichtshofs.

Schließlich und endlich betont der Gerichtshof in seinen Urteilen immer wieder, dass bei der Überprüfung eines Parteiverbots auch die historischen Erfahrungen und Entwicklungen in dem betreffenden Konventionsstaat zu berücksichtigen sind. Gerade diese Äußerung lässt es als kaum vorstellbar erscheinen, dass der Gerichtshof dann das Verbot einer Partei kippt, die gerade in Deutschland wieder Gesetze im Interesse einer völkisch-rassistisch definierten Volksgemeinschaft und unter Ausgrenzung und Entrechtung aller anderen erlassen und durchsetzen will.

Dr. Björn Elberling ist Anwalt für Strafrecht, Presse- und Urheberrecht.

Urteil im Mord an Blanka Zmigrod – Der »Lasermann«-Prozess in Frankfurt

von Cihan Balikci & Paul Werfel
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 171 - März / April 2018

#Naziterror

Im Dezember 2017 begann in Frankfurt am Main der Prozess gegen John Ausonius, den sogenannten »Lasermann«. Er schoss Anfang der 1990er Jahre aus rassistischen Motiven in Schweden auf zehn Menschen und tötete den iranischen Migranten Jimmy Ranjbar. In Frankfurt wurde er nun schuldig gesprochen, 1992 auch die Jüdin Blanka Zmigrod erschossen zu haben. Sein Vorgehen war eine mögliche Blaupause für den NSU. Fast genau 26 Jahre hat es bis zu einem Urteil im Mordfall Blanka Zmigrod gedauert. Am 23. Februar 1992 wurde die 68-Jährige im Frankfurter Kettenhofweg erschossen, das Urteil am 21. Februar 2018 gesprochen. Die meiste Zeit zwischen diesen beiden Ereignissen saß der nun erneut verurteilte John Ausonius in Schweden im Gefängnis. Er war dort 1994 für eine Serie von Banküberfällen und rassistischen Mordanschlägen zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

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© Initiative Blanka Zmigrod

Banküberfälle und Morde in Schweden
Für Ausonius war dies nicht der erste Gefängnisaufenthalt. Schon Ende der 1980er Jahre verbüßte er eine mehrmonatige Haftstrafe wegen Betrugs- und Körperverletzungsdelikten. Nach seiner Entlassung folgten weitere Kredit- und Scheck-Betrüge, bis er schließlich 1990 seinen ersten Bankraub beging.
Im Frankfurter Prozess verlas Ausonius zu Beginn der Verhandlung eine Erklärung zu seinen Taten in Schweden. Demnach habe er 1991 angefangen, Mordanschläge auf MigrantInnen zu verüben, um die Polizei von den Ermittlungen zu seiner Bankraubserie abzulenken. Die Auswahl seiner Opfer begründete er damit, dass er – der politischen Stimmung in Schweden entsprechend – Geflüchtete und Zuwanderer für seine persönlichen Probleme verantwortlich machte. Er hoffte auf eine abschreckende Wirkung seiner Taten und sah sie als »Dienst an der Gesellschaft«.
In Schweden gab es Anfang der 1990er Jahre eine Welle rassistischer Stimmungsmache insbesondere gegen Geflüchtete. 1991 zog die neu gegründete »Ny Demokrati« mit einem rassistischen Programm in den schwedischen Reichstag ein. Diese Entwicklungen bestärkten Ausonius in seiner Auffassung, MigrantInnen hätten Schuld an gesellschaftlichen Problemen. Er habe durch seine Mordanschläge einen Teil dazu beitragen können, dass weniger MigrantInnen nach Schweden kommen.
Da Ausonius zu Beginn seiner rassistischen Anschlagsserie ein Gewehr mit Laser-Zielvorrichtung benutzte, gab ihm die Presse den Namen »Lasermannen«. Nachdem er vier Menschen schwer verletzt und den iranischen Studierenden Jimmy Ranjbar am 8. November 1991 getötet hatte, begab er sich auf mehrere Reisen und verbrachte unter anderem drei Wochen in Südafrika, wo zu dieser Zeit noch das Apartheidsregime herrschte.
Als er im Januar 1992 nach Schweden zurückkehrte, schoss er binnen weniger Tage auf sechs weitere Personen, die nur knapp überlebten. Der dadurch – und durch weitere Banküberfälle – ausgelöste Fahndungsdruck veranlasste Ausonius dazu, Anfang Februar 1992 nach Deutschland zu flüchten. In Schweden sorgten die anhaltende rassistische Stimmungsmache und insbesondere auch die von Ausonius verübten Anschläge dafür, dass im Februar 1992 in einem landesweiten Streik gegen Rassismus unter dem Motto »Ohne Einwanderer steht Schweden still« die Arbeit für eine Stunde niedergelegt wurde.

Über Deutschland zurück nach Südafrika
In Deutschland versuchte Ausonius unter anderem, das erbeutete Geld einzutauschen und sich einen Pass für die Flucht nach Südafrika zu besorgen. Dazu sprach er nach eigenen Angaben vor dem Dresdner Arbeitsamt Tilo U. an und zahlte ihm insgesamt 3.000 DM dafür, dass dieser ihm seinen Pass überlassen und ihn erst Monate später als verloren melden sollte. Mit diesem Pass flüchtete Ausonius wenig später nach Südafrika. Von dort aus sendete er mehrere Postkarten an Tilo U., in denen er ihn unter anderem bat, ihm auch einen Führerschein zuzusenden. Als Ausonius nach einigen Monaten nach Schweden zurückkehrte, konnte er kurz danach festgenommen werden.

Mord an Blanka Zmigrod
Während seiner Flucht in Deutschland kam Ausonius am 21. Februar 1992 in das Frankfurter Mövenpick-Restaurant und beschuldigte die dort arbeitende Garderobière Blanka Zmigrod, seinen Taschencomputer aus seiner Manteltasche geklaut zu haben. Auf dem Gerät befanden sich vermutlich Notizen zu den Konten, auf denen er das geraubte Geld verwahrte sowie weitere Notizen zu seinen Banküberfällen und Mordanschlägen.
Nachdem Zmigrods Vorgesetzte sich weigerte, die Handtasche ihrer Angestellten – in der Ausonius seinen Taschencomputer vermutete – zu durchsuchen, beschuldigte er die Frauen, gemeinsam am vermeintlichen Diebstahl beteiligt zu sein. Sie seien beide aus Osteuropa und bräuchten deswegen Geld. »Deutsche würden so etwas niemals tun!«, ließ er sie wissen. Bevor er ging, wandte er sich nochmal an Blanka Zmigrod und sagte: »Wir sehen uns noch!«.
Als Zmigrod gegen 00:15 Uhr am 23. Februar 1992 von ihrer Arbeitsstelle zu ihrer Wohnung im Kettenhofweg lief, näherte sich von hinten ein Fahrradfahrer und schoss ihr in den Kopf. Anschließend flüchtete er mit ihrer Handtasche.
Blanka Zmigrod wurde 1924 im polnischen Chorzów (damals Königshütte) geboren. Ab 1940 wurde sie von den Deutschen in mehrere Zwangsarbeitslager verschleppt und überlebte im Anschluss die Konzentrationslager Auschwitz, Bergen-Belsen, Flossenbürg und Mauthausen. Danach emigrierte sie zunächst nach Israel und kam 1960 nach Frankfurt.
Ausonius fuhr im Laufe des Tattages nachweislich über Köln nach Amsterdam, wo er sich am Flughafen einen neuen Taschencomputer kaufte und im Anschluss unter falschem Namen nach Südafrika flog.


Blaupause für rechten Terror?
Mit der Selbstenttarnung des NSU-Kerntrios 2011 rückte auch der 20 Jahre alte Mordfall wieder ins Licht der Öffentlichkeit. Im Zuge der Beschäftigung mit den NSU-Morden fielen dabei Parallelen zu Ausonius’ Vorgehensweise auf: Sowohl der NSU als auch Ausonius hatten mehrheitlich männliche Migranten zum Ziel, nutzten Banküberfälle zur Finanzierung, lebten im Untergrund unter falscher Identität und flüchteten mit Fahrrädern von den Tatorten.
Im »Field Manual«, einem Handbuch der rechtsterroristischen »Blood&Honour«-Bewegung, wurden Ausonius’ Taten als Beispiel für den »führerlosen Widerstand« genannt. Das Buch kursierte seit 1999/2000 in der rechten Szene, im September 2000 begann die Mordserie des NSU. Das Bundesamt für Verfassungsschutz traf 2012 die Einschätzung, dass die NSU-Mitglieder aufgrund der Erwähnung im »Field Manual« und Kontakten zwischen ostdeutscher und skandinavischer »Blood&Honour«-Bewegung von den Taten gewusst und seine Vorgehensweise kopiert haben könnten.
Bereits 1992 lobte die schwedische Neonazi-Terrorgruppe »Weißer Arischer Widerstand«, die auch Kontakte nach Deutschland unterhielt, Ausonius’ Taten in ihrer Zeitschrift »Storm«. Auf T-Shirts druckte sie das Bild eines dunkelhäutigen Mannes im Fadenkreuz, daneben den Aufdruck »Der Lasermann – ein Lichtpunkt im Dasein« in Anspielung auf die von Ausonius verwendete Laserzielvorrichtung. Auch der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik, der 2011 in einem Zeltlager einer sozialdemokratischen Jugendgruppe in Norwegen 77 Menschen tötete, bezog sich auf Ausonius und nannte ihn jemanden, mit dem er die gleichen Ziele teile.

Verurteilung im Indizienprozess
Angeregt durch die neue Brisanz des Falls im Zuge der NSU-Ermittlungen erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt im Mai 2017 Anklage gegen Ausonius und ließ ihn nach Deutschland überstellen. Der Prozess begann im Dezember 2017, die Anklage lautete »heimtückischer Mord aus Habgier«, da er beschuldigt wurde, Blanka Zmigrod erschossen zu haben, um seinen Casio-Taschencomputer zurück zu bekommen. Da seit dem ersten Tatverdacht gegen Ausonius keine weiteren Beweise hinzugekommen sind und keine direkten TatzeugInnen existieren, wurde der Prozess als reiner Indizienprozess geführt. Die Staatsanwaltschaft versuchte dabei zu beweisen, dass es sich bei Ausonius nicht nur um den Mann handelt, der das Opfer beschuldigte, seinen Taschencomputer geklaut zu haben, sondern auch um dem Mörder.
Dafür sprach zum einen, dass bei Ausonius Rechnungen gefunden wurden, die belegen, dass er wenige Wochen vor dem Mord eine Pistole vom gleichen Kaliber wie die Tatwaffe gekauft hatte, zusammen mit der passenden Hohlspitzmunition, wie sie auch beim Mord an Blanka Zmigrod verwendet wurde. Die Erklärung von Ausonius, er habe die Waffe kurz vor dem Mord in einer Frankfurter Kneipe einem Unbekannten verkauft, überzeuge nicht, insbesondere da er das gleiche Argument zuvor bei seinen anderen Morden angebracht habe, so die Staatsanwaltschaft. Außerdem zeige der zeitliche Ablauf und die räumliche Nähe, dass es sich bei Ausonius um den »Casio-Mann« handle. Auch sei ihm die Tat nicht »wesensfremd«.
Der Verteidiger, Rechtsanwalt Joachim Bremer, versuchte die Indizienkette zu durchbrechen und diese als nicht aussagekräftig darzustellen. Sie beruhe nur auf Spekulation und sei nicht tragfähig, so der auf Fälle mit großen Medieninteresse spezialisierte Anwalt. Stattdessen versuchte er, andere zeitweise existierende Tathypothesen der Polizei aufzugreifen und den Mord in eine Reihe mit einer Serie an Handtaschenüberfällen zu setzen. Ausonius habe 2000 alle seine Taten gestanden und keinen Grund, diese eine Tat auszusparen, so Bremer.

https://www.nsu-watch.info/

Tatsächlich hatte Ausonius 2000 die Taten, die er in Schweden begangen hatte, gestanden. Eine Verurteilung wegen Mordes an Blanka Zmigrod hat für ihn jedoch schwerwiegende Folgen: In Schweden, wo er seit 26 Jahren in Haft sitzt, hatte er regelmäßig Freigang unter Aufsicht von Zivilbeamten und wäre voraussichtlich in wenigen Jahren entlassen worden. Eine erneute Verurteilung wegen Mordes macht diese Chance zunichte.
Das Gericht folgte zur Überraschung verschiedener ProzessbeobachterInnen der Argumentation der Staatsanwaltschaft und verurteilte John Ausonius am 21. Februar 2018 zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Grund für Letzteres war das Gutachten eines psychologischen Sachverständigen, der Ausonius psychopathologische Persönlichkeitsmerkmale und ein hohes Rückfallrisiko attestierte. Der Sachverständige wurde im Plädoyer der Verteidigung und daran anschließend von Ausonius persönlich für seine Arbeitsmethoden kritisiert. Die Verteidigung kündigte an, in Revision gehen zu wollen.

Antifa Magazin der rechte rand
Grabstein für die ermordete Blanka Zmigrod © Martina Renner

Offene Fragen
Die rassistische Motivation des Täters blieb im Prozess weitgehend unbeachtet. Trotz Ausonius’ Verurteilung in erster Instanz wurden nicht alle offenen Fragen geklärt. So bleibt offen, ob die Darstellung der Wahrheit entspricht, Ausonius habe Tilo U., der mit mehreren bekannten Neonazis in einem Fußballverein aktiv ist, 1992 in Dresden vor dem Arbeitsamt angesprochen und ihm daraufhin seinen Reisepass abgekauft. Ebenfalls nicht thematisiert wurde, warum er Anfang der 1990er Jahre eine Vorliebe für den Apartheidsstaat Südafrika entwickelte und mit wem er dort Kontakt hatte. Unklar ist darüber hinaus, ob Ausonius wusste, dass Blanka Zmigrod Jüdin ist. Am Rande des Prozesses gab die damals ermittelnde Staatsanwältin an, die eintätowierte Häftlingsnummer auf dem Unterarm aus dem KZ Auschwitz habe sie noch vor der Obduktion des Opfers identifiziert. Als Ausonius bei einer Vernehmung in Schweden mitgeteilt wurde, dass Blanka Zmigrod Jüdin war, reagierte er offenbar überrascht, aber zufrieden.