Verlorener Kompass

von Charles Paresse
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 201 - März | April 2023

#Querfront

Alle Versuche, zur Stärkung linker Politik eine »Querfront« mit der radikalen Rechten zu bilden, scheiterten. Und falsch ist der Versuch sowieso – in seiner Wirkung ebenso wie in der Begründung.

Antifa Magazin der rechte rand
Sahra Wagenknecht lud AfD-Mitglieder nicht von der Kundgebung aus, ihr Mann Oskar Lafontaine lud sie explizit ein. © Roland Geisheimer / attenzione

Querfront, der Begriff ist in diesen Wochen wieder in aller Munde. Er dient unter anderem zur Beschreibung der Demonstration »Aufstand für den Frieden« am 25. Februar 2023 in Berlin sowie zur Charakterisierung von Aufrufen, Kundgebungen oder medialen Kooperationen im Zusammenhang mit den kontroversen Debatten um den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Menschen, die sich als links verstehen oder in linken Organisationen und Parteien aktiv sind, finden sich mit ihren Argumenten, ihren Deutungen des Weltgeschehens oder ganz real auf Veranstaltungen neben explizit Rechten wieder. So vertreibt zum Beispiel die radikal rechte Zeitschrift »Compact« Plakate mit der Aufschrift »Wagenknecht, die beste Kanzlerin«, Oskar Lafontaine schwadroniert von gemeinsamen Protesten für den Frieden. Das von hunderttausenden Menschen unterzeichnete »Manifest für den Frieden« wurde auch von Politiker*innen der »Alternative für Deutschland« (AfD) unterstützt. Das häufigste Argument für die angestrebte Zusammenarbeit: Die Bedrohungen und Problemlagen – aktuell der Frieden und ein möglicher Atomkrieg – seien so groß, dass man keine Unterscheidungen mehr zwischen Rechts und Links machen dürfe. Der politische Feind – wahlweise die NATO oder »die Amis«, die Bundesregierung oder die Grünen – müsse gemeinsam bekämpft werden. Dabei ist die Verwirrung groß: Deutsche Neonazis beklagen sich über Neonazis in der Ukraine, braune Friedensfreund*innen bejubeln die früher als Feministin bekämpfte Alice Schwarzer, Antikapitalist*innen verteidigen russische Oligarchen und der rechte Waffenlobbyist Erich Vad wird zum Kronzeugen der Bewegung.

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Immer wieder bildeten sich in der Geschichte der Bundesrepublik gerade im Themenfeld des Friedens Querverbindungen zur radikalen Rechten. Die Idee eines neutralen Deutschlands zwischen Ost und West fand in der Friedensbewegung der 1950er und 1960er Jahre ihre Anhänger*innen sowohl rechts als auch links, die atomare Vernichtung der deutschen Heimat fürchteten auch Rechtsradikale und die Mobilisierung gegen die Bomben der »Amis« sorgte auch in den 1980er Jahren immer wieder für einzelne Überschneidungen der politischen Spektren. Beispielhaft sei dazu an den früheren Bundeswehroffizier Alfred Mechtersheimer erinnert, der von 1987 bis 1990 für die Grünen im Bundestag saß und dort neutralistische Positionen vertrat. Später fand man ihn mit den gleichen Argumenten in den Blättern und Vortragssälen der extremen Rechten wieder. Schnell wird klar: Ein verbindendes Element von Versuchen, konträre politische Spektren zusammenzubinden, ist ein gemeinsames Feindbild. In diesem Fall eben die USA und der liberale Westen, schon immer ein Hassobjekt weiter Teile der radikalen Rechten und als plakatives Abziehbild für eine scheinbare Kapitalismuskritik eben auch abrufbar für Teile einer Linken.

Zuletzt wurde die Nähe 2014 bei den »Friedensmahnwachen« deutlich, bei denen auch extrem rechte und antisemitische Redner*innen auftraten und Verschwörungsglaube die Analysen ersetzte. Fake-News waren hier ein Rückgrat der Mobilisierung. Rund um Personen wie Ken Jebsen oder Lars Mährholz gab es Kundgebungen und gemeinsame YouTube-Videos. Linke und rechte Demonstrant*innen standen nebeneinander. Bereits damals diskutierten Linke und die Friedensbewegung über dieses Phänomen, zerstritten und differenzierten sich. Während zum Beispiel die Tageszeitung junge Welt damals scharf die rechte Vereinnahmung kritisierte und sich darüber auch von langjährigen Bündnispartner*innen distanzierte, fehlt heute in dem Blatt die kritische Sicht auf die Parallelen manch linker und rechter Friedensfreund*innen. Die Verteidigung des autoritären Systems Russlands und der Hass auf den liberalen Westen – beides auch klassische Motive im rechten Denken – scheinen für Teile der Linken einende Klammer mit Teilen der radikalen Rechten geworden zu sein. Der naiv-ahistorische Glaube, das heutige Russland sei noch immer in irgendeiner Form mit der Sowjetunion vergleichbar, verwirrt den Blick zudem. Allerdings – und auch das muss in die Gesamtbetrachtung einbezogen werden – verstellen der tiefsitzende Antikommunismus der Bundesrepublik und tradierte antirussische Einstellungen auch Anderen den Blick auf den Konflikt und befeuern jene Positionen, denen es nicht nur um die legitime Selbstverteidigung der Ukraine geht.

Links und Rechts
Grundlage für die Klärung, was denn eine Querfront ist, muss die Antwort auf die Frage sein: Was ist links und was ist rechts? Der italie­nische Philosoph Norberto Bobbio beschrieb in seinem 1994 veröffentlichten Buch »Rechts und Links: Gründe und Bedeutungen einer politischen Unterscheidung« die beiden politischen Richtungen als grundverschieden. Die Scheidung verlaufe entlang des Verhältnisses zur Idee der politischen Gleichheit. Während der rechte Grundgedanke auf Ungleichheit basiert, definiert sich die Linke über einen egalitären Anspruch. Dass die politische Praxis dem nicht immer und in jeder Frage entspricht und die jeweiligen Deutungen von Ungleichheit einerseits und Gleichheit andererseits auch in den jeweiligen politischen Spektren nicht deckungsgleich sind, ist selbstverständlich. Aber Bobbios Grundgedanke und das für die Unterscheidung notwendige Merkmal ist die Verortung zwischen diesen, sich konträr gegenüberstehenden Menschenbildern. Legt man diese Definition an Demonstrationen, Bündnisse oder gemeinsame Aufrufe an, dann relativiert sich die ein oder andere Einordnung als Querfront schnell wieder. Denn links ist daran meist kaum etwas. Querfrontversuche bilden sich meist entlang von gesellschaftlichen Konflikten, die rechts gedeutet und bearbeitet werden.

Weimarer Republik
Historisch gab es im Deutschland der Weimarer Republik immer wieder Versuche, anti-demokratische und antiemanzipatorische Politik durch eine Verbindung von Nationalismus und Sozialismus zu begründen und so wirkmächtig zu werden. Hier waren es vor allem Vertreter der »Konservativen Revolution«, die auf diese Taktik setzten. Das immer wieder als angeblicher Beleg für die »Totalitarismustheorie« angeführte Beispiel einer Querfront-Strategie ist der Streik bei den Berliner Verkehrsbetrieben im Herbst 1932. Damals waren zwischen der Arbeitgeberseite und der im Betrieb dominierenden sozialdemokratischen Gewerkschaft Lohnkürzungen ausgehandelt worden, gegen die sich Proteste der KPD und der mit ihr verbundenen, im Betrieb vergleichsweise starken Revolutio­nären Gewerkschafts-Opposition (RGO) richteten. Auch die dort ähnlich starke »Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation« mobilisierte gegen die Lohnkürzung. Die Masse der an den folgenden Streiks beteiligten Arbeiter*innen waren jedoch Mitglieder der sozialdemokratisch orientierten Mehrheitsgewerkschaft und die öffentlich dominierende Kraft war die RGO. Dennoch wird bis heute das Beispiel als explizite Zusammenarbeit von KPD und NSDAP – also eine Querfront – in Geschichtsbüchern und historischen Dokumentationen angeführt. In einem Interview mit der Zeitung Neues Deutschland wies der Historiker Ralf Hoffrogge im November 2022 diese Deutung zurück und stellte klar, dass der Streik auch ohne die NS-Organisation stattgefunden hätte. Aber es habe eine falsche und nutzlose Duldung von Nazis im Streikkomitee, jedoch kein organisatorisches Bündnis gegeben. Auch die zeitweise angewendete Taktik der KPD, die »Nazi-Proleten zu ihren eigentlichen Interessen zurückzuführen« sei »grandios schiefgegangen«.

Die Beteiligung von Nazis sei bereits damals von sozialdemokratischer Seite überhöht dargestellt worden, um »die politischen Feinde zu diskreditieren«. Die Mehrheit der streikenden Arbeiter*innen seien parteilos oder Mitglieder der sozialdemokratischen Gewerkschaft gewesen, die im Widerstreit zum Kurs ihrer Organisation standen. Hoffrogge macht rückblickend zweierlei klar: Erstens geht die Interpretation des Streiks als reale Querfront fehl und wurde vor allem zur Diskreditierung der KPD gebraucht. Doch zweitens sei die Tolerierung von Nazis im Streik grundsätzlich falsch, wie auch nutzlos gewesen. Diesen »Fehler sollten Linke nie wieder machen«, schloss der Historiker das Interview.

Ähnliche Auseinandersetzungen auf dem Feld der sozialpolitischen Fragen wurden bei den »Montagsdemonstrationen« ab 2004 gegen das Verarmungsprogramm (»Hartz IV«) von SPD und Grünen wie auch bei den Protesten gegen die Folgen der Inflation im Herbst 2022 geführt. Kooperation oder klare Kante gegen Rechts, das sind die Konfliktlinien. Die Erfahrungen aus den Protesten gegen »Hartz IV« zeigten dabei eines deutlich, was leider zu schnell in Vergessenheit geraten ist: Die Duldung von Rechten auf den Veranstaltungen nutzte nur deren Normalisierung in der Gesellschaft und spaltete die Bündnisse. Eine inhaltliche und organisatorische Abgrenzung dagegen sorgten für Stabilität und eine progressive Orientierung der Aktionen.

Links oder rechts?
Gerade mit Blick auf die aktuellen Debatten in der Linkspartei über politische Bündnisse in der Friedensfrage war der kritische Twitter-Kommentar vom Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) zum Aufruf von Oskar Lafontaine zur Demonstration am 25. Februar 2023 in Berlin wichtig und wies auf einen zentralen Aspekt der Debatte hin. »Wenn der Kompass endgültig kaputt ist, und Querfront zur Normalität werden soll«, so lautete seine lakonische Kritik an Lafontaines Aufruf. Wichtig war diese Zurückweisung vor allem wegen der Fokussierung im Sinne des Kerngedankens Bobbios: Liegt den geäußerten Positionen – auch trotz möglicher Differenzen im Detail des jeweiligen Debattengegenstandes – ein politischer Kompass zugrunde, der sich entlang der Frage »Links oder rechts?« orientiert?