Die Rechtsparteien und der Krieg in der Ukraine

von Ulrich Schneider
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 196 - Mai | Juni 2022

#Europa

Bedeutende extrem rechte Parteien in Europa pflegen seit Jahren enge Kontakte zu Russland. Seit Beginn des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine haben jedoch einige Parteien ihre Haltung in beeindruckender Geschwindigkeit angepasst.

Italien

Die beiden im Parlament vertretenen Rechtsparteien »Lega« und »Fratelli d’Italia« hatten keine Probleme, der Forderung nach Waffenlieferungen für die Ukraine zuzustimmen. Als sich bei den Abstimmungen im Repräsentantenhaus und im Senat Anfang März eine überwältigende Mehrheit für die Lieferungen aussprach, befanden sich auf der Seite der Befürworter*innen sämtliche Abgeordnete der beiden Rechtsparteien. Eine Woche später stimmten die Abgeordneten von »Lega«, »Forza Italia« und »Fratelli d’Italia« zudem geschlossen für ein Dekret, mit dem weitere wirtschaftliche Hilfen und politische Unterstützung für die Ukraine verbunden waren.

Medien konfrontierten den »Lega«-Vorsitzenden Matteo Salvini zwar immer wieder mit seiner Nähe zu Putin. Doch innerhalb der Partei führte das weder zu Konflikten noch scheint Salvinis Machtposition dadurch gefährdet. Er konnte sich sogar – ohne als »Putin-Freund« kritisiert zu werden – öffentlich gegen die von der EU beschlossenen Wirtschaftssanktionen und insbesondere den Verzicht auf russisches Erdgas aussprechen, indem er betonte, dass ein solcher Schritt vor allem die italienische Wirtschaft treffen würde.

Für die »Fratelli d’Italia« war die klare Positionierung gegen Russland weniger schwierig. Bereits seit einigen Jahren bestehen Kontakte zu ukrainischen Nationalist*innen. »Fratelli d’Italia« und dessen Jugendorganisation »Gioventù Nazionale« riefen unter dem Slogan »Per il popolo Ucraino« zu »Solidaritätsaktionen« mit der ukrainischen Bevölkerung auf. Man richtete regionale Abgabestellen ein und organisierte den Transport der Güter in die Westukraine, wo sie mit Hilfe ukrainischer Nationalist*innen verteilt werden sollten. »Fratelli d’Italia« versuchte zudem, die Debatte um den Ukraine-Krieg für innenpolitische Zwecke zu instrumentalisieren. Die Parteivorsitzende Giorgia Meloni warf der italienischen Regierung mangelnde Unterstützung gegenüber der Ukraine vor.

Frankreich

Einen größeren Kurswechsel musste die Vorsitzende des französischen »Rassemblement National« (RN), Marine Le Pen, vornehmen. Ihre größte Sorge war, dass vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Putin-Nähe das russische Vorgehen ihre Chancen im Präsidentschaftswahlkampf mindern könne. Bis zum Einmarsch Russlands in die Ukraine war es ihre Wahlkampfstrategie, sich als Gegenpart zu Emmanuel Macron und als »Staatsfrau« darzustellen, die im engen Kontakt steht mit Regierenden Europas wie Viktor Orbán, Mateusz Morawiecki und selbstverständlich Wladimir Putin. Vor der Wahl sah sie sich gezwungen, Russlands Vorgehen ohne jede Zweideutigkeit zu verurteilen. Eine Werbebroschüre, in der sie mit Wladimir Putin abgebildet war, zog sie wegen angeblicher Druckfehler zurück. Trotz dieser Wahlkampfstrategien reihte sie sich nicht uneingeschränkt in die Haltung gegenüber der Ukraine ein. Zunächst lehnte sie einen Video-Auftritt von Wolodymyr Selenskyj im französischen Parlament am 23. März 2022 ab. Als französische Medien und Macron diese Reaktion massiv kritisierten, lenkte sie ein und erklärte, selbstverständlich teilzunehmen. Gleichzeitig unterstrich sie ihre distanzierte Haltung gegenüber der französischen Ukraine-Politik, indem auch sie vor den Auswirkungen der EU-Sanktionen gegen Russland auf die französische Wirtschaft warnte. Drastisch formulierte sie, Frankreich begehe wegen steigender Gas- und Rohstoffpreise einen »politischen Selbstmord«.

Das starke Abschneiden des RN im ersten Wahlgang, Mitte April, hatte vor allem innenpolitische Gründe. Doch die abwartende Haltung zum Russland-Ukraine-Krieg hat sich offenbar nicht als Pro­blem erwiesen.

Polen

Keine Probleme, sich im Krieg Russland-Ukraine zu positionieren, hatte die regierende extrem rechte PiS-Partei. Da Russland schon seit vielen Jahren das außenpolitische Feindbild darstellt, gab es innerhalb der extremen Rechten keinerlei Konflikte, sich auf eine zunehmende Militarisierung zu verständigen. Die Frage der Kriegsflüchtlinge wird vollkommen anders beantwortet als zu den Flüchtlingsbewegungen 2015. Damals hatte sich die polnische Regierung vehement dagegen gewehrt, überhaupt Geflüchtete aufzunehmen und dafür von den europäischen Rechtsparteien volle Rückendeckung erhalten. Bis heute sind die Grenzen zu Belarus für nicht-ukrainische Geflüchtete weiterhin gesperrt. Nur Ukrainer*innen, die auch in den vergangenen Jahren schon als Billiglöhner*innen in Polen gearbeitet haben, werden als Kriegsflüchtlinge ins Land gelassen. Sie erhalten unbürokratisch Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Schule und Studium, Kindergeld und Sozialhilfe. Dafür erwartet die polnische Regierung jedoch Zugeständnisse der EU. Die Positionierung in der Kriegsfrage ändert nichts an der innenpolitischen Ausrichtung der PiS-Partei, nichts an der antidemokratischen Umgestaltung der Gesellschaft. Man erwartet jedoch, dass das während des Krieges »unter dem Radar« der politischen Wahrnehmung bleibt. Sollte die EU weiterhin ihre Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit erheben, sei das eine »Kriegserklärung« gegenüber Polen, hieß es von Seiten der PiS.

Ungarn

Anders als die polnische PiS-Partei hat sich Ungarns Staatschef Viktor Orbán und mit ihm die »Fidesz«-Partei nicht aktivistisch auf die ukrainische Seite geschlagen. Der Grund dafür liegt jedoch nicht primär in den Sympathien für Russland und Putin, zu dem Orbán gleichwohl ein erkennbar gutes Verhältnis hat, sondern eher in der ungarischen Perspektive auf die Ukraine und die eigene nationalistische Bedarfslage. Die von der »Fidesz« durchgesetzten Änderungen im ungarischen Staatsbürger- und Wahlgesetz, mit denen beispielsweise Auslandsungar*innen, die sich »Ungarn verbunden fühlen«, Wahlrecht zum ungarischen Parlament haben, beziehen sich auch auf die ungarische Minderheit in der Ukraine. Mehrfach protestierte die ungarische Regierung gegenüber der Ukraine, weil sie dort die Minderheitenrechte durch das geänderte ukrainische Sprachengesetz verletzt sah. Zudem müssten, folgt man den großungarischen Träumen der extremen Rechten Ungarns, verschiedene ukrainische Territorien »heim ins Reich« geholt werden.

Dass Russland diese geopolitische Situation politisch und wirtschaftlich nutzte, indem beispielsweise vorteilhafte Energielieferverträge mit Ungarn abgeschlossen wurden, kann nicht überraschen. Folgerichtig lehnen »Fidesz« und die ungarische Regierung die EU-Sanktionspolitik gegenüber Russland ab. Ungarn stimmte der Verurteilung Russlands durch die EU zu. Gleichzeitig bezeichnete Orbán sein Land als »neutral« und weigerte sich, Kriegsmaterial der NATO für die Ukraine über ungarisches Territorium ausliefern zu lassen.

Bei den ungarischen Parlamentswahlen, Anfang April 2022, versuchte die Opposition mit der russland-kritischen Karte zu punkten. Der Erfolg blieb jedoch aus. »Fidesz« erreichte die absolute Mehrheit im Parlament. Wie Wahlumfragen zeigten, begrüßten viele Wähler*innen Orbáns Haltung im Russland-Ukraine-Krieg, weil sie befürchteten, bei einer anderen Politik, direkt in den Krieg einbezogen zu werden.

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Österreich

Ähnlich wie »Fidesz« positioniert sich die »Freiheitliche Partei Österreichs« (FPÖ) als »neutrale« Partei in diesem Krieg. Während die Medien versuchten, in Interviews mit »Regionalfürsten« der FPÖ, Gegensätze innerhalb der Partei auszumachen, hat die aktuelle Bundesleitung unter Herbert Kickl die Organisation im Griff. Mit dem Rücktritt von Heinz-Christian Strache wurde die 2016 vereinbarte Kooperation mit der Partei »Einiges Russland« 2021 beendet. Gleichzeitig kritisierte die FPÖ den ÖVP-Bundeskanzler Nehammer für dessen Kiew-Besuch Anfang April 2022, bei dem er sich wie ein »Klitschko-Fanboy« aufgeführt habe. Mit dem Besuch in Kiew habe man sich von der aktiven österreichischen Neutralitätspolitik verabschiedet. Die eigentliche Aufgabe solle die Vermittlung für eine rasche Beendigung dieses furchtbaren Krieges sein. Als Nehammer später auch Russland besuchte, wurde das durch die FPÖ nur noch »zur Kenntnis« genommen. Die FPÖ bezeichnet sich als Sachwalter der Interessen des österreichischen Mittelstandes und fordert vom Bundeskanzler, er solle sich um heimische Probleme kümmern. Denn die Österreicher*innen litten unter einer massiven Preisexplosion bei Strom, Gas, Lebensmitteln und Treibstoffen. Die Teuerung treffe den Mittelstand hart und die Sanktionen gegen Russland zerstörten in Österreich tausende Arbeitsplätze und den Wohlstand von Millionen Menschen.

Auch das Thema »Flüchtlinge« greift die FPÖ propagandistisch auf. Der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp beschwerte sich über »fette Karren mit ukrainischen Kennzeichen«. In den Fahrzeugen säßen »nicht die Armen, die Frauen, Kinder und Kranken, sondern Männer, die in Fünf-Sterne-Hotels einchecken und dann guten Wein trinken«. Die sozialpolitische Sprecherin der FPÖ, Dagmar Belakowitsch, malte das Schreckgespenst von »Wirtschaftsflüchtlingen« an die Wand, die nie in der Ukraine gelebt hätten, nun jedoch als vermeintliche Kriegsflüchtlinge nach Österreich kommen würden.

Resümee

Die wichtigsten europäischen Rechtsparteien hatten keine Probleme, sich der veränderten weltpolitischen Lage anzupassen. Auch die Parteien, die zuvor über ausgeprägte Russland-Kontakte verfügten, haben sich ohne Zögern der Verurteilung des russischen Vorgehens angeschlossen. Mediale Vorwürfe, sie seien die »treuesten Putin-Fans«, verfehlten insofern ihr Ziel. Die Rechtsparteien bringen sich bereits in Position, als vorgebliche »Interessenvertreter der kleinen Leute«, die in absehbarer Zukunft die Leidtragenden der EU-Sanktionspolitik sein werden. Verbunden mit dem impliziten Rassismus in der Flüchtlingsfrage dürften diese Parteien die politischen Auswirkungen des Krieges nicht nur unbeschadet überstehen, sondern auch noch zusätzliche ideologische Anknüpfungspunkte für ihre extrem rechte Propaganda finden.