»Nicht rechts, nicht links, sondern spirituell?«

von Katharina Nocun
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 201 - März | April 2023

#Esoterik

»Da kommen Rechts und Links zusammen«, so oder so ähnlich lautete 2020 so manche Einordnung verschwörungsideologischer Aufmärsche. Besonders die Präsenz von Esoteriker*innen sorgte für Irritationen. Dabei gab es schon vor Corona zahlreiche Verflechtungen zwischen Esoterik, Verschwörungsideologien und die extreme Rechte.

Antifa Magazin der rechte rand
Meditieren gegen die Corona-Auflagen im Mai 2020 in Köln @ Roland Geisheimer

Laut einer repräsentativen Umfrage des ThinkTanks CeMAS stimmten im Frühjahr 2022 37,6 Prozent der Menschen mit einer hohen Protestbereitschaft in Bezug auf die verschwörungsideologischen Aufmärsche folgender Aussage zu: »Die aktuellen Corona-Maßnahmen und die Politik sind mit der Zeit des Nationalsozialismus vergleichbar.« Neben einer unsäglichen Relativierung des NS-­Terrorregimes und des Holocausts schwingt in solchen Aussagen natürlich auch die Message mit: »Die wahren Nazis, das sind eben die anderen!« Nun ist die Präsenz von extrem rechten Symbolen und einschlägigen Akteur*innen auf vielen Veranstaltungen des verschwörungsideologischen Milieus unübersehbar. Trotzdem schienen einige Beobachter*innen von der augenscheinlichen Heterogenität im Auftreten insbesondere zu Beginn der Pandemie irritiert. Esoterische Milieus, in denen von Beginn an massiv gegen Impfungen mobilisiert wurde, wurden dabei oft irrtümlich als »unpolitisch« oder gar »eher links« eingeordnet.

»Esoterik = Links?«
Eine solche Bewertung ist auch deshalb fatal, weil weite Teile der Esoterik-Szene nicht nur ein großes Problem damit haben, sich nach rechts abzugrenzen – rassistische und antisemitische Narrative gehören sogar geradezu zur eigenen DNA einiger Gruppierungen. Da gibt es etwa Esoteriker*innen, die den Holocaust als eine Art karmische Notwendigkeit deuten. Oder sektenartige Gruppierungen wie »Anastasia«, die mit vermeintlich harmlosen Geschichten voll Esoterik und »Zurück-zur-Natur«-Nostalgie für sich werben, deren Ideologie aber Antisemitismus und völkisches Denken verbreitet. Insbesondere beim Thema Gesundheit gehören Verschwörungserzählungen quasi zum Standardrepertoire. Wer kostspielige, aber wirkungslose Wundermittel verkaufen will, beruft sich oft auf vermeintliche Verschwörungen »der Pharmalobby« zur Unterdrückung esoterischen Geheimwissens. In so manchem verschwörungsideologischen Telegram-Kanal, der zu Protesten von »Querdenken« & Co. mobilisierte, wurde zur esoterischen »Ausleitung« von Impfungen mittels Bachblüten oder Globuli geraten. Und so war es auch keine wirkliche Überraschung, dass sich auf den Kandidierendenlisten der verschwörungsideologischen Partei »dieBasis« zahlreiche Esoterik praktizierende Heilpraktiker*innen finden.

Zwischen Esoterik und »Reichsbürger«-Ideologie
Eine Vermischung der Milieus zeigt sich auch in Form von personellen Verflechtungen zwischen Esoterik, der extremen Rechten und verschwörungsideologischer Szene. Der ehemalige Pressesprecher von »Querdenken-711« hatte beispielsweise vor der Pandemie einen »Reichsbürger«-Verein mitgegründet. Kürzlich sorgte eine von ihm mitorganisierte Online-Veranstaltung zum Thema »Fünf biologische Naturgesetze« für Schlagzeilen. Der Titel der Veranstaltung bezieht sich auf die Pseudoheilslehre von Ryke Geerd Hamer. Der Esoteriker Hamer war überzeugt, hinter modernen Krebstherapien stecke eine bösartige jüdische Verschwörung. Michael Ballweg, Gründer von »Querdenken-711«, traf sich nachweislich mit dem bekannten »Reichsbürger« Peter Fitzek, um über mögliche Synergien zu sprechen. Fitzek, gelernter Koch und Karatelehrer, träumt nicht nur davon, ein souveränistisches Reich mit sich selbst als Herrscher an der Spitze zu errichten. Der Verschwörungsideologe betrieb vor seinem Engagement zur Gründung eines »Königreichs Deutschland« das »Lichtzentrum Wittenberg« und hat auch heute noch einen Bezug zur Esoterik. Über eine eigene Gesundheitskasse wollte er seiner Anhänger*innenschaft Behandlungen nach Hamers »Germanischer Neuer Medizin« angedeihen lassen. Fitzek ist zudem überzeugt, »die Rothschilds« würden insgeheim in der Finanzwelt die Strippen ziehen. Antisemitische Codes wie diese sind sowohl in der extremen Rechten als auch im verschwörungsideologischen Milieu häufig anzutreffen. Esoterisch geprägte Verschwörungserzählungen über Medizin und Wissenschaft werden zudem immer wieder antisemitisch aufgeladen. Da wird etwa von »verjudeter Schulmedizin« gesprochen – ein Begriff, der auch zur NS-Zeit Verwendung fand.

Von »Wurzelrassen« und »Ariosophie«
Die Verbindung zwischen extrem rechten Ideologien, Antisemitismus und Esoterik hat eine lange Tradition. Helena Blavatsky, eine der Begründerinnen der westlichen Esoterik, verbreitete in ihrem 1888 erschienenen Buch »Die Geheimlehre« das Konzept menschlicher »Wurzelrassen«. Blavatsky ging davon aus, die »germanisch-angelsa?chsische Wurzelrasse« beziehungsweise die »arische Wurzelrasse« stelle die spirituell höchste Stufe dar, die der Mensch derzeit erreichen kann. Verschiedene Aspekte ihrer »Theosophie« finden sich später auch in den Werken von Rudolf Steiner wieder. Neben der Anthroposophie griff aber auch die »Ariosophie« Ideen von Blavatsky auf. Innerhalb der »Ariosophie« wurde den German*innen eine besondere spirituelle Rolle zugeschrieben. Das Gesellschaftsmodell war rassistisch organisiert, »minderrassige« Menschen sollten sich den als spirituell überlegen angesehenen »Ariern« unterordnen. Esoterische Zirkel, die im Umfeld der »Ariosophie« entstanden, vertraten zutiefst antidemokratische Haltungen und der antisemitische Mythos der jüdischen Weltverschwörung war dort weit verbreitet. Es gab zahlreiche personelle Überschneidungen zwischen Vorläuferorganisationen der NSDAP und der ariosophisch geprägten »Thule-Gesellschaft« aus Bayern. Unter den rund 1.500 Mitgliedern fanden sich unter anderem der spätere Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß, der Herausgeber des Propagandablatts »Der Stürmer«, Julius Streicher, und der Chefideologe der NSDAP, Alfred Rosenberg. Zwar betonte Hitler 1938, ein »Einschleichen mythisch veranlagter okkulter Jenseitsforscher« dürfe »in der Partei nicht geduldet werden«, doch wurde innerhalb der NSDAP gleichzeitig immer wieder Bezug genommen auf esoterische und okkulte Versatzstücke. Unter dem Dach des SS-Ahnenerbes wurden sogar esoterisch geprägte Forschungsreisen organisiert.


»Esoterik und Verschwörungstheorien verbindet mehr als sie trennt«, urteilt Jan Rathje, Senior Researcher bei CeMAS. »Beide gehen letztlich davon aus, dass die Welt eingeteilt wird in die Mächte des Bösen und die Mächte des Guten. Man kann das metaphysisch mit Engeln und Dämonen versehen – oder wie im Nationalsozialismus mit den Deutschen und den Juden.« Der Anhänger*innenschaft wird das Gefühl gegeben, zu den wenigen Auserwählten zu gehören, die den unsichtbaren Code der Welt entschlüsselt haben. Außenstehende und Kritiker*innen werden hingegen als »Schlafschafe« oder eben »spirituell nicht weit genug« abgewertet.

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»Conspirituality«
»QAnon«-Ideologie wird heutzutage eben auch auf pastellfarbenen Instagram-Posts von Esoterik-Influencer*innen verbreitet. Donald Trumps Rolle in der Weltgeschichte wird dabei oft zusätzlich esoterisch aufgeladen: Trump als Bezwinger satanischer Dämonen. Trump als Abgesandter höherer Kräfte. Trump mit Engelsflügeln und brennendem Schwert. Eine solche Sicht auf die Welt lässt sich auch als »Conspirituality« beschreiben. Der Begriff ist eine Wortneuschöpfung und beschreibt die Überlappung zwischen Verschwörungserza?hlungen (conspiracy theories) und Spiritualität (spirituality). In einschlägigen Posts heißt es oft, Menschen müssten »endlich erwachen«, eine »Transformation« durchlaufen und ihre spirituellen Kräfte wecken, damit die Menschheit eine »höhere Bewusstseinsstufe« erreiche, um eine vermeintliche Verschwörung aufzuhalten. Eine derartige verschwörungsideologische Anreicherung esoterischer Konzepte beschränkt sich weder ideologisch auf »QAnon«, noch räumlich auf die USA. Eine deutsche bevölkerungsrepräsentative Studie aus dem Jahr 2021 konnte bei 5,1 Prozent der Befragten eine starke Neigung zu conspirituality messen.

Es braucht eine Neubewertung der Esoterik
Die Rolle der Esoterik als Einstieg in die verschwörungsideologische Szene wird gemeinhin unterschätzt. Das oft vorgeschobene Verständnis, selbst »nicht rechts, nichts links, sondern spirituell« zu sein, äußert sich in der Praxis oft genug darin, dass auf Konferenzen extrem rechten Ideologien Raum gegeben wird und auf Demonstrationen »Reichsbürger*innen« nicht als störend wahrgenommen werden. Extrem rechte und antisemitische Ideologien können dank der harmlos wirkenden esoterischen Verpackung neue Zielgruppen für sich erschließen. Eine kritische Auseinandersetzung mit Esoterik, die über die bloße Warnung vor Wunderheiler*innen und Pseudo­medizin hinausgeht, ist daher lange überfällig. Denn so viel ist sicher: Die Querverbindungen zwischen den Milieus sind vielfältig und nicht erst seit der Pandemie unübersehbar. Und sie werden auch in Zukunft für extrem rechte Mobilisierungen genutzt werden.

Die Autorin hat gemeinsam mit Pia Lamberty 2022 das Buch »Gefährlicher Glaube – Die radikale Gedankenwelt der Esoterik« im Quadriga-Verlag (Köln) veröffentlicht.