»Menschen lernen aus Fehlern ihrer Jugend«

von Carl Kinsky
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 201 - März | April 2023

#Kommunalpolitik

In Frankfurt am Main sorgt die Ernennung des Kommunalpolitikers und Mitglieds der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Feyyaz Çetiner, zum Koordinator für die »AG Freund*innen des jüdischen Lebens« im Kreisverband der Grünen wegen seiner bisherigen Kontakte zu türkischen Faschist*innen für Kritik. Dabei ist er nicht der Einzige in der lokalen »Kommunalen Ausländervertretung« mit Verbindungen zur extremen Rechten. Der Fall steht exemplarisch für eine mangelnde bundesweite Auseinandersetzung mit diesem Thema.

Antifa Magazin der rechte rand
Aufgenommen bei einer Demonstration der Grauen Wölfe in Berlin 2006. Was er jetzt wohl macht? © Mark Mühlhaus / attenzione

In der Bundesrepublik wurden seit 1971 in Kommunen Gremien für die politische Interessenvertretung aller Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit eingeführt, die sonst keine politische Repräsentation durch Wahlen erfahren. Diese tragen unterschiedliche Namen, etwa »Ausländerbeirat« oder »Integrationsrat«. In Frankfurt am Main ist es seit 1991 die »Kommunale Ausländervertretung« (KAV). Diese gewählten Parlamente haben meist nur eine beratende Funktion in Angelegenheiten, die Bürger*innen ohne deutsche Staatsbürgerschaft betreffen. Sie bleiben daher politisch meist ohne konkrete Entscheidungsbefugnisse. Dennoch versuchen alle Parteien auch hier Einfluss zu gewinnen und stellen eigene Vertreter*innen. Insbesondere seitdem EU-Bürger*innen bei den Kommunalwahlen mitstimmen dürfen, sind diese Gremien wichtig bei der Mobilisierung von potenziellen Wähler*innen. Zwar sind in Frankfurt 200.000 Menschen wahlberechtigt für die KAV – jedoch beteiligt sich nur ein kleiner Bruchteil von ihnen an den Wahlen.

Kein unbeschriebenes Blatt
Als KfZ-Sachverständiger und Tankstellenbetreiber im Stadtteil Frankfurter Berg sowie als stellvertretender Vorsitzender der »Kommunalen Ausländervertretung« ist Feyyaz Çetiner in Frankfurt vielen bekannt. Seit 2021 engagiert er sich im Kreisverband der Grünen und gründete die »AG Freund*innen des jüdischen Lebens«. Dieser Vorgang wurde Anfang Januar vom kurdischen Gesellschaftszentrum NCK mit Verweis auf Çetiners Verbindungen zu türkischen Faschist*innen, auch als »Graue Wölfe« oder »Ülkücüler« (»Idealisten«) bekannt, kritisiert.

Türkischer Faschismus
Die 1969 gegründete »Milliyetçi Hareket Partisi« (»Partei der Nationalistischen Bewegung«, MHP) ist mit mehr als 475.000 Mitgliedern die größte faschistische Partei in der Türkei. Ihr Erkennungszeichen ist der »Wolfsgruß«, bei dem die Finger zu einem Wolfskopf geformt werden. Seit ihren paramilitärischen Ursprüngen ist sie für zahlreiche Morde, Pogrome und Terror gegen Minderheiten und demokratisch Gesinnte in der Türkei und in türkischsprachigen Gemeinden in Europa verantwortlich. Nach einem gescheiterten Putschversuch 1960, an dem sich der spätere MHP-Gründer Alparslan Türkes beteiligte, schuf er paramilitärische Verbände, die hunderte linke und kurdische Aktivist*innen ermordeten, um eine faschistische Diktatur zu errichten. 1978 führten sie Pogrome in Kahramanmaras und 1980 in Çorum gegen türkische und kurdische Alevit*innen an, bei denen Hunderte ausgeraubt, ermordet, gefoltert, vergewaltigt und vertrieben wurden. Exemplarisch für den Terror in Europa stehen die wiederholten Bomben- und Brandanschläge in Paris auf Denkmäler für den armenischen Genozid oder die Attentate auf Papst Johannes Paul II. in Rom und die Berliner Anwältin Seyran Ates. Sie überlebte schwer verletzt, ihre Klientin Fatma E. wurde ermordet. Seit 2018 stellt die MHP mit der islamistisch-nationalistischen Partei »Adalet ve Kalkinma Partisi« (»Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung«, AKP) des Parteivorsitzenden und Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan die türkische Regierung.

Wahlaktivitäten
Bei der Wahl zur »Kommunalen Ausländervertretung« 2010 führte Çetiner die Wahlliste »Multikulturelles hilfsbereites Publikum« an, für die ausschließlich »Graue Wölfe« kandidierten. Der Name der Wahlliste ist eine Anspielung auf die Abkürzung der türkischen faschistischen Partei. Sie erhielt in Frankfurt 2,9 Prozent der Stimmen. Çetiner kandidierte ein Jahr später bei der Kommunalwahl für die Kleinstpartei »Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit« (BIG) – die von AKP-Lobbyist*innen in Deutschland mitgegründet wurde – ebenso wie der KAV-Abgeordnete Bilal Can. Sie erhielten 0,4 Prozent der Stimmen. Bei der Kommunalwahl 2021 erhielt der BIG-Parteivorsitzende Haluk Yildiz mit 0,6 Prozent der Stimmen einen Sitz im Frankfurter Stadtparlament, eine Fraktion wurde mit der extrem rechten Wählervereinigung »Bürger für Frankfurt« gebildet. Yildiz versucht durch Hintertürgespräche und Einmischungen bei Sitzungen auch Einfluss innerhalb der »Kommunalen Ausländervertretung« zu gewinnen.

Frankfurt als Zentrum der »Grauen Wölfe«
In Frankfurt hat der deutsche Ableger des europäischen Dachverbands der MHP, die »Almanya Türk Federasyon« (ATF), seinen Hauptsitz. In einem Bürogebäude im Stadtteil Enkheim wird die Verbandsarbeit organisiert, Propagandaveranstaltungen werden durchgeführt sowie über die eigene ATF GmbH Propagandamaterial verkauft und nationalistische Reisen in die Türkei vermarktet. Ein Highlight ist beispielsweise der Ausflug zur »Grabstätte des Führers Alparslan Türkes« in Ankara. Für 2011 war der Umzug des Zentrums nach Griesheim geplant, gewährleistet durch den Trägerverein »Türkisches Kulturzentrum e.V.« unter dem Vorsitz von Kazim Erdogan. Der Umzug fand nicht statt, dafür gründete er mit seiner älteren Schwester Hatice den Hochzeitssaal »Saray Turkuaz«, wo nationalistische Trauungsfeiern und Konzerte stattfinden. Seine älteste Schwester, Aygül Colak Erdogan, kandidierte ebenso wie sein Geschäftspartner Ramazan Gömbel für die von Çetiner angeführte MHP-Wahlliste bei der KAV 2010. Außer Çetiner zeigen sich alle auf Facebook mit »Wolfsgrüßen« oder bei Besuchen mit dem heutigen MHP-Anführer Devlet Bahçeli. Mahmut Gayretli, KAV-Abgeordneter und Präsidiumsmitglied, gehörte auch zum Vorstand des Trägervereins und vertritt die Interessen der »Türk Federasyon«. Er kandidierte 2010 ebenso auf der von Çetiner angeführten deutschen Wahlliste MHP. Bis heute sind Gayretli und Çetiner auf Facebook befreundet. Gayretli postet auf Facebook regelmäßig MHP-Propaganda inklusive faschistischer »Wolfsgrüße«. Auch weitere KAV-Mitglieder wie Dijana Avdic von der SPD oder Adriana Maximino dos Santos sind mit Gayretli auf Facebook befreundet. An seinen Inhalten scheinen sie sich nicht zu stören. Auch die KAV-Mitglieder Bilal Can und Hüseyin Kurt distanzierten sich bisher nicht von der AKP und deren hetzerischen Wahlkämpfen in der Bundesrepublik. Kurt warb im Vorfeld der Kommunalwahl 2021 zudem für Haluk Yildiz und den FDP-Politiker Yanki Pürsün in türkischen Gemeinde- und Moscheeverbänden. Nach der Wahl echauffierte er sich jedoch über Yildiz’ versuchte Einflussnahme in der KAV.

ABO
Das Antifa Magazin

alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.

»Juden raus aus der KAV«
Die Kritik an Çetiners Rolle bei den Grünen muss auch im Kontext erhöhter antisemitischer und rassistischer Anfeindungen innerhalb der »Kommunalen Ausländervertretung« betrachtet werden.
Die kurdische KAV-Abgeordnete Sarya Ataç (Die Linke) machte 2022 Morddrohungen von »Grauen Wölfen« gegen ihre Person öffentlich. Die KAV weigerte sich zunächst in einer Verurteilung, die »Grauen Wölfe« zu erwähnen. In diesem Kontext sprach der aserbaidschanische KAV-Vorsitzende Jumas Medoff, der jüdisch-muslimische Wurzeln hat, gegen ihn gerichtete antisemitische Morddrohungen an. In einem Drohbrief stand unter anderem: »Juden raus aus der KAV.« Medoff gab an, KAV-Abgeordnete und deren Umfeld hätten ihm bereits bei seiner Wahl gesagt, er als Jude könne sie nicht vertreten. Konkrete Namen nannte Medoff in diesem Zusammenhang allerdings nicht.
Nachdem Ataç an die Öffentlichkeit getreten war, warf ihr der KAV-Abgeordnete Abdullah Kaya vor, sich zum Opfer zu stilisieren und bezeichnete die MHP als demokratische Partei. Kaya vertritt den »Yunus Emre Kultur Verein« des gleichnamigen Kulturzentrums im Stadtteil Griesheim. Der Verein gehört zur islamistischen »Islamischen Gemeinschaft Milli Görus« (IGMG), die mit über 120.000 Mitgliedern eine der größten sunnitischen Verbände in der Bundesrepublik ist. In Frankfurt organisiert sich die IGMG im »Yunus Emre Kültür Merkezi« (»Yunus Emre Kulturzentrum«).

Ein geschärfter Blick
Çetiner selbst verstrickt sich immer wieder in Widersprüche über seine Vergangenheit. So behauptete er im Interview mit der Frankfurter Rundschau im Februar bezüglich seiner deutschen MHP-Kandidatur, türkische Politik interessiere ihn nicht. Doch im vorigen Dezember gab er eine Pressemitteilung der Frankfurter Grünen heraus, in der er das Politikverbot für den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu verurteilt. Auch seine BIG-Kandidatur verschweigt er. Stattdessen sei er ein Opfer von Verleumdung. Gestärkt wird er dabei vom Kreisverband der Grünen: »Menschen lernen aus Fehlern ihrer Jugend«, heißt es in ihrer Stellungnahme. Allerdings war Çetiner bei der KAV-Wahl 2010 bereits 28 Jahre alt. Die Partei behauptet, er sei seit 2011 Antifaschist und ein »Aussteiger« aus der rechten Szene. Doch weder Çetiner noch die Grünen nennen den Anlass, warum er zum Koordinator der »AG Freund*innen des jüdischen Lebens« berufen wurde. Wer im Leben ernsthaft umdenkt, verschweigt und verdreht nicht die eigene Vergangenheit.
Die Vorgänge in Frankfurt zeigen, dass ein geschärfter Blick auf die verschiedenen rechten Einflussmöglichkeiten in der Kommunalpolitik dringend notwendig ist.