»Knockout 51« – »Nazi-Kiez« und Terrornetzwerke

von Markus Seifert
Antifa Magazin »der rechte rand« Ausgabe 203 - Juli | August 2023

#Prozess

In Eisenach konnte sich seit 2013 eine neonazistische Jugendgruppe entwickeln, die vor Ort einen »Nazi-Kiez« errichten wollte und in internationale Terrornetzwerke eingebunden war. Nun soll einem Teil der Gruppe der Prozess gemacht werden.

Antifa Magazin der rechte rand
Leon Ringl bei seiner Festnahme am 29. August 2020 bei einer Demo von »Querdenken« in Berlin. Nachdem die Polizei die Straße vor der Russischen Botschaft gesperrt hatte, versuchten er und andere von »Knockout 51« zusammen mit Coronaleugner*innen durchzubrechen. © Mark Mühlhaus / attenzione

In den frühen Morgenstunden des 6. April 2022 kam es bundesweit zu zahlreichen Durchsuchungsmaßnahmen. In insgesamt elf Bundesländern wurden Dutzende Objekte der extrem rechten Szene durchsucht und insgesamt vier Neonazis festgenommen: Leon Ringl, Maximilian Andreas, Bastian Adam und Eric Krempler. Sie alle waren mutmaßliche Mitglieder der Neonazi-Kampfsportgruppe »Knockout 51« aus Eisenach. Die Bundesanwaltschaft ging damit gegen ein ganzes Netzwerk aus Neonazi-Gruppen vor. Neben der Gruppe aus Eisenach betrafen die Maßnahmen auch die »Atomwaffen Division Deutschland«, »Sonderkommando 1418« und »Combat 18 Deutschland«. Insgesamt waren rund 800 Polizeibeamte im Einsatz, darunter auch die GSG 9 der Bundespolizei.

Während die Ermittlungen gegen »Knockout 51« zunächst als kriminelle Vereinigung geführt wurden, gab die Bundesanwaltschaft im Mai 2023 bekannt, sie wolle nun Anklage wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen und terroristischen Vereinigung erheben. Dabei zeichnen die Behörden eine Entwicklung der Gruppe nach, die eine ständige Radikalisierung zeigt. So heißt es in einer Pressemitteilung vom 15. Mai 2023: »Gemeinsam mit anderen Personen gründeten Leon R., Maximilian A. und Eric K. spätestens im März 2019 in Eisenach die Vereinigung ‹Knockout 51›. Hierbei handelte es sich um eine rechtsextremistische Kampfsportgruppe, die unter dem Deckmantel des gemeinsamen körperlichen Trainings junge, nationalistisch gesinnte Männer anlockte, diese bewusst mit rechtsextremem Gedankengut indoktrinierte und für körperliche Auseinandersetzungen mit Polizeibeamten, Angehörigen der politisch linken Szene und sonstigen als bekämpfenswert erachteten Personen ausbildete. ‹Knockout 51› war von Beginn an zumindest auf die Begehung von Körperverletzungsdelikten angelegt. Spätestens seit April 2021 erstreckte sich das Ziel der Vereinigung auf die Tötung von Personen der linksextremen Szene.«

Blickt man auf die Entwicklung der Gruppe, so ist diese Beschreibung insgesamt zutreffend, allerdings zeigt sie auch: Die Bundesbehörde hat die Gruppe zu spät in den Fokus genommen. Die beschriebene Radikalisierung fand bereits in den Vorgängerorganisationen statt. Der Bundesanwaltschaft entging offenbar ein erheblicher Teil der Radikalisierungsgeschichte der Gruppe und damit wohl auch zahlreiche Taten, die vor der Gründung von »Knockout 51« begangen wurden.

Die Wurzeln
Bereits 2013 und 2014, also weit vor der Gründung der Kampfsportgruppe »Knockout 51«, tauchten erstmals Jugendliche auf NPD-Demonstrationen in Eisenach auf, die später zu Führungsfiguren der Gruppe werden sollten. 2015 lief mindestens einer der Beschuldigten aus dem anstehenden Verfahren auf der 1. Mai-Demonstration der Kleinstpartei »Der III. Weg« mit. Direkt im Block der militanten Neonazi-Strukturen, aus denen später auch das »Antikapitalistische Kollektiv« (AKK) entstehen sollte. Es kam zu harten Zusammenstößen mit der Polizei, bei denen Tränengas gegen die Neonazis eingesetzt wurde. Mittendrin: Kevin N., ein späteres Gründungsmitglied von »Knockout«. Im Juli 2015 wurde die erste Vorläuferstruktur von »Knockout 51« gegründet: Bei Facebook legten die jungen Neonazis eine Seite mit dem Namen »Nationale Jugend Eisenach-Wartburgkreis« an. Man kämpfe für einen »deutschen Sozialismus« und lehne das »momentan herrschende, kapitalistische, völkerfeindliche System« ab, hieß es dort. Die Postings dieser Zeit zeigen eine neonazistische Jugendgruppe, die die Themen der Szene aufgriff und wenig professionell in der ganzen Stadt Eisenach verteilte: Auf selbst gemalten Transparenten oder Kreideschmierereien fanden sich in immer wieder Slogans wie »Freiheit für Horst Mahler«, »Eisenach bleibt deutsch« oder »NS Area«. Im August 2015 zeigte sich die Gruppe erstmals als wahrnehmbarer Block auf einer Demonstration der lokalen NPD-Strukturen in Eisenach. Vorn dabei: die heute in Untersuchungshaft befindlichen Neonazis Maximilian Andreas und Bastian Adam. Als die Zahl der Straftaten zunahm, wurde auch die Lokalpresse auf die neue Gruppe aufmerksam und berichtete. In der Reaktion der lokalen Szene darauf wurde erstmals deutlich, wie sehr die NPD-Strukturen vor Ort und besonders der NPD-Funktionär Patrick Wieschke als Geburtshelfer der neuen Neonazi-Gruppe fungierten. Wieschke kommentierte die Berichterstattung der Lokalpresse damals folgendermaßen: »Kaum engagieren sich Jugendliche außerhalb von Drogenszene, Spassgesellschaft und US-Orientierung für Deutschland (sic!) schlagen Medien und BRD-Behörden Alarm. (….) Bald treffen sich die jungen Mitstreiter wieder im Flieder Volkshaus. Macht auch ihr mit! Wer Interesse hat, kann sich bei mir melden.«


Bei einer Veranstaltung im Januar 2016 wurde die bereits bestehende Vernetzung der Gruppe deutlich: In der NPD-Geschäftsstelle fand eine »Nationale LAN-Party« statt. Unterstützt wurde diese durch das Online-Medium »FSN.tv« von Patrick Schröder und dem »Revoltopia«-Versand um den Neonazi Maximilian Reich. Hier zeigte sich, wo die »Nationale Jugend Eisenach-Wartburgkreis« 2016 ihre erste Radikalisierung erlebte: In den Kreisen des neu entstandenen AKK. Bald war die Stadt überflutet von Aufklebern, Graffitis und Schriftzügen wie »NS Area« oder »Nazi Kiez«. Die Raumnahme hatte begonnen.

Straßenkampf mit dem AKK
Nach den Ausschreitungen am 1. Mai 2015 in Saalfeld stellte das AKK am darauffolgenden 1. Mai in Plauen einen militanten Demonstrationsblock mit eigenen Transparenten. Vor allem Neonazis aus Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Sachsen fanden sich im Demo-Block wieder. Wie schon 2015 mündete auch die Demonstration in Plauen in erhebliche Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auch junge Eisenacher Neonazis waren beteiligt. Mit dabei: Leon Ringl.
Die Demonstration in Plauen war auch für die internationale Vernetzung des AKK und der Gruppe aus Eisenach wichtig. An der Demonstration nahmen nach eigenen Angaben ein halbes Dutzend britische Neonazis der Gruppe »National Action« teil. Später veröffentlichten diese auf ihrer Homepage ein Interview mit einem Sprecher des AKK. »National Action« wurde im Dezember 2016 als erste Gruppierung in Großbritannien als terroristische Organisation verboten. Als T-Online 2019 über das neonazistische »Iron March«-Forum berichtete, in dem sich auch die aus den USA stammende Terrororganisation »Atomwaffen Division« austauschte, konnten die Journalist*innen die Spuren eines Nutzers bis nach Eisenach verfolgen. Eben jener Nutzer war es auch, der direkten Kontakt zu der US-amerikanischen Gruppe suchte. T-Online.de berichtete, dass der Nutzer den Kontakt zum »Iron March«-Forum über die Gruppe »National Action« auf der Maidemonstration 2016 in Plauen erhalten habe. Nach Angaben von T-Online.de kooperierte das AKK über einen längeren Zeitraum mit »National Action«. Das AKK war also nicht nur ein Radikalisierungsmotor für die Gewalt auf der Straße. Die Mitglieder standen auch in Kontakt mit einschlägigen Terrornetzwerken. Und vorn dabei: junge Neonazis aus Eisenach. Am 1. Mai 2017 zeigte sich erneut die Militanz der entstandenen Netzwerke rund um das AKK. Auf dem Rückweg von der Demonstration in Halle (Saale) verließen über 100 Neonazis aus Thüringen und Hessen in Apolda den Zug und zogen mit einer Demonstration durch die Stadt. Sie griffen Polizeibeamt*innen an und beschädigten eine Filiale der Allianz-Versicherung erheblich. Ab 2017 hatten sich zudem die Straftatdelikte der jungen Neonazis in Eisenach gewandelt. Zu zuvor begangenen Sachbeschädigungen kamen immer häufiger Körperverletzungen oder Verstöße gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz hinzu. Schließlich benannte sich die Gruppe in »Nationaler Aufbau Eisenach« um. Eine neue Homepage verdeutlichte die Professionalisierung, die die Gruppe seit 2015 vollzogen hatte. Postings dokumentierten die Forderungen nach einem »Nazi-Kiez« in Eisenach und die nächtlichen »Kiez-Patrouillen« der Neonazis vor Ort.

Trainieren für den Nahkampf
Die zunehmende Gewalttätigkeit mündete schlussendlich im Anschluss der Eisenacher Gruppe an die Neonazi-Kampfsportszene, welche in dieser Zeit ihren Zenit erreicht hatte. Seit 2018 waren Mitglieder der Gruppe immer wieder bei Kampfsport-Events wie dem »Tiwaz« oder dem »Kampf der Nibelungen« als Zuschauer aufgefallen. Anfang 2019 gründeten die Neonazis dann »Knockout 51«. Schnell folgten die ersten Trainingsbilder, die in der NPD-Landesgeschäftsstelle aufgenommen wurden. Die lokalen NPD-Strukturen um Wieschke waren nicht nur seit Beginn an der Entstehung der Gruppe beteiligt, sondern unterstützten auch die zunehmende Radikalisierung der Gruppe, indem sie ihre Immobilie als Trainingsräume zur Verfügung stellte. Einige der Mitglieder fanden in dieser Phase auch Anschluss an extrem rechte Hooligan-Strukturen des FC Rot-Weiß-Erfurt. Außerdem avancierte die Gruppe zur offiziellen Unterstützer-Struktur des »Kampf der Nibelungen«.

Die Professionalisierung der Gewalt zeigte sich nicht nur bei Übergriffen in Eisenach. Besonders in der Corona-Zeit nahmen Mitglieder der Gruppe mehrfach an bundesweiten Demonstrationen teil und sollen hierbei auch gezielt Polizist*innen angegriffen haben. Hier setzte sich fort, was die Eisenacher Neonazis bereits im AKK kultiviert hatten: Gewalt gegen politische Gegner*innen und Polizei. Anfang 2022 deckten dann antifaschistische Recherchen auf, welche Strukturen sich in Eisenach entwickelt hatten. In der NPD-Geschäftsstelle hatte ein internes Neonazi-Treffen stattgefunden. Unter den Anwesenden befanden sich nicht nur Mitglieder von »Knockout 51«, »Combat 18« und »Blood & Honour«, sondern auch Personen aus dem Rockermilieu und damit der Organisierten Kriminalität. Wenige Wochen später griffen die Behörden dann ein.

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