We Fight Fascists

von Florian Weis
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 190 - Mai | Juni 2021

#43Group

Jüdischer Antifaschismus in Großbritannien.

Antifa Magazin der rechte rand

Die Geschichte der Battle of Cable Street im Oktober 1936 ist bekannt und legendär. Trotz mancher Übertreibung und Heroisierung ist der breite Widerstand der Bevölkerungsmehrheit im proletarischen und kleinbürgerlichen Londoner East End gegen den britischen Faschistenführer Sir Oswald Mosley und seine Schwarzhemden zu Recht so populär in der Erinnerung, war er doch beeindruckend in seiner Breite und Solidarität. Je nach Darstellung beteiligten sich am 4. Oktober 1936 bis zu 500.000 Menschen an der Verhinderung eines Großaufmarsches der britischen Faschisten. In seltener Weise verband sich die im Londoner Osten damals starke jüdische Gemeinschaft mit Gewerkschaften, Teilen der örtlichen Labour Party, der hier starken Kommunistischen Partei und anderen Gruppen. Es gelang Mosley nicht, Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen der Arbeiter*innenschaft, etwa irischen und jüdischen, oder zwischen den Kommunist*innen, der Labour Party und den dezidiert nicht-kommunistischen Teilen der jüdischen Community zu seinen Gunsten zu nutzen. Der Marsch der Schwarzhemden musste abgebrochen werden. In der Folge stagnierte Mosleys Bewegung merklich.Weniger bekannt ist die Geschichte von Mosleys Versuch, nach seiner Internierung und dem alliierten Sieg im Zweiten Weltkrieg, ein politisches Comeback zu verwirklichen, und die des Widerstandes gegen ihn. Beeindruckend ist dabei insbesondere die 43 Group, die zwischen 1946 und 1950 vor allem in London offensiv gegen die neue faschistische Bedrohung vorging, und das mit einigem Erfolg. Dieser ungewöhnlichen jüdischen antifaschistischen Gruppe widmete sich ein früherer Aktivist, Morris Beckman, mit seinem 1995 auf Deutsch erschienenen Buch »The 43 Group. Antifaschistischer Kampf in Großbritannien 1946-1950«. 2019 erschien dann die eindrückliche und verdienstvolle Darstellung von Daniel Sonabend: »We Fight Fascists. The 43 Group and Their Forgotten Battle for Post-war Britain«.

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Die 43 Group gründete sich 1946, weil sie unzufrieden war mit dem ihr zu passiv erscheinenden, Verhalten anderer jüdischer Organisationen. Ihr gehörten auf ihrem Höhepunkt bis zu 2.000 aktive Mitglieder an. Anfangs bestand die Gruppe fast ausschließlich aus früheren jüdischen Soldaten und Offizieren, darunter einigen, die hochdekoriert waren, wie etwa Gerry Flamberg. Ein später zu Prominenz gekommenes Mitglied war Vidal Sassoon.


Das Hauptaktionsfeld waren die Londoner Stadtteile mit einer großen jüdischen Bevölkerung, wie das East End und der Nordwesten. Im Zentrum ihrer Aktivitäten stand die Störung und Verhinderung von faschistischen Veranstaltungen mit dem Ziel, direkt und indirekt, das heißt über das Einwirken auf Politik und Sicherheitsbehörden, ein Erstarken des Faschismus zu verhindern. Dies schloss eine rege »nachrichtendienstliche« Tätigkeit sowie Medienarbeit ein. Die Gruppe sammelte offen und verdeckt Informationen über faschistische Strukturen und Personen, infiltrierte faschistische Gruppen, machte antifaschistische Medienarbeit und Propaganda, schützte Menschen aus der jüdischen Community vor Angriffen und ging militant gegen Veranstaltungen und Treffpunkte der Mosley-Bewegung vor. Die Aktivist*innen dieser militant-antifaschistischen Gruppe hatten nicht in den britischen Streitkräften gegen Nazi-Deutschland gekämpft, um anschließend Antisemitismus in ihren eigenen Wohnvierteln zu tolerieren. Sie waren, im Wortsinn, kampferprobt, agierten offensiv und traten selbstbewusst als jüdische Gruppe auf. Sie waren ausschließlich auf die Abwehr von Faschismus und Antisemitismus ausgerichtet und somit offen für alle anderen politischen Strömungen. Trotz nicht seltener Auseinandersetzungen mit Polizist*innen wurden Staat und Polizei nicht als Gegner betrachtet.


In der Praxis waren die Kommunist*innen oft gerne gesehene Verbündete, doch widersprach die 43 Group ihren Gegner*innen in der jüdischen Community entschieden, die sie zuweilen entweder als Hooligans oder als »verkappte Kommunist*innen« zu diskreditieren versuchten. Für Daniel Sonabend ist diese Kombination auch für die Gegenwart wichtig: ausgeprägte antifaschistische Radikalität bei gleichzeitiger breitestmöglicher demokratischer Anschlussfähigkeit unter Hintanstellung sonstiger politischer Differenzen. Zeitweilig trug der gewaltsame Konflikt im britischen Mandatsgebiet in Palästina, der Anschläge revisionistischer jüdischer Gruppen um die späteren israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin und Yitzhak Shamir auf britische Truppen und Verwaltungsangehörige einschloss, zur Verstärkung antijüdischer Ressentiments in Großbritannien bei, was die faschistischen Gruppen auszunutzen versuchten. Umgekehrt schlossen sich einige der jüngeren Mitglieder der 43 Group den jüdisch-israelischen Verbänden an, was für sie eine weitere Ausdrucksform eines jüdischen Selbstbehauptungswillens war.


Viele Faktoren trugen dazu bei, dass das große Comeback von Mosley und seinem »Union Movement« ausblieb und er sich ab 1950 fast ausschließlich im Ausland aufhielt. Die 43 Group hatte an diesem Erfolg einen erheblichen Anteil, zusammen mit der damals im Osten Londons noch starken Kommunistischen Partei und anderen Antifaschist*innen. In der Folge ihres Teilerfolges löste sich die 43 Group 1950 auf.