Feinde der Demokratie

von Andreas Speit
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 199 - November | Dezember 2022

#Bewegung

Antifa Magazin der rechte rand
»Heißer Herbst«: Aufmarsch an einem Montag unter Führung der AfD in Bitterfeld-Wolfen.
Foto © Mark Mühlhaus / attenzione

Verbieten oder verbinden: Zwei starke Wörter im Diskurs um den Umgang mit der vermeintlichen Alternative in Deutschland. In den vergangenen Tagen forderte die SPD-Landtagsabgeordnete Dorothea Marx, ein Verbotsverfahren gegen die »Alternative für Deutschland« (AfD) einzuleiten. Der CDU-Landtagsabgeordnete Mike Mohring spricht sich hingegen für das Ende der Ausgrenzung der Partei im Landtag aus. Zwei Stimmen aus Thüringen, beide geben die Stimmungen aus dem Bundesgebiet wieder. Die Auseinandersetzung mit der Partei, mit dem angeblichen »Mut zur Wahrheit« und für ein ausgemachtes »Deutschland. Aber normal«, scheint knapp zehn Jahre nach der Gründung immer schwieriger.

Dass die gegensätzlichen Töne aus Thüringen kamen, dürfte wenige verwundern. Hier trimmte Björn Höcke die gesamte Partei nachhaltig auf den rechtsradikalen Kurs. Hier führte der AfD-Landtagsfraktions- und Landesvorsitzende das Parlament vor. Größter Clou: Die Wahl des FDP-Landtagsabgeordneten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten des Freistaates am 5. Februar 2020 – mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD. Ein Tabubruch, Blumen flogen von der damaligen Linken-Landtagsfraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow vor die Füße des Kurzzeit-Ministerpräsidenten einer Fünf-Prozent-Partei. Schon der Wahlzuspruch hätte eigentlich eine Demut vor dem Amt hervorrufen können. Politische Werte schienen bei dem strategischen Machtspiel von CDU und FDP verloren gegangen zu sein, darf positiv unterstellt werden, negativ: Inhalte und habituelle Werte von Konservativen und Rechtsradikalen sind gar nicht so sehr auseinander.

Voller Hoffnung auf dem Holzweg

In den Ostbundesländern neigt die CDU dazu. zu »vermerzen«. Ihre Hoffnung: mit klarer konservativer Kante eine wahlpolitische Kehre einzuleiten. Erst vor kurzem erhoben Friedrich Merz bei Bild-TV den Vorwurf: »Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge: nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine«. Auch wenn der CDU/CSU-Bundestagsfraktionsvorsitzende das später zurücknahm, kann sein Vorwurf als gezieltes Umwerben extrem rechter Wähler*innen gedeutet werden. Die Prognosen zu Landtagswahlen offenbaren jedoch erneut das Scheitern dieser Strategie. Das Original wird aufgewertet und der Diskurs verschoben. In den Septemberumfragen lag die AfD in Thüringen als stärkste Kraft bei 28 Prozent, die CDU bei 20 Prozent, in Brandenburg war die AfD bei 25 Prozent, die CDU bei 12 und in Mecklenburg-Vorpommern erzielte die AfD 24 Prozent, die CDU 17. Allein in Sachsen-Anhalt stand die CDU im August mit 33 Prozent vor der AfD mit 20 Prozent. Doch auch die vorläufige Prognose zu Magdeburg legt nahe, was rechtslastige Politikwissenschaftler*innen schon öfter für den Osten einforderten: Eine Öffnung der CDU zur AfD. Denn nur so kann die Befreiung aus Rot-Grün oder aus Rot-Rot-Grün erfolgen.

Mohring ist nicht der erste, der aus dem Tabubruch eine Alltagsregel machen möchte. Aus dem Osten schlugen in den vergangenen Jahren CDU-Landespolitiker*innen immer wieder eine Annäherung an die AfD vor. 2019 veröffentlichten 17 Thüringer CDU-Funktionär*innen einen »Appell konservativer Unionsmitglieder in Thüringen«, in dem betont wird: »Man tut der Demokratie keinen Gefallen, wenn man ein Viertel der Wählerschaft verprellt.« Der Zuspruch legitimiert demnach also die Zusammenarbeit. Der Einbeziehung, die Mohring 2022 fordert, folgt die Entgrenzung.

Ein Blick zurück

Die deutsche Geschichte belegt: Konservative Kräfte konnten die eingeladenen Geister nicht kontrollieren. Die Nationalsozialisten haben sich nicht die Macht genommen, die Macht wurde ihnen übergeben. Ganz demokratisch, ganz legitim. Am 24. März 1933 stimmten diese Stimmen auch ganz offiziell dem »Ermächtigungsgesetz« zu. Allein SPD und KPD gaben der quasi Selbstauflösung des Reichstages nicht ihre Stimme. Viele – alle 81 KPD-Mandatstragende sowie 26 SPD-Mandatstragende der 120 SPD-Abgeordneten – waren da schon in Haft oder auf der Flucht. Der Testlauf der Zusammenarbeit im Parlament lief bereits am 23. Dezember 1929. In Thüringen. Bei der Landtagswahl am wenige Wochen zuvor, am 8. Dezember, verdreifachte die NSDAP ihren Stimmenanteil. Eine rechts-bürgerliche Regierung mit Beteiligung der Nationalsozialisten bildete sich. Ohne nachhaltige Kritik übernahm Erwin Baum vom Landbund den Vorsitz des Thüringer Staatsministeriums und Wilhelm Frick von der NSDAP das Innen- und Volksbildungsministerium.

Und heute?

Im kollektiven Gedächtnis des Konservatismus im Osten der Republik schimmert eine historische Gedächtnislücke durch. Aus der ­Union im Westen erklangen bisher die ermahnenden Stimmen gegen ein Tête-à-Tête mit der AfD – wie lange noch? Sicher: Die Verankerung und der Zuspruch der AfD sind im Osten gesellschaftlich tiefer und größer. Mit steigenden Lebensmittel- und Energiekosten durch die Sanktionen gegen Russland steigt allerdings der Zuspruch zur AfD auch im Westen. Der »Wutwinter« ist – vielleicht noch nicht – auf den Straßen von Kiel, Hannover oder München zu sehen. Eine »Wutwahl« erfolgte aber schon bei der Landtagswahl im Oktober in Niedersachsen. Die AfD konnte mit elf Prozent ihr Ergebnis fast verdoppeln. Trotz interner Konflikte, aufgrund derer die Landtagsfraktion zerbrach und der Landesverband kaum handeln konnte. In Bremen, wo die AfD auch wegen Streitereien nicht mehr in der Bürgerschaft ist, lag sie Umfragen zufolge im Oktober bei elf Prozent. Auf fast 14 Prozent kommt sie im November bei Umfragen in Baden-Württemberg. Drei Beispiele, die bestätigen: Diese Partei ist eine Kriegsgewinnerin.

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Dieser Wahl- und Prognosezuspruch löst nicht selten die Argumentation aus, dass diese Stimmen in der Demokratie Beachtung und Raum finden müssen. Ein Verbot wäre demokratiefeindlich, grenze aus. »Die Demokratie« müsse das aushalten, wird gerne souverän erklärt. Die Erklärenden scheinen aber nicht selten jene zu sein, die nichts aushalten müssen. Sie werden nicht alltäglich auf der Straße bedroht, weil sie eben nicht »Deutschland. Aber normal« sind, sie müssen sich nicht in den Kommunen um sich selbst sorgen, da sie sich für Diversität einsetzen, sie brauchen sich nicht um ihre Angehörigen sorgen, nachdem sie sich im Landtag für eine Energiewende stark machten. Diese Cancel Culture wird meist auch nur von den Betroffenen thematisiert. Raum geben, bedeutet eben auch Raum nehmen.

In der Debatte um das NPD-Verbotsverfahren waberte bereits ihre Raumeinnahme in der Gesellschaft mit. Das Verfahren scheiterte 2017 wegen der Verstrickungen der Verfassungsschutzstrukturen in die Partei. Das Bundesverfassungsgericht stellte aber fest, dass »ein Erreichen der verfassungswidrigen Ziele der NPD mit parlamentarischen oder außerparlamentarischen demokratischen Mitteln (…) ausgeschlossen« erschien. Die damalige Botschaft über die NPD: zu klein, zu wenig Zuspruch. Die gegenwärtige Debatte um die AfD: zu groß, zu viel Zuspruch. So könnte die Debatte um die demokratische Einbindung der selbsternannten Alternative auch verstanden werden. Sie suggeriert nicht bloß das Mantra von der gesellschaftlichen Mitte ohne rechte Ressentiments. Sie ignoriert letztlich das Faktum der immanenten Demokratie- und Parlamentarismus-Feindlichkeit dieser Partei. Ein Höcke wettert nicht allein gegen die liberale Demokratie – gegen das westliche »Regenbogen-Imperium«. Ein Großteil ihrer Anhängenden, so stellte schon 2020 die Leipziger Autoritarismus-Studie fest, wählt die Partei nicht trotz, sondern wegen ihrer antidemokratischen Positionen.

Die demokratischen Appelle sind insofern antidemokratische Aufrufe. Sie ziehen keine Grenze zum Schutz der Demokratie. Sie bleiben oft auch im Ungefähren bei der Einordnung der Angreifenden auf die Demokratie. In der Wochenzeitung Die Zeit schlug Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von Die Linke aber eine Zuordnung vor. Am 12. Oktober warnte er, die Proteste wegen der steigenden Alltagskosten, bei denen ein Zusammengehen von außerparlamentarischen Rechtsradikalen und AfD stattfindet, könnten zu einer »Bildung einer neuen öffentlich sichtbaren faschistischen Bewegung« führen. Die AfD, die parlamentarische Kraft einer faschistischen Bewegung? Diese Klassifizierung erscheint jenseits des Diskurses. Vielleicht, weil in Politik und Medien Konsequenzen – auch im Umgang mit der AfD – folgen müssten. Joseph Goebbels wusste schon 1928, als der Nationalsozialismus eine Bewegung war, was dieser im Parlament wollte: »Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen.« Und der spätere Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda schrieb weiter: »Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir.«

Eventuell unterbleibt die Klassifizierung aber auch, weil die bundesdeutsche Gesellschaft sich eingestehen müsste, dass 77 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus eine neue faschistische Bewegung die politische Auseinandersetzung sucht. Das Vergangene ist bekanntlich nicht vergangen, gerade wenn es nicht benannt wird.