Braunes Denkmal

von Carsten Linke und Lutz Boede
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 195 - März / April 2022

#Potsdam

Mit dem Wiederaufbau des Glockenspiels der einstigen Garnisonkirche haben deutsche Militärs über Jahrzehnte revanchistische Traditionspflege betrieben. Zuerst in der Bundesrepublik und später in der ehemaligen Garnisonsstadt selbst.

 

Die Rekonstruktion des Glockenspiels der Potsdamer Garnisonkirche begann schon, als die Ruine der einstigen Hof- und Garnisonkirche noch stand – allerdings in Westdeutschland. Bei Gründung der Bundeswehr kamen deren Offiziere und Unteroffiziere fast ausnahmslos aus der Wehrmacht – teilweise auch aus der Waffen-SS. 1959 waren 12.360 der 14.900 Offiziere bereits in der Reichswehr oder Wehrmacht ernannt worden, 300 Offiziere entstammten der Waffen-SS. Entsprechend sah die Traditionspflege der Bundeswehr aus. Im Juni 1961 übernahm das Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung (BMV) die Traditionen der im »Semper-Talis-Bund« vereinigten Potsdamer Einheiten »1. Garde-Regiment« zu Fuß und »Infanterie-Regiment 9«. Das waren königliche Truppen, die über Jahrhunderte Adel und Militär eng verbanden.

Fast zwei Jahrzehnte später baute der besagte »Semper-Talis-Bund« das Potsdamer Glockenspiel für die Fahnen- und Ehrenhalle des Wachbataillons beim BMV in Bergisch Gladbach nach. Dem folgte vier Jahre später ein über vier Meter großes Modell der Garnisonkirche in der Empfangshalle des Wachbataillons beim BMV in Siegburg, das später mit dem Wachbataillon in die Julius-Leber-Kaserne nach Berlin-Tegel umzog.

Eingravierte Ostgebiete

Nahezu zeitgleich gründete sich die »Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e. V.« in Iserlohn. Der Kommandeur des »Fallschirmjägerbataillons 271«, Max Klaar, rief damals in der Zeitschrift »Soldat im Volk« zu Spenden für einen Teilnachbau auf. Bereits im März 1986 wurde das Richtfest für die zweite Aufbaustufe des Glockenspiels in der Bundeswehrkaserne Iserlohn gefeiert. Drei Soldaten präsentierten dabei die unheilvolle Traditionslinie: in der Uniform der alten preußischen Grenadiere, in der Wehrmachtsuniform des Zweiten Weltkriegs und in jener der Bundeswehr.

Am 14. April 1986, zum Jahrestag des britischen Luftangriffs auf Potsdam 1945, gab es dann einen Festakt zur Erweiterung um 15 weitere Glocken. In sieben davon waren die Namen der ehemaligen deutschen Ostgebiete jenseits der Oder-Neiße-Grenze eingearbeitet. Zwei Monate später kamen zur Einweihung hohe Militärs und »Würdenträger«: Generalmajor Christoph-Adolf Fürus, Militärdekan Reinhard Gramm, General a. D. Ulrich de Maizière, Generalleutnant a. D. Gerhard Wessel und der erwähnte Oberstleutnant Klaar mit weiteren Mitgliedern des »Verbandes deutscher Soldaten« (VdS) – eine ehemalige Organisation zur Rehabilitierung von Wehrmachtsangehörigen.

ABO
Das Antifa Magazin

alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.

Von Iserlohn nach Potsdam

Nach dem Mauerfall im November 1989 ging Klaar in Potsdam auf Werbetour. Auf Einladung der CDU warb er für den Wiederaufbau der Garnisonkirche. Bei den evangelisch geprägten Potsdamer Bürgerrechtler*innen Saskia Hüneke und Wieland Eschenburg vom »Neuen Forum« traf er auf offene Ohren. Sie träumen von der früheren barocken Innenstadt und schufen als Kulturstadträte die formellen Grundlagen dafür, dass 1991 das Iserlohner Glockenspiel nach Potsdam kam.

Kritisch äußerte sich vor allem der links-alternative Teil der Stadtgesellschaft. Und ausgerechnet Klaar selbst bestätigte deren Vorbehalte durch Rundbriefe an die Stadtverordneten, in denen er von preußischen Tugenden schwadronierte oder gar ein Deutschland in den Grenzen von 1937 forderte.

Mit dem Ministerpräsidenten

Bevor der Potsdamer Oberbürgermeister Dr. Horst Gramlich (SPD) die Schenkungsurkunde annahm und das Glockenspiel auf der Potsdamer Plantage aufgestellt wurde, mussten zwar die Namen der verlorenen Ostgebiete aus den Glocken entfernt werden. Dass neben den zehn Geboten die Namen von Wehrmachtsverbänden, dem VdS und dem »Kyffhäuserbund« in den Glocken verblieben, war für die Stadtspitze offenbar kein Problem.

Im April 1991 konnte Klaar neben Ministerpräsident Stolpe, Prinz Louis Ferdinand von Preußen, Generalsuperintendent Günter Bransch und diversen »Größen« der Zeit mit militärischem Brimborium die Einweihung des rechten Geschenkes feiern. Aus dem ganzen Bundesgebiet kamen Landsmannschaften, Burschenschafter und Monarchisten in Sonderbussen nach Potsdam. Seither lärmte es: »Üb immer Treu und Redlichkeit.«

Die Distanzierung von alten Nazis und ihrem Symbol begann erst Jahre später. In einer Kunstaktion wickelte der Maler Mike Bruckner das Glockenspiel mit Hakenkreuzbanderolen ein. Später brachten es Aktivist*innen mit Bauschaum wochenlang zum Verstummen. 2004 erteilt das Verteidigungsministerium allen Soldat*innen ein Kontaktverbot zum VdS, nachdem deren Vorsitzender Klaar die deutsche Kriegsschuld geleugnet hatte.

Unter Denkmalschutz

Erst vor drei Jahren wurde das Glockenspiel abgeschaltet und ein Gutachten zu seiner Geschichte und Symbolik erstellt. Doch 2021 kam das Geläut unter Denkmalschutz. Damit gilt erstmals ein Symbol der neuen Rechten offiziell als schützenswertes Zeitzeugnis. Umgekehrt verhindert dieser Status, dass die Spuren verwischt werden können, die bezeugen, welche Ideen den Wunsch nach Neuerrichtung der benachbarten Garnisonkirche nährten.