Nur für Deutsche

von Stefan Dietl
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 186 - September / Oktober 2020

#Rente

Seit langem steht die Rentenpolitik im Mittelpunkt der innerparteilichen Auseinandersetzung um die sozial- und wirtschaftspolitische Ausrichtung der »Alternative für Deutschland«. Ein nun gefundener Kompromiss soll die verschiedenen Strömungen auf ihre Gemeinsamkeiten einschwören.

Antifa Magazin der rechte rand
AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen © Roland Geisheimer / attenzione

Seit ihrer Gründung ist die »Alternative für Deutschland« (AfD) in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen von neoliberalen Vorstellungen geprägt. Steuererleichterungen für Unternehmen, weitere Deregulierungen am Arbeitsmarkt und Sozialabbau bestimmten sowohl die Wahlprogramme der Partei als auch das Grundsatzprogramm. Dies galt bisher auch für die Rente: Verlängerung der Lebensarbeitszeit, Rückbau der gesetzlichen Rente, Stärkung der privaten Altersvorsorge – die üblichen wirtschaftsliberalen Antworten in der Rentenfrage dominierten auch die Diskussion in der AfD.


Geändert hat sich inzwischen jedoch die Wähler*innenschaft. Als wirtschaftsliberales Elitenprojekt, das seine Wähler*innen vor allem aus der gehobenen Mittelschicht rekrutierte, blieb der AfD 2013 noch der Einzug in den Bundestag verwehrt. Inzwischen ist die Partei in allen Landesparlamenten vertreten und größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag. Ihre Wahlerfolge verdankt sie vor allem ihrem Vordringen in weite Teile der Arbeiter*innenmilieus. Möchte sie ihr häufig formuliertes Ziel erreichen, sich als dritte Volkspartei zu verankern, gelingt ihr dies nur, wenn sie ihre Basis unter abhängig Beschäftigten weiter ausbaut. Die Forderung nach »Privatisierung der Rente« halten nicht wenige in der AfD dabei für ein Hindernis. Insbesondere die Rentenpolitik steht daher seit langem im Zentrum des Kräftezerrens zwischen marktradikalen Hardliner*innen und völkischen Nationalist*innen, die seit langem auf einen sozialpolitischen Kurswechsel drängen. Zwei sich scheinbar unversöhnlich gegenüberstehende Konzepte stehen dabei im Fokus: Das des Parteivorsitzenden Jörg Meuthen und das der Thüringer Landtagsfraktion unter der Federführung von Björn Höcke.

Zerschlagung der gesetzlichen Rentenversicherung
Meuthen trommelt bereits seit Jahren für einen »Systemwechsel in der Rentenversicherung«. Im November 2016 plädierte er in der Tageszeitung »Die Welt« für ein Ende der gesetzlichen Rentenversicherung und eine »staatlich erzwungene private Vorsorge«.
Dass ein Plädoyer für die Abschaffung der gesetzlichen Rente bei der Wähler*innenschaft nicht auf Begeisterung stößt, ist Meuthen bewusst. In seinem im Herbst 2018 vorgestellten Konzept soll den Wähler*innen die Abschaffung der umlagefinanzierten Rente deshalb mit der Einführung einer steuerfinanzierten Grundrente für alle Bürger*innen schmackhaft gemacht werden. Grundrente für alle – das klingt zunächst nach einer sozialpolitischen Wohltat, entpuppt sich jedoch schnell als Rentenkürzungsprogramm. Nach Meuthens Plänen soll die Mindestrente nur knapp über dem Niveau des Existenzminimums liegen. Eine den Lebensstandard sichernde Altersversorgung, wie sie die gesetzliche Rente eigentlich zum Ziel hat, soll damit nicht erreicht werden. Meuthen will stattdessen die private Altersvorsorge ausbauen, beispielsweise durch Immobilien- und Aktienbesitz, und die Lebensarbeitszeit verlängern. Die Einführung einer solchen Minimalrente würde die ohnehin um sich greifende Altersarmut weiter verschärfen. Während die umlagefinanzierte, gesetzliche Rente zudem eine Versicherungsleistung ist, auf die entsprechende Ansprüche erworben werden, ist eine rein steuerfinanzierte Altersvorsorge vollkommen der politischen Willkür ausgeliefert und noch dazu abhängig von den vorhandenen Haushaltsmitteln. Mit genereller Unterstützung für seine Pläne kann Meuthen von anderen prominenten Vertreter*innen der Bundespartei rechnen, denn auch Beatrix von Storch und Alice Weidel zählen zu den Befürworter*innen einer Zerschlagung der umlagefinanzierten Rente.

Auflösung in der Volksgemeinschaft
Im Gegensatz zu den marktradikalen Hardliner*innen in der Partei setzt der völkisch-nationalistische Flügel auf eine Stärkung der gesetzlichen Rente. Im Mittelpunkt ihrer Agitation steht der vermeintliche Kampf gegen Altersarmut. Das Rentenniveau soll angehoben werden. Zudem sollen auch Beamt*innen und Selbstständige in die gesetzliche Rente überführt werden. Kernelement ist jedoch die sogenannte Staatsbürgerrente: Ein Rentenzuschuss ausschließlich für deutsche Staatsbürger*innen. Berechtigt soll sein, wer weniger als 45 Entgeltpunkte, aber mindestens 35 Beitragsjahre erreicht. Dieser steuerfinanzierte Aufschlag soll eine deutliche Erhöhung für Bezieher*innen niedriger Renten bringen – aber eben nur an Deutsche ausgezahlt werden. Ausländische Staatsbürger*innen sollen trotz Einzahlung in die Beitragskassen außen vor bleiben. Hinzu soll eine »Kinderrente« kommen: Ein Rentenzuschuss abhängig von der Kinderzahl, der sich nach der »rechnerischen Versorgungslücke des Standardrentners« bemisst.


Höckes Konzept steht in mehrfacher Hinsicht in der Tradition der völkischen Sozialpolitik. Man greift reale Missstände wie die Altersarmut auf, um völkische Lösungen wie einen Rentenzuschlag nur für Deutsche zu präsentieren. Doch bei allen Zugeständnissen an abhängig Beschäftigte, die gegensätzlichen Interessen von Unternehmen und Lohnabhängigen werden nicht nur nicht thematisiert, sondern im Gegenteil: Das Ziel ist die Auflösung dieser Widersprüche in der Volksgemeinschaft.
Eine Umverteilung von oben nach unten, wie ein Ende der Beitragsbemessungsgrenze, ist in Höckes Konzept beispielsweise nicht vorgesehen. Spitzenverdiener*innen sollen weiterhin einen kleineren Anteil ihrer Einkommen in die Rentenkasse einzahlen als Beschäftigte mit geringem Einkommen. Statt um die vielbeschworene soziale Gerechtigkeit geht es den völkischen Nationalist*innen vielmehr um eine Spaltung der Gesellschaft in ein völkisches »Wir« vs. »Die«.

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Aufgeschobener Kompromiss
Eigentlich sollte auf einem eigens dafür anberaumten – bereits mehrmals verschobenen – Parteitag im April 2020 über den rentenpolitischen Kurs der AfD entschieden werden. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde er jedoch abgesagt. Der im Vorfeld ausgehandelte Kompromiss, der sich in einem von der AfD-Bundesprogrammkommission verabschiedeten Leitantrag widerspiegelt, gibt jedoch eine Richtung vor. Klar ist: Vorerst will die AfD an der gesetzlichen Rentenversicherung festhalten.
Statt jedoch Beamt*innen in die gesetzliche Rente zu überführen will die AfD das Beamt*innenrecht reformieren. Nur noch Staatsdiener*innen, die mit originär hoheitlichen Aufgaben betraut sind, sollen Beamt*innenstatus erhalten, also vor allem Militär, Polizei und Justiz. Lehrer*innen und andere Beschäftigte in Bereichen wie Bildung, Soziales und Kultur sollen hingegen nicht mehr verbeamtet werden. Selbstständige sollen zwar in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden, könnten sich optional aber auch privat versichern.


Auch in anderen Fragen unterscheiden sich die rentenpolitischen Vorschläge kaum von denen, die in den anderen im Bundestag vertretenen Parteien seit Jahren diskutiert werden. So soll das Renteneintrittsalter flexibel gestaltet und Beschäftigte mit geringem Einkommen dadurch entlastet werden, dass nur noch 25 Prozent der Altersrente an die Grundsicherung angerechnet werden. Eltern sollen für jedes Kind 20.000 Euro Beiträge zur Rentenversicherung aus Steuermitteln erstattet bekommen. Für jedes Kind mit deutscher Staatsbürgerschaft soll zudem bis zum 18. Lebensjahr 100 Euro monatlich auf ein Spardepot einbezahlt werden. Ein »Deutschland-Zuschuss light«, der eindeutig das völkisch-nationalistische Lager befriedigen soll.
Zwar setzt der Leitantrag vorerst weiter auf die umlagefinanzierte Rente, verschwunden ist die von den Wirtschaftsliberalen propagierte Abschaffung der gesetzlichen Rentenversicherung jedoch nicht. So soll angesichts der sich »rasant ändernden Arbeitswelt mit zunehmender Digitalisierung, Auflösung tradierter Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen und disruptiver Lebensläufe« perspektivisch der Wegfall der gesetzlichen Rente geprüft werden. Ganz vom Tisch ist Meuthens Modell also nicht.

antifa Magazin der rechte rand
Der rechte Rand. Das antifaschistische Magazin (Hrsg.) Das IfS. Faschist*innen des 21. Jahrhunderts Einblicke in 20 Jahre »Institut für Staatspolitik« 184 Seiten | zahlreiche Fotos | 2020 | EUR 12.80 ISBN 978-3-96488-074-1


Aufgepeppt wird der wenig Aufsehen erregende Reformvorschlag der AfD durch umso mehr völkischen Kitsch. Migration wird als Gefahr für die Sozialsysteme präsentiert. Von der Verpflichtung zur »Solidarität und gegenseitigen Hilfe innerhalb unseres Volkes« ist die Rede und von einer »demographischen Wende« durch Steigerung der Geburtenrate. Die sei nicht nur die einzige Möglichkeit zur Stabilisierung der Sozialsysteme, sondern »auch zur Bewahrung unserer Kultur und zum Fortbestand unseres Volkes«. Für die ersten drei Jahre der Kindererziehung wird ein Betreuungsgeld verlangt, Familien sollten über »Risiken der Fremdbetreuung« aufgeklärt werden. Kombiniert wird all dies mit der Warnung vor »Frühsexualisierung« und »Gender Mainstreaming«.

Rassismus, Antifeminismus und Nationalismus
Ob der im Leitantrag gefundene Kompromiss letztlich Bestand hat, ist offen. Auf dem nachzuholenden Parteitag könnten die Anhänger*innen Höckes wie auch die Verbündeten Meuthens versuchen, durch Änderungsanträge die Delegierten zu ihren Gunsten zu gewinnen. Denn sowohl Höckes als auch Meuthens Konzept finden im Leitantrag kaum Erwähnung. Mit dem von der Bundesprogrammkommission beschlossenen Leitantrag setzt die AfD –statt auf eine Entscheidung in widersprüchlichen Fragen – auf die Betonung der Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Strömungen in der Partei. Insbesondere Rassismus, Antifeminismus und Nationalismus wirken als einigendes Band, das die heterogene Partei zusammenhält. Gemeinsamkeiten, an denen die AfD auch in der Rentenfrage anknüpfen kann, haben doch sämtliche rentenpolitischen Vorstellungen in der Partei die Schlechterstellung von Menschen ohne deutschen Pass gemein. Auch Meuthens neoliberales Konzept wartet letztlich mit einer völkischen Note auf. So sollen Ausländer*innen die Mindestrente erst dann erhalten, wenn sie mindestens 20 Jahre einen »gesellschaftlichen Beitrag« durch Steuerzahlung geleistet haben. Zumindest vorerst könnte es der AfD so erneut gelingen, die Reihen trotz vorhandener Widersprüche zu schließen.