Gutes CO2 und grönländischer Wein

von Jan Rettig
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 181 - November / Dezember 2019

#Europaparlament

Es ist alles etwas verwirrend, was der europäischen extremen Rechten zu Klima und Umwelt einfällt. Wenigstens ist schon mal festzuhalten: Während diese Themen vor kurzem noch maximal randständig waren, sind sie heute europaweit fester Bestandteil ihrer Programmatik. Das hat mehrere Gründe. Einige erkennen im Zustand der Natur wirklich ein Problem, andere das ökonomische Potential. Außerdem würde die Vernachlässigung dieses omnipräsenten Themas auch bedeuten, weniger wahrgenommen und gewählt zu werden. Denn nicht zuletzt gibt es eine ganze Reihe Parteien, die auf die eine oder andere Art regierungsfähig werden wollen, was zumindest scheinbare Kompetenz auch in diesem Feld erforderlich macht.

Antifa Magazin der rechte rand
»Absurd rückwärtsgewandt hingegen will die UKIP sogar die britische Kohleindustrie wiederbeleben, die polnische Regierungspartei PiS gilt vorerst noch als Kohleretterin und beide bekommen völlig irrationale ideologische Schützenhilfe durch den deutschen Europaparlamentarier und passionierten Bergmann Guido Reil (AfD, früher SPD): CO2 mache alles grüner und grün sei gut …« @ Mark Mühlhaus / attenzione

Klimawandel gibt es wohl, aber …
Die Positionen extrem rechter europäischer Parteien unterscheiden sich stark. Uneinigkeit besteht schon allein in der Frage, ob Klimawandel überhaupt stattfindet, was der menschengemachte Anteil daran ist und inwiefern der entsprechenden Forschung zu vertrauen ist. Das Spektrum reicht von Leugnung bis Anerkennung und natürlich vielen Zwischentönen. Heinz-Christian Strache, bis vor kurzem noch wohlgelittener Vorsitzender der »Freiheitlichen Partei Österreichs« (FPÖ), reduzierte den Klimawandel auf eine simple Tatsache der planetarischen Entwicklung und stellte bei diversen weiteren Gelegenheiten den Einfluss des Menschen darauf infrage. Seine wesentliche, wenngleich nicht haltbare Erkenntnis: Selbst in Grönland wurde schon Wein angebaut. Auch die »Alternative für Deutschland« (AfD) hat radikale Zweifel am menschengemachten Klimawandel und der entsprechenden Wissenschaft, ähnlich die estnische »Eesti Konservatiivne Rahvaerakond« (EKRE), die niederländische »Partij voor de Vrij­heid« (PVV) und die »United Kingdom Independence Party« (UKIP) aus Großbritannien. Ambivalentes kam in jüngerer Vergangenheit von der dänischen »Dansk Folkeparti« (DF). Während ihr Fachsprecher den Klimawandel selbst zur Glaubensfrage degradierte, gibt es auch Stimmen in der Partei, die die negativen Folgen von Extraktion und Verbrauch fossiler Brennstoffe, von Verkehr und Landwirtschaft explizit anerkennen und eine Intensivierung wissenschaftlicher Forschung fordern. Ihr relativ schlechtes Abschneiden bei der Wahl zum Europaparlament hat die DF auf fehlende Antworten zur Klimafrage zurückgeführt und will nun entsprechend nacharbeiten.

Und wenn es nicht zu leugnen ist, dann …
Absurd rückwärtsgewandt hingegen will die UKIP sogar die britische Kohleindustrie wiederbeleben, die polnische Regierungspartei »Prawo i Sprawiedliwo??« (PiS) gilt vorerst noch als Kohleretterin und beide bekommen völlig irrationale ideologische Schützenhilfe durch den deutschen Europaparlamentarier und passionierten Bergmann Guido Reil (AfD, früher SPD): CO² mache alles grüner und grün sei gut. Der französische »Rassemblement National« (früher: »Front National«, FN/RN) wiederum führt die Umweltzerstörung schon fast seriös rational auf die Globalisierung zurück, seine Globalisierungsfeindschaft sei daher unmittelbarer Umweltschutz. Mehr als patriotische Antwort auf kommende Energie- als auf virulente Umweltfragen wurde 2014 das parteinahe »Collectif Nouvelle Écologie« gegründet. Darum gekümmert hatte sich der damalige FN-Vizepräsident Florian Philippot, der allerdings den Verein nach seinem Parteiaustritt 2017 zu seiner neuen Partei »Les Patriotes« mitnahm. Seine größte Leistung dürfte darin bestanden haben, auch dieses Themenfeld im mittlerweile äußerst umfassenden Programm des FN/RN verankert zu haben. Darin wird eine kohlefreie Wirtschaft ebenso wie der Erhalt von Atomkraftwerken und die massive Förderung erneuerbarer Energien gefordert. Und das völlig ohne inneren Widerspruch, sondern ganz auf souveränistischer Linie für die nationale Versorgungssicherheit.

»Heimatschutz« und Volkswirtschaft
In Verknüpfung mit dem Thema Migration scheinen immer wieder auch völkische Varianten eines Heimatschutzes auf. Die ungarische »Jobbik« stellt sich auf die Seite von Wissenschaft und Forschung, sieht erneuerbare Energien in Funktion von Umwelt- und Klimaschutz und fordert sogar europäische Lösungen. Was betont modern klingt, ist im Kern eine Abwehrreaktion gegen die globale »Migrationswelle«, die sie als soziale Folge des Klimawandels kommen sieht. Und die bedroht das in hungaristisch-biologistischer Tradition stehende Jobbikbild der ungarischen Nation. Die FPÖ braucht in dieser Frage keine internationale Perspektive. Ihr reicht der Verweis auf »vitale Lebensinteressen« und die Erhaltung eines Österreichs, das »sehens- und lebenswert« ist. Strache resümierte folgerichtig: »Umweltschutz ist Heimatschutz.« Auch beachtenswert, wenngleich weniger völkisch im engeren Sinne, scheinen Vorstellungen von kleinräumigen Wirtschaftskreisläufen als Teil einer extrem rechten Ökologie, wie sie etwa beim RN und der italienischen »Lega« auftauchen. In und um die »Nationaldemokratische Partei Deutschlands« (NPD) herum hieß das ähnlich unausgegorene, dort vor allem im Dienst der sozialen Frage stehende Konzept »raumorientierte Volkswirtschaft«.
Auch die »Lega« hat sich in ihrem letzten Wahlprogramm ausführlich mit Fragen von Klima- und Umweltschutz beschäftigt. Ein guter Teil davon ist sogar in das Regierungsprogramm mit dem Koalitionspartner, der »5-Sterne-Bewegung« (M5S), eingegangen. Begründet mit Effizienz, Innovation und Wachstum, finden sich darin ebenfalls die Dekarbonisierung und der Ausbau erneuerbarer Energien. Die gleichen Argumente wurden von beiden Parteien im Streit um den Bau der Hochgeschwindigkeitszugstrecke von Lyon nach Turin Anfang des Jahres in Anschlag gebracht, allerdings mit ganz unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Dem M5S ging es in seiner Ablehnung zudem um Umweltschutz, für die Lega war der zugunsten wirtschaftlicher Aspekte zweitrangig. Ähnlich ökonomisch orientiert ist die finnische »Perussuomalaiset« (PS) aufgestellt. Sie erkennt zwar die Problematik des Klimawandels an, ein finnischer Industrieschornstein ist für sie aber eine positive Klimaschutzmaßnahme gegen das »China-Syndrom« und von daher schon Teil der Lösung. Vor allem zum Schutz der heimischen Industrie und Arbeitsplätze werden jegliche internationale Lösungen abgelehnt, wie zum Beispiel das Pariser Klimaschutzabkommen. Zu diesem Abkommen hat fast die gesamte extrem rechte Parteienlandschaft Europas dieselbe ablehnende Meinung, gleichwohl stimmten einige in ihren jeweiligen Kontexten doch für dessen Implementierung.

… alle auf Greta!
In einer Frage aber gibt es unverbrüchliche Einigkeit und Glaubwürdigkeit: die Feindschaft zur aktuellen globalen Klimabewegung. Im Allgemeinen warnen konservative bis extrem rechte Politiker*innen vor der angeblichen Klimawandelhysterie. Der spanischen VOX zufolge sitze man einem »Klima-Schwindel« auf. Als »Klimatrottel« (Pia Kjaersgard, DF) wurden die Bewegten schon direkt beleidigt und schlussendlich entlädt sich die geballte Wut ganz persönlich an der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg. Seit Beginn ihrer freitäglichen Schulverweigerung für die Zukunft erreichen sie unzählige Schmähungen und Beschimpfungen, Hassbotschaften und Morddrohungen, zuletzt wurde ihr sogar eine ideologische Mittäterschaft am Christchurch-Attentat untergeschoben. Und in Schweden selbst? Der Vorsitzende der »Sverigedemokraterna« (SD), Jimmie Åkesson, reduzierte Thunberg zum Kind und Teil einer PR-Kampagne. Die postwendende Zurechtweisung durch die Sozialversicherungsministerin enthielt dann auch den wichtigen Kern, dass das Eindreschen eines Parteivorsitzenden auf eine junge Klimaaktivistin, die sich für eine bessere Welt einsetzt, schlicht eine Schande sei. Hysterisch wird also vor allem die extreme Rechte selbst.
Neben den »Gender- und Political Correctness-Wahn« tritt sprachlich und sachlich analog, nun auch noch der »Klimawahnsinn« (Maximilian Krah, AfD). Ihre irrationalen Reaktionen sind daher vor allem als Ausdruck eines Hasses gegen jede gesellschaftliche Veränderung überhaupt zu verstehen. Größe, Internationalität und Militanz der Klimabewegung scheinen der extremen Rechten europaweit derart Angst zu machen, dass sie selbst im doppelten Sinne grenzenlos wird: Aus allen Ländern ertönt dieselbe maßlose, tumbe Pöbelei gegen wissenschaftliche Erkenntnisse, politische Maßnahmen und vor allem gegen Aktivist*innen. Vielleicht nicht ganz zu Unrecht vermutet die extreme Rechte in dieser sozialen Bewegung eine Sprengkraft, die ihren reaktionären, anti-solidarischen und anti-egalitären Ansprüchen nicht konträrer sein könnte.