»Uniter«, Franco A. und rechte »Prepper«
von Sebastian Wehrhahn und Martina Renner
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 178 - Mai / Juni 2019
#Hannibal
Der Instagram-Account des Vereins »Uniter« lässt auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches erkennen: Gemeinsam laufen gehen, internationale Kontakte knüpfen, ein paar gemeinschaftsstiftende Aktivitäten und Reflexionen über Erlebnisse deutscher Soldaten. Viele Bilder sind es nicht. Das war allerdings nicht immer so. Bevor etliche Fotos verschwanden, waren viele Waffen zu sehen: Ein augenscheinlich privates Depot und posierende Soldaten, Teile einer Uniform der polizeilichen »Beweis- und Festnahmeeinheit« aus Hessen, ebenso ein automatisches Gewehr; und immer wieder das »Uniter«-Abzeichen: ein Schwert in einem Kreuz, umrahmt von einem Lorbeerkranz. Dass diese Bilder gelöscht wurden, dürfte auch damit zusammenhängen, dass sich Sicherheitsbehörden und Medien zusehends für den Verein interessieren – aufgrund der undurchsichtigen Verbindungen zu den Rechtsterrorermittlungen gegen Franco A. und »Nordkreuz«.
Mehr als nur ein Chat
Im April 2017 wird Oberleutnant Franco A. auf einem Einzelkämpferlehrgang verhaftet. Zwei Monate zuvor hatte ihn bereits die österreichische Polizei festgenommen, als er versuchte, eine geladene Waffe aus einem Versteck in einer Toilette im Wiener Flughafen Schwechat zu holen. Bei Durchsuchungen fand man laut ErmittlerInnen unter anderem Listen mit potenziellen Anschlagsopfern wie Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung oder Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), ebenso Notizen zu möglichen Rechtsterrorplänen wie einem Sprengstoffanschlag auf den Frankfurter Gedenkstein für die Familie Rothschild oder einem Handgranatenangriff auf AntifaschistInnen, getarnt als »Asylant«. Diese Verschleierung war mehr als nur ein bloßes Hirngespinst von A. Im Zuge der Razzien wurde deutlich, dass er eine Tarnidentität als syrischer Flüchtling namens »David Benjamin« aufgebaut hatte. Zudem habe man Munition und Sprengstoff beschlagnahmt.
Einen Monat später übernahm die Generalbundesanwaltschaft (GBA) den Fall. Der Vorwurf lautete nun »Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat«. Das Oberlandesgericht Frankfurt entschied jedoch im Juni 2018, den Prozess nicht zu eröffnen, da trotz dieser Beweislage kein hinreichender Tatverdacht bestehe. Eine Entscheidung über die dagegen gerichtete Beschwerde der GBA ist beim Bundesgerichtshof bis heute nicht erfolgt.
Die zentrale Verbindungslinie zu »Uniter« ist André S., der Mitbegründer des Vereins. Offiziell sei A. nie Mitglied dieser Gruppierung gewesen. Doch S. habe auch mehrere »Telegram«-Chatgruppen administriert, darunter eine, in der A. registriert gewesen sein soll. Nachdem er von der Verhaftung erfuhr, wurden die Chats wohl von S. gelöscht. Zudem hätten beide 2016 an einem konspirativen Treffen in Albstadt teilgenommen. Etwa 30 Personen, darunter Polizisten und Soldaten, trafen sich damals in einem Schützenhaus, um sich unter anderem über Waffen auszutauschen. Die Handys blieben in den Autos, um ein Abhören zu verhindern. Und noch eine Parallele: S. ist ebenfalls Soldat, zum damaligen Zeitpunkt war er Mitglied des streng abgeschirmten »Kommando Spezialkräfte« (KSK).
Die Spinne im Netz?
»Nordkreuz« ist der Name einer von mehreren Chatgruppen aus Mecklenburg-Vorpommern und mindestens einen dieser Chats soll »Uniter«-Gründer S. administriert haben. Etwa 30 Mitglieder waren Teil der »Nordkreuz«-Gruppe, größtenteils ehemalige Soldaten der Bundeswehr, und nun sogenannte »Prepper«, also Leute, die Szenarien für den Zusammenbruch der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung entwerfen. Dieser Zusammenbruch könnte im Denken von »Preppern« nicht nur eine Folge von Naturkatastrophen oder Terroranschlägen sein, sondern ebenso von Migration. Das Spektrum reicht von Zukunftsängsten bis zu apokalyptischen Vorstellungen und rechten Bürgerkriegsphantasien. Viele »Prepper« legen Vorräte und Ausrüstungslager an, die meisten Mitglieder der »Nordkreuz«-Gruppe waren aber zudem im Besitz von Waffen.
Sechs von ihnen stehen im Fokus von Ermittlungen der GBA. Zwei Personen wird die »Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat« vorgeworfen. Sie hätten sich nicht nur über Konserven und Notstromaggregate ausgetauscht, sondern Pläne zur Entführung und Ermordung von Linken geschmiedet. Entsprechende Unterlagen fand die Polizei im Zuge mehrerer Durchsuchungen. Über einen von ihnen, den Rostocker Anwalt Jan-Hendrik H., schrieb der damalige Politiker der »Alternative für Deutschland« Holger Arppe: »Er hasst die Linken, hat einen gut gefüllten Waffenschrank in der Garage und lebt unter dem Motto: Wenn die Linken irgendwann völlig verrückt spielen, bin ich vorbereitet.« Der andere Beschuldigte ist ein Polizist. Haik J. steht im Verdacht, über seinen Dienstcomputer Meldedaten von potentiellen Opfern recherchiert zu haben.
In den Fokus der Ermittlungen gerieten diese Männer unter anderem durch Befragungen zum Fall »Franco A.«. In diesem Zusammenhang wurde ein weiterer Zeuge gehört: André S., in dessen Kaserne in Calw im September 2017 eine Durchsuchung folgte. Ob er von seinem Kontaktmann beim »Militärischen Abschirmdienst« (MAD) vor der Razzia gewarnt worden war, konnte in einem Prozess vor dem Kölner Amtsgericht im März dieses Jahres nicht abschließend geklärt werden. Deutlich wurde allerdings, dass S. laut anderen Zeugenaussagen Bescheid wusste und wohl einen Laptop verschwinden ließ.
Waffendepots und Schießtrainings
»Uniter« will weder mit Franco A. noch mit den »Nordkreuz«-Chats etwas zu tun haben. Doch nach Recherchen der »Tageszeitung« soll nicht nur André S. alias »Hannibal« Teil dieser Chats gewesen sein. Mindestens zwölf der früheren Chat-Mitglieder sind oder waren mutmaßlich Mitglieder von »Uniter«. Außerdem habe André S. über diesen Kommunikationsweg Vereinsaktivitäten beworben; ein Schießtraining beispielsweise, bei dem die Teilnehmer aus einem Helikopter schießen lernen könnten. Ein ehemaliger KSK-Soldat berichtete laut »Südwestrundfunk« zudem von 80 bis 100 Personen, die Waffendepots angelegt hätten, um am »Tag X« loszuschlagen. Auf entsprechende Presseanfragen reagieren »Uniter« und S. schroff. Der »Tageszeitung« gegenüber drohte S. schon frühzeitig, den MAD einzuschalten, in öffentlichen Erklärungen werden JournalistInnen und Medien als »politisch motivierte Presse« tituliert, die eine »Hexenjagd« gegen »unbescholtene Bürger« veranstalten würden. Deren Berichte seien eine »staatsgefährdende Entwicklung«.
Derweil baut der Verein seine Organisation und Aktivitäten aus. Nach eigenen Angaben verzeichne man einen Mitgliederzuwachs und die öffentliche Darstellung erweckt den Eindruck eines prosperierenden Vereinslebens. Andere Vorgänge verhandelt die Gruppierung nicht so offen, dafür aber die »Tageszeitung«. Die berichtete unter anderem über ein Training von »Uniter« im Juni 2018, bei dem es vorgeblich um ein Training der eigenen »Medical Response Unit« ging. Daneben sollen Teilnehmer unter der Leitung von S. jedoch den Umgang mit Waffen trainiert haben mit dem Ziel, eine bewaffnete »Defense«-Einheit aufzubauen. Laut Uniter habe es sich um Waffenattrappen gehandelt. Jedoch sind diese auf dem Übungsgelände ohne ausdrückliche Genehmigung nicht erlaubt.
Kollege von NSU-Mordopfer
Eine weitere Figur, die Fragen aufwirft, ist Ringo M., geborener L. Unter seinem früheren Namen war er bei der »Beweis- und Festnahmeeinheit 523« der Polizei in Böblingen Kollege von NSU-Opfer Michèle Kiesewetter. Später wechselte er zum Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) in Baden-Württemberg und war während dieser Zeit sogar Gründungsvorsitzender von »Uniter«, also von Beginn an dabei. Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss im Erfurter Landtag konnte M. allerdings erstaunlich wenig über seine berufliche Laufbahn oder den Verein sagen und von den eingangs beschriebenen Chats oder von Franco A. habe er nichts gewusst. Mittlerweile ist M. nicht mehr für das LfV tätig. CDU-Innenminister Thomas Strobl hatte dies veranlasst, da er »nicht mit Sicherheit ausschließen« könne, »dass die Mitgliedschaft von Beamten (…) in diesem Verein die Integrität der Sicherheitsbehörden von Bund und Land tangieren kann«. Strobl ersuchte außerdem Innenminister Horst Seehofer, den Verein zu überprüfen.
Auf Bundesebene sind Konsequenzen bisher ausgeblieben. Die Befassungen in den nicht-öffentlichen Sitzungen von Verteidigungs- und Innenausschuss im Bundestag fanden erst statt, als die Medienveröffentlichungen politischen Druck erzeugt hatten und blieben stets an der Oberfläche. Die Vertreterin der Bundesanwaltschaft wirkte streckenweise vollkommen uninformiert. Im April beauftragte das für die Arbeit der Geheimdienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium einen Bericht über mögliche extrem rechte Bestrebungen mit Bezug zur Bundeswehr. Doch dieser Bericht wird voraussichtlich zur Verschlusssache erklärt und der Öffentlichkeit vorenthalten werden. Es fehlt der Regierung schlicht an politischem Willen zur Aufklärung. Die CDU ist bemüht, weiteren Schaden von ihrer durch die Berateraffäre und einen anstehenden Untersuchungsausschuss ohnehin stark angeschlagenen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen abzuwenden. Die SPD wiederum meidet wie stets den Konflikt mit der Koalitionspartnerin aus Angst, das Bündnis zu gefährden und bei drohenden Neuwahlen schlechter abzuschneiden.
Netzwerke zerschlagen
Auch künftig braucht es politischen Druck, um Aufklärung durchzusetzen. Dabei geht es um das Abwenden einer rechtsterroristischen Bedrohung. Diese Gefahr besteht nicht einzig in der Möglichkeit einer modernen schwarzen Reichswehr, eines organisierten, bewaffneten Putsches von rechts. Deutlich gefährlicher ist die Möglichkeit, dass einzelne Personen und Kleingruppen aus den oben beschriebenen Netzwerken zur Tat schreiten. Die Voraussetzungen dafür werden in folgenden Strukturen hergestellt: die organisierte Affinität für Waffen, ein gewaltvolles Männlichkeitsbild und rassistisch aufgeladene Endzeitvorstellungen. Gepaart mit individuellen und unvorhersehbaren Auslösern ist diese Gefahr deutlich größer als von den Sicherheitsbehörden eingestanden wird. Der Schlüssel zur Entschärfung ist die vollständige Entwaffnung und Zerschlagung dieser Netzwerke, eine konsequente Verfolgung extrem rechter Straftaten bei Militär, Polizei und Geheimdiensten und eine Veränderung jener Strukturen, die solche Gefahren hervorbringen.