Keine Überraschung
von Sascha Schmidt
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 175 - November / Dezember 2018
#Hessen
Auch in Hessen zieht die »Alternative für Deutschland« ins Parlament ein. Im Endergebnis bleibt sie jedoch hinter den selbst gesteckten Erwartungen. Und auch im Wahlkampf lief keineswegs alles rund.
Mit 13,1 Prozent gelang der »Alternative für Deutschland« (AfD) am 28. Oktober 2018 der Einzug in den hessischen Landtag. Damit konnte die AfD ihr Ergebnis bei den letzten Landtagswahlen (2013: 4,1 Prozent) mehr als verdreifachen und sitzt nun mit 19 Sitzen als viertstärkste Fraktion im Parlament. Dennoch war die Freude am Wahlabend im Kreise der AfD-Spitze verhalten. Denn trotz der deutlichen Zugewinne gegenüber 2013 sowie einem leichten Anstieg gegenüber dem landesweiten Ergebnis bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr (11,9 Prozent) blieb das Ergebnis hinter dem von Landessprecher Robert Lambrou inbrünstig vorgetragenen Ziel von »15 Prozent plus X«. Ein Blick auf die absoluten Zahlen von etwa 378.000 Zweitstimmen macht zudem deutlich: Gegenüber der Bundestagswahl hat die AfD in Hessen rund 20.000 Stimmen verloren.
WählerInnenwanderungen und Hochburgen
Dass auch bei dieser Wahl vor allem die Unzufriedenheit vieler Menschen mit der »Großen Koalition« in Berlin die Motivation für ihre Wahlentscheidung mitbestimmt hatte, spiegelte sich sowohl im Vorfeld in zahlreichen Umfragen wider, als auch am Wahlabend in den Verlusten von CDU und SPD; jeweils rund 11 Prozent. Der Blick auf die WählerInnenwanderungen lässt vor allem eine hohe Unzufriedenheit vieler AfD-AnhängerInnen mit der hessischen CDU erkennen, die lange als »Stahlhelm-Fraktion« innerhalb der Union galt. Ein Viertel aller WählerInnen der AfD hatte vor fünf Jahren noch ihr Kreuz bei der CDU gemacht. Dreiviertel von ihnen stimmten außerdem der Aussage zu, die AfD trete »für Positionen ein, die früher die hessische CDU vertreten hat«. Folglich liegt auch ein Großteil der AfD-Hochburgen in traditionell konservativ geprägten, ländlichen Regionen. Überdurchschnittlich punkten konnte die AfD insbesondere in den osthessischen Wahlkreisen Main-Kinzig III (17,7%) und den beiden Fuldaer Wahlkreisen (16,8 bzw. 18,2%). Dort wurde die Partei, sogar mit lokalen Spitzenwerten von bis zu 24 Prozent, knapp hinter der CDU zweitstärkste Kraft. So geschehen in der Gemeinde Neuhof, in der der jetzige Bundestagsabgeordnete der AfD, Martin Hohmann, vierzehn Jahre als Bürgermeister regierte. Großen Zulauf verzeichnete die AfD auch im Landkreis Wetterau (17,4%) – einst eine Hochburg der hessischen NPD. In der dortigen Gemeinde Hirzenhain wurde die AfD mit 23,2 Prozent der Zweitstimmen sogar stärkste Kraft. Ihr Direktkandidat war der langjährige, ehemalige Vorsitzende des »Vereins für Staatspolitik«, Andreas Lichert. Ihm fehlten nur 2 Prozentpunkte, um sich gegen Landesministerin Lucia Puttrich (CDU) das Direktmandat zu sichern.
Die Wahl brachte ein deutliches Stadt-Land-Gefälle hinsichtlich des AfD-Zuspruchs zu Tage. Während der statistische Mittelwert in den Dörfern und Gemeinden bei 15 Prozent lag – mit mehr als drei Dutzend Ausreißern nach oben zwischen 17 und 24 Prozent – stimmten in den mittelgroßen Städten durchschnittlich 12 Prozent der WählerInnen, in den Großstädten lediglich rund zehn Prozent pro AfD.
Die klare Verliererin am rechten Rand war die NPD. Konnte sie bei den Kommunalwahlen 2016, dort wo die AfD nicht antrat, noch mit mehreren zweistelligen Ergebnissen in Stadt- und Kreisparlamente einziehen, hat die nun flächendeckend vertretene AfD ihr die letzten Hochburgen streitig gemacht (s. drr Nr. 159). Gegenüber den Landtagswahlen 2013 verlor die NPD 0,9 Prozent und landete mit nur noch 6190 Stimmen bei 0,2 Prozent. Der damit verbundene Verlust der Wahlkampfkostenrückserstattung dürfte den ohnehin seit Jahren im Tiefflug befindlichen Landesverband zukünftig vor existenzielle Probleme stellen.
Klassische Themensetzung
Wenig überraschend setzte die AfD bei ihrem Wahlkampf vor allem auf ihre klassischen Kernthemen: Innere Sicherheit, eng verknüpft mit rassistischer Anti-Asyl- und Anti-Migrationspolitik sowie dem Heraufbeschwören einer angeblich allgegenwärtigen »Ausländerkriminalität«. Das Straßenbild dominierten Plakate mit Parolen wie »Konsequent abschieben«, »Rechtstaat wiederherstellen« und »Sicherheit für unsere Töchter und Frauen«. Damit konnte die Partei ihre Klientel mobilisieren: Rund zwei Drittel aller AfD-WählerInnen gaben diese Themen als Grund für ihre Wahlentscheidung an. Die in Umfragen als wichtigste landespolitische Herausforderungen benannten Bereiche Bildung, Infrastruktur, Verkehr und Wohnen vernachlässigte die AfD nahezu gänzlich. Im Bereich Verkehr präsentierte man sich als ‹Pro-Diesel-Partei›, bei der Bildung setzte man maßgeblich auf die Kritik am hessischen Lehrplan zur Sexualerziehung. Bedeutende Fragen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik wurden, vermutlich wohlwissend um die eigenen Kompetenzdefizite, weitestgehend ausgespart. Selbst die Spitzenvertreter Rainer Rahn und Robert Lambrou offenbarten in Interviews und Spitzenrunden des Hessischen Rundfunks eklatante Wissenslücken oder gaben an, schlicht keine Lösungsvorschläge zu haben. Für die sozialpopulistische Note sollte im Wahlkampf Bundesvorstandsmitglied Guido Reil (s. drr Nr. 171) aus Nordrhein-Westfalen sorgen, der mit 15 Auftritten in Hessen Dauergast war.
Durchwachsener Wahlkampf
Der Wahlkampf der AfD verlief, ähnlich wie die Auftritte ihrer Spitzenkandidaten, recht holprig. Noch ehe er richtig begonnen hatte, sorgten Berichte über interne Streitigkeiten und Parteiausstritte in Kreisverbänden sowie Mandatsniederlegungen in Stadt- und Gemeindefraktionen für mediale Störgeräusche (s. drr Nr. 174). Am Abend der Neonazi-Ausschreitungen in Chemnitz sorgten Drohungen gegen JournalistInnen für Aufsehen, die der Fraktionsvorsitzende der AfD im Kreistag des Hochtaunuskreis, Thomas Langnickel, auf Facebook verbreitete: »Bei uns bekannten Revolutionen wurden irgendwann die Funkhäuser (…) gestürmt und die Mitarbeiter auf die Straße gezerrt.« Ende September erhob die Staatsanwaltschaft Fulda dann Anklage gegen das ehemalige Landesvorstandsmitglied der Parteijugend »Junge Alternative« (JA), Toni Reinhardt. Der Vorwurf lautet, Reinhardt habe sich im Februar 2017 in einem Notruf bei der Polizei als Vorsitzender des Vereins »Fulda stellt sich quer« ausgegeben und behauptet, er habe seine Frau umgebracht. Dem falschen Notruf folgte ein größerer Polizeieinsatz am Haus des Vereinsvorsitzenden.
Schwierigkeiten hatte die AfD nicht nur hinsichtlich ihrer Außenwirkung, sondern auch bei der Mobilisierung ihrer Mitglieder und SympathisantInnen. Nur wenige der rund drei Dutzend Saalveranstaltungen stießen auf großes Interesse. Lediglich die Auftritte der Bundesspitzen Beatrix von Stroch, Jörg Meuthen und Alexander Gauland fanden regen Zuspruch. Zudem warteten häufig schon mehrere hundert Menschen vor Ort, um gegen die AfD zu protestierten. Die Mobilisierungsdefizite der Partei wurden auch bei einer »Ja zum Diesel«-Demonstration im August in Friedberg deutlich, ebenso wie bei einer geplanten Demonstration gegen einen Besuch von Angela Merkel im südhessischen Dieburg. Zum ersten Aufmarsch kamen trotz personeller und logistischer Unterstützung aus Sachsen nur knapp 100 Personen, letzterer wurde sogar ganz abgesagt. Die fadenscheinige Begründung: »Linke« oder vom Verfassungsschutz eingeschleuste NPD-Mitglieder könnten den Hitlergruß zeigen, um die AfD zu diffamieren. Wenige Tage vor der Wahl berichteten Medien dann von einer Auseinandersetzung mit einem Anwohner in Frankfurt am Main, in deren Zuge ein Wahlkämpfer eine Pistole gezogen habe. Dabei handelt es sich um Zahid Khan, Vater des AfD- und JA-Landesvorstandsmitgliedes Mary Khan.
Extreme Rechte in der Landtagsfraktion
Zufriedenheit herrschte bei der AfD am Wahlabend zumindest über die erreichten 19 Sitze. Diese waren in dieser Höhe jedoch nicht dem eigenen Wahlergebnis, sondern den zahlreichen Überhangs- und Ausgleichmandaten geschuldet. Es bleibt abzuwarten, wie sich die neue Fraktion aus weitgehend unbekannten Abgeordnete präsentieren wird. Innerhalb der Fraktion könnte sich auch ein extrem rechter Flügel formieren. Dessen bekannteste VertreterInnen in Hessen sind Andreas Lichert (Kreis Wetterau), der Burschenschafter Frank Grobe und Klaus Gagel (beide Rheingau-Taunus-Kreis) sowie Alexandra Walter (Kreis Groß-Gerau) (s. drr Nr. 174). Nur zwei Tage nach der Landtagswahl sorgten Facebook-Posts von Walter für mehr Aufsehen, als sich die Neu-Abgeordnete hätte wünschen können. Nach dem Besuch eines Vortrages des verurteilten Kriegsverbrechers und einstigen »Oberscharführer der Waffen-SS«, Dries Coolens, hatte sie diesen als »tollen Menschen« bezeichnet. Zudem wetterte Walter über »Verrat an jeder Ecke«, der im Zweiten Weltkrieg zu »Deutschlands Niederlage« beigetragen habe und bezeichnete Halloween als »Besatzerfest«. Nach umfangreichen Medienberichten gab die Partei-Spitze an, die Vorgänge prüfen zu wollen. Ihre Affinität zur extremen beziehungsweise »Neuen Rechten« hatte Walter bereits im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse erkennen lassen. An einem lediglich für Fachpublikum zugänglichen Tag besuchte sie mit JA-Vertretern ein Gespräch zwischen Ellen Kositza und Vera Lengsfeld, zu dem der »Loci-Verlag« alias »Antaios« geladen hatte.
Stabiles Potential, aber kein Rechtsruck
Zwar ist der AfD der Einzug in den Landtag gelungen und sie scheint mittlerweile über ein relativ konstantes Potential an StammwählerInnen zu verfügen. Ihr selbstgestecktes Propagandaziel, sich als kommende Volkspartei zu inszenieren, hat sie jedoch verfehlt. Im Vergleich mit den Landtagswahlen der letzten zwanzig Jahre kann zudem weniger von einem Rechtsruck, als vielmehr von einer Wanderbewegung von ‹Mitte-Rechts› und ‹Rechts› nach ‹Rechts-Außen› gesprochen werden. Denn die Gesamtprozente von CDU, FDP und AfD lagen bei dieser Wahl nahezu hinter allen aufsummierten Zweitstimmenergebnissen für Parteien aus dem rechten Lager seit 1998.