Kampffeld Schule

von Erhard Korn
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 175 - November / Dezember 2018

#LehrerInnen

Einen Tag vor dem für die »Alternative für Deutschland« (AfD) enttäuschenden Wahlausgang in Bayern stand die Ursache für Michael Stürzenberger auf »PI-News« fest: »Nur 8% der Schüler in Bayern unter 18 Jahren entscheiden sich für AfD. Indoktrination durch linksgrüne Lehrer wirkt.« Dagegen gelte es nun, mit Meldeportalen vorzugehen.

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Screenshot des Meldeportals der AfD
© derrechterand Archiv

Nach Hamburg richtete der AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Räpple für Baden-Württemberg eine solche Denunziationsplattform ein: »Hier können sich ab sofort betroffene Schüler und Studenten über politisch agierende Lehrer und Professoren beschweren.« Missliebige Äußerungen sollten etwa mit Handykameras dokumentiert und gemeldet werden. Wenn Dienstaufsichtsbeschwerden nicht »fruchteten«, würden die Vorgänge öffentlich gemacht. Als selbst sein ehemaliger «Verband Bildung und Erziehung« protestierte, kommentierte Räpple: »Dass die Lehrerverbände nun Angst bekommen, zeigt mir, dass an dem Verdacht der Gesetzesuntreue vielleicht doch mehr als gedacht dran sein könnte.« Offenbar reicht ihm schon die Ablehnung seines Vorgehens, um eine »Gesetzesuntreue« zu unterstellen.

Noch mehr ist die »Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft« (GEW) dem Rechtsradikalen ein Dorn im Auge, sie sei »ja gerade das Sammelbecken dieser linksgrünen Öko-Lehrer«. Damit ist denn auch absehbar, dass ihre Entsorgung oben auf der Agenda steht. »Wir wollen weg vom links-rot-grün-versifften 68er-Deutschland und hin zu einem friedlichen, wehrhaften Nationalstaat«, hatte schon Parteichef Jörg Meuthen auf dem Bundesparteitag 2016 in Stuttgart gefordert. »Zersetzung«, »versifft« einerseits, »Entsorgung« und »Ausmisten« anderseits sind denn auch Vokabeln, die ein zutiefst menschenverachtendes Denken offenbaren, in dem aber stets auch eine Drohung eingeschlossen ist, die sicher nicht zufällig an den NS-Jargon erinnert. In den AfD-affinen Foren der »Bewegungspartei« werden die Plattformen zustimmend kommentiert:
»Diese hirnlosen Verbrecher uns beschuldigen, Rassismus, Antisemitismus, und Homophobie, dass Programm der sogenannten Rechten ist. Islamfeindlichkeit ist das einzige, was unser Land noch retten kann, wer das nicht so sieht, gehört auf einen Scheiterhaufen, oder kniend gefesselt, mit einen orangen Kombi vor einem Allah-Menschen postiert.« (Fehler im Original)

Die Ereignisse von Chemnitz haben gezeigt, wie schnell solche Verbalhetze in Hetzjagden auf Menschen umschlagen kann.Nach einer kreativen Überschwemmung musste Räpples seine Plattform vom Netz nehmen: Es waren ihm massenhaft hetzende und menschenverachtende Äußerungen von AfD-FunktionärInnen »gemeldet« worden. Daraufhin kündigte die AfD-Fraktion in Stuttgart die Einrichtung eines eigenen »Kummerkastens« an. Wenn sich Lehrkräfte »abfällig über bestimmte Parteien oder auch den amerikanischen Präsidenten Donald Trump äußern«, werde die Partei »gegebenenfalls mit der Lehrkraft und der aufsichtsführenden Behörde ein Gespräch suchen«. AfD-Abgeordnete laden LehrerInnen vor, die sich dann vor ParteifunktionärInnen rechtfertigen müssen?
Der »Kummerkasten« werde zudem allen Bürgern offenstehen, so Fraktionschef Bernd Gögel – was ja nur heißen kann, dass AfD-kritische BürgerInnen in allen gesellschaftlichen Bereichen unter Druck gesetzt werden sollen, sich »neutral« zu verhalten.

Inzwischen haben sich weitere AfD-Landesverbände diesem Vorgehen angeschlossen. Mit einem »Lehrer-SOS« will die Partei in Sachsen den Unterricht beeinflussen, in Brandenburg musste die Einführung allerdings aus Datenschutzgründen verschoben werden. Zudem will hier die Landtagspräsidentin prüfen lassen, ob die Finanzierung des Portals aus öffentlichen Mitteln überhaupt zulässig ist.
Wohin diese patriotische Deutschlandreise zum »wehrhaften Nationalstaat« gehen soll, zeigt die Forderung nach Verdopplung des Rüstungshaushalts und der Wiedereinführung der Wehrpflicht. Jugendoffiziere der Bundeswehr sollen an den Schulen »ohne Beschränkung« agieren dürfen – und das kann nur heißen: eben ohne Berücksichtigung des »Beutelsbacher Konsenses« und ohne potentielle Gegenargumente aus der Friedensbewegung. Der Ruf nach »Neutralität« gilt nicht mehr, wenn Inhalte durchgesetzt werden sollen, die im Zielhorizont der AfD liegen. Koordiniert gingen deren Landesverbände gegen Arbeitsblätter des Schroedel-Verlags vor, die, durchaus kritisch, regelmäßig zu allen Parteien veröffentlicht werden, im Fall der AfD aber, so der Abgeordnete Räpple auf seiner Homepage, »nur noch als kriminell zu bezeichnen« seien. »Jedes Angebot zur Urteilsbildung, jede Aufforderung zur Reflexion, jede Verunsicherung festgefügter Vorurteile« gelten als Skandal, akzeptiert werden nur »die eigenen Vorgaben zur Selbstdarstellung«. So analysiert der Wissenschaftler Johannes Schillo den AfD–Diskurs um die Arbeitsblätter.

Orbánisierung des Staates
Als Begründung für ihre »Lehrer-SOS« genannte Plattform schreibt die AfD-Fraktion Sachsen, die Staatsregierung habe bei Beschwerden auf »die Verantwortung für Lerninhalte und Unterrichtsgestaltung an die Schulen« verwiesen, »eine parlamentarische Kontrolle ist somit beinahe unmöglich«. Im Klartext: Es geht um die Kontrolle des Unterrichts durch eine Partei. Wenn die AfD beklagt, dass ein »Grünen-Politiker als Referent in einer nordsächsischen Schule Ethik-Unterricht halten sollte«, dann zeigt das, dass sie eigentlich sogar eine parteipolitische Kontrolle der Lehrereinstellung will.
Beim »Unternehmerempfang der AfD-Faktion« am 3. Mai 2018 in Erfurt bekannte sich Oberösterreichs Landesrat Edgar Podgorschek von der »Freiheitlichen Partei Österreichs« – beklatscht von Björn Höcke – zu einer »Orbánisierung« des Staates. Den öffentlichen Rundfunk und die Wissenschaft solle man »neutralisieren«, die Spitzen von Staatsorganen »austauschen« oder »umfärben«. Kommunikationsfelder werden zu Kampffeldern. Hier sieht die Rechte Hürden für ihre Transformationsstrategie. Die sächsische Staatsministerin für Integration Petra Köpping (SPD) beobachtete eine Indifferenz von Lehrkräften, die in der »Nachwendezeit möglichst die Finger vom heißen Eisen Politik ließen«, was die Radikalisierung junger Leute begünstige – so wie die steigende Akzeptanz des Rechtspopulismus unter Gewerkschaftsmitgliedern mit dem schwindenden Einfluss aktiver und gesellschaftspolitisch engagierter Betriebsräte und Vertrauensleute zusammenhängt. Fehlen solche »Bezugspunkte« und Reflexionsräume, findet Hetze unmittelbar Eingang in politische Haltungen. Das zeigt die REPO-REGIO-Studie »Rechtsextremismus und sein Umfeld« unter Azubis im ländlichen Südwürttemberg. Eine politische und historische Bildung, die zur Ächtung des NS-Regimes beiträgt, scheint dagegen noch ein Hindernis für rechte Lufthoheit darzustellen.

Relativierungsdiskurs
Auf dem Grundkonsens, dass die autoritäre Rechte die Zerstörung Deutschlands und Europas verursacht hat, basieren Grundgesetz und öffentliche Erinnerungskultur. Diese »dämliche Erinnerungspolitik«, so der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke, raube Deutschland die kollektive Identität. Drei Tage nach seinem Aufruf zu einer erinnerungspolitischen Kehrtwende um 180 Grad beantragte seine Partei im Stuttgarter Landtag, Zuschüsse für die Gedenkstätte in Gurs (in Frankreich) zu streichen, wohin die badischen Juden deportiert worden waren.
Um den angestrebten »wehrhaften Nationalstaat« als Hegemonieprojekt konsensfähig machen zu können, soll die Identifizierung von nationalistischen Rechten mit dem NS-System entsorgt werden. Der Erfolg einer neuen Rechten hänge davon ab, inwieweit es gelingt, die »Legitimität der politischen Zielbilder« zu verschieben, schreibt der AfD-Abgeordnete Wolfgang Gedeon in seinem Buch »Der grüne Kommunismus«. Seine Auslassung, im Geschichtsunterricht mache ein »zionistischer Antinazismus« die Erinnerung an den Holocaust zur »Zivilreligion des Westens«, zeigt aber auch die fließenden Grenzen dieses Diskurses zum offenen Antisemitismus. Mitglied des Schiedsgerichts im erneuten Ausschlussverfahren ist Dubravko Mandic, der forderte, mit Merkel zusammen »870.000 Kollaborateure aus Ministerien, Fernsehstudios, Lehrkörpern, Sozialämtern und Gewerkschaften« zu »entsorgen«.

Menschenrechtsbildung
Sehr zum Ärger rechter AkteurInnen hat die Kultusministerkonferenz am 11. Oktober 2018 die Bedeutung der seit 70 Jahren völkerrechtlich verbindlichen Menschenrechte hervorgehoben. Aufgabe der Schule sei es, »zu einer menschenrechtssensiblen und –fördernden Haltung zu erziehen, das erforderliche Wissen zu vermitteln sowie zu offenem und aktivem Engagement zu ermutigen«. Dazu gehörten insbesondere die Reflexion über Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Homophobie.
Der Politikwissenschaftler Helmut Däuble von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg wurde von der AfD attackiert, als er Lehrkräfte ermutigte, auch die eigene Position im Unterricht deutlich zu machen. Es sei anzunehmen, dass die AfD, einmal an der Regierung, alles daransetzen würde, an den Schulen jegliche Kritik an ihr zu unterbinden. Gegen eine solche Entwicklung könnten Lehrkräfte keineswegs neutral sein. Rassistische und völkische Tabubrüche müssten offengelegt werden.

Die juristische Erfolgsaussicht der Denunziationsplattformen ist gering. Die Gefahr, dass schon die Ankündigung politisch zu Vermeidungsverhalten führt, ist allerdings nicht zu unterschätzen. Dem kann durch ermutigende Gegenaktivitäten begegnet werden. Joachim Eichhorn, Rektor einer Schule bei Pforzheim, hat sich auf der Denunziationsplattform selbst angezeigt. Selbstverständlich stelle er sich gegen PopulistInnen, die eine Nähe zu faschistoidem Gedankengut nicht scheuten. Grundrechte gelte es mutig zu verteidigen. Auch ein Großteil des Kollegiums der Lina-Morgenstern-Schule in Berlin hat eine Selbstanzeige an die AfD-Fraktion geschickt. »Sie begründen diesen Schritt damit, dass sie in jedem Fall mit ihren Schüler*innen darüber sprechen, wenn sich eine Partei sexistisch, diskriminierend und menschenverachtend äußert. Nachahmer*innen anderer Schulen sind herzlich willkommen!«, so die GEW Berlin. 10.000 solche Selbstanzeigen, dokumentiert in LeserInnenbriefen, sozialen Medien und am Schwarzen Brett der Schule oder Hochschule, wären jedenfalls ein starkes Zeichen von Zivilcourage.

 

»Wenn wir kommen, wird ausgemistet«

von Erhard Korn
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 164 – Januar 2017

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