Tarnname »Nazi-Emi«

von Martin Finkenberger

Magazin »der rechte rand« Ausgabe 155 - Juli / August 2015

#BND

Bei der Auswahl seiner Mitarbeiter war der Bundesnachrichtendienst in den 1950er Jahren nicht wählerisch. Mit Johann von Leers führte er einen fanatischen Antisemiten der NS-Zeit als Quelle, der im internationalen Netzwerk der extremen Rechten nach 1945 eine wichtige Rolle spielte.

Magazin der rechte rand

Johann von Leers

Über seine letzte Lebensstation geriet Johann von Leers schon bald nach seiner Ankunft ins Schwärmen: Im »wundervollen Ägypten«, wo er im Sommer 1956 durch die Vermittlung einflussreicher Funktionäre der »Arabischen Liga« heimisch geworden war, fühle er sich »sehr glücklich«, ließ er einen Gesinnungsgenossen wissen. Angetan zeigte sich der erfahrene Propagandist, der in der »Kampfzeit« der NSDAP zu den engen Weggefährten Joseph Goebbels in Berlin gehört hatte, jedoch weniger von den Kulturdenkmälern am Nil. Seine Lobeshymne stimmte er stattdessen auf das Säbelrasseln seiner Gastgeber während der Suez-Krise an. Unter Staatspräsident Gamal Abdel Nasser nämlich habe sich das Land zum »Bollwerk gegen jüdisch-zionistischen Imperialismus und Geldherrschaft« entwickelt.

Antisemitischer Propagandist
Ob Nasser erfahren hat, wer ihm hier Beifall zollte, ist nicht bekannt. Unstrittig ist dagegen, dass von Leers bis zu seinem Tod 1965 von Kairo aus seine antisemitische Propaganda ungehindert fortsetzen konnte. Dass er dies unter dem wachsamen Blick des amerikanischen Geheimdienstes CIA tat, ist seit vielen Jahren dokumentiert. Belegt ist jetzt allerdings auch, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) von Leers nicht nur beobachtet hat, sondern mehrere Jahre unter der Registriernummer V 12.859,1 mit dem Tarnnamen »Nazi Emi« und »Hannes« als »Politische Quelle« führte. Über seine Weltanschauung bestand beim BND kein Zweifel: »Nationalsozialist«, heißt es lapidar in der Akte über den promovierten Juristen, der sich 1929 der NSDAP angeschlossen hatte.

Seit dieser Zeit profilierte von Leers sich als Redner und Journalist, der mit einer Flut von Zeitungsartikeln und Büchern hervortrat. »Dem Weltfeind an den Kragen«, postulierte er in einem seiner ersten Artikel in Joseph Goebbels Zeitung »Angriff«. Da er zu diesem Zeitpunkt noch zu den Anhängern der Gebrüder Strasser zählte, erklären sich auch seine weiteren Ausführungen, wonach jeder »Sozialist« zugleich »Judengegner« sein müsse. 1936 wurde von Leers, gefördert durch Heinrich Himmler, zunächst Dozent an der Universität Jena. Kurz darauf erhielt er eine ordentliche Professur. Bis Kriegsende publizierte er zahlreiche Propagandaschriften. Die Titel seiner Traktate, in denen er in immer neuen Variationen seine wahnhaften Vorstellungen über eine jüdische Verschwörung gegen die »arische Rasse« wiederholte, waren dabei Programm – von »Forderung der Stunde: Juden raus« unmittelbar nach der Machtübergabe an Adolf Hitler bis zum Pamphlet »Die Verbrechernatur der Juden«, das 1944 im Schatten der »Endlösung« erschien und den Völkermord nicht verhüllte: »Die Stunde der großen Weltentscheidung ist da: für Juda und das Verbrechertum – oder für die Zukunft der ehrlichen Arbeit. Jeder muss wählen, jeder muss sich entscheiden. Es gibt keine Neutralität, wenn es um das Leben aller geht«, erklärte von Leers.

Flucht
An diesem Fanatismus hielt er auch nach 1945 fest. Nach seiner Flucht aus einem amerikanischen Internierungslager und einigen Jahren in der Illegalität setzte von Leers sich im Sommer 1950 nach Argentinien ab. Im Umfeld des dort beheimateten »Dürer-Verlags« und der Zeitschrift »Der Weg«, die zahlreichen völkischen Autoren und unbeirrten Nationalsozialisten eine geistige Heimat boten, knüpfte er an seine frühere Publizistik an. »Die Judenfrage wurde fast zu meinem Hauptstudium«, schrieb er über seine Obsession. 1956 siedelte er mit seiner Familie nach Ägypten über.

Um seine Publizistik, seine uferlosen Korrespondenzen mit Gesinnungsgenossen, vor allem in Nordamerika und Europa, sowie seine Auftraggeber in Kairo ranken sich bis heute zahlreiche Gerüchte. Zeitgenössische Presseberichte enthielten nicht selten groteske Übertreibungen. So berichtete die Wochenzeitschrift »Frankfurter Illustrierte« im August 1957 in schrillen Tönen über einen »SS-Treffpunkt Kairo«, dem ehemalige Angehörige des nationalsozialistischen Terrorapparats angehörten. Gemeinsam mit von Leers bildeten sie »eine Art kleine Filiale des Dritten Reiches« und beteiligten sich am »Aufbau eines ägyptischen Nationalsozialismus«. Der BND verfolgte deshalb unterschiedliche Motive, als er – vermutlich über einen Mittelsmann, der seinen nachrichtendienstlichen Auftrag nicht zu erkennen gab – mit von Leers Kontakt aufnahm. Im Februar 1957 wurde der umtriebige Propagandist als »Politische Quelle« unter dem Tarnnamen »Nazi Emi« in Pullach registriert. Durch eine »mögliche Abschöpfung als uneingewiesene Quelle« erhoffte sich der Geheimdienst Zugang zu Informationen über das weltweite Netzwerk der Antisemiten, in dem von Leers eine Schlüsselstellung einnahm. Ebenso wichtig war dem BND allerdings, Gefahren, die durch den überzeugten Antisemiten selbst drohten, rechtzeitig erkennen zu können. Der Kontakt sei auch unter dem Gesichtspunkt aufgenommen worden, so »über einen der prominentesten Nazis in Ägypten Bescheid zu wissen«, vermerkt der BND in seinen Unterlagen.

»Politischer Fanatiker«
Damit jedoch hatte der Nachrichtendienst den Bock zum Gärtner gemacht. Die fixe Ideenwelt, in der von Leers lebte, war selbst Mitarbeitern des BND nicht verborgen geblieben. Von einer Zusammenarbeit mit ihm hielt sie das aber nicht ab. Schon bald zeigte sich allerdings, dass der Informant die Erwartungen nicht erfüllte, die in ihn gesetzt worden waren. Als Quelle zeichne sich der »politische Fanatiker« durch »völlige Unergiebigkeit« aus, urteilte der BND. Ein Mitarbeiter äußerte sogar die »Befürchtung«, dass es sich »um einen Geisteskranken handeln könnte«. Was wie eine Pathologisierung klingt, die von Leers Agitation verharmlost, entbehrt nicht völlig den Tatsachen. Zwei Herzinfarkte, die von Leers 1958 erlitt, zeichneten ihn nicht nur körperlich. Auch seine Gedanken waren zunehmend der Wirklichkeit entrückt, wie zahlreiche überlieferte Korrespondenzen belegen. Am 25. November 1959 schaltete der BND von Leers deshalb wieder ab – freilich nur vorübergehend. Aus dem Blick des Geheimdienstes geriet er nämlich nicht. Im Sommer 1961 entwickelte eine Dienststelle, offensichtlich in Unkenntnis der früheren Beziehung zum BND, erneut »Interesse« an von Leers. Seine »Ansprache und Anwerbung« löste allerdings eine kontroverse Diskussion in der Behörde aus. Da der »Verdacht der Geisteskrankheit«, der zuvor zur »Abschaltung« geführt hatte, »sicherheitsmäßig nach wie vor als belastend angesehen« wurde, empfahl ein Mitarbeiter zunächst eine »eingehende Personenklärung«. Suspekt war dem BND weniger, dass von Leers als antisemitischer Überzeugungstäter seine Pamphlete in alle Welt verschickte. In der Hochphase des Kalten Krieges irritierten stattdessen mutmaßliche Kontakte zu »östlichen Gesprächspartnern« und seine Haltung zur Sowjetunion: »Russland bleibt der gegebene Verbündete«, hatte von Leers 1960 einem Gesinnungsgenossen in der Bundesrepublik geschrieben, dessen Korrespondenzen in Abschrift beim BND gelandet waren. Die Bedenkenträger im BND setzten sich jedoch nicht durch. Ausweislich der lückenhaften Unterlagen im Archiv des BND wurde von Leers ein zweites Mal angemeldet – diesmal unter dem Tarnnamen »Hannes«. Obwohl er auch jetzt nur »unbefriedigende Leistungen« zeigte und der BND »keine Möglichkeit zur Verbesserung der Arbeit« erwartete, schöpfte der Geheimdienst von Leers bis in sein letztes Lebensjahr ab. Eine »Abschaltmeldung« ist erst unter dem Datum 1. Juli 1964 dokumentiert – wenige Monate vor seinem Tod.

Eines solchen Kontakts zu von Leers hätte es freilich nicht bedurft. Über seine Aktivitäten in Kairo war der BND nämlich durch andere Quellen bestens informiert. Dafür sorgte unter anderem der Publizist und Nachrichtenhändler Nikolaus Ryschkowsky (1919 – 1996) in Frankfurt am Main. »Er kennt den Lebensweg des Herrn von Leers bis in die letzte Phase«, berichtete ein Zuträger dem Geheimdienst über diese schillernde Person. Der ehemalige hauptamtliche Funktionär der »Hitler Jugend«, der 1945 den Kampf als »Werwolf« im Untergrund fortsetzen wollte, hatte sich während seiner Internierung vom us-amerikanischen »Counter Intelligence Corps« (CIC) anwerben lassen. Seine Aufgabe bestand darin, für diesen Vorläufer der CIA Einzelpersonen zu überprüfen, wie er in seinen Memoiren erläuterte. Außerdem betätigte er sich als »Verbindungsbeamter« zu, wie er schreibt, »deutschen Behörden«. Spätestens Anfang der 1950er Jahre begann er damit, Informationen über Verbände der extremen Rechten und ihre Aktivisten zu sammeln und auszuwerten. Um seine Arbeit zu tarnen, gab er den Informationsdienst »Studien von Zeitfragen« heraus. Der zumeist sachliche Tonfall seiner Beiträge weckte das Vertrauen zahlreicher Rechter. Sie versorgten Ryschkowsky bereitwillig mit Informationen, weil sie sich eine wohlwollende Berichterstattung über ihre Person und ihr Anliegen erhofften.

Von Leers stellte dabei keine Ausnahme dar. Seit Anfang der 1960er Jahre korrespondierten er und seine Ehefrau mit Ryschkowsky. Ihre politischen Einschätzungen dürften allerdings wenig verwertbar gewesen sein. Was von Leers über »trotzkistische Juden« in der »Sowjetzonenregierung« oder »zionistische Spione« in Parteien der extremen Rechten phantasierte, wirft stattdessen ein bezeichnendes Licht auf seine Ideenwelt. Otto Strasser etwa hielt er nunmehr für einen »Agenten im Dienste der Juden« und Joseph Goebbels für einen »Jesuiten«. Aufschlussreich waren allenfalls Ausführungen über die Lebensumstände der Familie, die in Kairo in prekären finanziellen Verhältnissen lebte.

»Entnazifizierungsgauner«
Dies erklärt auch, weshalb der BND zwar Informationen über von Leers sammelte, ihn als Quelle aber weitgehend ungenutzt ließ. Er sei »verbittert, kränkelnd und nach einer Gehirnblutung hysterisch-verkrampft«, urteilte ein Beobachter 1962. Tatsächlich war von Leers nach den beiden Herzinfarkten in seinem Aktionsradius deutlich eingeschränkt. Umso mehr zeigte der Geheimdienst dagegen Interesse an der Tochter, die »über ausgezeichnete Verbindungen in Diplomatenkreisen« in Kairo verfüge. Durch ihren langen Aufenthalt in Argentinien und Ägypten beherrschte sie zudem Spanisch und Arabisch. »Ich weiß nicht, ob Sie in irgendeinem (sic!) Ihrer Unternehmungen Verwendung für die Dame haben«, setzte sich ein Gewährsmann des BND für die Tochter ein, die Anfang 1964 in die Bundesrepublik zurückgekehrt war. Später entwickelte ein Mitarbeiter in Pullach sogar einen detaillierten Plan, wie der BND eine direkte Ansprache vornehmen solle, um sich ihrer Mitarbeit zu vergewissern. Das Vorhaben wurde allerdings nicht in die Praxis umgesetzt.

Verglichen mit NS-Verbrechern wie Walther Rauff oder Klaus Barbie, die in den 1950er Jahren ebenfalls vom BND und seinem Vorläufer angeworben worden waren und gegen Bezahlung Aufträge ausführten, ist von Leers eine Randfigur. Im Gegensatz zum Erfinder der mobilen Gaswagen (Walther Rauff) oder dem »Schlächter von Lyon« (Klaus Barbie) stand er nach 1945 weder auf einer Fahndungsliste noch suchte er die Anonymität. Im Gegenteil: Seine Propaganda setzte er, von den Medien nicht nur in der Bundesrepublik aufmerksam beobachtet, ungeschmälert fort. Befremdlich mutet an, dass ausgerechnet »Der Spiegel« im November 1958 einen seiner Leserbriefe veröffentlichte, in denen er sich über »Millionen faulpelzender und schiebender Juden« ausließ und diese als »Entnazifizierungsgauner« beschimpfte. Dass der BND dennoch versuchte, sich der Mitarbeit dieses Antisemiten zu versichern, wirft eher ein Licht darauf, wie skrupellos der BND bei der Auswahl seiner Zuträger vorging.