»Nicht jetzt, aber im nächsten Jahr«

von Fabian Wagner
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 174 - September / Oktober 2018

#Rente

Ideen zur Alterssicherung hat die »Alternative für Deutschland« viele, aber bisher kein gemeinsames Konzept. Die Sozialpolitik wird zur großen Streitfrage zwischen den einzelnen Positionen und Flügeln.

Magazin der rechte rand

Björn Höcke am 1. Mai 2018 in Eisenach bei der
AfD-Kundgebung
»Sozial ohne Rot zu werden« © Mark Mühlhaus / attenzione

»Das stimmt ja nicht, es gibt mehrere Konzepte, die wir in einem Parteitag (…) nächstes Jahr festmachen wollen und dann wird es auch ein Rentenkonzept geben. (…) Nicht jetzt, aber dann im nächsten Jahr.« So klangen die Ausflüchte von Alexander Gauland in seinem Sommerinterview im ZDF, als ein Journalist ihn zum Thema Altersvorsorge befragte. Bisher hat die »Alternative für Deutschland« (AfD) in sozialpolitischen Fragen keine Antworten anzubieten. Das versucht die Partei jetzt zu ändern.
Im Vorfeld des Parteitags in Augsburg am 29. und 30. Juni 2018 geisterten mehrere angebliche Rentenkonzepte der AfD durch die Medienlandschaft. Schon bei der Diskussion zur Tagesordnung zeigte sich das große Streitpotential beim Thema Alterssicherung. Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag, und weitere hatten einen Antrag auf Abstimmung über einen Sonderparteitag zum Thema Sozialpolitik im kommenden Jahr gestellt. Der Parteivorstand empfahl, sich damit nicht zu befassen. In seiner Begründung für den Punkt auf der Tagesordnung beschrieb Höcke die AfD als Partei des »solidarischen Patriotismus«, die ein Alleinstellungsmerkmal habe, da die Partei das Thema Sozialpolitik mit der Frage nach der Identität verknüpfe. Mit deutlicher Mehrheit schaffte es der Antrag auf die Tagesordnung.

Ein erstes Kräftemessen auf dem Parteitag
Einer der Gegenspieler zu Höcke in der Frage der Alterssicherung ist Jörg Meuthen. In seinem Bericht des Bundesvorstands auf dem Parteitag setzte er sich mit dem Thema Sozialpolitik und vor allem mit dem von Höcke vorgelegten Konzept auseinander. »Unser Staat nährt eine fette und verfettete Sozialindustrie mit einer geradezu krakenhaften Verwaltung, die gerade im Bereich der Rentenversicherung möglichst viele in das System hineinzwingen will. (…) Es ist nicht klug, ein krankes System immer weiter mästen zu wollen.« Meuthens Vorstellung von Sozialpolitik gleicht einem Kahlschlag in den sozialen Sicherungssystemen. Das System der gesetzlichen Rentenversicherung möchte er komplett abschaffen und durch ein System der privaten Vorsorge ersetzen. Nur noch Personen, die sich das nicht leisten können, sollen von staatlicher Seite unterstützt werden. Guido Reil, der in Augsburg in den Bundesvorstand gewählt wurde, erklärte in einem Interview am Rande des Parteitags, dass er die Vorstellungen von Meuthen weitestgehend teile. Der Antrag der Gruppe um Björn Höcke, nach einem Sonderparteitag zur Sozialpolitik im Jahr 2019, wurde mit großer Mehrheit angenommen. Nach Vorstellung von Höcke soll der Parteitag im Sommer in Ostdeutschland stattfinden und damit im Vorfeld der Landtagswahlen von Sachsen und Thüringen. Als möglicher Ort wurde beim Augsburger Parteitag Dresden genannt.

Ausbau und Weiterentwicklung der Rentenversicherung
Am 4. Juni traten Björn Höcke und Jürgen Pohl, Bundestagsabgeordneter und Sprecher der ostdeutschen AfD-Bundestagsabgeordneten, in Berlin vor die Presse, um ihre Variante der gesetzlichen Rente vorzustellen. Es ist das bisher umfangreichste Papier zur Sozialpolitik, welches von der AfD vorgelegt wurde. Auf über 50 Seiten wird die Idee einer Produktivitätsrente vorgestellt. Demnach soll das Rentenniveau dynamisch der wirtschaftlichen Produktivität angepasst werden. Zudem findet sich in dem Papier kein Wort über den Abbau der gesetzlichen Rente, als vielmehr deren Ausweitung. Auch Beamte und Selbstständige sollen zukünftig in die gesetzliche Rente einzahlen. Schon nach 35 Jahren Berufstätigkeit soll es möglich sein, eine abschlagsfreie Staatsbürgerrente zu beziehen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten jedoch die Staatszuschüsse deutlich erhöht werden. Auf diese Staatsbürgerrente hätten aber nur RentnerInnen mit deutschem Pass Anspruch. Personen ohne deutschen Pass werden nach dem Konzept der Thüringer AfD nicht berücksichtigt, auch wenn sie 35 Jahre in die deutsche Rentenkasse eingezahlt haben.
Neben der Staatsbürgerrente ist noch eine Kinderrente vorgesehen, mit der die AfD Menschen motivieren will, mehr Kinder zu bekommen. Kinderlose sollen einen erhöhten Beitragssatz zahlen. Wird ein Kind geboren, soll ein Teil des vorher zusätzlich gezahlten Beitrags wieder zurück an die Eltern fließen. Dies gilt aber nur bis zum dritten Kind. Familien ab vier Kindern wären bei der Umsetzung des Konzeptes der Thüringer AfD zukünftig schlechter gestellt als nach aktueller Gesetzeslage. Gleiches gilt für Eltern, die nach der Geburt ihres Kindes wieder arbeiten gehen. Auf die Frage, wie das ganze Konzept finanziert werden soll, liefert das Papier keine substanzielle Antwort.
Bevor Höcke sein umfangreiches Konzept präsentierte, hatten der AfD-Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag Jörg Urban und der sächsische Landtagsabgeordnete André Wendt in einem Interview mit der extrem rechten Zeitschrift »Zuerst!« ihre Idee für eine »Arbeitsleistungsrente« umrissen. Demnach sollen ArbeitnehmerInnen für jedes Beitragsjahr einen Aufschlag von zehn Euro auf ihre Rente bekommen. Profitieren würden davon vor allem Menschen in den Niedriglohnbereichen. Auf die Frage, wie dies finanziert werden solle, antworteten Urban und Wendt: »Bei dem, was Deutschland derzeit an Asyl- und Integrationsgeldern ausgibt, erübrigt sich eigentlich die Frage.« Streichung der Asyl- und Integrationsgelder, Kürzung der Ausgaben für EU- und Entwicklungshilfe und Streichung der Kindergeldzahlungen ins EU-Ausland reichen ihrer Vorstellung nach aus, um ihre Idee zu finanzieren.
Ebenfalls ein Befürworter der gesetzlichen Rente ist der Bundestagsabgeordnete Uwe Witt. In seiner Funktion als Vorsitzender der »Alternativen Vereinigung der Arbeitnehmer« (AVA) hat er nach eigenen Angaben ein »Konzept für die Erneuerung und Sicherung der gesetzlichen Rentenversicherung« vorgelegt. Medienberichten zufolge hält Witt in seinem bisher unveröffentlichten Konzept an der Umlagefinanzierung fest und will diese auf Selbstständige und Beamte ausweiten. Die entstehenden Mehreinnahmen durch die Einbeziehung der Selbstständigen und Beamten sollen dafür sorgen, dass der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigt. Nach Angaben der »Welt« verspricht Witts Konzept nach 45 Jahren Berufstätigkeit einen abschlagsfreien Betrag, der für »ein auskömmliches Leben spürbar über dem Hartz-IV-Satz« reichen soll. In einem von Witt veröffentlichten Thesenpapier von 2016 hatte die AVA noch 40 Jahre Berufstätigkeit als Berechnungsgröße genommen und von einer Grundsicherung in Höhe von 790 Euro gesprochen.

Der marktliberale Flügel
Für den wirtschaftsliberalen Flügel um Alice Weidel hat Markus Frohn­maier das bisher am weitesten ausgearbeitete Konzept vorgelegt. Der ehemalige Bundesvorsitzende der »Jungen Alternative« und jetzige Sprecher der »Jungen Gruppe in der AfD-Bundestagsfraktion« hat in einem Impulspapier unter dem Titel »Leistung und Eigenverantwortung« eine »Grundidee für eine Volksrente nach Schweizer Vorbild« entwickelt. Sein Konzept besteht aus drei Elementen. Erstens einer geringen Grundrente. Alle Menschen mit Wohnsitz in Deutschland und alle deutschen Staatsangehörigen sollen in die Rentenkasse einzahlen und ab 67 Jahren eine monatliche Grundrente in Höhe der aktuellen Grundsicherung im Alter bekommen. Diese Grundrente soll aber bei nicht-deutschen Staatsangehörigen nur greifen, wenn sie vorher zehn Jahre lang eingezahlt haben. Des Weiteren können sie, anders als für deutsche Staatsangehörige vorgesehen, keine Erhöhung durch längere Beitragszahlung erreichen. Das zweite Element, der Kernbestandteil des wirtschaftsliberalen Konzeptes von Frohnmaier, ist eine Lebensrente. Beiträge werden auf ein Lebensrentenkonto gezahlt, dieses Geld wird im freien Wettbewerb auf den globalen Kapitalmärkten angelegt. Deutsche Staatsbürger bekommen einen staatlichen Zuschuss zu dem, was sie auf ihrem Lebensrentenkonto angespart haben. Bei dem dritten Element handelt es sich um eine Zusatzrente, bei der Erwerbstätigen die Möglichkeit gegeben wird, weiteres Geld für ihre Rente anzusparen. Analog zu den Lebensrentenkonten gibt es auch dabei für deutsche Staatsbürger starke Zuschüsse.
Zwar hat Alice Weidel im Vorfeld der Präsentation von Höckes Rentenmodell ein eigenes Rentenkonzept angekündigt, bisher wurde der breiten Öffentlichkeit gegenüber jedoch noch nichts präsentiert. In den Medien kursierte lediglich der Vorschlag, Einkommen unter 2.000 Euro im Monat sowie Altersrenten nicht mehr zu versteuern. Zwar sollen auch nach Weidels Vorschlag Beamte in die Rentenkasse einzahlen, ihr geht es jedoch vor allem darum, die private Vorsorge weiter auszubauen. Vorschläge, wie sie ihre »Reformen«, die für Milliarden Steuerausfälle und Mehrausgaben sorgen würden, finanzieren will, hat sie bisher nicht präsentiert. Auch Jörg Meuthen, der am stärksten marktliberal in Fragen der Alterssicherung argumentiert, hat bisher kein Konzept oder Thesenpapier vorgelegt.

Verbindendes Element: Rassismus
Bei allem Streit in Fragen der Alterssicherung gibt es ein verbindendes Element: den Rassismus, der sich in den Debatten zur sozialen Frage deutlich zeigt. Alle Konzepte basieren darauf, dass die Rente nur für deutsche Staatsangehörige gezahlt wird. Menschen ohne deutschen Pass, egal wie lange sie in die deutschen Sozialkassen eingezahlt haben, sind entweder ausgeschlossen oder bekommen bestimmte Vorzüge nicht. Björn Höcke und seine UnterstützerInnen in den ostdeutschen Bundesländern werden versuchen, die Programmleerstelle in der AfD zu nutzen. Einerseits zur Stärkung des eigenen Flügels innerhalb der Partei, andererseits um sich mit dem Thüringer Rentenkonzept im kommenden Jahr bei den anstehenden Landtagswahlen als »Kümmerer des kleinen Mannes« aufzuspielen und damit WählerInnen zu gewinnen.