Der Geheimdienst, die AfD und rechtes Regieren

von Charles Paresse
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 174 - September / Oktober 2018

#Verfassungschutz

Magazin der rechte rand

Hans-Georg Maaßen
an der rechten Schulter von Horst Seehofer
© Christian Ditsch

Suchen Sie im aktuellen Verfassungsschutzbericht das Schlagwort »NSU«, den »Nationalsozialistischen Untergrund«. Sie werden es nicht finden. Obwohl organisierte Neonazis Solidarität mit den Nazi-MörderInnen organisierten. Obwohl der NSU-Prozess medial breit bearbeitet wurde, der Staat sich bis heute nicht umfassend erklärt hat und für die Angehörigen und Überlebenden nichts erledigt ist. Doch für die Spitzel-Behörde ist das Kapitel beendet. Akten wurden vernichtet, der Untersuchungsausschuss im Bundestag ist schadlos überstanden und im Prozess wurde die Thematisierung der Rolle von Spitzeln und Behörden unterdrückt. Im Ergebnis steht der Geheimdienst heute besser da: mehr Personal, mehr Geld und mehr Befugnisse. Und ein zum Sonderberater ins Innenministerium weggelobter Präsident (Stand 24.09.2018), der sich mit führenden VertreterInnen der rechtsradikalen »Alternative für Deutschland« (AfD) trifft, als wäre das normal.

Suchen Sie im aktuellen Verfassungsschutzbericht die »AfD«. Sie werden sie finden. Aber nicht, weil die Partei frühere Neonazis beschäftigt und als Mitglieder hat. Nicht, weil sie rassistisch bis neofaschistisch agiert. Nicht, weil sie völkische Ideen verbreitet und sich gegen parlamentarische Demokratie, Pressefreiheit und Menschenwürde richtet. Nein, die AfD wird im Verfassungsschutzbericht erwähnt, nur weil AntifaschistInnen gegen sie protestierten oder Widerstand leisteten. Die AfD als Opfer von »Linksextremisten«, das ist die Botschaft des Dienstes, dessen Präsident sich mit VertreterInnen der Partei trifft. Einer Partei, deren FunktionsträgerInnen sich aus Polizei, Armee, Journalismus, Wissenschaft, Beschäftigten des Staates oder früheren Mitgliedern von CDU, CSU und FDP rekrutieren – den Funktionseliten der Bundesrepublik. Der rechte »Hutbürger« aus dem Landeskriminalamt Sachsen ist da nur die hässliche Spitze des Eisbergs – oder, wie »Spiegel Online« jüngst schrieb: »Der Apparat zieht Reaktionäre an«.

Suchen Sie das Stichwort »Identitäre Bewegung« (IB) im Verfassungsschutzbericht. Sie werden es finden. Doch die Formulierungen zeigen Zurückhaltung: Die IB »kritisiert« die Asylpolitik, heißt es dort. Völkische AktivistInnen, AntidemokratInnen und frühere Neonazis sind also nur KritikerInnen? Von »einzelnen Mitgliedern« seien »Kontakte in die rechtsextremistische Szene« bekannt und es liege eine »auf ethnisch, völkisch-abstammungsmäßigen Kriterien fußende einwanderungskritische und islamfeindliche Haltung« vor. Und dennoch: Die »Identitären« sind für das Amt nur ein »Verdachtsfall«.

Oder suchen Sie die Stichworte »Institut für Staatspolitik«, »Götz Kubitschek«, »Sezession« oder »Neue Rechte« im Bericht des Geheimdienstes. Sie werden nichts finden. Die Stichwortgeber der radikalen Rechten, die Orte und Institutionen faschistischer Ideologieproduktion, die Denkstuben zur Rehabilitierung »Konservativer Revolutionäre« und autoritärerer Staatsdenker werden nicht erwähnt, obwohl sie erkennbar Einfluss erlangt haben.

Sind der Verfassungsschutz, seine wissenschaftlichen ZuträgerInnen, die Innenministerien und die Mehrheit der Politik auf dem rechten Auge blind? Nein. Sie alle wissen um die AfD, um die »Neue Rechte«, um den NSU oder PEGIDA. Die Einen kennen sie aus den eigenen Akten. Die Anderen aus den inzwischen zahlreichen fundierten Medienberichten, aus den als »linksextrem« diffamierten antifaschistischen Recherche-Projekten, aus kritischer Wissenschaft oder aus den zahlreichen parlamentarischen Anfragen in Bund und Ländern. Das, was der Verfassungsschutz tut, ist weder politische Blindheit, Unwissenheit noch Beamten-Trägheit. Die Nachsicht gegenüber der Rechten, die Fixierung auf die Linke und die Extremismus-Doktrin sind konservative Staatsraison und Kern konservativer Sicherheitspolitik. Die aufgeflogenen Treffen des Verfassungsschutz-Chefs mit der rechtsradikalen AfD haben einen kurzen Einblick in dieses Denken gewährt: L`état c`est moi – der Staat bin ich! Schon bei seiner Einsetzung im August 2012 – nach dem Auffliegen des NSU – galt Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen BeobachterInnen als »eiskalter Technokrat« und konservativer Hardliner – unter anderem aufgrund seiner Rolle bei der verhinderten Rückkehr des Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz nach Deutschland und weil er die Auffassung vertrat, das Organisieren von Kirchenasyl könne im Einzelfall als »Bildung einer kriminellen Vereinigung« gewertet werden.

Die autoritäre Nation, die Ablehnung der Werte der französischen Revolution von Freiheit und Gleichheit und ein fest verwurzelter Antikommunismus – der auch ganz ohne »Kommunismus« auskommt – werden im Entscheidungsfall erneut die Basis rechter und konservativer Politik sein. Demokratie, Liberalismus und Rechtsstaat gelten nur, solange sie nicht schaden. Sie werden nicht nur von Rechtsaußen angegriffen, sondern vor allem aus der Mitte nicht verteidigt. In Ungarn, Österreich und den USA ist das zu beobachten – dort herrscht die Regierungs-Rechte schon und baut den Staat um. In Deutschland sind die letzten Schranken noch nicht gefallen. Noch nicht. Der Verfassungsschutz jedenfalls ist kein Bollwerk dagegen – das beweist er immer wieder.

Nachtrag: #Maaßen wurde Anfang November 2018 in den Ruhestand versetzt.