Rezensionen Ausgabe 172
von Kai Budler und Sören Frerks
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 172 - Mai / Juni 2018
Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland
von Kai Budler
Die Selbstenttarnung des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) im November 2011 machte deutlich, dass rechtsterroristische Strukturen bei staatlichen Stellen ein blinder Fleck waren, hartnäckig verneinten Inlandsgeheimdienste gar eine Gefahr durch Rechtsterrorismus. Vor diesem Hintergrund fragt der Politikwissenschaftler Sebastian Gräfe in seinem Buch »Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland« nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Rechtsterrorismus nach der Wiedervereinigung im Vergleich zur Bundesrepublik vor 1990. Zur Untersuchung entwickelt Gräfe fünf Analysekriterien: Ideologie und Entstehungszusammenhang, Gruppenstruktur, Ziele/Opfer der Gewalt, Gewaltintensität und Kommunikationsstrategie. Anhand dieser Kriterien untersucht Gräfe je sechs rechtsterroristische Gruppen in der Bundesrepublik zwischen 1969 und 1990 sowie zwischen 1990 und 2013, wobei er auch Strukturen beleuchtet, die in der Öffentlichkeit weitestgehend vergessen sind. Flankiert werden sie durch eine Betrachtung des Rechtsterrorismus in fünf anderen Staaten. Der anschließende Vergleich des NSU mit der »Roten Armee Fraktion« (RAF) macht eine Facette des staatlichen Problems mit Rechtsterrorismus deutlich, indem terroristische Strukturen immer am Beispiel der RAF-Anschläge und ihrer Kommunikation gemessen wurden. Ohne wie bei der RAF gewohnte Bekennerschreiben konnte es offenbar keinen Terror geben – geflissentlich ignoriert wird dabei, dass die Botschaft die Kreise ihrer Opfer immer erreichte. Dem leicht benutzten Vergleich zwischen NSU und RAF erteilt Gräfe eine Absage: »Es ist nicht angebracht vom NSU als einer Braunen Armee Fraktion zu sprechen, zu viele Unterschiede weist die Gruppe im Vergleich zur RAF auf«. Für diejenigen, die sich seit langem intensiv mit dem Rechtsterror in der Bundesrepublik auseinandersetzen, bringt Gräfes Buch wenig neue Erkenntnisse, wertvoll ist jedoch sein stringent angewandter und systematischer Vergleich anhand der von ihm entwickelten Untersuchungskriterien und die Verwendung des immensen Materials für das so systematisierte Wissen über die untersuchten 12 Gruppen. Durchaus kritikwürdig sind das angewandte »normative Extremismuskonzept« als Grundlage von Gräfes Arbeit und die fehlende Begründung, warum er ausgerechnet die 12 Gruppierungen ausgewählt hat. Auch die Verstrickung der Geheimdienste in diese Strukturen findet leider keine Erwähnung. Trotzdem ist das Buch ein guter Anstoß für eine stärkere Betrachtung des Terrors von Rechts in der Forschung – solange sie dabei nicht stehen bleibt.
Sebastian Gräfe: Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen erlebnisorientierten Jugendlichen, ‹Feierabendterroristen› und klandestinen Untergrundzellen, Baden-Baden 2017, Nomos Verlag, 356 Seiten, 64,00 Euro.
Nach den rechten Häusern schauen
von Sören Frerks
Mit der im Frühjahr erschienenen, aktualisierten Auflage der Handreichung zu Immobilien der extrem rechten Szene macht die »Mobile Beratung in Thüringen« (Mobit) vor allem eins deutlich: Der Freistaat ist nicht nur ein ‹Hotspot› des RechtsRocks, sondern auch von Häusern der extrem rechten Szene. Diese dienen oftmals als Veranstaltungsorte für Konzerte, bieten Infrastruktur für Parteitage, dienen als Lagerplatz für Versandhandel oder sind durch die gastronomische Nutzung eine weitere Einnahmequelle.
Seit der ersten Broschüre von Mobit aus dem Jahr 2013 sind sechs neue Immobilien hinzugekommen. Das heißt: jedes Jahr ein neuer Rückzugs- und Radikalisierungsort für Neonazis – und neue Angsträume für AnwohnerInnen und politische GegnerInnen, was sich anhand des Überfalls von Ballstädt 2014 zeigt. Insgesamt werden sieben ehemalige und 15 aktuell genutzte Orte porträtiert, vom Erwerb über die Nutzung bis zu den politischen Hintergründen der BetreiberInnen. Besonders bekannt dürften das von Neonazi Tommy Frenck betriebene Gasthaus »Goldener Löwe« in Kloster Veßra und das für RechtsRock-Festivals genutzte Grundstück in Themar sein. Ebenso wie die Objekte von Thorsten Heise in Fretterode und das »Rittergut« des »Gedächtnisstätte e. V.« in Gutmannshausen. Außerdem, sind Szenetreffs wie das seit 2009 genutzte Hotel »Romantischer Fachwerkhof« in Kirchheim oder das Wohnhaus »Burg 19« in Kahla dokumentiert. Hier wird zum einen klar, wie populär es in der Szene mittlerweile ist, Häuser zu erwerben und für die eigene, ungestörte Organisierung und Propaganda zu nutzen: Von der NPD, über militante Kameradschaften und die mutmaßlich rechtsterroristische »Europäische Aktion« bis zur geschichtsrevisionistischen »Schlesischen Jugend« sind alle dabei. Zum anderen ist der Kampf um Räume kein neues Phänomen, wie Mobit in Schlaglichtern rekonstruiert. Der damalige Neonazikader Michael Kühnen kaufte 1990 in der Nähe von Bad Langensalza ein Gebäude. Im Jahr darauf kam es in Weimar zu einer rechten Hausbesetzung und der »Thüringer Heimatschutz« nutzte zwei Gasthöfe bei Rudolstadt als Treffpunkt.
Die Broschüre belegt auch, dass man sich auf die Zahlen staatlicher Behörden nicht verlassen kann. Denn in den offiziellen Statistiken fehlen etwa die Gebäude in Fretterode und Kahla. Umgekehrt bleibt eine Pizzeria in Suhl, die seit Dezember 2017 in Szenehand sein soll, unerwähnt. Dieser wohl dem Redaktionsschluss geschuldete Umstand tut der Handreichung qualitativ keinen Abbruch und unterstreicht vielmehr die schnelle Zunahme rechter Häuser in Thüringen und darüber hinaus. Angesichts von bundesweit über 140 Immobilien der rechten Szene kann die Ausarbeitung ein Vorbild für umfassende Bestandsaufnahmen in anderen Bundesländern sein.
MOBIT: Nach den rechten Häusern sehen. Immobilien der extrem rechten Szene in Thüringen. Erfurt 2018. Kostenlos zu bestellen bei: Mobiles Beratungsteam, Schillerstraße 44, 99096 Erfurt. mail@mobit.org,
www.mobit.org
Das deutsche Kernland des RechtsRock
von Kai Budler
Seit 2015 steigt die Zahl der RechtsRock-Konzerte in Thüringen an – im vergangenen Jahr zählte die »Mobile Beratung in Thüringen. Für Demokratie – Gegen Rechtsextremismus« (MOBIT) 59 Musikveranstaltungen der extrem rechten Szene. Damit fand durchschnittlich mindestens ein RechtsRock-Konzert pro Woche in Thüringen statt. Seit 2007 erstellt MOBIT jährliche RechtsRock-Chroniken und veröffentlicht mit der Broschüre »Hass und Kommerz. RechtsRock in Thüringen« eine aktuelle Zwischenbilanz. Besonders die langjährige Verankerung der AkteurInnen, eine immer weiter fortschreitende Professionalisierung und der problemlose Rückgriff auf eigene Immobilien erklären die Entwicklung Thüringens zum Kernland des florierenden RechtsRock. Seine »Spezialität« sind neonazistische Großveranstaltungen unter freiem Himmel mit teils mehreren tausend BesucherInnen, die nach dem Versammlungsgesetz angemeldet werden. In acht thematischen Kapiteln untersucht die Broschüre einzelne Teilaspekte dieses Phänomens. Zu Wort kommt dabei auch der Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs, der vor allem nach der Binnenfunktion von RechtsRock in der Neonazi-Szene fragt und der Musik als Einstiegsdroge, »gegen deren Macht sich Menschen nicht wehren können«, eine deutliche Abfuhr erteilt. Auf seinem Streifzug durch die Thüringer RechtsRock-Szene nimmt der Autor des Magazins »der rechte rand«, Jan Raabe, unter anderem die Bands und Veranstaltungsorte unter die Lupe. Er folgt der Spur der erfahrenen »AkteurInnen, die teilweise schon seit mehr als 30 Jahren aktiv sind«. Nach der Lektüre der Broschüre wird deutlich: Die Großveranstaltungen in Thüringen sind nur die Spitze des Eisbergs, das mediale Interesse daran kaschiert lediglich die Alltäglichkeit der RechtsRock-Konzerte mit ihren vielen Facetten. Erfreulicherweise schließt sich MOBIT nicht dem Ruf nach einer Verschärfung des Versammlungsgesetzes an, sondern setzt auf Vernetzung der Initiativen in Thüringen und fordert eine Professionalisierung auf Seiten der Behörden. Denn es hat sich gezeigt, dass unerfahrene (Ordnungs-)Behörden und ihre MitarbeiterInnen RechtsRock-Konzerte erst möglich machen, weil sie ihre Kompetenzen diese zu verhindern nicht kennen. Angesichts der oft hitzigen Debatten über einzelne Hassmusik-Konzerte ist die Broschüre eine profunde Langzeitstudie, die auf Analyse setzt. Sie sei nicht nur den ThüringerInnen ans Herz gelegt.
MOBIT (Hg.): Hass und Kommerz. RechtsRock in Thüringen. Erfurt, 2018, 44 Seiten. Kostenlos zu bestellen bei: Mobiles Beratungsteam, Schillerstraße 44, 99096 Erfurt, mail@mobit.org.