Rechte Luftnummer oder völkische Arbeiterbewegung?

von Sören Frerks
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 171 - März / April 2018

#AntiGewerkschaft

Die »Alternative für Deutschland« und die »Neue Rechte« entdecken die Betriebe und die soziale Frage für ihre Agitation. Mit rechten Antigewerkschaften und eigenen Betriebsratslisten wollen sie bei den diesjährigen Betriebsratswahlen punkten.

der rechte rand Ausgabe 171

Sieht so bald das Vorzimmer bei einigen Betriebsräten aus?
© Mark Mühlhaus / attenzione

Die »Alternative für Deutschland« (AfD) und ihr extrem rechtes Parteiumfeld – bestehend aus dem Netzwerk »Ein Prozent«, dem Querfront- und Verschwörungsmagazin »Compact« und der Antigewerkschaft »Zentrum Automobil« (ZA) – blasen nach der Bundestagswahl zum Sturm auf die Betriebsratswahlen.
In der Partei selbst gibt es vier ArbeitnehmerInnenvereinigungen: 2014 gründete sich die »Arbeitnehmer in der AfD« (AidA), die mit der im Jahr darauf entstandenen »Alternative öffentlicher Dienst« kooperiert. Ebenfalls 2015 folgte die »Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer« (AVA) und am 1. Mai 2017 der »Alternative Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland« (ALARM!). Der Essener AVA-Funktionär Guido Reil, der beim Bergbauunternehmen »RAG-Aktiengesellschaft« Betriebsrat und immer noch Mitglied der Gewerkschaft IG BCE ist, will ZA-KandidatInnen bei Daimler und anderswo unterstützen. Bei BMW in Leipzig versucht der AidA-Bundesvorsitzende und Zwickauer AfD-Kreisrat Frank Neufert unterdessen über die ZA-Tarnliste »Interessengemeinschaft Beruf und Familie« Betriebsrat zu werden. Insgesamt sollen in 13 Städten rechte Betriebsratslisten antreten, die sich mitunter ‹unpolitisch› oder ‹neutral› geben.
Die unterschiedlichen Gruppen und Kandidaten der AfD selbst sind Spiegelbilder persönlicher Geltungsbedürfnisse und innerparteilicher Machtkämpfe. Während die AVA der neoliberalen Strömung um die AfD-Bundestagsabgeordneten Alice Weidel und Georg Pazderski zugerechnet wird, ist ALARM! das Sprachrohr der völkischen Natio­nalistInnen um Björn Höcke (Thüringen), André Poggenburg (Sachsen-Anhalt) und Andreas Kalbitz (Brandenburg). AidA scheint dabei unter die Räder zu kommen, zumindest fehlt ihnen die Verankerung in der Parteispitze. Wohl mit ein Grund, wieso Neufert so nah an ZA rückt. Insgesamt sind all diese sogenannten ArbeitnehmerInnenorganisationen in der AfD personell schwach aufgestellt und haben abseits des Bundestagswahlkampfes bisher kaum Aktivitäten ent­wickelt.

ArbeiterInnen und Angestellte im Visier
Aus dieser Schwäche jedoch ein geringes Ergebnis bei den Betriebsratswahlen vorherzusagen, wäre voreilig. Dass die rechten Gruppen ein »Randphänomen« und unfähig seien oder nur spalten würden – ­wie es der DGB-Bundesvorsitzende Reiner Hoffmann formulierte –, muss nicht ausschlaggebend für einen möglichen Wahlerfolg sein. Denn AfD und Co haben die soziale Frage für ihre Agitation entdeckt und verbinden diese mit einem nationalistischen Heilsversprechen, das WählerInnen über das extrem rechte Milieu hinaus anspricht. So konnte die AfD schon bei den Landtagswahlen in Ost und West ganz ohne gefestigte Strukturen oder Programmatiken mehrfach hohe Wahlergebnisse erzielen. Zudem wurde die AfD bei der Bundestagswahl weniger von Prekarisierten und Arbeitslosen gewählt, sondern von der Mittelschicht, überdurchschnittlich von ArbeiterInnen und Selbstständigen sowie von WählerInnen mit mittlerem Schulabschuss und Einkommen. Mitglieder der Gewerkschaften wählten die AfD mit 15 Prozent zuletzt sogar etwas häufiger als der Durchschnitt.
Die Wahlkreisanalyse des »Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft« hat gezeigt, dass sich die inhaltliche Klammer der gesamten AfD-WählerInnenschaft einerseits aus asylfeindlichem und antimuslimischem Rassismus speist. Andererseits basiert sie auf Demokratieverdrossenheit und extrem rechten Einstellungen. So erklärt sich, dass die Partei eben dort besonders stark war, wo bereits früher die NPD überdurchschnittliche Ergebnisse einfuhr – ganz gleich ob im wohlhabenden und gewerkschaftlich organisierten Südwesten oder im wirtschaftlich abgehängten Cottbus. Die AfD mausert sich so zur »NPD light«, die aber Größeres vorhat: Sie will »Volkspartei« werden und dafür braucht sie die ArbeiterInnenklasse. Dazu passt, dass sich am 21. November 2017 Höcke medienwirksam unter die IG-Metall-Demonstration gegen die Schließung des Siemens-Werkes in Erfurt mischte.

Völkisch-populärer Neoliberalismus
Nachdem führende neoliberale Funktionäre wie Bernd Lucke oder Hans-Olaf Henkel aus der AfD ausgetreten sind, setzt sich der extrem rechte und völkische Flügel immer mehr durch, der teils offen neofaschistische Züge zeigt. Höcke, Führungsfigur des Rechtsaußen-Flügels, definiert eine doppelte »deutsch soziale Frage«:
Erstens jene der »Verteilung des Volksvermögens von innen nach außen«, womit er bei einer Rede in Schweinfurt 2016 einen rassistischen Tenor gegen Flüchtlinge einschlug. Zweitens sprach er auf der extrem rechten »Compact«-Konferenz im November letzten Jahres in Leipzig von der »Verteilung zwischen Oben und Unten«. Diese Umverteilung von Reichtum will aber nicht kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse auflösen, sondern »Deutschland retten«, indem »die Nation als Vertrauens- und Solidargemeinschaft erhalten« wird. Damit propagiert Höcke eine Kapitalismus- und Globalisierungskritik von rechts, die als Querfront die Auflösung der Links-Rechts-Konflikte zum »Wohle und zur Einheit des deutschen Volkes« aufzulösen verspricht. Oder anders ausgedrückt: Flüchtlinge, MarxistInnen und der britisch-amerikanische Kapitalismus sind von Natur aus böse, die Deutschen und ihre Wirtschaftsweise hingegen gut – eine Ideologie, deren Wurzeln in der sogenannten völkischen Bewegung um 1900 liegen, die wiederum die Vorgängerin der NationalsozialistInnen war.
Im Sinne dieser Ideologie will Höcke die inhaltlichen Weichen für eine völkisch grundierte Wirtschaftsordnung stellen. Beim Parteitag in Hannover im Dezember 2017 hatte er mit Unterstützung der ebenfalls rechtsaußen stehenden Landesverbände Sachsen-Anhalt und Brandenburg einen Antrag für eine »klare sozialpolitische Programmatik« gestellt, um eine »echte Volkspartei« werden zu können. Dabei betont er, eine mögliche innerparteiliche Auseinandersetzung der AfD um diese Fragen dürfe ihr »gar nicht schlecht zu Gesicht stehen« – eine Prognose, die angesichts bisheriger Wahlen aufgehen könnte. Denn eine Grundlage des Erfolgs ist wohl gerade die Mischung aus nationalistisch-neoliberalem und völkisch-rassistischem Duktus, gerahmt von antidemokratischem Populismus, die ein sozialstrukturell breites und zugleich weltanschaulich rechtes Milieu anspricht. So lässt sich erklären, dass die AfD in Bundestagsdebatten mittlerweile für eine Mindestlohnerhöhung in die Bresche springt und parallel die Massenentlassungen beim profitablen Siemens-Konzern verteidigt (s. drr Nr. 170) oder den sozialen Wohnungsbau ablehnt. Die Doppelzüngigkeit der AfD ist weniger ein Zeichen von Inkonsistenz, sondern das Mischprogramm eines »völkisch-populären Neoliberalismus«, das im Zweifel vom rassistischen Ressentiment gekittet wird.

Ähnliches lässt sich am deutlichsten bei der extrem rechten »Freiheitlichen Partei Österreichs« (FPÖ) feststellen. In ihren Regierungszeiten betrieb sie Sozialkürzungen, Privatisierungen und Entlastung der Wohlhabenden und fuhr einen Kurs gegen die Interessen der Beschäftigten. Aktuell will die FPÖ die Pflichtmitgliedschaft in den gewerkschaftsnahen Arbeiterkammern abschaffen. In Wahlkämpfen rückt scheinbar das Soziale in den Vordergrund, aber nur für die einheimische, weiße Bevölkerung.
Die historische Vorlage für solch völkisch-populistische, scheinsoziale Symbolpolitik gaben schon die NationalsozialistInnen, als sie den 1. Mai 1933 zum »Tag der nationalen Arbeit« und Feiertag machten. In der Bundesrepublik führten Neonazis die Heroisierung des »deutschen Arbeiters« fort. So gehören extrem rechte Aufmärsche spätestens seit den Neunzigerjahren zum Maifeiertag dazu. Im vergangenen Jahr versuchten militante Neonazis – aufgrund von antifaschistischen Blockaden vergebens – in Halle an der Saale zu demonstrieren. Ihr Motto hätte von der AfD kommen können: »Tag der deutschen Arbeit – Gemeinsam gegen Kapitalismus, Ausbeutung und Überfremdung.«

Magazin der rechte rand Ausgabe 171

© Roland Geisheimer / attenzione

Praktischer Antifaschismus als gewerkschaftliche Antwort
Das Aufplustern der Rechten vor den Betriebsratswahlen hat nicht weniger zum Ziel als eine ArbeiterInnenbewegung von rechts zu formieren. So ahistorisch es klingen mag, dahinter stehen neo-faschistische Ideen und nicht zuletzt die nationale Gleichschaltung oder Abschaffung der von rechts verhassten DGB-Gewerkschaften.
Umso notwendiger ist es daher, der weiteren Expansion der Rechten in die Betriebe frühzeitig einen Riegel vorzuschieben. Sonst könnten in ein paar Jahren nicht mehr die Betriebsratsmandate, sondern die Tarifhoheit und die Mitbestimmung, das Streikrecht oder die Gewerkschaftsfreiheit zur Debatte stehen. Auch wenn sich die Gewerkschaften in der politischen Auseinandersetzung und Bildungsarbeit traditionell gegen rechts positionieren und für Demokratie, Solidarität und Menschenrechte eintreten, ist es an der Zeit für mehr Offensivität. Der »hilflose Antifaschismus« der Gewerkschaften, wie ihn der Soziologe Klaus Dörre von der Universität Jena bezeichnet, muss praktischer Antifaschismus werden, innerhalb und außerhalb der Organisationen. Denn ganz gleich, ob die Gewerkschaften die AfD als Gegnerin wahrnehmen, umgekehrt ist dies längst geschehen.
Um diesen Kampf zu gewinnen und die ArbeiterInnenklasse von links zu mobilisieren, nennt Dörre drei Notwendigkeiten: Erstens müssen die Verwaltungen den antifaschistisch Aktiven in den Betrieben den Rücken stärken. Zweitens rät er dazu, eine langfristige Strategie gegen rechte Betriebsräte zu entwickeln. Und drittens sind Deutungsangebote und -antworten zur sozialen Frage von Nöten. Die Beschäftigten müssen von den Gewerkschaften und Betriebsräten in ihren Lebenslagen ganz subjektiv ernst genommen und marktwirtschaftliche Konfliktlinien offensiv von links kritisiert werden. Beispielsweise die Ungerechtigkeit einer stärker werdenden sozialen Spaltung in Arm und Reich trotz einer prosperierenden Wirtschaft und Niedrigarbeitslosigkeit.