Martin Luther – rechter Kult um den »Propheten der Deutschen«

von Lucius Teidelbaum


Magazin "der rechte rand" Ausgabe 170 - Januar 2018

»Ohne Juda, ohne Rom, erbauen wir Germanias Thron!« hieß es bereits in der frühen völkischen Bewegung. Genau in dieser Haltung wurzelt auch die anhaltende Luther-Verehrung und -Rezeption der extremen Rechten.

Magazin der rechte rand Ausgabe 170

Martin Luther Titelbild der »Deutschen Stimme« der NPD © Lucius Teidelbaum

Der 500. Jahrestag des Thesenanschlags in Wittenberg durch den damaligen Mönch Martin Luther (1483-1546) wird auch als Geburtstag der Reformation gefeiert. Luther und die Reformation wurden 2017 aber nicht nur von der evangelischen Kirche gefeiert, auch die extreme Rechte nahm darauf Bezug. Von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wurde der Reformator zuletzt als eine Art Popstar inszeniert. Diese Pop-Ikonisierung wurde von rechts-protestantischer Seite als inhaltsleer kritisiert. Der Berliner Theologe Michael Vulpius klagt in der Erstausgabe des neuen rechten Magazins »CATO«: »Rund um den 500. Jahrestag des Thesenanschlags zu Wittenberg verliert sich die EKD in lauter moralpolitisches Gerede und gendergerechte Sprache. Von Martin Luther und evangelischer Verkündigung will sie nichts mehr wissen; die Chance einer ‹alternativen Moderne› bleibt ungenutzt.« Auch andere rechte Publikationen machten mit Luther auf.
In der Ausgabe 44/2017 der »Jungen Freiheit« schmückt der Reformator das Titelbild und wird dort als »Der konservative Rebell« bezeichnet. Der Luther-Biograf Heimo Schwilk beklagt in einem Interview der gleichen Ausgabe den Zustand der EKD: »Mir erscheint sie eher wie ein esoterischer Winkelverein für Leute, die gerne spirituell ‹kuscheln› und eine Gemeinschaft ohne jede biblische Verbindlichkeit erleben wollen. Ein dünner Aufguß aus Pazifismus, Weltumarmung, Sozialgläubigkeit. Nicht nur ‹Ehe für alle›, sondern auch Verständnis für alles und jedes, auch wenn es im Gegensatz zur geoffenbarten Wahrheit steht. Der heutige Protestant widmet sich lieber gesellschaftlich-emanzipatorischen Problemen als der Herausforderung des Glaubens, seinem Seelenheil.«

Vorbild
Die Klage über einen entkernten Protestantismus in der Evangelischen Kirche Deutschlands passt zur Hinwendung der »Neuen Rechten« zum katholischen Traditionalismus, die Volker Weiß konstatiert. Demnach hat sich ein Teil der extremen Rechten vom Protestantismus abgewandt. Der Neonazismus richtet sich ohnehin eher areligiös, neuheidnisch und zum Teil auch antichristlich aus. Luther fungiert hier deswegen weniger als religiöser Erneuerer denn als säkularer Nationsgründer. Diese Darstellung hat eine längere Tradition – bereits im 18. Jahrhundert, in der Frühphase des deutschen Nationalismus, wurde er als nationaler Vorkämpfer der deutschen Sprache, Unabhängigkeit und Identität verehrt. Ironischerweise wurde er damit im protestantisch dominierten Deutschnationalismus so etwas wie ein nationaler Heiliger. Bis in die Weimarer Republik ging mit dem protestantisch dominierten Deutschnationalismus ein scharfer Antikatholizismus einher. Es bildete sich eine protestantisch-deutschnationale Synthese heraus. Luther taugte als Vorbild, weil er mit der katholischen Kirche als »fremder Macht« gebrochen hatte und ein rabiater Judenfeind war. An seine Schrift »Von den Juden und iren Lügen« von 1543 wurde auch im Nationalsozialismus angeknüpft. Hier existierte innerhalb der evangelischen Kirche die Strömung der »Deutschen Christen«, die sich für ein ‹judenfreies› Christentum einsetzte.

Parteien
Die »Nationaldemokratische Partei Deutschlands« (NPD) versuchte zur Bundestagswahl im Lutherjahr durch ein Plakat mit dem Konterfei des Reformators und der Aufschrift »Ich würde NPD wählen« Aufmerksamkeit zu erregen. Dieser durchsichtige Versuch verpuffte weitgehend erfolglos. Ganz neu war der Slogan ohnehin nicht. Bereits 2009 war Michael Grunzel, ein ehemaliger Dom-Führer in Magdeburg, als NPD-Kandidat bei den Wahlen zum Magdeburger Stadtrat mit der Behauptung aufgetreten: »Martin Luther würde heute NPD wählen.«
Begleitend zu dem Plakat publizierte die NPD am 19. Mai 2017 ein Statement ihres Bundesvorstandsmitglieds Ronny Zasowk, in dem es heißt: »Staatlich geförderte Gotteshäuser, die Wirtschaftsflüchtlingen und Sozialtouristen Kirchenasyl gewähren, Politiker, die Millionen Menschen fremder Religionen und Kulturen zuwandern lassen und US-Kriegstreiber, die zu seinen Ehren in Berlin große Reden schwingen – Martin Luther würde sich im Grabe herumdrehen, könnte er sehen, was aus unserem Land geworden ist.« Auf den ersten Blick mag es irritieren, dass ein Funktionär der eher kirchenfernen NPD den Wandel in den Kirchen unter Verweis auf Luther anprangert. Doch dieser ist eben auch eine Projektionsfläche. Das wird an Zasowks weiteren Ausführungen deutlich: »Luther würde unsere abendländische Identität verteidigen, er würde unser Volk vor Zuwanderung schützen und er würde dem Missbrauch der Kirchen durch Asyl-Extremisten und Überfremdungs-Lobbyisten den Kampf ansagen.«
Die erfolgreichere Konkurrentin der NPD, die »Alternative für Deutschland« (AfD), bezieht sich ebenfalls immer wieder positiv auf Luther. In diesem Zusammenhang fordert sie eine Reformation im heutigen Deutschland, oder vergleicht sich gar mit ihm als unbeugsame Kämpferin gegen das Establishment. Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Udo Stein nannte Luther am 31. Oktober 2017 sogar »den ersten ‹Wutbürger› Deutschlands«. Im »Blauen Durchbruch«, der Fraktionszeitung der AfD in Sachsen-Anhalt, wird Luther unter der Überschrift »Wir sind Luther!« außerdem als »Islamkritiker« bezeichnet und aus seiner »Heerpredigt wider die Türken« von 1529 zitiert: »… sind alle des Teufels, und mit dem Teufel besessen, wie ihr Herr Mahomed.«

Mit derselben Berechtigung könnte man Luther auch einen »Judentum-Kritiker« nennen, wovon die AfD aber – vermutlich aus strategischen Gründen – absieht.
Verschiedene rechte Akteure nutzten also die Aufmerksamkeit im Jubiläumsjahr für die eigenen Zwecke: zur Parteiwerbung, zur Kritik an der Evangelischen Kirche. Und selbst die sogenannten Sprachschützer schafften es, Luther für sich zu instrumentalisieren. Die deutschtümelnde Zeitschrift »Deutsche Sprachwelt« formulierte sieben Thesen, in denen sie die Kirche dazu aufrief, ihre Sprache »gründlich zu überdenken« und wettert unter anderem gegen das »Kirchendenglisch«. Dabei berufen sich die Autoren explizit auf Martin Luther: »Der Reformator legte mit seiner Bibelübersetzung die Grundlage für eine einheitliche deutsche Schriftsprache. Diese ist heute jedoch durch Denglisch und Genderei bedroht. Statt gegenzusteuern, mischen die Kirchen dabei kräftig mit.«

Burschenschaften
Auch die Burschenschaften beschäftigten sich in diesem Jubiläumsjahr verstärkt mit Luther. Bereits in ihren Anfängen waren Burschenschaften sehr nationalprotestantisch geprägt, was auch dazu führte, dass das Wartburgfest 1817 am 300. Jahrestag des Thesenanschlags stattfand. Die Wartburg ist der Ort, an dem Martin Luther als »Junker Jörg« die Bibel ins Deutsche übersetzte. Die anlässlich des Wartburgfestes durchgeführte Bücherverbrennung orientierte sich an Luther, der 1520 die päpstliche Bannbulle gegen ihn und das kanonische Recht verbrannt hatte. Luther ist auch das Hauptthema der Ausgabe 1/2017 der »Burschenschaftlichen Blätter«, des Verbandsorgans der »Deutschen Burschenschaft« (DB). Zudem hatte die DB eine größere Veranstaltung »aus Anlass des Thesenanschlages von Martin Luther vor 500 Jahren und des Wartburgfestes der Burschenschaft vor 200 Jahren« in Eisenach zunächst groß angekündigt, diese musste dann jedoch mangels Interesses eine Nummer kleiner ausfallen. Sie fand schlussendlich am 6. Mai 2017 in Marburg bei der »Burschenschaft Rheinfranken« statt. Hier referierten der Theologie-Professor Sven Grosse aus Basel und der evangelische Theologe Karsten Jung aus Lauchringen. Jung lehrt an der christlichen CVJM-Hochschule in Kassel Religions- und Gemeindepädagogik und ist Mitglied der Burschenschaften »Rheinfranken« und »Redaria-Allemannia Rostock«. Weitere Veranstaltungen mit explizitem Luther-Bezug wurden 2017 vom »Studienzentrum Weikersheim«, der »Gesellschaft für freie Publizistik« (GfP) oder der »Bibliothek des Konservatismus« organisiert. Letztere ist dem Umfeld der Wochenzeitung »Junge Freiheit« zuzurechnen. Deren Stammautor Karlheinz Weißmann, unter anderem evangelischer Religionslehrer, verleiht Luther den Titel »Der deutscheste Mann«. Weißmann hat im Verlag »JF Edition« 2017 das Buch »Martin Luther für junge Leser« veröffentlicht, worin Luther als »Prophet der Deutschen« bezeichnet wird. In der Buchankündigung heißt es: »Luther ist ein großer Deutscher. Ein Nationalheld, dessen Leistungen für unser Land nicht zu überschätzen sind. Ein Vorbild.«

Fehlende Kritik
Neben einer Verwendung Luthers als Projektionsfläche hat der Reformator in einigen Teilen der extremen Rechten immer noch eine wichtige Bedeutung als »Prophet der Deutschen« und ist als solcher fest im rechten Gedenkkanon verankert.
Doch so sehr die extreme Rechte Luther auch als Miterfinder der Deutschen bemüht: Diese früher dominante Deutung hat heute nur noch wenig Einfluss in der Gesellschaft. Die rechte Luther-Rezeption blieb somit minoritär und spielte im Lutherjahr keine große Rolle. Allzu offensichtlich enttarnte sich, wer Luther heute als absolutes Vorbild propagierte, selbst als reaktionär. Allerdings konnte sich auch keine fortschrittliche Kritik an ihm durchsetzen, viele durchaus kritikwürdige Aspekte blieben unterbelichtet. Wenngleich die Luther-Botschafterin Margot Käßmann immer wieder kritische Töne in ihre Werbung für das Lutherjahr einstreute, wurde Luther vor allem als Glaubenserneuerer, als Reformator, vorgestellt. Seine Untertänigkeit gegenüber den Fürsten, seine Leistungsethik bleiben außen vor. Auch seine Behindertenfeindlichkeit wird heute kaum thematisiert. Immerhin sprach er sich für die Tötung von »missgestalteten Wechselbälgern«, »seelenlosen Fleischklumpen« oder »Kielköpfen« aus. Lediglich der Antijudaismus seiner Äußerungen wurde immer wieder kritisch erwähnt und beispielsweise in Ausstellungen thematisiert. Trotzdem wird Martin Luther als Namensgeber oder Identifikationsfigur deswegen bislang nicht insgesamt in Frage gestellt.