NSDAP und Landwirtschaft

von Onno Poppinga
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 189 - März | April 2021

Antifa Magazin der rechte rand

Eine der frühesten und bis heute besten Untersuchungen zu »Landbevölkerung und Nationalsozialismus« wurde schon 1932 begonnen, konnte aber erst 1963 veröffentlicht werden; Verfasser ist Rudolf Heberle. Seine Studie bezog sich räumlich auf Schleswig-Holstein, kam aber zu Ergebnissen, die sich analog in zahlreichen anderen Landschaften als zutreffend erweisen sollten. Das Kapitel »Der Aufstieg der NSDAP« beginnt mit der Feststellung: »Wie fast überall nahm die NSDAP ihren Ausgang zunächst in den Städten.« Beginnend mit den Worten »Sozialismus« und »Arbeiterpartei« im Parteinamen bis zum Parteiprogramm von 1920, in dem Bauern nicht vorkamen, zeigt sich deutlich, dass sich die Agitation der frühen »Nationalsozialistischen Arbeiterpartei« an die städtische Bevölkerung richtete. Erst als sich 1928 auch in einigen ländlichen Wahlkreisen Erfolge einstellten, nahm Adolf Hitler das zum Anlass, dem Parteiprogramm die »sozia­listischen Zähne« zu ziehen. Forderungen nach einer Bodenreform und unentgeltlicher Enteignung von Boden für gemeinnützige Zwecke wurden gestrichen. Die NSDAP stehe »auf dem Boden des Privateigentums« und ihre Enteignungsprogrammatik richte sich »in erster Linie gegen jüdische Grundstücksspekulationsgesellschaften«.
Für den sich schließlich einstellenden starken Zulauf zur NSDAP unter den Bauern waren vor allem folgende Gegebenheiten von großer Bedeutung.

Unterstützung durch den Adel
Das politische Klima in der Weimarer Republik war stark durch natio­nalistische Agitation geprägt, wie die »Dolchstoßlegende« und die Ablehnung des Versailler Vertrags deutlich machten. Große Teile der Mittel- und Oberschicht – Beamte, Militärs und Angehörige der Justiz und Universitäten – lehnten die neuen demokratischen Institutionen ab und bekämpften sie. Es gab zahlreiche Morde an Repräsentanten der Republik, beispielsweise durch ehemalige Freikorpskämpfer und die »Organisation Consul«, die nicht gesühnt wurden. Antisemitische Hetze war allgegenwärtig, auch im Umfeld der evangelischen und der katholischen Kirchen. Nationalistische Organisationen wie der »Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten« und »Jungdeutscher Orden« breiteten sich in Städten sowie ländlichen Gemeinden aus.

Dagegen standen vor allem die Sozialdemokratie und Kommu-nist*innen, die Gewerkschaften und ebenso die »Deutsche Demokratische Partei«. Zwischen der SPD und den Bauern gab es nur wenige Verbindungen. Die Partei verfasste zwar ein Agrarprogramm, aber mit ihren Zielen von Produktivitätssteigerung und Förderung der Genossenschaften fand sie keinen Zugang zu den seit 1927 durch die Agrarkrise gebeutelten selbständigen Bauern.Der erste Weltkrieg endete mit einer politischen Revolution; eine soziale Revolution blieb aus. So wurde 1926 die Enteignung der Fürsten abgelehnt. Das führte dazu, dass in weiten Bereichen der Landwirtschaft der Großgrundbesitz seine herrschende und führende Stellung gegenüber den Bauern behielt. Im Gegensatz dazu schufen die baltischen Länder durch Bodenreformen die Grundlage für eine demokratische Entwicklung auf dem Land. Zwar begegneten viele Großgrundbesitzer der NSDAP anfangs mit Skepsis, vor allem im katholischen Süden. Aber ab Ende der 1920er Jahre galt beispielsweise für Ostpreußen: »Unter den bekanntesten Namen des ostelbischen Adels läßt sich kaum eine Familie benennen, in der es keine aktive Unterstützung der NSDAP gegeben hat.«

Agrarkrise bringt Zuspruch
Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war für viele Bauernbetriebe eine wirtschaftlich erfolgreiche Zeit. Im Gegensatz zu marxistischen Theoretikern, die ihnen den baldigen Untergang vorhergesagt hatten, prosperierten ihre Betriebe. Dazu gehörten im nordwestlichen Deutschland und im Ruhrgebiet Importe von Futtermitteln aus Russland und Norwegen sowie Exporte von Rindern und Schweinen nach England. Viele Bauern waren politisch liberal und praktizierten den freien Handel.
Die Weimarer Republik brachte für die Landwirtschaft durch die Inflation zwar die Möglichkeit, die in Goldmark aufgenommenen Kredite der Vorkriegszeit durch wertloses Papiergeld abzulösen, sie vernichtete aber alle Barreserven. Da nach dem Krieg viele Höfe ihre Maschinen und Gebäude erst wieder instand setzen mussten, kam es schnell zu erheblichen Neuverschuldungen. Außerdem stieg das Zinsniveau gegenüber den Vorkriegsjahren um mehr als das Doppelte und die Belastung durch Einkommens- und Grundsteuer nahm zu. Das führte ab 1927 zur allgemeinen Krise, in der immer mehr Landwirte die Zins- und Steuerzahlungen nicht mehr leisten konnten. Es folgten Pfändungen mit anschließenden Zwangsversteigerungen von Vieh, Land und ganzen Betrieben. Dadurch nahm der Zuspruch unter den Bauern für die NSDAP erheblich zu.

Vom Steuerboykott zu den Nazis
Mit der »Landvolkbewegung« entstand Anfang 1928 eine Steuerboykottbewegung, an der sich Zehntausende beteiligten. Die Bauern weigerten sich »Steuern aus der Substanz« zu zahlen. Schwerpunkte lagen in Nord- und in Ostdeutschland. Als politische Proteste keine Wirkung zeigten, ging man dazu über, Zwangsversteigerungen aktiv zu verunmöglichen. Persönlicher Druck führte dazu, dass sich bei Versteigerungen niemand mehr traute, ein Gebot abzugeben. Schließlich ging ein Trupp aus der Freikorpsszene im Umfeld des Bauernführers Claus Heim dazu über, Bomben in Finanzämter und am Reichstag zu legen. Die einsetzende Strafverfolgung läutete das Ende der »Landvolkbewegung« ein. Ein großer Teil der Anhänger suchte sein Heil jetzt bei der NSDAP. Zu dieser Rechtswende trug bei, dass die Reichsregierung den Bauernhöfen Entlastung verweigerte, während sie dann ausgerechnet für den Großgrundbesitz in Ostelbien mit dem »Osthilfe-Programm« umfangreiche Hilfen verabschiedete.

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Rückhalt bei selbstständigen Landwirten
Im Gegensatz zur »Landvolkbewegung«, deren Anführer vor allem Großbauern waren, hatten die Nazis den stärksten Zulauf bei klein- und mittelbäuerlichen Höfen. Rudolf Heberle hat das sehr genau für Schleswig-Holstein herausgearbeitet. Beginnend mit der Reichstagswahl von 1930 verzeichnete die NSDAP vor allem in ländlich geprägten Wahlkreisen hohe Zunahmen. Dafür war auch wesentlich, dass es dem »Agrarpolitischen Apparat« der Partei unter dem späteren Landwirtschaftsminister Walther Darré schnell gelang, die Kontrolle über den mächtigen, von Großgrundbesitzern geführten »Reichslandbund« zu übernehmen. Zwischen ihm und der NSDAP gab es eine große ideologische Nähe. In Opposition dazu wehrten sich die dem katholischen Zentrum nahestehenden »Bauernvereine« lange gegen eine Unterwanderung.
Beim Blick auf die Parteimitgliedschaft fällt auf, dass landwirtschaftlich Erwerbstätige in der NSDAP weit unterdurchschnittlich repräsentiert waren. Vor allem Landarbeiter, Bauernkinder und Frauen aus Landwirtschaftsbetrieben fanden sich seltener in den Reihen der Nazis. Umgekehrt gab es mehr Anhänger unter »Erbhof«-Besitzern und der Anteil selbstständiger Landwirte nahm in der sogenannten »Kampfzeit« vor 1933 rapide zu.

Verfolgung jüdischer Bauern
In zahlreichen Dörfern, in der Regel in der Nähe industrieller Zentren, war längst eine gemischte Bevölkerung aus Bauern und Bäuerinnen, Landarbeiter*innen, Industriearbeiter*innen und Gewerbetreibenden entstanden. Hier konnten Gewerkschaften, SPD und auch die KPD einen gewissen Einfluss entwickeln, beispielsweise im ostfriesischen Moordorf oder im schwäbischen Mössingen. Auch die den beiden Parteien nahestehenden »Bauernvereinigungen« hatten in diesen Dörfern bisweilen eine gewisse Bedeutung, wenngleich sie sonst sehr schwach aufgestellt waren.
Sofort nach der Machtübergabe begann die Verfolgung von Oppositionellen, Jüdinnen und Juden. Die wenigen jüdischen Bauern und Bäuerinnen, die es in Deutschland gab, wurden gezwungen, ihre Höfe zu verkaufen. Manchen gelang die Auswanderung oder die Flucht. Besondere Schwierigkeiten hatte die NSDAP beim Versuch, die traditionell wichtigen Beziehungen zwischen Bauern und Bäuerinnen und jüdischen Viehhändlern zu zerstören. Es brauchte Jahre und drakonische Strafen, bis das Monopol für »arische« Viehhändler durchgesetzt war.

Kontrolle des »Neuadel aus Blut und Boden«
Für die NSDAP und ihre Bauerntumsideologie war das 1933 eingeführte »Reichserbhofgesetz« von zentraler ideologischer Bedeutung, sollte es doch helfen, den »Neuadel aus Blut und Boden« zu erschaffen. Um das »Reichserbhofgesetz« gab es von Anfang an Konflikte und zwar in den vielen Landschaften, in denen traditionell nicht das »Anerbenrecht« praktiziert wurde. Dieses begünstigte den alleinigen Erben, in der Regel den ältesten oder jüngsten Sohn, und benachteiligte alle anderen Kinder. Eine weitere zentrale agrarpolitische Maßnahme der Nazis war das Verbot von Zwangsversteigerungen, was die betroffenen Betriebe sehr entlastete und der NSDAP Zustimmung brachte.
Die Einführung eines »Reichsnährstandes«, bei dem es sich inhaltlich um eine »Agrarkartellierung« handelte, ermöglichte die totale Kontrolle der landwirtschaftlichen Erzeugung. Der »Reichsnährstand« umfasste von den Landarbeiter*innen und den Bauernhöfen bis zu Schlachthöfen und Molkereien alle Stufen der landwirtschaftlichen Erzeugung und der Lebensmittelherstellung. Die Verkaufspreise waren fest vorgegeben und niedrig, aber nach den Preisturbulenzen zum Ende der Weimarer Republik wurde dies von vielen Landwirten trotzdem akzeptiert.
Die Zustimmung änderte sich aber vielfach, nachdem sie gezwungen wurden, zur Sicherung der vollständigen Kontrolle der Höfe durch die NSDAP ihre technische Ausstattung zur Weiterverarbeitung von Milch zu Butter und Käse abzuliefern. Das traf vor allem die Bäuerinnen, weil die Weiterverarbeitung von Lebensmitteln eine ihrer wichtigsten Einkommensquellen war. Als dann während des Krieges der Ablieferungszwang immer weiter verschärft wurde, gingen die Bauern verbreitet zu Boykottmaßnahmen, wie dem »Schwarzschlachten«, über. Weil das dem absoluten Kontrollanspruch der NSDAP widersprach, antwortete diese mit drakonischen Strafen. So wurden vom »Sondergericht Bielefeld« zwischen 1941 und 1945 in diesem Zusammenhang 60 Todesurteile ausgesprochen und davon 50 vollstreckt.