Bauernkampf oder Kampf um die Bauern

von Julia Amthor
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 189 - März | April 2021

Seit Herbst 2019 gehen wiederholt tausende Bäuerinnen und Bauern in Deutschland auf die Straße, um gegen das Agrarpaket der Bundesregierung, die Verschärfung der Dünge-Verordnung und das geplante Mercosur-Freihandelsabkommen mit Südamerika zu protestieren. Die »Alternative für Deutschland« springt auf diesen Protestzug auf.

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Mehrere hundert Bäuerinnen und Bauern demonstrierten am 26. Januar 2021 in Berlin mit ihren Traktoren gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung, mehrere mit Fahne der völkischen »Landvolkbewegung« von 1929. © Christian Ditsch

Im Zuge des Protests gründete sich am 1. Oktober 2019 auf Facebook die Gruppe »Land schafft Verbindung« (LsV) von Bäuerinnen und Bauern, die sich vom Deutschen Bauernverband (DBV) nicht mehr vertreten sahen. Während der DBV bei allen großen Entscheidungsrunden als Interessenvertretung mit am Tisch saß, wollte »Land schafft Verbindung« als aktive Bewegung agieren. Im Januar 2021 hat die private Facebook-Gruppe rund 30.000 Mitglieder und allein im Januar über 300 neue Beiträge. Nach eigenen Aussagen sind in dazugehörigen WhatsApp-Gruppen rund 100.000 Landwirt*innen organisiert. Dem ersten Aufruf zur zentralen Kundgebung in Bonn sowie zeitgleichen Demonstrationen in rund 20 Städten am 22. Oktober 2019 folgten zehntausende Bäuerinnen und Bauern. Es waren die bis dahin größten Landwirtschaftsdemonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik.

Im politischen Diskurs
Konservative Einstellungen sind unter der Landbevölkerung messbar stärker vertreten als im urbanen Raum. Laut Forschungsgruppe Wahlen machten 74 Prozent der wählenden Bäuerinnen und Bauern bei der Bundestagswahl 2013 ihr Kreuz bei der Union. Während der Wert bei der CDU vier Jahre später um 13 Prozent sank, verdoppelte gleichzeitig die AfD ihren Anteil in dieser Wähler*innengruppe auf 8 Prozent. Später wurde bei der Landtagswahl 2019 in Sachsen die rechtsradikale Partei mit 34 Prozent stärkste Kraft unter den Landwirt*innen. Sie lag damit noch einen Prozentpunkt vor der CDU und schnitt ganze 6,5 Prozentpunkte besser ab als im Landeswahlergebnis.

Im 1948 gegründeten Deutschen Bauernverband sind heute noch rund 80 Prozent des Berufsstandes organisiert. Seit der Gründung steht er inhaltlich und personell der CDU/CSU nahe. Aufgrund dieser Nähe zum politischen System und dem wachsenden Gefühl kleinerer Unternehmen, der DBV vertrete nur die Belange der industriellen Großlandwirtschaft, ist er mittlerweile in vielen landwirtschaftlichen Betrieben umstritten. Die enge Verbindung zur Union wird nun zum Problem, da sie nicht nur im Bund, sondern auch in den Haupt­agrarländern wie Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern die Landwirtschaftsminister*innen stellt. Für den neuen Zusammenschluss »Land schafft Verbindung« haben sich Bäuerinnen und Bauern zusammengetan, die sich eine engagiertere und entschlossenere Vertretung von unten wünschen, ohne Hinterzimmergespräche und Klüngeleien mit der Politik. Die dezentral organisierte Gruppe schlug einen neuen Weg ein, wollte parteipolitisch neutral sein und sich von keinen Parteien distanzieren. Der Umgang mit parteipolitischen Interessenvertretungen wird allerdings regional sehr unterschiedlich gehandhabt.

Vereinnahmung
Fünf Tage vor der Landtagswahl in Thüringen, am 22. Oktober 2019, fuhr die AfD mit eigenem Traktor und Anhänger, der mit mehreren großen Wahlplakaten verziert wurde, zur LsV-Großdemonstration. Der Traktor, auf dem als partei-prominentes Mitglied der AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner saß, konnte mehrere Kilometer mitfahren, bevor er von anderen Traktoren abgedrängt wurde. Der Vorgang fand bundesweit Beachtung, auch weil es Stunden dauerte, bis sich Axel Horn, Pressesprecher der Demoanmeldung, von der AfD-Aktion distanzierte.

Am gleichen Tag in Hannover waren einige AfDler*innen wie die damalige Landtagsabgeordnete und Landesvorsitzende Dana Guth auf der Kundgebung vor Ort. Auch dort wurde fleißig Parteiwerbung betrieben. Neben einzelne Traktoren mit AfD-Fahnen, die nach der Demonstration gesichtet wurden, war AfD-Werbematerial auf grünen Holzkreuzen, ein beliebtes Symbol der bäuerlichen Proteste, befestigt worden.

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In den meisten Regionen haben die Organisator*innen der Demonstrationen inzwischen verstanden, dass fehlende Distanzierung von der rechtsradikalen Partei ihren Anliegen und der Bewegung schadet. So zum Beispiel der örtliche Sprecher von LsV, als am Rande einer NRW-weiten Sternfahrt im November 2019 in Wesel einige Vertreter*innen der AfD ein Transparent entrollten: Man wolle »keinerlei politische Propaganda« bei den Protesten »und schon gar nicht von der AfD«.

Für den bundesweiten Demonstrationstermin im Januar 2020 hatte die AfD in Nürnberg ursprünglich direkt auf dem Versammlungsplatz einen Infostand angemeldet. Aufgrund von Sicherheitsbedenken wehrte sich LsV dagegen. Man wolle parteipolitisch neutral bleiben, sagte Anmelder und CSU-Mitglied Andreas Geistmann, und Sebastian Dickow richtete im Namen von »Land schafft Verbindung« klare Worte an die AfD: »Das ist keine Wahlkampfveranstaltung für euch.« Als später während der Kundgebung vereinzelt AfD-Fahnen auftauchten, schritten die Veranstalter*innen sofort ein.
In anderen Landesteilen ging man weniger engagiert gegen die Präsenz von Rechtsradikalen an diesem Tag vor. In Schwerin war Leif-Erik Holm, AfD-Bundestagsabgeordneter, mit vier weiteren AfDlern auf der dortigen Demonstration. In einem Video mit dem Titel »Wir unterstützen unsere Landwirte!« sitzt Holm lachend in einem vorbeifahrenden Traktor mit einem »Klagt nicht, kämpft«-Sticker am Kabinenhäuschen. In Dresden hingegen durfte der im Wahlkreis Sächsische Schweiz direkt gewählte AfD-Landtagsabgeordnete Ivo Teichmann selbst zum Mikro greifen und auf die »etablierte Politik« schimpfen.

Einladung
Es ist jedoch nicht nur so, dass sich die AfD ungefragt den Protesten anschließt. So lud »Land schafft Verbindung« im Dezember 2019 pressewirksam Bundestagsabgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern von CDU, FDP und der AfD zu einem Dialog­tisch ins vorpommersche Zemmin ein – mit dem Ziel, »sich über die Sorgen der Landwirte zu informieren und konstruktive Gespräche zu führen«, wie top agrar online anschließend berichtete.

»Mir ist es egal, wer die Entscheidungen trifft, wenn sich der Entscheidungsträger für die Landwirtschaft ausspricht«, sagte die Sprecherin der Bewegung in Niedersachsen, Henriette Struß, im März 2020. Sie reagierte damit auf die Kritik, sie habe die AfD auf einer Demonstration in Hannover ausgegrenzt.
Die Frage nach Positionierung gegenüber der AfD begleitet LsV seit der Gründung. In der heterogenen Bewegung sind von Befürworter*innen einer strikten Abgrenzung bis hin zur Bereitschaft der Zusammenarbeit alle Positionen vertreten. Deutlich wird das auf sozialen Plattformen bei Diskussionen über die inhaltliche Ausrichtung der Bewegung; die mögliche Abgrenzung zur AfD wird eher pragmatisch unter den Aspekten »sinnvoll« oder »sachdienlich« diskutiert. Die Partei hingegen registriert, dass eine Vielzahl von Bäuerinnen und Bauern einer Ablehnung reserviert gegenüberstehen oder das Agieren der AfD sogar begrüßen. In Passau beispielsweise meldete im Herbst ein Landwirt und AfD-Mitglied die Demonstration an, in Bonn gehörte der AfDler Walter Peters sogar zum Orga-Stab. Peters war für die AfD in den Kreistag Düren gewählt worden und hatte damit die ersten Artikel über eine mögliche Unterwanderung der landwirtschaftlichen Proteste durch die AfD ausgelöst.

Bauernversteherin AfD
In einer Anbiederung an die Forderung von LsV versucht die AfD hier insbesondere CDU/CSU in Misskredit zu bringen. Als Stephan Proschka, agrarpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, im Oktober 2019 verkündete »Ich bin heute auf der Kundgebung in Bonn, weil die AfD-Fraktion fest an der Seite der deutschen Bauern steht«, hatte sich die AfD-Bundestagsfraktion bereits zuvor hinter die Proteste gestellt. Proschka erklärte: »Auf Druck der Umwelt- und Naturschutzverbände werden von der Bundesregierung seit Jahren neue Verbote und Auflagen verabschiedet, obwohl wir in Deutschland bereits die höchsten Umwelt-, Tierschutz- und Verbraucherschutzstandards der Welt haben.«
Die inhaltliche Zustimmung der AfD zu den Forderungen von LsV liegt bei nahezu hundert Prozent. Wohl auch, weil die AfD diese – »inklusive Reschtschreibfehler« –abgeschrieben haben könnte, wie es das CSU-Mitglied Geistmann nach der Demo in Nürnberg formulierte.

Ende 2019 diskutierte die AfD ein Strategiepapier, das den »Marsch durch die Institutionen« als Weg zur Volkspartei vorsah, bei dem insbesondere Organisationen mit hoher Mitgliederzahl und bundesweiter Reichweite sowie kleine Organisationen mit AfD-affinen Themen im Fokus stehen sollten. Es lag also auf der Hand, dass die AfD sich im Bereich der Landwirtschaft so positionieren wird, um Wähler*innenstimmen zu erschließen. Die aktuellen Proteste bieten – ohne großen eigenen Aufwand zu betreiben – dafür eine gute Gelegenheit. Das »Kaputtsparen« und »Überregulieren« der deutschen Landwirtschaft passt in die Positionen der AfD im täglichen Wettern gegen die EU und die Bundesregierung. Die letzten zwei Jahre haben gezeigt, dass das »Unzufriedenheitsniveau« insbesondere mit der Politik der CDU unter den Landwirt*innen hoch ist. Wie in anderen Bereichen der Gesellschaft sind das die Bedingungen, die eine Vereinnahmung durch die AfD begünstigen – umso wichtiger ist es, dass diese Partei es bisher nicht geschafft hat, in den wichtigen ­Orga-Teams der Bauernproteste Fuß zu fassen.