»Alternativa dlja Germanii« im Bundestag

von Lara Schultz
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 194 - Januar | Februar 2022

#Russlanddeutsche

Die »Alternative für Deutschland« stellt ihren dritten russlanddeutschen Abgeordneten im deutschen Bundestag. Das sind dreimal mehr Russlanddeutsche als alle anderen Parteien seit 1949 zusammen. Als Partei der Russlanddeutschen funktioniert sie dennoch nicht.

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2017 Russlanddeutsche für die AfD mit Frauke Petry © Roland Geisheimer / attenzione

Seit September 2021 geht nur noch einer der 736 Sitze des Bundestags an einen Russlanddeutschen – an Eugen Schmidt aus Nordrhein-Westfalen als neuen Abgeordneten für die »Alternative für Deutschland« (AfD). Die beiden Russlanddeutschen Waldemar Herdt (Niedersachsen) und Anton Friesen (Thüringen) sind damit zwei von 241 nicht wiedergewählten Abgeordneten im Bundestag. Beide gehörten zur AfD-Fraktion, die elf Sitze im Vergleich zu 2017 verloren hat. Damals war sie die erste Partei überhaupt, die mit zwei russlanddeutschen Abgeordneten gleichzeitig aufwarten konnte. Was Herdt und Friesen außer ihrer postsowjetischen Herkunft und ihrer Parteizugehörigkeit verbindet: Gleiche Abstimmungspräferenzen auf Parteilinie. So stimmten auch sie gegen die Aufhebung des Transsexuellengesetzes, gegen Klimaschutz und gegen gendergerechte Sprache.

Ebenso wie zuvor Herdt und Friesen zählt Schmidt zu den Hinterbänklern – zumindest in Deutschland. In Russland hingegen ist die Wahrnehmung von russlanddeutschen Bundestagsabgeordneten eine andere. Dass Schmidt sich am 16. Dezember 2021 im Bundestag für die Anerkennung der Krim als Teil Russlands stark gemacht hat, fand in deutschen Medien keinen Widerhall. In Russland hat dies jedoch Schlagzeilen gemacht. Auch dass Herdt Anfang September 2021, als die Verlegearbeiten für die umstrittene deutsch-russische Ostseepipeline Nord Stream 2 beendet wurden, erneut seine positive Meinung zu dem Projekt äußerte, interessierte in Deutschland nicht. Russische Nachrichtenagenturen hingegen zitierten breit seine Einlassungen, der staatliche Fernsehsender Rossija 1 bot ihm in der Polittalkshow »60 minut« eine Bühne: Die Angriffe der außenpolitischen Gegner Russlands auf Nord Stream 2 seien »ideologischer Wahnsinn«, die Grünen betrieben mit ihrem Plädoyer für Gas aus den USA lediglich Lobbyarbeit. In russischen Nachrichten und Talkshows wird Herdt als wichtigster außenpolitischer Sprecher der Opposition im Bundestag inszeniert und kann dort seinem Hass auf die Regierung und seinen verschwörungshaften Erzählungen freien Raum lassen: Deutschland sei kein souveräner Staat, sondern ein de facto besetztes Land, weil es noch immer keinen Friedensvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika gebe. Laut Herdt bestehe ein geheimes Kanzlergesetz, nach dem jeder neu gewählte Bundeskanzler vom Weißen Haus genehmigt werden müsse. Demnach müsse dieser noch vor der Amtseinführung nach Washington reisen, wo »hinter verschlossenen Türen sicherlich kein Tee« getrunken werde.

Waldemar Herdt, der seine Parteizugehörigkeit zur AfD mit der Nähe vieler Programmpunkte zu seinem Weltbild – die traditionelle Familie, die Ablehnung früher sexueller Aufklärung, die Ablehnung der »Genderideologie« und der Schutz christlicher Werte – erklärt, konnte sich und seine Partei in russischen Medien auch immer wieder als Opfer inszenieren. Die Zeiten seien in Deutschland für oppositionelle Kräfte besonders schwer. Die AfD sei im 19. Bundestag die einzige wahre Opposition gegen die Regierungskoalition und »alle anderen ihr dienenden Satelliten« gewesen. Dass die CDU/CSU bei den jüngsten Wahlen zum 20. Bundestag gegen die SPD verloren habe, »weise darauf hin, dass die Bewegung hin zu einer kontrollierten Demokratie, die an Diktatur grenzt, gerade erst an Fahrt aufnimmt«, so der ehemalige Abgeordnete. Bezüglich der Präsenz in russischsprachigen Blogs und Medien tritt Schmidt nun in Herdts Fußstapfen.

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Der russlanddeutsche YouTuber Misha Bur führte kurz vor der Bundestagswahl 2021 ein Interview mit Eugen Schmidt – auf russisch, dementsprechend nennt er seinen Interviewpartner Evgenij statt Eugen. Evgenij durfte hier das Wahlprogramm der AfD und seine eigene Sicht vorstellen: Migration müsse beschränkt werden, Deutschland müsse ein christliches Land bleiben, die Staatsbürgerschaft dürfe nur stark nach Abstammung vergeben und die Renten müssen erhöht werden. Wie auch bei Herdt fällt auf: Innerhalb der AfD vertreten beide typisch rechtskonservative, rassistische, anti-choice und antimuslimische Positionen. Erst wenn sie sich an ein russischsprachiges Publikum wenden, werden auch spezifisch russlandbezogene und russlanddeutsche Themen erwähnt. So forderte Schmidt in dem Interview auch eine Erleichterung bei der Vergabe von Schengen-Visa für Russinnen und Russen und die Anerkennung von in Russland oder anderen postsowjetischen Staaten erworbenen Bildungsabschlüssen sowie Rentenansprüchen für Russlanddeutsche. Bei dieser direkten Ansprache vermittelt Schmidt einen Alleinvertretungsanspruch seiner Zielgruppe.

Das macht die AfD noch lange nicht zu einer Partei für Russlanddeutsche, auch wenn sie sich selbst gerne so sieht. Waldemar Herdt hatte 2018 für den von ihm gegründeten »Volksrat der Russlanddeutschen« eine Wahlumfrage durchgeführt. 75,9 Prozent der Russlanddeutschen hätten bei der Bundestagswahl 2017 ihre Stimme der AfD gegeben. Tatsächlich waren es einer nicht interessengeleiteten Studie zufolge 15 Prozent und somit nur knapp über dem amtlichen Wahlergebnis von 12,6 Prozent. Fest steht also: Vor allem diejenigen Russlanddeutschen, die sich dem AfD-nahen »Volksrat« verbunden fühlen, wählen die AfD. Der Zuspruch im Netz für den von Schmidt bespielten Twitter-Account »Russlanddeutsche für die AfD« hält sich mit gut 4.500 Followern – bei Facebook hat er etwa 14.000 Abonnent*innen – dementsprechend auch in Grenzen.
»Die Russlanddeutschen« hingegen bleiben eine heterogene Gruppe. Sie kamen als Spätaussiedler*innen aus unterschiedlichen Staaten nach Deutschland, die meisten aus Russland und Kasachstan. Die Mehrheit wählt die Unions-Parteien, aber auch die Linke bekam von russlanddeutschen Wähler*innen deutlich mehr Stimmen als die AfD.