»Wir sind tief verwurzelt mit der Erde!«

von Margarete Schlüter
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 189 - März / April 2021

#Macherinnen

Antifa Magazin der rechte rand
Teilnehmerinnen einer »Querdenken«-Demonstration in Berlin 2020 © Mark Mühlhaus / attenzione

Seit knapp einem Jahr gehen Menschen verschiedener Couleur auf die Straße, um gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu demonstrieren. Auffällig ist der hohe Anteil der teilnehmenden Frauen. Diese Beobachtung deckt sich mit der an der Universität Basel entstandenen Studie »Politische Soziologie der Corona-Proteste« in Deutschland, der Schweiz und Österreich; der Frauenanteil an der quantitativen Umfrage lag bei über 60 Prozent. Den Ergebnissen zufolge stehen sie esoterischem Denken offen gegenüber, weisen der Impfthematik eine große Bedeutung zu und sind in Sorge um ihre Kinder. Auch wenn die bisherige empirische Datengrundlage relativ dünn ist, ermöglichen die Ergebnisse einen ersten Einblick in das Spektrum der Teilnehmenden an den sogenannten Corona-Protesten.

Der Frage nach möglichen spezifischen Beweggründen von Frauen, an den Protesten zu partizipieren, gehen die Soziologin Nadine Frei und die Philosophin Ulrike Nack in einem bisher noch nicht veröffentlichten Aufsatz nach. Sie stellen die theoriegeleitete These auf, dass mit dem Aufbegehren »die für die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft konstitutive vergeschlechtlichte Trennung zwischen privater und öffentlicher Sphäre« bejaht werde. Diese These wird anhand der Protestthemen »Impfen« und »Sorge um ihre Angehörigen« diskutiert.

 

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In der generellen Ablehnung des Impfens komme ein romantisiertes Naturverständnis und eine Idealisierung des Weiblichen zum Tragen. Der Vorstellung der Reinheit der Natur mit ihren Selbstheilungskräften wird die Künstlichkeit der Medizin gegenübergestellt. Diesem Verständnis folgend, stellt der vermeintlich drohende Impfzwang einen Angriff auf die Natur dar. Darüber hinaus sehen sich die Frauen durch sämtliche staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie daran gehindert, der generellen Sorge um Angehörige nachzukommen. Doch warum werden eben jene Maßnahmen abgelehnt, die die Angehörigen schützen sollen? Frei und Nack leiten aus ihren Ausführungen ab, dass die Sorge der Protestierenden nicht Aufgabe des Staates, sondern die der Frau sei. Es sei eben jene Rolle, die Frauen in patriarchalen Gesellschaften zugeschrieben und ihnen nun zum Teil abgesprochen werde. Damit wohne der Verteidigung der privaten Sphäre ein die Gesellschaft gefährdendes Moment inne. Dass die ausgeführten antiquierten Ideen von Frauen vertreten werden, soll im weiteren Verlauf anhand einiger Beispiele veranschaulicht werden.

Der sogenannte »Multikulturelle Frauenmarsch« – »Kulturalistischer Frauenmarsch« wäre eine passendere Bezeichnung –, an dem am 28. Februar 2021 in Berlin circa 500 Frauen und wenige Männer teilnahmen, wurde im Vorfeld mit folgenden Worten beworben: »Wir [Frauen] sind tief verwurzelt mit der Erde! Und es ist unsere Aufgabe, sie zu schützen und daran zu erinnern. Die Kinder bilden unsere nächsten Generationen und es ist unsere Pflicht, alles dafür zu tun, ihnen eine lebendige und sichere Zukunft zu ermöglichen. […] Kontaktbeschränkungen und Abstand sind nicht nur schädlich für [sic!] Ausbildung des Immunsystems [sic!] sondern verhindern auch eine freie und gesunde Entwicklung.« Organisiert wurde die Demonstration von Frauen, die laut eigenen Angaben im »kreativen und heilenden« Bereich tätig sind. Und so wurden auf der Abschlusskundgebung unter anderem esoterische Rituale vollzogen; Reden gehalten, in denen zum Beispiel ein Systemwechsel »hin zu den heiligen Gesetzen des Lebens« gefordert und der »heilige Atem« gegen die Maskenpflicht angerufen wurde.

Auch mit der sogenannten »Frauen Bustour« wollten Frauen aus der »Querdenken«-Bewegung Ende letzten Jahres den coronabedingten Maßnahmen ihre »weibliche Energie« entgegensetzen. Eine der Verantwortlichen, Eva Rosen, gab dem rechten »Compact«-Magazin ein Interview. In diesem stellte sie unter anderem die Gefährlichkeit des Virus infrage – »eine milde Grippe« –, wetterte in verschwörungsideologischer Manier gegen die Maßnahmen, welche sie als einen »unmenschlichen Vorgang bezeichnete«, durch den »Kinder psychisch traumatisiert« würden. Großer Erfolg war der Bustour nicht beschieden. Entweder stieß sie an den jeweiligen Stationen auf eine geringe Resonanz oder wurde vom Gegenprotest begrüßt.


Eine weitere Protagonistin innerhalb der Szenerie ist die YouTuberin Miriam Hudson alias »Hope«, deren Videos in der Vergangenheit immer wieder gesperrt worden sind. Nun ist sie auf Telegram ausgewichen. Hudson sieht sich im ‹Widerstand› tätig. Sie sprach auf Veranstaltungen gegen die coronabedingten Maßnahmen, hinter denen sie einen geheimen Plan vermutet – einen »Great Reset«, demzufolge »die Finanzeliten« die Weltwirtschaftsordnung zurücksetzen wollten. Ihrer Meinung nach würden die Menschen in Deutschland in einer Diktatur leben, in der keine freie Meinungsäußerung möglich sei. Letztlich dienen solche Aussagen der eigenen Viktimisierung und lassen jeglichen Bezug zur Realität missen. Und ob die Anfang dieses Jahres getätigte Aussage, der »Impf-Holocaust« habe angefangen, von der freien Meinungsäußerung gedeckt ist, ist zu bezweifeln.


Es ließen sich an dieser Stelle noch weitere Beispiele für das Agieren von Frauen im Corona-Protest-Milieu anführen. Sei es, dass Vergleiche mit während des Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Frauen bewusst oder unbewusst herangezogen werden, um sich als Opfer zu stilisieren. Oder Antifeministinnen wie Birgit Kelle, die in der aktuellen Situation eine positiv gedeutete Chance der Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse in der privaten Sphäre sehen.