Die normale Radikalität

von Kai Budler
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 189 - März / April 2021

#AfDNA

Während die Delegierten beim AfD-Parteitag in Dresden darauf achteten, in der Öffentlichkeit nicht wieder als »gäriger Haufen« dazustehen, organisiert der formal aufgelöste »Flügel« Mehrheiten für Anträge aus seinem Lager.

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Antifa Magazin »der rechte rand« Ausgabe 174 – Faschist Björn Höcke – seit 2018 hat sich nichts verändert.

Nun verfügt die »Alternative für Deutschland« (AfD) also nur noch über 36 Sitze im sächsischen Landtag, nachdem Wolfram Keil und Christopher Hahn wegen der »zunehmenden Radikalisierung« aus Fraktion und Partei ausgetreten sind. Keil sprach gar von einem »Niedergang« der Partei, der sich erneut beim Bundesparteitag in Dresden manifestiert habe. Dass ausgerechnet Mitglieder der sächsischen Fraktion wegen »zunehmender Radikalisierung« austreten, sollte eigentlich ebenso für Verblüffung sorgen wie das Staunen in manchen Redaktionen über einige Mehrheitsbeschlüsse auf dem Bundesparteitag. So ist die Forderung nach einem EU-Austritt Deutschlands schon in alten Wahlprogrammen angelegt, in denen es hieß: Wenn »das Konzept eines Staatenbundes souveräner Staaten (…) mit den derzeitigen Partnern der EU nicht einvernehmlich auszuhandeln ist, ist Deutschland gezwungen, dem Beispiel Großbritanniens zu folgen und aus der bestehenden EU auszutreten«. Auch die von der »Familienpartei« beschlossene Ablehnung »jeglichen Familiennachzugs für Flüchtlinge« sowie Forderungen nach Grenzkontrollen und -zäunen sind nur die konsequente Fortführung des Gedankenguts, das die AfD seit ihrer Gründung in ihrer DNA mit sich trägt.

Der »Flügel, den es angeblich nicht mehr gibt«
Vor dem Hintergrund der Pandemie überrascht auch der Beschluss »Die Pflicht zum Tragen einer Maske lehnen wir ab« nicht. Nachdem es die AfD versäumt hatte, sich ihren Platz in den vordersten Reihen der »Querdenker« zu sichern, will sie sich nun als Anti-Lockdown-Partei inszenieren. Welches Symbol würde sich dafür besser eignen als der Mund-Nasen-Schutz? Die Abstimmungsergebnisse für diese und andere Anträge in Dresden zeigen, dass das Netzwerk des formal aufgelösten »Flügels« noch immer in der Lage ist, Mehrheiten zu organisieren. Die hessische AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar spricht nach dem Parteitag von dem Netzwerk als der »Flügel, den es angeblich nicht mehr gibt«. Dessen völkische Inhalte sind in weiten Teilen der Partei längst auf fruchtbaren Boden gefallen. Bei Abstimmungen manifestieren sie sich als Block gegen das Lager um den Parteivorsitzenden Jörg Meuthen. So wurde der unter anderem von den Ostverbänden forcierte Antrag, das Spitzenpersonal für die Bundestagswahl in Dresden zu wählen, nur mit 50,9 Prozent abgelehnt, während 49,1 Prozent der 550 Delegierten für die Wahl auf dem Parteitag plädierten. Deutlich mehr stimmten für den Antrag,  der Bundesvorstand solle den abberufenen Chef der Arbeitsgruppe Verfassungsschutz, Roland Hartwig, wieder in sein Amt einsetzen. Eingereicht hatten den Antrag die Landesvorstände Thüringen, Brandenburg und Niedersachsen, in Dresden wurde er vom Thüringer Björn Höcke am Mikrophon vorgetragen. Hartwig war im Dezember 2020 auf Meuthens Initiative abberufen worden, weil er für den Verbleib des Neonazis Andreas Kalbitz in der Partei plädiert hatte. Schon im Februar hatte der AfD-Konvent den Bundesvorstand aufgefordert, den Juristen wieder einzusetzen.

Vorstand verweigert Umsetzung des Beschlusses
Dass es mit der gerne hervorgehobenen Basisdemokratie in der AfD nicht weit her ist, zeigt die Reaktion des Bundesvorstandes auf den Beschluss. In einem Schreiben teilte dieser mit, den Beschluss nicht umzusetzen, weil er kein Vertrauen mehr zu Hartwig habe. Viele Berichterstatter*innen waren über die aktive Rolle und  die Präsenz des Thüringer AfD-Vorsitzenden auf dem Bundesparteitag erstaunt, schließlich war es in der Öffentlichkeit um ihn bis dahin auffällig ruhig geworden. Doch schon am Tag nach den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hatte Höcke im »Deutschland-Kurier« die Verluste der beiden Westverbände genüsslich goutiert. Dort kritisierte er »ein empfindliches sozialpolitisches Defizit« der AfD und forderte, die Nichtwähler*innen in den Blick zu nehmen: »Diese Klientel steht in fundamentaler Opposition zu der herrschenden Politik und läßt (sic!) sich nicht mit lauen, biedermännischen und angepaßten (sic!) Positionen an die Wahlurne bringen.«

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Höcke droht Meuthen mit Entmachtung
Gegenüber dem Leiter des extrem rechten Netzwerks »Ein Prozent«, Philip Stein, führt Höcke im Interview aus, es brauche »ein Bundesland, in dem wir als AfD zeigen können, dass wir eine bürgerlich patriotische Politik umzusetzen in der Lage sind. Und das wird ein Land des Ostens sein«. Denn Höcke hat nicht die Bundestagswahl im Blick, sondern die zeitgleich stattfindende Landtagswahl in Thüringen. Daneben steht im Juni die strategisch wichtige Wahl in Sachsen-Anhalt an. »Wenn es uns hier gelingt, trotz des desaströsen Bundestrends die 24,3 Prozent zu halten oder gar auszubauen, ist das eine Vorentscheidung für eine personelle Neuaufstellung unserer Führungsebene«, droht Höcke unverhohlen Meuthen und dessen Mehrheit im Bundesvorstand, die nach den letzten Wahlschlappen ohnehin unter Druck  stehen. Der Parteitag in Dresden jedenfalls habe die AfD als »der zerstrittene Haufen, der sie ist« präsentiert, wie Cotar anschließend feststellt. Während in der Öffentlichkeit die Parteitage nach »Punktsiegen« für die Lager um Höcke oder Meuthen gewertet werden, hat sich in Dresden gezeigt, dass die Radikalität der AfD zur erschreckenden Normalität geworden ist. Mitnichten erstaunlich, sondern eher normal. So wie es sich die AfD mit ihrem Wahlkampfslogan wünscht: »Deutschland, aber normal.«