Die Hälfte ausgegrenzt

von Kai Budler
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 189 - März / April 2021

#AfD

Zu Beginn des »Superwahljahres« 2021 präsentiert sich die »Alternative für Deutschland« in der Öffentlichkeit zerstritten. Die Gräben sind tief, das Misstrauen gegenüber eigenen Parteifreund*innen wächst.

»Seit Meuthens Rede in Kalkar fühlt sich die Hälfte der Partei ausgegrenzt«, sagte Gauland.

Eigentlich wollte die »Alternative für Deutschland« (AfD) auf ihrem Bundesparteitag Mitte April 2021 ihre Spitzenkandidat*innen für die Bundestagswahl wählen. Doch mit welchem Personal die Partei in die Wahl Ende September zieht, bleibt vorerst offen. Knapp zwei Monate vorher beschloss der AfD-Bundesvorstand, die Wahl auf dem Parteitag in Dresden abzublasen, denn Spitzenkandidat*innen könnten erst aufgestellt werden, wenn alle AfD-Landesverbände ihre Landeslisten gewählt hätten. Dies sei jedoch bis Mitte April nicht zu erwarten. Der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen schlug stattdessen eine spätere Urwahl vor. Die Reaktionen auf den Beschluss ließen nicht lang auf sich warten. Die Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag, Alexander Gauland und Alice Weidel, sprachen von strategischen Fehlern und forderten, den Beschluss auf dem Parteitag zu kippen.
Doch wenigstens ihr Programm zur Bundestagswahl will die Partei in Dresden beschließen. Als dessen zentrale Themen nannte der Bundes-Vize Tino Chrupalla vorab »Grundrechte, Freiheiten und die Corona-Einschränkungen« sowie die Zukunft der Rente. Zumindest im Osten stehe außerdem die Auseinandersetzung mit dem Verfassungsschutz (VS) auf der Agenda.

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Teilnehmerin der Corona-Leugner*innen-Demo in Berlin 2020. Zur möglichen Spaltung der rechtsradikalen AfD sagen wir: Reisende soll man nicht aufhalten. © Mark Mühlhaus / attenzione


Kein Wunder, denn neben der jetzt bekannt gewordenen Einstufung der Gesamtpartei als Verdachtsfall waren schon zuvor, mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern, alle ostdeutschen Landesverbände von den jeweiligen Landesämtern zu Verdachtsfällen erklärt worden. Vorbeugend hatten die entsprechenden Landesverbände bereits im Oktober 2020 angekündigt: »Wir wehren uns parlamentarisch und mit allen zur Verfügung stehenden juristischen Mitteln gegen die unterschiedlichen Grade der Einstufung unserer Parteifreunde.« Der VS wird mit der Stasi verglichen, um so in Ostdeutschland bewusst Bezug auf Begriffe und Narrative aus der Umbruchzeit des Jahres 1989 in der DDR zu nehmen. Und während Meuthen mit »Whitewashing« eine Beobachtung der Gesamtpartei durch den Geheimdienst abwenden will, reagieren die Landesverbände im Osten mit einer Bestätigung ihres völkisch-nationalistischen Personals. Immerhin stehen in drei der fünf Herzkammern der AfD wichtige Landtagswahlen bevor. Der Thüringer Landes- und Landtagsfraktionsvorsitzende Björn Höcke kündigte an, er stehe erneut als Spitzenkandidat zur Landtagswahl zur Verfügung. In Sachsen-Anhalt wählte die AfD Rechtsaußen-Politiker aus dem formal aufgelösten »Flügel«-Netzwerk auf die vorderen Plätze ihrer Liste zur Landtagswahl. Auch der sächsische Landesverband ließ Kandidaten aus dem Meuthen-Lager durchfallen und wählte bekennende Rechtsradikale auf die vorderen Plätze der Landesliste zur Bundestagswahl. Aus Schnellroda goutiert Götz Kubitschek, der sächsische Landesverband halte »den Einfluß der VS-Stigmatisierung auf das Wahlverhalten für vernachlässigbar und insgesamt für empörend. Das ist ein souveräner Standpunkt und der einzige Weg, diese widerliche Waffe des Gegners stumpf werden zu lassen«. Auch für Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern bringe »die mustergültige Säuberung der Partei entlang von Kriterien, die man aus den Orakelsprüchen des VS herausdeuten sollte«, nichts.


Die Entscheidung des Bundesvorstandes um Meuthen, auf dem Parteitag keine Spitzenkandidat*innen zu wählen, schürt die Stimmung in der Partei gegen ihren Bundesvorsitzenden weiter. Das parteiinterne Lager gegen ihn sammelt sich bereits, wie ein Treffen in Steinhöfel in Brandenburg im Januar zeigt. Dazu eingeladen hatten Gauland und Chrupalla, um »die Situation der AfD nach Kalkar zu diskutieren«. Dort hatte Meuthen auf dem Bundesparteitag Ende November 2020 Gauland und andere exponierte Parteimitglieder scharf angegriffen, die »nur allzu gerne rumkrakeelen und rumprollen« oder wie Gauland, Begriffe wie »Corona-Diktatur« verwendeten. Seitdem fühlt sich nach Gauland »die Hälfte der Partei ausgegrenzt«. Und so kamen zum Strategietreffen in Steinhöfel die Fraktionschefs der Ost-Verbände und diejenigen aus dem Westen, die Meuthens Kurs kritisch sehen. Nun müsse man sich entscheiden zwischen denen, die zur verhassten Beutegemeinschaft gehören und denen, welche die Partei zusammenhalten wollen. Süffisant wird daran erinnert, dass der Parteivorsitzende bereits im Frühjahr 2020 im Magazin »Tichys Einblick« eine Aufspaltung der Partei ins Spiel brachte. Und just eine von diesem Magazin in Auftrag gegebene INSA-Umfrage kommt zu dem Schluss, dass sich etwa die Hälfte der AfD-Wähler*innen vorstellen könnte, eine neue Partei zu wählen, die sich zwischen CDU und AfD positioniert. Anderseits bedeutet das: Mehr als die Hälfte – knapp 3 Millionen – kann sich nicht vorstellen, eine andere Partei zu wählen.