»Das ist hier kein Spiel«
von Kai Budler
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 186 - September / Oktober 2020
#Filmkritik
In ihrem Film »Und morgen die ganze Welt« fragt Regisseurin Julia von Heinz nach der Motivation, sich nicht gegen Nazis zu engagieren, stellt sich parteilich auf die Seite des Protests und führt dessen Dringlichkeit vor Augen.
Der von der »Welt« als »Antifa-Kinodrama« betitelte Spielfilm hält für viele Leser*innen des Magazins »der rechte rand« Altbekanntes bereit. Das beginnt schon am Anfang bei der Vorbereitung einer Demonstration gegen die sogenannte „Liste 14“, im Film nur unschwer als die »Alternative für Deutschland« (AfD) zu erkennen. Anhand von Fotos, Namen und zusammen getragenen Informationen wird bei einem Vortrag erläutert, wie tief Neonazis im Umfeld der »Liste 14« verankert sind: Klassische antifaschistische Recherche, die Netzwerke und Zusammenhänge sichtbar macht. Der Ort der Veranstaltung ist ein besetztes Haus, in das die junge Jurastudentin Luisa gerade eingezogen ist. Sie war bereits in ihrer Schulzeit in der Flüchtlingshilfe und einer antifaschistischen Gruppe engagiert und setzt diese Arbeit nun in dem Hausprojekt, der Antifa-Arbeit und der – manchmal unorthodoxen- Recherchearbeit fort.
Regisseurin Julia von Heinz war selbst in Antifa-Strukturen aktiv und lässt ihren Film glücklicherweise nicht um eine mögliche Gewaltfrage mit dem dazu gehörigen Hufeisen-Modell kreisen. Sie wirft mit ihren Protagonist*innen vielmehr Fragen nach antifaschistischen Strategien und deren Effizienz auf. »Wer gibt dir die Arroganz, über andere zu richten ?«, wird Luisa gefragt, als sie abfällig über eine geplante Kundgebung mit einem breiten Bündnis herzieht.
Julia von Heinz maßt sich nicht das moralische Recht an, verschiedene Strategien und Vorgehensweisen zu verurteilen oder gegeneinander auszuspielen. Stattdessen liefern sich die Anhänger*innen unterschiedlicher Strategien in dem Film teilweise einen heftigen Schlagabtausch. Der höchst parteiliche Film verzichtet auf peinliche Milieustudien und thematisiert auch komplexe Sachverhalte, ohne zu überfrachten, wenn z.B. auf die Repression des Staates gegen Antifa-Strukturen in den 1990er Jahren Bezug genommen wird. Wie damals die antifaschistische Szene in Passau oder die Autonome Antifa (M) in Göttingen werden die Protagonist*innen des Films nach einem Rundumschlag und Hausdurchsuchungen beschuldigt, eine »kriminelle Vereinigung« gegründet zu haben. Die Vermutung liegt nahe, dass der Sprengstoff, den Luisa und ihre zwei Begleiter aus einem Materiallager von Neonazis entwendet haben, V-Männern der Szene gehört haben könnte. Woher sonst sollte der Staat von dem verschwundenen Sprengstoff wissen?
Mit der Kenntnis um rechte Netzwerke in den Sicherheitsbehörden ist dies keine plakative Frage, die sich bloß die Aktivist*innen in dem Film stellen. Auf die in letzter Zeit in Mode gekommene Unart, Faschist*innen küchenpsychologisch zu personalisieren und zu verharmlosen, verzichtet der Film. Stattdessen ist klar: mit Nazis gibt es nichts zu reden. Ohne sie bloßzustellen, gibt es dafür leichte Seitenhiebe auf patriarchal geführte Strukturen, wenn z.B. der mackernde Macher im Film ausgerechnet auf den Namen „Alfa“ hört.
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Am Ende der rund 100 Minuten ertönt aus dem Off wie schon zu Beginn der Text von Artikel 20, Absatz 4 des Grundgesetzes: »Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.« Gemeint ist die Ordnung der parlamentarischen Demokratie, des sozialen und föderalen Rechtsstaates. Dazu geht im Bild das gerade eingeweihte »nationale Zentrum« von «Liste 14« und Neonazis in Flammen auf.
»Und morgen die ganze Welt«. Ein Film von Julia von Heinz. Mit Mala Emde, Noah Saavedra, Tonio Schneider, Luisa-Céline Gaffron und Andreas Lust; Deutschland 2020. Bundesweiter Kinostart am 29. Oktober.