Protestbewegung mit offenen Flanken
von Bernard Schmid
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 178 - Mai / Juni 2019
#Giletjaunes
Ein Symbol ging um die Welt: Bei Protesten unterschiedlicher Natur, von rechtsdurchwirkten Unmutsbekundungen von DieselfahrerInnen in Stuttgart über soziale Bewegungen in Ungarn bis zum Protest im irakischen Basra, tauchten in den vergangenen Monaten Warnwesten in Neongelb auf, welche die Unzufriedenheit symbolisieren sollten. Seinen Ausgang nahm das Phänomen im Herbst 2018 in Frankreich.
Auslöser für Unmut und Protest in Frankreich war eine zum damaligen Zeitpunkt angekündigte, inzwischen für 2019 ausgesetzte, Spritsteuer-Erhöhung. Dagegen richtete sich ein doppelter Protest, insofern, als er aus zwei unterschiedlichen Milieus kam und kommt. Einerseits meldete sich ein generell steuerfeindlicher, in der Tradition der »Steuerrebellen« unter Pierre Poujade – dessen Partei, die »Union de défense des commerçants et artisans« (»Union zur Verteidigung der Geschäftsleute und Handwerker«, UDCA) von 1953 bis 1956 ihre Hochzeit hatte – stehender Protest zu Wort. Dabei handelt es sich in keiner Form um Protest, der in progressiver Tradition zu verorten ist. Als jüngster Abgeordneter der UDCA zog bei den Parlamentswahlen vom 2. Januar 1956 übrigens ein gewisser Jean-Marie Le Pen, damals 27-jährig, in die französische Nationalversammlung ein. Auf der anderen Seite wies die Protestbewegung der »Gilets jaunes« (»Gelbe Westen«) im Laufe der Wochen eine mehr »sozial« geprägte Komponente auf, deren AktivistInnen stärker auf höheren Einkommen und mehr »Steuergerechtigkeit« statt auf der generellen Infragestellung von Besteuerung beharrten.
Beteiligung von ganz rechts
Zunächst waren es Marine Le Pen, die Chefin des extrem rechten »Rassemblement National« (RN), und Nicolas Dupont-Aignan vom rechtspopulistischen »Debout La France« (DLF), welche die Bewegung öffentlich unterstützten. Sie waren es, die ab der vorletzten Oktoberwoche 2018 lautstark ihre Unterstützung für die – im Internet und bei Facebook angekündigten – Verkehrsblockaden ab dem 17. November des Jahres kundtaten. Erst ab Anfang November 2018 bekundeten auch andere Berufspolitiker wie der Konservative Laurent Wauquiez von »Les Républicains« (LR) und Jean-Luc Mélenchon als Chef der linkspopulistischen Wahlplattform »La France insoumise« (»Das unbeugsame Frankreich«, LFI) ihre Absicht, am Protest mitzuwirken. Ab Anfang Dezember 2018 verstärkte dann ein Teil der jedoch über diese Frage stark zerstrittenen französischen Gewerkschaften die Reihen der Protestierenden.
Zwar achteten Parteien wie RN und DLF darauf, dass sie sich keine plumpe »Vereinnahmung« (récupération) der Protestbewegung vorwerfen lassen mussten, wofür politische Parteien oft kritisiert werden. Deswegen traten ihre AktivistInnen ohne Parteiabzeichen oder -fahnen auf. De facto jedoch waren beide vor allem in der Anfangsphase der Bewegung deutlich vertreten. Als es etwa am ersten landesweiten Protesttag – dem 17. November 2018 – in Etaples-sur-Mer am Ärmelkanal zu einem Auffahrunfall mit einem PKW an einem Verkehrsblockadepunkt kam, bei dem ein örtlich bekannter Kommunalparlamentarier verletzt wurde, stellte sich heraus, dass es sich um Francis Leroy, einen Mandatsträger des RN handelte. Als Parteifunktionär bei DLF aktiv ist wiederum Frank Buhler. Er verbreitete Ende Oktober sowie nach dem 17. November 2018 zwei der mobilisierungsträchtigsten Videos rund um die Bewegung in den sozialen Medien. Besonders pikant ist, dass Buhler zuvor zeitweise die Mitgliedsrechte beim »Front National« entzogen worden waren, nachdem er rassistische Witze bei Facebook veröffentlicht hatte, welche die Partei als »kontraproduktiv« bewertete.
Zu einem späteren Zeitpunkt und an anderen Orten waren jedoch faktisch auch eher linke Kräfte vertreten. Die extreme Rechte in Frankreich macht nicht die Substanz der Protestbewegung als solche aus und initiierte sie auch nicht – anders als etwa manche »Gelbe Westen«-Kollektive in Deutschland, die von vornherein von extrem Rechten gegründet wurden. Doch sie hängt sich an die Proteste dran und versucht darüber Politik zu machen. Die Darstellung der Proteste als insgesamt extrem rechts geprägt – was so nicht zutrifft – entwickelte sich unterdessen, vor allem seit dem Jahreswechsel 2018/19, zum Argument für einen Teil der gesellschaftlichen Eliten und der bürgerlichen Medien sowie für das Regierungslager, um die »Gelbe Westen«-Bewegung insgesamt zu diskreditieren. Ein weiterer sicherlich negativer Nebenaspekt dieser Polarisierungsstrategie besteht darin, dass die extreme Rechte dadurch in der öffentlichen Meinung teils zur »wichtigen und für die Regierung gefährlichen Oppositionskraft« aufgewertet wird.
Antisemitismus und Beteiligung neonazistischer Kräfte
Eine wichtige Rolle spielt in der Bewertung der Bewegung auch die Frage nach antisemitischen Vorfällen. Insgesamt haben sich antisemitische Vorfälle in Frankreich in der letzten Zeit vervielfacht. Seinen vielleicht schlimmsten Ausdruck fand der Antisemitismus in einer Schmiererei, die am 11. Februar 2019 entdeckt wurde. Der Graffitikünstler Christian Guemy alias »C215« hatte vor einigen Monaten zwei kunstvoll gemalte kleine Portraits der 2017 verstorbenen Ministerin und Auschwitz-Überlebenden Simone Veil auf zwei Briefkästen an der Außenwand des Bezirksrathauses im 13. Pariser Arrondissement angebracht. Den Anlass dazu bot die Überführung des Sargs von Simone Veil ins Pariser Panthéon, wo ihr am 1. Juli 2018 ein Denkmal gesetzt werden sollte. Nun waren, wohl nachts, zwei Hakenkreuze über die Portraits gepinselt worden. Die Striche waren sorgfältig gezogen, es sah mitnichten nach einer spontanen Schmiererei aus.
Eine knappe Woche später spielte sich ein weiteres Ereignis ab, das die Debatte aufheizte. Am Rande einer Demonstration der Protestbewegung der »Gelben Westen« wurde am 16. Februar 2019 der Philosoph und Schriftsteller Alain Finkielkraut angefeindet und angepöbelt. Dass ihm Feindseligkeit entgegenschlug, hat auch mit der Ablehnung seiner Positionen zu tun. Einige Anwesende pöbelten jedoch unabhängig von Finkielkrauts Stellungnahmen etwa zu Elitebildung oder zu Migration darauf los, er wurde unter anderem als »schmutziger Zionist« beschimpft. Einer der Anwesenden kündigte an: »Gott wird Dich strafen« und »Frankreich gehört uns«.
Diese Vorfälle haben jedoch einen sehr unterschiedlichen Hintergrund. Bei dem Mann, der sich bei den Pöbeleien gegen Alain Finkielkraut am stärksten hervortat – er wurde identifiziert und polizeilich vernommen -, handelt es sich um einen zum Islam konvertierten, aktiven Salafisten, den gebürtigen Elsässer Benjamin Weller. Personen mit solcher Ideologie bilden keine eigene Strömung in der Protestbewegung; da sich zumindest einige von ihnen subjektiv als »Rebellen« gegen eine als ungerecht wahrgenommene Ordnung betrachten, laufen sie mitunter bei den heterogen zusammengesetzten Protestzügen mit.
Die Attacke auf das Andenken an Simone Veil, die im Alter von 17 Jahren das Vernichtungslager überlebte, dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit aus einem der extrem rechten Milieus kommen. In diesen Kreisen gilt Veil als Todfeindin, seitdem die jüdischstämmige liberale Politikerin 1975 als Gesundheitsministerin den Gesetzentwurf zur Legalisierung der Abtreibung – damals in den ersten zehn Schwangerschaftswochen – vorlegte und durch das Parlament brachte, mit den Stimmen der Linksparteien und gegen Teile ihrer eigenen liberal-konservativen Mehrheit. Bezeichnungen wie »Planerin eines Völkermords an den Franzosen« wurden damals auf Seiten der extremen Rechten verbreitet. Der Angriff auf ihr Bild ist Teil einer Serie von Hakenkreuzschmierereien und antisemitischen Graffitis, die seit Anfang dieses Jahres erheblich an Intensität zunehmen.
Betroffen waren neben tatsächlich oder vermeintlich jüdischen Zielpersonen auch andere Einrichtungen. Hakenkreuze wurden beispielsweise bei einer Geschäftsstelle der französischen KP in Vienne – in der Nähe von Grenoble – am 12. Februar und auf einer Moscheebaustelle im westfranzösischen Amboise am 8. Januar entdeckt. Die südfranzösische sozialdemokratische Regionalpräsidentin Carole Delga erhielt am 15. Februar einen Drohbrief mit Hakenkreuzen. In diesen Fällen dürfte klar sein, dass die UrheberInnen in einer außerparlamentarischen, neonazistischen Rechten zu suchen sind, die sich in den vergangenen Wochen in einer Offensive befindet. Zuvor hatte sie sich, vor allem im Spätherbst 2018, in weiten Teilen an Auseinandersetzungen auf den Straßen im Zusammenhang mit der Protestbewegung der »Gelben Westen« beteiligt, um sich selbst als eine Art »Speerspitze des Volkswiderstands« zu inszenieren.
In den ersten Monaten des Jahres 2019 hat die Teilnahme der gewaltbereiten Rechten an den »Gelbwesten«-Demonstrationen jedoch eher wieder abgenommen. Zum einen, weil die Konflikte mit Linken zunahmen. Vor allem, seit diese ab Anfang Februar 2019 fraktionsübergreifend auf die Attacke gegen einen Demoblock der »Neuen Antikapitalistischen Partei« (NPA) reagierten, die sich am 26. Januar 2019 in Paris ereignete. Andererseits fürchten die extrem rechten Strukturen, zusammen mit Teilen der Protestbewegung stärker ins Visier staatlicher Verfolgungsbehörden zu geraten.
Zwischen Diskreditierung und offen verschwörungsideologischen Flanken
Bereits Anfang Februar 2019 rückte Regierungssprecher Benjamin Griveaux üble Schmierereien – die Aufschrift »Juden« (in deutscher Sprache), die am jüdischen Restaurant »Bagelstein« entdeckt worden war – in einem Tweet in eine Reihe mit Attacken auf PolizistInnen beziehungsweise wie am Samstag zuvor, auf eine Baustelle am Parlamentsgebäude durch Protestierende. Alle zusammen stellte er unter das Motto »Nie wieder« und behauptete eine Vergleichbarkeit zwischen diesen unterschiedlichen Taten. Es war der Eigentümer des »Bagelstein« selbst, der daraufhin öffentlich klarstellte, für ihn gebe es keinerlei nachgewiesenen Zusammenhang zu den »Gelbwesten«.
Leider entspricht es zugleich ebenfalls der Wahrheit, dass ein Teil des heterogenen »Gelbwesten«-Spektrums zugleich in Verschwörungstheorien schwelgt: Da man der etablierten Politik und den etablierten Medien nicht mehr vertraut, sind einige der Gelbwestenbewegung bereit, jeden absoluten Unsinn zu glauben, der ein »Komplott« aufzudecken vorgibt, was nicht unbedingt antisemitisch ist, aber offene Flanken in diese Richtung hat. Verschwörungstheorien waren in einigen »Gelbwesten«-Foren etwa im Hinblick auf das djihadistische Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Strasbourg vom 11. Dezember 2018 zu lesen oder auch bezüglich der Hintergründe des Brandes in der Kathedrale Notre-Dame in Paris am 15. April 2019.