»Tumult«

von Volkmar Wölk
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 172 - Mai / Juni 2018

#Reaktionär

Ein Wissenschaftler wandelt sich – und eine Zeitschrift mit ihm.

der rechte rand Magazin

© Archiv »der rechte rand«

Früher – als »’68« noch kein Mythos, sondern die Revolte Alltag war – hätte es sich Frank Böckelmann wohl nie träumen lassen, dass er, ein Mitglied der »Subversiven Aktion« und somit in inhaltlicher Nähe zu den linksradikalen »Situationisten«, er, der den Geist der Anti­autoritären verkörperte, dass er einmal gemeinsame Sache mit jemandem wie Vera Lengsfeld machen würde, jener bürgerlich-konservativen ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Grünen und dann der CDU, die noch immer von ihrem persönlichen Mythos der von der Stasi ausgespitzelten Bürgerrechtlerin der DDR zehrt. Sehr vieles hat sich seither verändert. Doch es gibt auch Konstanten. Böckelmann sieht sich immer noch in der Revolte gegen das herrschende System, Lengsfeld noch immer als Bürgerrechtlerin gegen die Unterdrückung des Staates. Böckelmann gibt noch immer seine Zeitschrift »Tumult« heraus, Lengsfelds ideologischer Impetus ist noch immer der Antikommunismus. »’68«, das ist lange her. Inzwischen findet sich Böckelmann als Erstunterzeichner unter der »Erklärung 2018«, die von Lengsfeld maßgeblich befördert wurde und die sich mit den rassistischen Demonstrationen in Deutschland solidarisch erklärt.

»Tumult« erschien früher so unregelmäßig, dass man zuweilen bereits glaubte, sie sei eingestellt worden. Inzwischen erscheint sie regelmäßig. Als Vierteljahreszeitschrift mit 96 Seiten und einer künstlerischen Bebilderung statt der früheren Bleiwüste, mit Einsprengseln von Lyrik anstelle ehemaliger Theorielastigkeit. Die aktuelle Jubiläumsausgabe zum fünfjährigen Bestehen (Nr. 1/2018) hat sogar 128 Seiten. Was sich auch geändert hat, ist der Kreis der Schreibenden. Früher wurden anerkannte Geistesgrößen, vorwiegend aus dem französischen Sprachraum, als »korrespondierende Mitglieder« der Redaktion geführt: Jean Baudrillard, Bazon Brock, Michel Foucault, Michel Serres, Paul Virillio und andere. Heute finden sich im Impressum Namen, die aus der deutschen »Neuen Rechten« bekannt sind oder gar aus Gruppen der extremen Rechten, wie »Pro Chemnitz«. An die Stelle linker Nonkonformisten sind ehemalige Linke, wie Manfred Lauermann oder Rolf Peter Sieferle, getreten, vor allem aber Autoren, die man ebenso in der neu-rechten »Sezession« findet, wie Siegfried Gerlich, den als »Berater« fungierenden Egon Flaig – ebenfalls ein Unterzeichner der »Erklärung 2018« – oder Lothar Fritze vom Dresdner »Hannah Arendt Institut für Totalitarismusforschung«.

Geändert haben sich auch die Inhalte. Wo einstmals »fröhliche Wissenschaft« im linksnietzscheanischen Sinne betrieben wurde, herrscht heute die Untergangsstimmung einer intellektuellen ­PEGIDA, die »westliche Werte« und abendländische Kultur im Verfall sieht. Zwar ist der aktuellen Ausgabe ein Auszug aus einem Brief des situationistischen Vordenkers Guy Debord vorangestellt, doch charakterisiert dies vor allem die gegenwärtige Position des Kreises um »Tumult«. »Es wird keine Integration geben«, heißt es dort. »Für diese ist es ebenso zu spät wie für die Ausweisung. (…) Es gibt kein Frankreich mehr. Ganz bestimmt gibt es keine französische Kultur mehr. Es gibt keine ‹französische Lebensweise› mehr (wir sind das Amerika der Armen). Es gibt kein französisches Volk mehr.« Böckelmann ist offenbar der Ansicht, dass dieses Verdikt auch für Deutschland die »Hauptthese«, so Debord, sein müsse.

Doch Böckelmann & Co. beziehen sich unübersehbar auf die Denker der »Konservativen Revolution« der Zwischenkriegszeit und deren intellektuelle Nachfahren. Besonders deutlich wird dies in der seit Anfang 2017 erscheinenden »Werkreihe«, einer im »Manuscriptum Verlag« publizierten Ergänzung zur Zeitschrift in Taschenbuchform. Den Aufschlag machte Rolf Peter Sieferle mit dem Band »Das Migrationsproblem«, der die »Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung« belegen sollte. Es folgte Dimitrios Kisoudis, inzwischen Mitarbeiter bei der AfD im Bundestag, mit »Was nun? Vom Sozialstaat zum Ordnungsstaat« und der These: »Der gute Staat ist ein starker Staat.« Dieser gute Staat solle sich allerdings auf seine Kernaufgaben, besonders den Erhalt der öffentlichen Ordnung, beschränken. Der Autor stellt sich die Aufgabe, eine »Verfehlungsgeschichte des Sozial­staats« zu liefern.

Die aktuelle Ausgabe von Parviz Amoghli und Alexander Meschnig mit dem Titel »Siegen« führt diesen Kurs fort. Die Autoren beklagen den »Verlust des Willens zur Selbstbehauptung«, doch sei diese »postheroische Gesellschaft unvereinbar mit den Folgen globaler Entwicklungen«. Und: »Besonders in Deutschland haben Pazifismus und moralischer Universalismus zu einem tiefsitzenden Verdacht gegenüber jeder Form der Selbstbehauptung geführt. Die Unterscheidung zwischen Freund und Feind, zwischen Eigenem und Fremden, sind inzwischen restlos diskreditiert.« Das ist deutlich. Und es macht deutlich, dass Böckelmann am Ende eines Weges angekommen ist, der von der antiautoritären, subversiven Revolution zur »Konservativen Revolution« führte. Und so trifft er sich mit Lengsfeld.