»Paramilitärischer Einmarsch«
von Martin Leonow
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 173 - Juli / August 2018
#NaziÜberfall
Am 11. Januar 2016 überfielen Neonazis den Leipziger Stadtteil Connewitz. Fast alle Verdächtigen werden sich demnächst vor Gericht verantworten müssen.
»Alle runter, los!« Die Polizei meint es ernst an diesem Abend, trägt Helme, sprüht Pfefferspray. Hier, in einer kleinen Seitenstraße in Leipzig, stehen Vermummte und kommen nicht mehr weg. Flaschen fliegen, Böller knallen, am Himmel schwebt ein Hubschrauber. Aus der Traube läuft ein Mann zu den BeamtInnen. Er hat eine Sturmhaube aufgezogen, in der rechten Hand hält er einen Hockeyschläger, mit dem er aufgeregt in der Luft wedelt. Trotzdem will er jetzt diskutieren: »Die, die euch mit Steinen beschmeißen, die wollen wir ham‘ und nicht euch«, brüllt er im breitesten Sächsisch. »Auf den Boden, hinlegen«, erwidert die Polizei. Der Mann sieht das nicht ein. »Erschießt mich lieber, bevor ich hier runtergehe!«, ruft er mit heiserer Stimme, und andere stimmen den Sprechchor an: »Wo, wo, wo wart ihr Silvester?«
Gemeint ist die Neujahrsnacht in Köln, die erst wenige Tage zurückliegt. Aber das hier ist nicht die Domstadt, sondern Connewitz. Es ist der 11. Januar 2016, ein verregneter Montag, kurz nach halb acht abends. Die Vermummten sind Neonazis und Hooligans, genau 215 werden später gezählt. Sie gehen alle zu Boden und werden mit Kabelbindern gefesselt. Es ist eine Massenfestnahme. Das Ende einer Gewaltorgie.
Wenige Minuten vorher waren sie einige hundert Meter durch den alternativen Stadtteil gezogen, wo sie eine Spur der Verwüstung hinterließen. Auf der Wolfgang-Heinze-Straße warfen sie Scheiben ein, zündeten Mülltonnen an. Sie sprangen auf Autos und demolierten sie mit Äxten. Einige der Vermummten stürmten eine gut besuchte Kneipe und sprühten Reizgas hinein. Auf der anderen Straßenseite wurde ein Dönerimbiss angegriffen, im Inneren explodierte ein großer Böller, der die Deckenverkleidung herunterriss und ein Spülbecken zerfetzte. Die Täter nahmen auch die Kasse mit. Insgesamt 23 Ladengeschäfte wurden attackiert, aber auch Wohnhäuser. In einem durchschlug ein Rauchtopf ein Zimmerfenster. Der Sachschaden beläuft sich auf insgesamt rund 112.000 Euro. Dass nicht noch mehr geschah, war bloßer Zufall.
Alles passierte binnen weniger Minuten. Die Rechten waren, um mitzumachen, teils von weit her mit Autos angereist, die sie am Rand des Viertels abgestellt hatten. Von dort aus war es nur noch ein kurzer Fußweg, bis eine rote Leuchtkugel abgeschossen wurde und der Schlachtruf »Hooligans, Hooligans« ertönte – das Signal loszuschlagen. Als der Mob ein paar Minuten später Sirenen hörte, machte er langsam kehrt und bog falsch ab. In jene Seitenstraße, in der ihm die Polizei sofort den Weg abschneiden konnte. Diese Straße, das ist im Viertel bekannt, führt zu einem kleinen Polizeiposten. Das wurde den meisten Neonazis zum Verhängnis: Nur einige Dutzend, vielleicht um die fünfzig, konnten in andere Richtungen flüchten.
Alle anderen landeten auf dem Asphalt – und müssen sich demnächst vor Gericht verantworten. Mitte August beginnen in Leipzig die Verhandlungen; Vorwurf jedes Mal: schwerer Landfriedensbruch. Die Namen der Verdächtigen kursieren seit geraumer Zeit im Internet.
PEGIDA und Co. als Aktionsraum
Doch die juristische Aufarbeitung, das ist jetzt schon klar, könnte lange dauern. Auch weil bei den Ermittlungen viele Fragen offen blieben. Zwar sammelte die Polizei noch vor Ort zahlreiche Tatwerkzeuge ein: Teleskopschlagstöcke, mit Nägeln durchschlagene Zaunlatten und Messer, Handschuhe, Zahnschutz und Sturmhauben, Reizgas-Kartuschen und noch einiges mehr. Insgesamt liegen 115 Asservate vor, unter anderem ein einzelnes Funkgerät, Reichweite fünf Kilometer. Wer es bei sich trug und wer das Gegenstück bediente, ist bis heute ungeklärt. Zudem blieben viele potentielle Beweisstücke zurück und wurden erst später, vom Regen durchweicht, durch AnwohnerInnen geborgen. Darunter weitere Waffen sowie ein großes Banner, das Tage zuvor noch an einer Kirche gehangen und dazu aufgerufen hatte, an jenem 11. Januar gegen den montäglichen »LEGIDA«-Aufmarsch zu protestieren.
Unbekannte hatten es entwendet, die Rechten trugen es, auf den Kopf gedreht, wie eine Trophäe durch den Stadtteil. Danach blieb es unbeachtet auf der Straße liegen. Fotos zeigen, wie Polizeiautos darüberfuhren. Kriminaltechnisch untersucht wurde das Transparent letztlich nicht. Dabei hätten Spuren derjenigen, die es entwendet hatten, zu den Hinterleuten des Angriffs führen können, denn wer die Aktion geplant und koordiniert hat, liegt immer noch im Dunkeln. Dabei waren zeitweise bis zu 25 BeamtInnen in der eigens gegründeten Ermittlungsgruppe »Jahrestag« tätig. Parallel zur Tat, daher der Name, beging der ausländerfeindliche PEGIDA-Ableger »Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlandes« mit gut 3.000 AnhängerInnen sein Jubiläum im Zentrum der Messestadt. Pünktlich zu Beginn der Versammlung, nur wenige Kilometer südlich davon, schlugen die Rechten zu.
Dabei waren mehrere Anhänger der »Freien Kameradschaft Dresden« (FKD), einer kriminellen Neonazi-Gruppe, die sich Anfang 2015 am Rande der frühen PEGIDA-Aufmärsche zusammengefunden hatte. Ein Mitglied, Florian N., ist inzwischen auch wegen seiner Beteiligung am Connewitz-Überfall in Haft. Das Landgericht Dresden verurteilte den jungen Mann vor einem Jahr wegen etlicher Gewalttaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten Haft, allein seine Beteiligung in Connewitz kostete ihn sechzehn Monate. Das Dresdner Landgericht fand deutliche Worte: Die Rechten wollten die »Schlagkraft der Szene« unter Beweis stellen, indem sie eine »Hochburg der Antifa« einnehmen, heißt es im Urteil. Es war »eine sorgfältig geplante und auf Gewalttätigkeiten gerichtete Aktion«, so die Kammer, ein generalstabsmäßig vorbereiteter »paramilitärischer Einmarsch«. Zahlreiche Aussagen auch weiterer Beschuldigter verstärken diesen Eindruck.
Es gibt Hinweise auf viel länger zurückliegende Planungen und regelrechte Testläufe: Von Beginn an wurden die LEGIDA-Versammlungen von größeren Hooligan-Gruppen begleitet, die manchmal eigene Marschblöcke bildeten. Angriffe auf GegendemonstrantInnen und die Polizei gehörten zum Programm. Nach einem Aufmarsch der LEGIDA-Abspaltung »Offensive für Deutschland« im September 2015 versuchten Neonazis, ein linkes Kulturprojekt anzugreifen. Ihre Autos hatten sie genau dort abgestellt, von wo aus auch der spätere Connewitz-Überfall ausging. In Dresden kam es anlässlich des ersten PEGIDA-Jahrestages im Oktober 2015 zu heftigen Ausschreitungen, bei denen Neonazi-Gruppen Barrikaden errichteten. Ende des Jahres schließlich versuchten unter anderem AnhängerInnen der FKD, im Vorfeld einer PEGIDA-Versammlung auf eigene Faust durch die alternativ geprägte Dresdener Neustadt zu ziehen. Sie hatten Knüppel dabei, schlugen mehrere PassantInnen. Spätestens das, so die Einschätzung eines Ermittlers, war ein Probelauf für Connewitz.
»… den Hooligans nicht gewachsen«
Dafür brauchte man aber mehr Schlagkraft, viel mehr Personen, die offenbar langwierig über Messenger-Dienste rekrutiert wurden. So kursierten interne Aufrufe, »massiv« zu mobilisieren und »furchtlos auf der Straße präsent« zu sein. Zudem erschienen teils wortgleiche Facebook-Beiträge. Sie umwarben das, was kommen würde, kaum verklausuliert: Man werde es mit »Polizeikräften in Unterbesetzung« zu tun haben und einer Antifa, die »den Hooligans in Leipzig nicht gewachsen ist«. Bei mehreren Polizeidienststellen wurden solche und ähnliche Einträge gesichert. Doch vorab Kenntnis vom eigentlichen Plan, so sagen es die zuständigen Behörden unisono, habe man nicht gehabt. Eine der größten geheimen Neonazi-Mobilisierungen der jüngeren Zeit, die auch Fußballfanszenen verschiedener Vereine erreichte, soll völlig unter dem Radar gelaufen sein.
Auch am Tattag bemerkte die Polizei nichts. Wiederum per Handy wurde ein zentraler Treffpunkt verbreitet, der Naunhofer See südöstlich von Leipzig. Am späten Nachmittag trafen sich dort mehrere hundert Personen. Sie erhielten die Anweisung, Telefone und Navigationsgeräte auszuschalten. Wer dort das Wort führte, ist bislang offen. Klar ist aber, dass es ringsherum weitere kleine Treffpunkte gab – in den nordsächsischen Städtchen Eilenburg und Taucha, in Wurzen im Landkreis Leipzig sowie im Stadtteil Meusdorf. Dort sammelten sich vor allem lokale Neonazis, die auch als Hooligans in der Fanszene des 1. FC Lokomotive Leipzig bekannt sind und einst der – angeblich aufgelösten – Schlägertruppe »Scenario Lok« angehörten. Aus den sichergestellten und gelesenen Mobiltelefonen weiß die Polizei, dass diese Gruppe vom großen Treffen am Naunhofer See vor allen anderen wusste. Von dort aus fuhr die Kolonne schließlich nach Connewitz. Wer dabei war, so urteilte die Dresdner Kammer, wusste, worauf er sich einließ und was folgen würde.
Für die Szene war die Aktion zunächst ein Erfolg: Kaum hatten sich erste Nachrichten über die Aktion verbreitet, feierten die Rechten im Netz, die »Festung Connewitz« sei gefallen. Einige brüsteten sich, selbst dabei gewesen zu sein. Doch denen, die nachweislich vor Ort waren, droht viel: Ihnen wird besonders schwerer Landfriedensbruch zur Last gelegt, die Mindestfreiheitsstrafe liegt bei sechs Monaten. Das könnte einige Beteiligte in die Bredouille bringen, die schon vielfach verurteilt wurden oder zur Tatzeit unter Bewährung standen. Einzelne Verdächtige haben sich danach tatsächlich aus der Neonazi-Szene zurückgezogen.
Wie lange sich die juristische Aufarbeitung dann ziehen wird, ist offen. Abzüglich der Verhandlungen in Dresden gegen mutmaßliche FKD-Mitglieder und einige Personen aus deren Umfeld, will die zuständige Staatsanwaltschaft Leipzig nun fast alle Beschuldigten in rund 100 Prozessen gegen zumeist jeweils zwei Personen vor das Amtsgericht Leipzig bringen. Die meisten Anklagen wurden bereits zugelassen, in wenigen Fällen dauern die polizeilichen Ermittlungen an, nur ein einziges Verfahren wurde eingestellt. Der erste Prozesstermin wurde für Mitte August angesetzt.
Die Verhandlungen könnten eine Gelegenheit sein, die Hinterleute der Aktion zu enttarnen und zu klären, ob die Aktion nicht doch im Vorfeld hätte auffliegen können: Zwar will die Polizei nichts gewusst haben. Aber umgekehrt hatten mutmaßliche Beteiligte am Tattag, das zeigen ihre Chats, interne Informationen der Polizei, die dann auch im Internet erschienen, unter anderem auf dem Twitter-Account der NPD Leipzig und von LEGIDA selbst. Woher die Daten stammten, konnte nicht ermittelt werden. Doch in den Chats der Angreifer fällt der Name eines Gesinnungsgenossen, der sie beschafft haben soll.