Der Düsseldorfer Wehrhahn-Prozess

von Fanny Schneider
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 171 - März / April 2018

#Naziterror

Am 25. Januar 2018 hat in Düsseldorf der Wehrhahn-Prozess begonnen. Dem Angeklagten Ralf Spies wird vorgeworfen, am 27. Juli 2000 versucht zu haben, durch eine Sprengstoffexplosion zwölf Menschen zu ermorden. Die Anklage geht von einem »fremdenfeindlichen« Motiv aus. Beobachtungen zu den ersten sieben Prozesstagen.

Magazin der rechte rand

Ralf Spies zeigte sich gern selbst mit Waffen bei Facebook

Am Morgen des 1. Februar 2017 wussten vorab informierte Medien­vertreterInnen zu berichten, dass Untersuchungshaft für einen »dringend Tatverdächtigen« angeordnet worden war. Für einen Mann, der beschuldigt ist, vor über 16 Jahren den Sprengstoffanschlag vom ­S-Bahnhof Wehrhahn in Düsseldorf verübt zu haben. Am 27. Juli 2000 – um exakt 15.03 Uhr – detonierte die Sprengfalle, die in einer Plastiktüte am Geländer der Fußgängerbrücke des S-Bahnhof­zugangs auf der Ackerstaße deponiert worden war. Die Zündung wurde ausgelöst, als mehrere Gruppen von SprachschülerInnen nach ihrem Deutschunterricht wie gewohnt um diese Uhrzeit vom Unterricht in den nahe gelegenen Seminarräumen über dem S-Bahnhof Wehrhahn auf dem Heimweg waren. Als die Bombe auf Sichtkontakt ferngezündet explodierte, befanden sich zwölf Personen aus dem Kreis der SprachschülerInnen in unmittelbarer Reichweite. Nur zwei von ihnen blieben unverletzt. Eine lebensgefährlich verletzte Schwangere verlor ihr ungeborenes Baby.
Den ab dem 31. Januar 2017 inhaftierten Ralf Spies kannten AntifaschistInnen schon damals – 1999/2000. Er bewegte sich am Rande der lokalen Neonazi-Szene und betrieb in der Nähe des S-Bahnhofs einen Militaria-Laden. Seine im Stadtteil durchaus bekannte rechte und vor allem rassistische Gesinnung, seine Kontakte in die Neonazi-Szene sowie seine Vorliebe für alles Militärische und für »law and order« – insbesondere in »seinem Revier« – ließen ihn Ende Juli 2000 schnell ins Visier der ErmittlerInnen geraten. Nachweisen konnten Polizei und Staatsanwaltschaft ihm damals nach eigenem Bekunden aber nichts. Hielten sie den Beschuldigten doch schlichtweg nicht für fähig, einen solchen Anschlag zu begehen – noch dazu unmittelbar vor seiner eigenen Haustür. Nur vier Fußminuten lagen Tatort und Wohnung voneinander entfernt. Die Ermittlungen gegen ihn wurden eingestellt, ebenso wie letztendlich die Ermittlungen in alle anderen Richtungen.

Späte »Ermittlungserfolge«
Am 1. Februar 2017 informierten die Düsseldorfer Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden auf einer Pressekonferenz die Öffentlichkeit, dass sie sich heute aber sicher seien, mit Ralf Spies nun den »Richtigen« ermittelt zu haben. Er sei als Einzeltäter vorgegangen, unter Umständen habe es aber »Mitwisser« gegeben. Details nannten sie aufgrund der andauernden Ermittlungen zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht.
Zur Wiederaufnahme der Ermittlungen sei es 2014 gekommen, weil der Tatverdächtige sich seinerzeit gegenüber einem Zeugen als Täter bekannt habe. Spies habe sich in der Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel, wo er eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßte, einem anderen Inhaftierten gegenüber damit gebrüstet, den Wehrhahn-Anschlag begangen zu haben. Daraufhin habe die neu gegründete »Ermittlungskommission Furche« die Arbeit ihrer Vorgängerin, der tatnah eingerichteten »EK Acker«, wieder aufgenommen. Der neue Ermittlungsleiter berichtete 2017 in der Pressekonferenz, dass seit Wiederaufnahme der Ermittlungen etliche ZeugInnen erneut, andere zum ersten Mal, befragt worden seien. Alle Spurenhinweise und Ermittlungsansätze, die die »EK Acker« seit dem Anschlag gesammelt und verfolgt hatte, hätte sich die »EK Furche« noch einmal vorgenommen. Erneut habe man außerdem den Tatverdächtigen mit einer Telekommunikationsüberwachung belegt. Schließlich habe das LKA eine »Operative Fallanalyse« erstellt, die den Beschuldigten sehr genau beschrieben habe – ohne dass die Profiler Kenntnis vom Tatverdacht gegen Ralf Spies gehabt hätten. So wisse man 2017 nun anklagesicher, dass er aus »fremdenfeindlichen« Motiven gehandelt habe. Die SprachschülerInnen habe er als Opfer ausgewählt, da sie für ihn einem Personenkreis angehörten, dem er mit »Fremdenfeindlichkeit«, Hass und Sozialneid begegnet sei. Die Betroffenen waren aus den ehemaligen GUS-Staaten nach Deutschland migriert. Sechs der zehn Menschen, die am 27. Juli 2000 verletzt wurden, waren jüdisch. Dass dies dem Tatverdächtigen bekannt war, sei allerdings unwahrscheinlich. Es lägen dazu keine Erkenntnisse vor.

»Zehn auf einen Streich«
25. Januar 2018, ein weiteres Jahr später: Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück brauchte am ersten Tag der Hauptverhandlung im Prozess gegen Ralf Spies vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf nur wenige Minuten zur Verlesung einer Kurzfassung der Anklageschrift. Dem Angeklagten werde die Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion sowie Mordversuch in zwölf Fällen vorgeworfen. Nur aufgrund einer dem Täter nicht bekannten Verunreinigung des TNT-Sprengstoffes der manuell gefertigten Rohrbombe sei die Sprengwirkung reduziert gewesen, so dass es keine Todesopfer gegeben habe. Die Opfergruppe habe Spies zuvor ausgekundschaftet. Mit dem Anschlag habe er »Ausländer« aus seinem »Revier vertreiben« wollen.
Zu Beginn der Beweisaufnahme widmete sich das Gericht unter dem Vorsitz von Rainer Drees den Mitschnitten der Telefonüberwachung, die als Tondokumente vorgespielt wurden. Mehr als deutlich wurde hier die antisemitische und rassistische Haltung des Angeklagten. Mit dem Düsseldorfer Neonazi-Kader Sven Skoda etwa sprach Spies in einem Telefonat wenige Tage nach dem Anschlag über ein T-Shirt, das man nun produzieren könne: »Zehn auf einen Streich, davon sechs Juden« schlug ein hörbar amüsierter Skoda als Aufdruck vor. Spies erwiderte diesen Vorschlag mit dem Wunsch, dem Zentralrat der Juden das Ticket für eine Bahnfahrt zu schenken, an deren Ende »Männer links und Frauen rechts« auszusteigen hätten. Hierbei imitierte er den Sprachduktus Adolf Hitlers. Vor Gericht versuchte er, seine damaligen Äußerungen herunterzuspielen, wertete sie als peinliche Blödelei. Er klinge wie die reaktionäre TV-Figur »Alfred Tetzlaff«, das sei nicht sonderlich qualifiziert, er habe eben keinen Doktortitel.

Ralf Spies und Sven Skoda
Auch Sven Skoda, der am siebten Prozesstag als Zeuge aus dem Nah- und Kontaktumfeld des Angeklagten geladen war, bemühte genau jene Figur zur Beschreibung des Angeklagten: Ralf Spies sei wie »Alfred Tetzlaff«, seine Haltungen äußere er durch »Gemecker auf Stammtischniveau«. Befragt nach der Rolle, die Spies in der Düsseldorfer extremen Rechten um das Jahr 2000 gespielt habe, war Sven Skodas Einschätzung wiederum merkwürdig kongruent zur Selbsteinschätzung des Angeklagten, wie dieser sie am ersten Prozesstag hatte verlauten lassen: Zu laut, zu bizarr, zu großspurig und zu impulsiv sei er aufgetreten. Aber er habe ihm grundsätzlich vertraut. Tatsächlich anvertraut habe er ihm jedoch wenig, ihn auch nicht in Aktionen oder konkrete Planungen der Neonazi-Szene einbezogen. Ralf Spies sei »unkontrollierbar«. Darüber hinaus habe der Angeklagte als ehemaliger Bundeswehrsoldat einen positiven Bezug zum Staat gezeigt, er – Skoda – lehne die BRD hingegen ab. »Schnittmengen« ihrer jeweiligen politischen Haltungen habe es also nicht gegeben. Ob Skoda dem Angeklagten die Tat zutrauen würde? Nein, da sei er sich sicher. Ebenso genau wisse er, dass er von Spies nie darum gebeten worden sei, ihm für die Tatzeit ein Alibi zu geben.

Devotionalienhändler und Soldat
Seit dem ersten Verhandlungstag bestreitet der Angeklagte jegliche Tatplanung und -ausführung. Zu Tatvorwurf und Tatkenntnis antwortete Ralf Spies dem Vorsitzenden Richter auffallend knapp. Doch zugleich wollte er sich zu Prozessbeginn umfangreich einlassen; er schilderte seine Tätigkeit als »Detektiv« und Sicherheits-Spezialist und seine Ambitionen, in Film und Fernsehen in diesen Rollen bekannt zu werden. Auf Vorhalt des Gerichts bezog der Angeklagte Stellung zu Gegenständen, die aus Durchsuchungen in seinen Räumlichkeiten stammten: In seinem Ladengeschäft, in dem er Outdoor-Kleidung, Militaria- und Survival-Ausrüstungsgegenstände zum Verkauf angeboten habe, hatten die Ermittler im Jahr 2000 unter anderem »Ku-Klux-Klan«-Aufnäher, Hakenkreuz-Armbinden und RechtsRock-CDs beschlagnahmt. Die Aufnäher seien, so Spies, Teil eines Konvoluts modischer Accessoires unterschiedlichster Stilrichtungen. Die Armbinden habe er in seinem Fundus gehabt, um Aufträge zur Ausstattung von Film- und Fernsehformaten oder Theaterproduk­tionen bedienen zu können. Aufträge, die es freilich nie gab, wie er auf Nachfrage der Nebenklagevertretung später einräumte. Wie und zu welchem Zweck die indizierten CDs in seinen Laden gekommen seien, habe er vergessen. Vermutlich habe irgendwer sie »auf Kommission« bei ihm abgestellt. Überhaupt sei es diversen Menschen möglich gewesen, mit einem an einem Kiosk hinterlegten Schlüssel auch während seiner Abwesenheit in seinem Laden ein- und auszugehen. Und mit einem im Laden deponierten Ersatzschlüssel auch in seiner Privatwohnung.
In eben jener Wohnung fanden die Ermittler 2000 eine Betriebsanleitung für einen nicht frei käuflichen elektronischen Sprengzünder der Firma »Dynamit Nobel«. Nach Aussage eines Sprengmittelexperten des LKA könnte ein solcher Zünder auch bei der Wehrhahn-Bombe zum Einsatz gekommen sein. Unklar scheint zum gegenwärtigen Stand der Gerichtsverhandlung, wie die Bewertung der Kenntnisse und Fähigkeiten von Ralf Spies, mit Sprengmitteln umzugehen, eine Sprengfalle zu bauen und die hierfür notwendigen Bestandteile zu besorgen, ausfallen wird. Deutlich wurde bereits am sechsten Prozesstag, dass die »EK Acker« der Aussage eines mittelbar Vorgesetzten von Spies in dessen Zeit als Bundeswehrsoldat keinen Glauben geschenkt hatte. Dieser hatte bereits 2000 ausgesagt, dass Spies sehr wohl Kenntnisse über Sprengfallen habe. Ein ranghöherer Kompanieführer hingehen hatte angegeben, dass Spies bei der Bundeswehr keine entsprechende Ausbildung und auch keinen Zugang zu Sprengstoff gehabt habe.

Ausblick
Für den Prozess, der aktuell bis zum 17. Juli 2018 auf 41 Verhandlungstage angesetzt ist, sind Fragen dazu, ob Ralf Spies die Kenntnisse, Möglichkeiten und Fähigkeiten hatte, die Bombe zu bauen, zu deponieren und zu zünden, zentral für die Urteilsfindung. Ebenso gewichtig werden die anstehenden Aussagen derjenigen sein, denen gegenüber der Angeklagte die Tat angekündigt oder im Nachhinein eingestanden haben soll. Die ZeugInnen, die bereits im Jahr 2000 wussten oder meinten zu wissen, wer der Täter war, sollen damals aus Angst vor ihm geschwiegen haben. Sollten sie im Strafprozess den Angeklagten überzeugend belasten, kann seine Verurteilung – 18 Jahre nach der Tat – als wahrscheinlich angenommen werden. Der Anschlag wäre als rassistische und antisemitische Gewaltstraftat von massivster Brutalität einzuordnen, ausgeübt von einem bestens in der Neonazi-Szene vernetzten Täter. Den versuchten Mord an zwölf Menschen hingegen als Tat eines absonderlichen Einzeltäters kleinzureden, wäre fatal.