Christliche Rechte: Ein Phänomen der extremen Rechten?
von Ursula Birsl
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 170 - Januar 2018
Christliche Religionsgemeinschaften und Kirchen haben sich in ihrer jüngeren Geschichte immer wieder gegen Demokratisierungsprozesse gestemmt und autokratische und faschistische Regimes aktiv unterstützt. Aktuell ist dies in Osteuropa zu beobachten. Doch können sie auch Trägerinnen extrem rechter Ideologien sein?
Können extrem rechte Ideologien auch religiös begründet sein? Der Fall des Rechtsterroristen Anders Breivik zeigt beispielhaft, wie schwierig es sein kann, diese Frage zu beantworten. Breivik, der am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen ermordete, sieht sich als Tempelritter auf christlichem Kreuzzug. In seinem ‹Manifest› »A European Declaration of Independence – 2083« rechtfertigt er seine Attentate als Kampf gegen »Multikulturalismus« sowie »cultural Marxism/political correctness«. Nach Breivik hat der »kulturelle Marxismus« zwei Bedrohungen für Europa hervorgebracht: den Feminismus und die vermeintliche Kolonialisierung durch den Islam. Im »dritten Buch« des ‹Manifests› ruft Breivik zum Präventionskrieg gegen diese Bedrohungen auf. Es ist ein Präventionskrieg, den er mit Verweis auf das Alte Testament durch ein Selbstverteidigungsrecht der Christen legitimiert sieht – und damit auch seine Taten.
Sind der Bombenanschlag in Oslo und die Hinrichtungen auf Utøya somit einem im Grundsatz säkularen beziehungsweise antiklerikalen oder einem christlichen Rechtsterrorismus zuzuordnen? Oder ist das »christliche Abendland« lediglich als Synonym für »Volk« und »Nation« zu verstehen, das zudem die Möglichkeit bereithält, ganz Europa als Schicksalsgemeinschaft zu definieren? Oder speist sich aus dem christlichen Glauben des Attentäters das ideologische Fundament seiner Weltanschauung und seines Terrorakts? Breiviks »Deklaration der europäischen Unabhängigkeit« lässt beide Interpretationen zu, wie die Rekonstruktion seines Werdegangs durch die norwegische Journalistin Åsne Seierstad zeigt. Interessant an der Biografie von 2014 ist, dass Breivik sich nach Seierstad als gläubig, nicht aber als religiös bezeichnet. »Gott« als transzendente Autorität oder der »Gottesstaat«, also die Theokratie als Gegenentwurf zu einer demokratischen Gesellschaft und einem demokratischen Staat, sind bei ihm kein Thema.
Anders verhält es sich bei der 1970 gegründeten »Priesterbruderschaft St. Pius X.« unter dem Dach der katholischen Kirche oder der regional einflussreichen evangelikalen charismatischen Freikirche »Gospel Forum Stuttgart« (vormals »Biblische Glaubensgemeinschaft«). Das Ziel beider Organisationen ist der Gottesstaat. In einem Gottesstaat, einer Theokratie, ist Gott der Souverän, der seine (männlich gedachten) Vertreter im Diesseits findet, die in ihrer Lebensführung vollkommener sind als andere. Ist dieses Ziel allein schon extrem rechts? Dieses Ziel und Denken sind in jedem Fall dezidiert antidemokratisch: Der Souverän findet sich nicht in der Gesellschaft, sondern in einer transzendenten Autorität. Damit wird die Demokratie ihres Wesens beraubt, und zwar der Chance, Konflikte um Interessen auszutragen und politische Herrschaft immer wieder kritisch zu hinterfragen. Gott kann nicht kritisch hinterfragt werden und damit auch nicht die politische Herrschaft seiner Vertreter im Diesseits, im Innerweltlichen. Aber handelt es sich hierbei dann nicht »nur« um eine politische Religion oder um eine Politisierung von Religion und nicht zwingend um extrem rechte Bestrebungen?
Nur: Welche Religion – vor allem eine monotheistische und innerweltlich orientierte – ist nicht auch eine politische Religion? Religion und Politik sind in der Konsequenz nicht voneinander zu trennen. Die christlichen Kreuzzüge des 11. bis 13. Jahrhunderts zeugen zudem von der Gewalt und dem kriegerischen Potenzial einer monotheistischen Religion, wenn sie weniger religiöse denn (herrschafts-)politische, strategische und wirtschaftliche Ziele verfolgt.
Der Politikwissenschaftler Mathias Hildebrandt hält es in dieser Zuspitzung allerdings für falsch – auch angesichts der Zunahme religiös legitimierter Gewalt in der Gegenwart –, »das Konfliktpotenzial von Religionen zu betonen und deren Friedens- und Versöhnungspotenzial zu vernachlässigen. Die Problematik religiöser Überzeugungen und ihres Einflusses auf politisches Handeln zeichnet sich vielmehr durch die Komplexität der Ambivalenz des Sakralen aus, in deren Folge sich Religionen im Spannungsfeld zwischen Toleranz und Fanatismus und zwischen Gewalt und Versöhnung bewegen (…). Ganz zweifelsohne wohnt den Religionen (jedoch) ein nicht zu unterschätzendes Gewaltpotenzial inne, das ganz erhebliche destruktive Kräfte freisetzen kann«.
Die Ambivalenz von Sakralität zeigt sich darin, dass sie viele Menschen betreffen kann, und zwar jenseits von ethnischen und nationalen Zuschreibungen. Sie kann jedoch auch Ausschluss zulassen: Durch vergleichsweise leichte Manipulationen und Auslegungen von Heiligen Schriften wie der Bibel sowie durch die Anrufung einer transzendenten Autorität (Gott) lassen sich ingroups von Gläubigen in Abgrenzung zu outgroups von Ungläubigen konstruieren. Eine solche Ingroup-Outgroup-Konstruktion kann in eine Freund-Feind-Bestimmung münden und Gewalthandeln legitimieren. Sobald solche Sakralität und Transzendenz einen politischen Charakter mit Macht- und Herrschaftsansprüchen erhalten und unter Umständen auch gewaltlegitimierend wirken, spricht Hildebrandt von einer politischen Theologie, durch die ein »kosmischer Krieg« um ein (fernes) »Friedensreich« auf Erden beschworen werden kann, wie es etwa Anders Breivik in seinem ‹Manifest› tut. Die Tempelritter sind hier die Kämpfer, die kompromisslos – auch, was das eigene Schicksal angeht – für die Befreiung Europas vom »kulturellen Marxismus« kämpfen und die Herrschaft übernehmen werden. Dabei spielt es keine Rolle, dass es die von ihm beschriebene Organisation der Tempelritter gar nicht gibt, diese also augenscheinlich nur in seiner Vorstellungswelt existiert. 2083 soll dieses Friedensreich errichtet sein – 400 Jahre nach dem gescheiterten Versuch des Osmanischen Reichs, Wien einzunehmen.
Vor diesem Hintergrund können extrem rechte Ideologien folglich auch religiös begründet werden. Denn sowohl »säkulare« als auch religiöse rechte Weltanschauungen können als dem historischen Prozess der Aufklärung, der Demokratisierung, der gesellschaftspolitischen Liberalisierung und der Herausbildung von Individualismus sowie von universellen Menschenrechten immanente Gegenbewegung verstanden werden. Religiöse Weltanschauungen richten sich zudem gegen den Prozess der Säkularisierung und damit gegen den säkularen oder laizistischen Nationalstaat. In der extrem rechten Auslegung – auch mit ihrer gewaltlegitimierenden Ideologie – ist sie dezidiert antidemokratisch. Die säkulare Variante unterscheidet sich von der religiösen dadurch, dass sie eine autokratische Herrschaft durch eine natürliche Elite anstrebt, die wiederum der Souverän ist. Extrem rechte Vorstellungen über Macht und Herrschaft, zumindest bei monotheistischen Religionen, sehen demgegenüber den Souverän in Gott, der die absolute Wahrheit verkörpert und Vertreter im Diesseits, das heißt in der Innenwelt findet, die legitimiert sind, eine theokratische Herrschaftsordnung zu konstituieren. Diese Vorstellungen sind sowohl im evangelikalen als auch im katholischen Denken zu finden.
In der Ideologie der Ungleichheit und der Ungleichwertigkeit der Menschen gibt es jedoch Unterschiede. Während diese in der säkularen Rechten naturalistisch oder biologistisch begründet wird und sich zumeist auf eine vermeintlich homogene Nation oder Ethnie sowie ihre hierarchische Binnenstrukturierung richtet und als geschlechtliche wie soziale Platzanweiser fungiert, muss bei der religiösen Rechten von einer quasi-naturalistischen Ideologie gesprochen werden. Die Ungleichheit zwischen Menschen, also die Konstruktion von einer höherwertigen ingroup aus Gläubigen und einer minderwertigen outgroup von Ungläubigen resultiert aus der Ambivalenz des Sakralen. Diese Ideologie ist dadurch variabler. Sie kann transnational, national oder ethnozentristisch ausgerichtet sein, ermöglicht jedoch im Grundsatz auch den Beitritt zur ingroup unabhängig von nationaler oder ethnischer Zuschreibung. Die Ingroup-Outgroup-Konstruktion beinhaltet aber auch eine klare Freund-Feindbestimmung, die rechtem Denken immanent ist. Weiterhin können über politische Theologien »kosmische Kriege« initiiert werden, die eine kompromisslose Gewaltdynamik in Gang setzen, die in dieser Intensität in der säkularen Rechten nicht zu finden ist. Trotz dieser Unterschiede sind die Gemeinsamkeiten offensichtlich, so dass bei politischen Theologien von einer Variante der extremen Rechten gesprochen werden kann.
Was folgt daraus?
Es ist irritierend, dass zumeist nur dann von einer christlichen Rechten die Rede ist, wenn es etwa um evangelikale Gruppen und Bewegungen in den USA geht, aber selten, wenn christliche Religionsgemeinschaften in Europa und damit auch in Deutschland Thema sind. Hier wird in aller Regel von christlichem Fundamentalismus gesprochen, so dass das Politische an diesen Gemeinschaften verschwimmt.
In den USA ist der Ku-Klux-Klan die älteste (religiöse) Terrororganisation. Aber das dürfte auch für Deutschland gelten. Frederik Obermaier und Tanjev Schulz haben in ihrem Buch »Kapuzenmänner. Der Ku-Klux-Klan in Deutschland« (2017) die nunmehr schon gut 100jährige und wechselvolle Geschichte dieses Geheimbundes zu rekonstruieren versucht, was aufgrund der schlechten Quellenlage ein schwieriges Unterfangen ist. Diese Aufarbeitung zeigt, wie wenig über die religiöse Rechte, hier sogar über einen terroristischen Geheimbund, bekannt ist.
Aber nicht nur das extreme Beispiel zeigt, wie notwendig es ist, die radikale und extreme Rechte auch unter dem Gesichtspunkt religiös legitimierter Ideologien zu betrachten. Dabei geht es zum einen darum, nicht zu vergessen, dass politische Theologien – wie Samuel Salzborn betont – integraler Teil der vermeintlich säkularen Rechten sind beziehungsweise auch historisch immer gewesen sind, wie etwa bei der »Konservativen Revolution« und bei ihrer Nachfolgerin in der Bundesrepublik, der »Neuen Rechten«.
Und zum anderen sind die Verflechtungen von säkularer und christlicher Rechten bis hin zu VertreterInnen des Konservatismus etwa im Kontext der »Demo für Alle« und des »Marsches für das Leben« relevant, um deren Wirkungen abschätzen zu können. In diesen Verflechtungen gibt es einen ideologischen Kern oder Kristallisationspunkt, der alle AkteurInnen eint: der Antifeminismus, worüber Geschlechterkonstruktionen, Sexualität, Heteronormativität und letztendlich die Geschlechterverhältnisse thematisiert werden. Hier finden wir ein breites politisches Bündnis, das insbesondere durch die religiöse Aufladung weit in die Amtskirchen und etablierten Parteien hineinreicht und wo politische Abgrenzungen überhaupt nicht vorgenommen werden.
Ursula Birsl ist Professorin für Politikwissenschaften an der Universität Marburg.