Erste Schritte
von Gerd Wiegel
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 170 - Januar 2018
Die Fraktion der »Alternative für Deutschland« im Bundestag versucht sich in parlamentarischer Seriosität und gezielter Provokation und zeigt Schwächen, wenn es hitzig wird.
»Ich musste lange auf diesen Moment warten. Herzlich willkommen und vielen Dank.« Mit diesen Worten begrüßte der Thüringer Abgeordnete der »Alternative für Deutschland« (AfD), Stephan Brandner bei seiner ersten Rede weniger die anderen Mitglieder des Bundestages als sich selbst im Hohen Hause. Wo mit dem Einzug ins Parlament offensichtlich Lebensträume in Erfüllung gehen, da scheint die Distanz zur eigenen Rolle als Abgeordneter nicht dem selbstgestellten Anspruch der »Alternative« zu entsprechen. Karrierismus, soviel ist sicher, wird sich recht bald auch in den Reihen der AfD breit machen und was heute noch als Ausweis der ‹abgehobenen Politikerklasse› gilt, wird morgen schon zu den Gewohnheiten der AfD-Parlamentarier gehören.
Professionelle Auftritte …
Zwei verkürzte Sitzungswochen hat der neue Bundestag erst hinter sich, aber sie boten einen ersten Eindruck von der ganzen Spannbreite, mit der die Partei in Berlin agieren wird. Dabei hat die tatsächliche Arbeit noch gar nicht begonnen. Weder tagen die Fachausschüsse, in denen die inhaltlichen Debatten stattfinden, noch gibt es eine Regierung, mit der die Auseinandersetzung zu führen wäre. So wie alle Fraktionen hat auch die AfD noch keine feste Struktur, weil Arbeitskreise und Zuständigkeiten analog zu Ministerien und thematischen Zuschnitten der Regierung gebildet werden. Der Aufbau eines MitarbeiterInnenstabes wird noch einige Monate in Anspruch nehmen. Der Start in die 19. Wahlperiode – auch das eine Folge des AfD-Erfolgs und der daraus resultierenden komplizierten Regierungsbildung – ist so schleppend wie noch nie.
Nachdem bei der Konstituierung des Bundestages der AfD-Abgeordnete Albrecht Glaser bei der Wahl zum Vizepräsidenten aufgrund seiner muslimfeindlichen Äußerungen zweimal deutlich durchgefallen war, wurde die erste inhaltliche Sitzung im November mit Spannung erwartet. Dafür hatte die AfD ihre beiden Anträge »Eurostabilisierung« und »Rückführung syrischer Flüchtlinge« eingebracht und wollte diese Kernthemen gleich zu Anfang in Szene setzen.
Hohe Disziplin bei der Anwesenheit im Parlamentsplenum, zumeist sachliche und professionelle Reden und gezielte Signale an die eigene AnhängerInnenschaft – das war der Eindruck der ersten Auftritte der AfD-Fraktion. Ganz offensichtlich ging es darum, die auf Provokation und aggressive Töne gerichteten Erwartungen zu unterlaufen. Der Antrag zur Rückkehr syrischer Flüchtlinge las sich auf den ersten Blick wie ein humanitär getarnter Vorschlag, weit jenseits der hässlichen Realität der tatsächlich durch die Bundesregierung veranlassten Abschiebungen nach Afghanistan. Nur um »freiwillige« Rückkehrer sollte es gehen, der Akzent lag auf der Sicherheit vor Repression und Verfolgung, die durch vertragliche Regelungen mit dem Assad-Regime gewährleistet werden sollten; Aufbauhilfen und finanzielle Anreize sollten der »Freiwilligkeit« nachhelfen. Zielgruppe ganz offensichtlich: die bürgerliche Mitte, der man mit pragmatischen Argumenten die eigene rassistische Position behutsam nahe bringen will. Von ganz anderem Zuschnitt war der Auftritt der Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel beim Kernthema Eurorettungspolitik. Schneidend im Tonfall und mit allen Gesten des Rechtspopulismus sprechend: Volk versus Elite, Anwalt der kleinen Leute und Kartell der Altparteien. Dies brachte ihr aus der vollzählig angetretenen AfD-Fraktion Standing Ovations. Die zahlenmäßig schlecht vertretenen anderen Fraktionen nahmen diese erste Machtdemonstration verdutzt zur Kenntnis.
Ideologische Duftmarken wurden in der ersten Woche einzig vom Abgeordneten Gottfried Curio in der Debatte zu einem Einwanderungsgesetz hinterlassen. Hier waren alle Signalworte der modernisierten radikalen Rechten vorhanden. Von der »Flutung« des Landes mit »Geringqualifizierten« über das Volk, das »auszutauschen« beziehungsweise zu »entmündigen« das Ziel der anderen sei, bis zur »UN-Ideologie, die mittels weltweiter Massenmigration gewachsene Nationalstaaten auflösen« wolle. Auch Gauland schwadronierte beim Thema Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr von Afghanen, »die am Ku’damm Kaffee trinken«, während deutsche Soldaten ihr Land aufbauten, begründete sonst aber die Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr mit der Zurückweisung des Satzes, die deutsche Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt.
… und peinliche Reden
Mit Sorge konnte man auf das weitere Geschehen im Parlament blicken, angesichts der gut vorbereiteten Beiträge der Rechten und der teilweise hilflos wirkenden Reaktionen aus den anderen Fraktionen. Jedoch zeigte die zweite Parlamentswoche im Dezember, dass die AfD sehr wohl schwache und peinliche Auftritte hinlegen kann und Debatten gegen sie rhetorisch und argumentativ zu gewinnen sind. In der Aussprache zur tatsächlich völlig unnötigen Diätenerhöhung der Abgeordneten wurde die AfD-Empörung über die »Selbstbedienungsmentalität der Altparteien« vom »Die Linke«-Abgeordneten Jan Korte gekontert, mit dem Verweis auf mehrere zehntausend Euro für »Schnittchen und Mettigel«, welche die AfD-Faktion bei internen Sitzungen auf Kosten der SteuerzahlerInnen verprasst hat.
Ebenso nach hinten los ging die von der AfD beantragte Aktuelle Stunde zu »Linksextremer Gewalt gegen die politische Betätigung demokratischer Parteien«. Während sich die AfD aus Anlass der antifaschistischen Proteste gegen ihren Parteitag in Hannover zum Opfer linker Gewalttäter machen wollte, wurde von SPD, »Die Linke« und »Grünen« die AfD als Katalysator politischer Gewalt gegen Geflüchtete und als Wegbereiter von Hass in der Gesellschaft gebrandmarkt. Untermauert von zahlreichen Beispielen wie der AfD-Forderung nach Schusswaffeneinsatz gegen Geflüchtete an den Grenzen, Gaulands »Entsorgung« der Integrationsbeauftragten Aydan Özo?uz nach Anatolien, der Mitgliedschaft mehrerer Bundestagsabgeordneter der AfD in der Facebookgruppe »Die Patrioten« – in der die Ermordung Anne Franks verhöhnt wurde – und des Postings des Abgeordneten Brandner mit dem Foto einer Machete. Mit gut vorbereiteten Reden wurde die Aktuelle Stunde zu einer Abrechnung mit der AfD, in die selbst CDU/CSU und FDP einstimmten. Höhepunkt war sicherlich der skurrile Auftritt von Beatrix von Storch, deren wirre Rede zu einer Werbung für das Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus« wurde.
Schließlich war ein teils widersprüchliches Agieren der AfD in sozialpolitischen Debatten zu beobachten. Während Steffen Kotré wegen der Massenentlassungen bei Siemens nicht den Hauch einer Kritik am Konzern verlauten ließ, bemühte sich der Höcke-Vertraute Jürgen Pohl beim Thema »Mindestlohnerhöhung« darum, die AfD als die tatsächliche Partei der abhängig Beschäftigten darzustellen. Hier wird die weitere Entwicklung zeigen, wie lange die AfD gegensätzliche Positionen überdecken kann.
Nutzung parlamentarischer Möglichkeiten
Ohne Regierung, Fachausschüsse und regelmäßige Plenardebatten beschränken sich die Möglichkeiten der Oppositionsfraktionen auf die Nutzung der sonstigen parlamentarischen Initiativen: Anträge, Kleine Anfragen, mündliche und schriftliche Anfragen. Mit einigen Anlaufschwierigkeiten macht sich die AfD-Fraktion nach und nach diese Möglichkeiten zu Nutze und agiert dabei wenig überraschend. 16 Kleine Anfragen wurden von ihr eingebracht, allein die Hälfte durch den Abgeordneten Anton Friesen aus Thüringen. Zum Vergleich: 77 Anfragen stellte »Die Linke«, sieben beziehungsweise sechs kamen von der FDP und den »Grünen«, die jedoch zunächst über eine »Jamaika«-Koalition verhandelten. Mit nur ein oder zwei Fragepunkten sind die Kleinen Anfragen der AfD inhaltlich häufig noch sehr dünn. Sie richten sich unter anderem auf die Situation von AussiedlerInnen in Deutschland, die Stellung der EU zur Unabhängigkeit Kataloniens oder die Kosten der Energiewende. Anträge hat die Fraktion bisher zwölf eingebracht, mit dem Schwerpunkt Flucht/Asyl. Bei den schriftlichen Fragen, mit denen man ein Thema schnell in die Öffentlichkeit bringen kann, suchte die AfD nach skandalisierbaren Punkten in ihren Kernthemen. Brandner fragte die Bundesregierung, ob diese Flüchtlinge beziehungsweise AsylbewerberInnen beim Kauf von Kraftfahrzeugen mit Bürgschaften unterstützt. Unklar bleibt, ob er hier Opfer der ‹Fake News› des eigenen Lagers wurde oder gängige Vorurteile mit einer Drucksachennummer des Bundestages versehen wollte. Lars Herrmann aus Sachsen fragte nach dem Migrationshintergrund von PolizeianwärterInnen und der Korrelation mit Disziplinarverfahren gegen Auszubildende bei der Polizei. In dasselbe Horn stieß der bayerische Abgeordnete Martin Sichert. Er erkundigte sich, ob die Bundesregierung die Durchsetzung der Bundespolizei mit »kriminellen Clanfamilien« ausschließen kann, wie viele BundespolizistInnen aus dem Libanon, der Türkei und Syrien kommen und welche die zwanzig häufigsten Herkunftsländer von BundespolizistInnen mit Migrationshintergrund sind. Alice Weidel will wissen, wie viele Moscheen im Vergleich zu Kirchen vom Verfassungsschutz überwacht werden und wie viele Anschläge es auf christliche Kirchen und Symbole seit 2014 gab. Geben die Antworten der Bundesregierung kaum Anlass zur Skandalisierung, so fallen sie in der Außendarstellung der AfD weg.
Provokationen
Den Abgeordneten der AfD stehen viele Posten in Beiräten, Kuratorien und ähnlichem zu: von der Bundeszentrale für politische Bildung, der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft«, der Stiftung »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« bis zur Stiftung »Aufarbeitung der SED-Diktatur« und vielen anderen Bundeseinrichtungen. Nur wenige dieser Gremien sind bisher neu besetzt, manche werden es erst im Laufe der Legislaturperiode. Für das »Bündnis für Demokratie und Toleranz«, das vor allem zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rassismus und Rechtsextremismus auszeichnet, hat sich die AfD mit der Nominierung des Abgeordneten Jens Maier aus Sachsen eine besondere Provokation einfallen lassen. Als bekennender Fan der NPD – laut Meier »die einzige Partei, die immer zu Deutschland gestanden« habe – und selbsternannter Höcke-Anhänger wird er sicherlich für Wirbel im Beirat des Bündnisses sorgen. Mit Wilhelm von Gottberg (Niedersachsen) oder Martin Hohmann (Hessen) könnte man bekannte Geschichtsrevisionisten in Stiftungsbeiräte zur NS-Erinnerung entsenden.
Ausblick
Wenn der Bundestag erst einmal im Normalbetrieb läuft, wird besser zu sehen sein, ob und in welchen Themenfeldern die AfD tatsächliche Fachkompetenz erlangen kann und will. Die Aufstellung der Fraktion durch Gauland und Weidel lässt bisher vermuten, dass die Parlamentsorientierung gegenüber der Bewegungsorientierung stärker im Vordergrund stehen wird. Zumindest bisher lässt sich kein Übergewicht eines Flügels in der Fraktion beobachten und beide Fraktionsvorsitzenden müssen als intelligent genug eingeschätzt werden, diese Balance so lange wie möglich zu halten. Mit dem noch vor einer Regierungsbildung möglichen Untersuchungsausschuss »Anis Amri« zum Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz würde sich für die AfD ein weiteres prominentes Feld eröffnen, um ihre rassistisch grundierte Vermischung von Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik zu intensivieren.