Ein Herz für (deutsche) Obdachlose?
Lucius Teidelbaum
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 170 - Januar 2018 - (dieser Artikel ist OnlineOnly)
Wieder einmal haben Neonazis Arme und Obdachlose für sich entdeckt, um sie zu instrumentalisieren. Denn die scheinbar Fürsorglichen propagieren eine exklusive Solidarität für weiße, einheimische Deutsche gegenüber Geflüchtete und MigrantInnen.
Schon vor Jahren gab es in der Winter- und Weihnachtszeit rechte Sammelaktionen für Obdachlose und Arme, aber diese waren zumeist symbolisch und auf kurze Dauer angelegt. Seit 2016 haben die Aktivitäten allerdings an Umfang und Vielfalt deutlich zugenommen. Einige sind auch von Kontinuität. Der Umstand von Obdachlosigkeit in einem reichen Land wie Deutschland wird berechtigterweise als Skandal bezeichnet und dann aber gegen die Aufnahme von Geflüchteten in Stellung gebracht. Das grundsätzliche Credo lautet: „Deutsche zuerst!“. Man müsse erst einmal den Obdachlosen hierzulande helfen. Ignoriert wird dabei, dass laut „Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe“ statistisch etwa die Hälfte der geschätzten 860.000 Wohnungslosen, also Menschen ohne mietvertraglich gesicherten Wohnraum, im Jahr 2017 Flüchtlinge waren. Und die Hälfte der etwa 52.000 Obdachlosen, also der direkt auf der Straße lebenden Menschen, aus Osteuropa kommt. Dieser soziale Missstand wird bei der Skandalisierung von rechts unterschlagen.
Rolf Süßmann, Pressesprecher des AfD-Kreisverbandes Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, schrieb auf Facebook zu einer „Päckchenaktion“ im Wahlkreisbüro des Landtagsabgeordneten André Barth in Freital: „Unser Ziel war es, wie auch schon letztes Jahr, denen wenigstens etwas zu helfen, die in der ganzen ‚Flüchtlingsdebatte‘ zu kurz kommen, da Linke, Grüne und andere Altparteien medienwirksam lieber denen helfen, die hier eigentlich nix zu suchen haben.“ Der Bezug auf Obdachlose als neues Fürsorgeobjekt der extremen Rechten überrascht auf den ersten Blick. Denn die Konservativen fordern üblicherweise die Verdrängung und Vertreibung von sozialen Randgruppen aus den Innenstädten. Genau diese Klientel ereifert sich nun zusammen mit der AfD als ihrer politischen Vertretung, über die Vernachlässigung deutscher Obdachloser.
Noch obskurer der positive Bezug bei der neonazistischen Rechten auf Obdachlose. Sie stehen in einer Tradition der Zeit des Nationalsozialismus, in der soziale Randgruppen als „Asoziale“ verfolgt, inhaftiert und ermordet wurden. Der Sozialdarwinismus der Gegenwart zeigt sich in 28 Morden an Obdachlosen von Neonazis seit 1989. Doch die mediale Propagierung der Hilfsaktionen der letzten Zeit in den sozialen Netzwerken allein als Imagekampagnen zu verstehen, greift zu kurz.
interessante Seite im Netz gefunden:
www.berberinfo.blogsport.de/chronik-obdachloser-opfer/
Neonazis mit Helferherz?
In der rechten ‚Obdachlosenhilfe‘ treten mehrere Akteure auf den Plan. Sie heißen „Bündnis Deutscher Patrioten“, „Brigade 8 Eastside“, „Soldiers of Odin“, „Fellbach hilft“ oder „Thügida“ (siehe drr Nr. 165) und „Ein Volk hilft sich selbst“. Auch Parteien wie AfD, NPD, „Der III. Weg“, „Die Rechte“ sind aktiv. Mancherorts erscheinen Vereine und Initiativen wie das „Bürgerbündnis Hand in Hand“ im Havelland, „Aktion Deutsche Winterhilfe“ um Marco Wruck (ehemals NPD) in Bautzen, „Vom Volk fürs Volk Sachsen-Anhalt“ oder der Verein „Volksgemeinschaft“ in Erfurt. Zum Teil tarnen sich einschlägig bekannte Organisationen. So ist im Umfeld der Partei „Die Rechte“ der Verein „Volkshilfe e.V.“ aktiv und die „Jungen Nationaldemokraten“ verteilten Anfang Dezember 2017 unter dem Motto „Jugend packt an“ in Pirmasens Decken, Getränke und Hygieneartikel an Obdachlose. Außerdem sammelte die NPD unter der Parole „Deutsche helfen Deutschen“ seit Ende 2016 für das Projekt „Soziale Aktion Sachsen“ in ihren Räumlichkeiten in Riesa Sachspenden. Im November 2017 veröffentlichte die Berliner NPD zudem den Aufruf: „Spendet für deutsche Obdachlose“ und der NPD-nahe Neonazi-Kader Tommy Frenck aus Kloster Veßra in Thüringen sammelt unter dem Slogan „Deutsche helfen Deutschen“.
Das Selbstbild der sozialen Kümmerer gehört schon immer zu einem Teil der extremen Rechten, besonders demjenigen, der sich auf das NS-Konzept der „Volksgemeinschaft“ bezieht und weniger marktradikale Vorstellungen hat. Es herrscht die Idee der Volksgemeinschaft vor. „Nationale Solidarität“ sei wenigstens im Kleinen durch soziale Aktionen für die eigene Gruppe umzusetzen, wie es bei „Deutsche helfen Deutschen“ formuliert wird. Diese Projekte nehmen häufig Bezug auf das „Winterhilfswerk des Deutschen Volkes“ der NSDAP, die im Nationalsozialismus Sach- und Geldspenden für bedürftige „Volksgenossen“ sammelte. Ein früherer Versuch der NPD im Jahr 2015 nannte sich sogar explizit „Winterhilfswerk“ und in Eisenach wirbt NPD-Stadtrat Patrick Wieschke für die „Winterhilfe für Deutsche“.
Die Neonazi-Partei „Der III. Weg“ nennt ihre Kümmerer-Initiative in ähnlicher Weise „Deutsche Winterhilfe“. Aktionen soll zuletzt unter anderem in Berlin, Zwickau, Chemnitz, München und Ostbayern gegeben haben. Auf einem Begleitflyer heißt es: „Während deutsche Rentner Pfandflaschen sammeln, gibt dieser Staat Unsummen für die Versorgung von illegalen Wirtschaftsasylanten aus. Die Probleme von sozialschwachen Deutschen werden dagegen vergessen.“
Im Dunstkreis von Pro Deutschland und Pegida
Nicht alle rechten Initiativen für Obdachlose sind der Neonaziszene zuzuordnen oder sehen sich in einer NS-Tradition – und dennoch sind sie extrem rechts und rassistisch. Der Verein „Brot für Berlin e.V.“ ist seit dem Winter 2016 aktiv und als Ableger von der im November 2017 aufgelösten extrem rechten Partei „Pro Deutschland“ einzuschätzen. Die Initiative war nicht ganz offen Teil der Partei und sondern sammelte Spenden über deren Konto. Auch die alte Internet-Domain „brot-für-berlin.de“ ist auf den letzten Parteivorsitzenden Manfred Rouhs angemeldet. Im Mai 2017 folgte eine zweite Vereinsgründung mit demselben Namen. Zwar wird hier öffentlich Distanz zu „Pro Deutschland“ gehalten, doch die personellen Überschneidungen sind auffällig: Die 1. Vorsitzende Jacqueline Grosse, der 2. Vorsitzende Moritz Elischer und der Schatzmeister Kevin Eichelbaum waren alle für „Pro Deutschland“ aktiv.
Der Verein „Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen e.V.“ wurde im Juli 2016 gegründet und will ausschließlich Dresdner Bedürftige unterstützen. Erstmals richtete dieser am 16. Dezember 2016 im Dresdner Ballhaus Watzke ein Weihnachtsessen für Bedürftige aus. In jener Lokalität also, in der die AfD-Rechtsaußen Björn Höcke und Jens Maier im Januar darauf gegen das Berliner Holocaustmahnmal und einen vermeintlichen deutschen „Schuldkult“ lamentierten.
Für Musik bei der weihnachtlichen Wohltätigkeitsveranstaltungen des Vereins sorgte Andreas Hofmann alias „DJ Happy Vibes“. Er beteiligte sich zu Jahresbeginn 2016 mit einer Unterschriftenaktion gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft in der Wilsdruffer Ortschaft Kesselsdorf und sammelte etwa tausend Unterschriften. Hoffmann hatte längere Zeit sogar eine eigene Sendung bei Radio Dresden. Weitere Unterstützung kam und kommt von der Lokalprominenz: ein Zirkusdirektor, ein Stollenbäcker, eine Marketingchefin, ein Schlagerstar und ein Kabarettist sind dabei. Seit dem 10. Oktober letzten Jahres verfügt der Verein auch über eine eigene Anlaufstelle, die an drei Tagen in der Woche geöffnet hat. An seinem 2. Weihnachtsessen am 12. Dezember 2017 in der „Ballsport Arena Dresden“ nahmen 500 Bedürftige teil, die von 100 HelferInnen bewirtet wurden.
Von KennerInnen wird der Verein beziehungsweise ein Teil seiner FunktionärInnen dem Umfeld von PEGIDA zugeordnet. Auch eine Anzeige im COMPACT-Magazin (Nr. 10/2017) zeigt, wo man sich politisch selbst verortet. Unterstützung gebe es auch durch das extrem rechte Netzwerk „Ein Prozent“ (siehe drr Nr. 149). Als Vereinssitz ist ein Autohaus angegeben und der Vereinsvorstand kann dem etablierten Dresdner ‚Bürgertum‘ zugerechnet werden. Vorsitzender ist Ingolf Jens Knajder, ein bekennender PEGIDA-Unterstützer, der im Internet und bei Diskussionen immer wieder Linken drohte. 2016 bekundete er in einem Interview: „Wir haben klar definiert, dass wir keinen Asylanten und Flüchtlingen helfen wollen“ und begründete diesen Ausschluss damit, dass diese „in einem Rundumservice versorgt“ seien, „der seinesgleichen sucht.“
Dieser rassistischen Einteilung von Bedürftigen in gute ‚Einheimische‘ und böse ‚Fremde‘ widersprach der Chef der Dresdner Tafel Andreas Schönherr und lehnte eine Zusammenarbeit ab. Knajder reagierte am 12. Oktober 2016 mit einem verächtlichen Eintrag auf der Facebook-Seite des Vereins: „Solchen Menschen wünsche ich den baldigen Tod und nichts anderes“. Dafür wurde er gerichtlich verurteilt und darf die Aussage nicht mehr wiederholen. Sein Anwalt war der AfD-Politiker Maximilian Krah.
Mitgründer des Vereins war zudem der ehemalige FDP-Stadtrat Jens Genschmar, der im Oktober 2016 als Kreisvorstand der FDP zurücktrat, als seine Beteiligung öffentlich thematisiert wurde. Auch Genschmar gilt als PEGIDA-Sympathisant und bei den montäglichen Aufmärschen und Reden wurden die „eigenen Armen“ immer wieder erwähnt, natürlich in Konkurrenz zu Flüchtlingen und MigrantInnen.
Ethnische ‚Solidarität‘
Die Gegenüberstellung von Flüchtlingen und Obdachlosen ist kein reines Fantasieprodukt. Etwa bei der Unterbringung kam es mancherorts zeitweilig zu Konkurrenz zwischen Flüchtlingen und Obdachlosen. Ursache dessen ist aber eine Ungleichbehandlung und strukturelle Unterversorgung; letztere unter anderem verursacht durch den sukzessiven Rückbau von Sozialwohnungen und Obdachlosenunterkünften. Zudem gibt es in den Bundesländern und Kommunen unterschiedliche finanzielle Unterstützung und die Privatisierung dieser Hilfen nimmt zu. Teilweise haben Betreiber in den letzten Jahren bestehende Notunterkünfte für Geflüchteten, um mehr Profit zu machen. Auch in anderen Bereichen finden Ungleichbehandlungen statt. So ist es nicht zu vermitteln, warum Obdachlose vielerorts tagsüber Notübernachtungen verlassen müssen. Das ist aber nicht die Schuld von Asylsuchenden, sondern liegt in der Verantwortung der Behörden, die keine einheitlichen Kriterien für Unterstützungsbedürftige anlegen. Statt Gruppen gegeneinander auszuspielen, muss die ethnische und antimuslimische Hetze zurückgewiesen werden. Indem soziale Einrichtungen Geld- und Sachspenden von AfD, PEGIDA und Neonazis ablehnen, machen sie deutlich, dass deren Rassismus einem paritätischen Gemeinwohl unabhängig von Herkunft und Religion entgegensteht.