Zwischen AfD, Kirche und Neue Rechte

von Andrea R. Maack

Magazin »der rechte rand« Ausgabe 164 - Januar 2017

Der Autor einer anti-muslimischen Publikation der »Alternative für Deutschland«, Michael Henkel, bewegt sich seit Jahren zwischen akademischer Karriere, katholischer Kirche und der Neuen Rechten und ist einflussreicher Mitarbeiter von Björn Höcke, dem Thüringer Fraktionschef der Partei.

Magazin der rechte rand Ausgabe 164

Die Thüringer Landtagsfraktion der »Alternative für Deutschland« (AfD) veröffentlichte im Juni 2016 ein 140 Seiten starkes blaues Buch unter dem Titel »Islam. Fakten und Argumente«, das sie bis 2019 in einer Auflage von 100.000 Stück umsonst verteilen will. Der Autor Michael Henkel käut darin die von AfD und Co. bekannten anti-islamischen Ressentiments wieder. Der Islam sei eine »ernste Herausforderung« und latente Gefahr für die Demokratie. Doch letztlich seien weniger die Religion als vielmehr die im Westen verbreiteten »Konzepte des Relativismus und des Multikulturalismus« daran schuld, dass die deutsche Gesellschaft zu »Gleichgültigkeit und Ignoranz« gegenüber der vermeintlichen Bedrohung durch den Islam neige, so Henkel. Also die alte Leier der extremen Rechten: Die Moderne, die »68er« und der Liberalismus seien schuld am Niedergang des Abendlandes. Im Vorwort betont der Thüringer Partei- und Fraktions-Chef der AfD, Björn Höcke, die grundlegende Gegnerschaft seiner Partei zum Islam. Von der angekündigten Verteilung von 100.000 Exemplaren ist die AfD allerdings noch weit entfernt. Wie die Tageszeitung »Thüringer Allgemeine« (8. Juli 2016) berichtete, seien erst 2.000 Stück gedruckt und verteilt worden. Für eine zweite Auflage sollen 5.000 Stück nachbestellt worden sein. Auf der Webseite der AfD soll die Publikation mittlerweile etwa 23.000 mal heruntergeladen worden sein.
In der evangelischen mitteldeutschen Kirchenzeitung »Glaube + Heimat« (Nr. 26/2016) wurde das Buch mit deutlichen Worten kritisiert: Es sei »tendenziös«, teilweise »völlig abwegig, »unerträglich« und »perfide«. In der extremen Rechten kommt das Buch dagegen gut an. Der verschwörungstheoretische Blogger »Fatalist« schreibt: »Sehr zu empfehlen. Eindeutig von einem Fachmann geschrieben.« Und der rechte »Kopp Verlag« nennt es ein »wissenschaftlich fundiertes Aufklärungsbuch«.
Der Autor der Schrift, der Politikwissenschaftler Henkel, ist Mitarbeiter der Thüringer AfD-Landtagsfraktion für »Grundsatzfragen, Europapolitik, Kultur und Medien«. Zuvor war er Professurvertreter an der Universität Leipzig für »Ethik, Politik, Rhetorik« sowie an der Universität Jena als Dozent und Mitarbeiter am »Institut für Politikwissenschaft« tätig. Seit 1993 bot er – oft gemeinsam mit renommierten Professoren und Mitarbeitern der Hochschule – regelmäßig Lehrveranstaltungen an, im Wintersemester 2012/2013 beispielsweise in Leipzig zum Thema »Politische Debatten in der Mediendemokratie – das Beispiel der Diskussion um Thilo Sarrazin«. Sarrazin war 2010 durch seine biologistischen und rassistischen Äußerungen in seinem Buch »Deutschland schafft sich ab« einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden und hatte mit seiner Veröffentlichung eine breite rechte Debatte entfacht.

Nähe zur »Neuen Rechten«
Seit Jahren publiziert Henkel im Milieu rechter Blätter und Schriftenreihen. 2015 schrieb er beispielsweise in dem AfD-nahen Blog »Die freie Welt«, herausgegeben von Sven von Storch, Ehemann der AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch. Außerdem war Henkel Autor des ersten Heftes der Schriftenreihe der Berliner »Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung« (FKBF) zum Thema »Konservatismus im politischen Denken Eric Voegelins«. Die FKBF steht der neu-rechten Wochenzeitung »Junge Freiheit« (JF) nahe. JF-Chef Dieter Stein ist seit 2007 Vorsitzender des Stiftungsrates der FKBF. Zudem war Henkel 2005 Autor in der von der FKBF getragenen Schriftenreihe »Studien und Texte zur Erforschung des Konservatismus«. In Band sechs der Reihe schrieb er über »Konservatismus im politischen Denken Eric Voegelins«; ebendort finden sich weitere Autoren aus dem Bereich des deutschen Konservatismus und der extremen Rechten. In der »Sezession« (Nr. 12/2006) besprach der Vordenker der »Neuen Rechten«, der Gildenschafter Karlheinz Weißmann, diesen Band zustimmend. Im seriösen »Junius Verlag« publizierte Henkel 1998 eine Einführung in das Denken von Eric Voegelin, auf den sich die »Neue Rechte« seit Jahren positiv bezieht. Voegelin eignet sich für sie als ideologischer Steinbruch, denn er stützte die katholisch-ständestaatliche Diktatur von Engelbert Dollfuß und Kurt Schussnigg in Österreich
(1933 – 1938) und lehnte die Aufklärung ab, stand allerdings in Opposition zum Nationalsozialismus. Damit passt er zur »Neuen Rechten«, die anti-aufklärerisch, anti-demokratisch und autoritär, zugleich aber um Distanz zum NS bemüht ist.
Henkel ist seit Jahren ein rühriger Autor. So verfasste er auch Beiträge für die »Landeszentrale für politische Bildung Thüringen«: 1999 eine Broschüre »Der Sozialstaat« und einen Aufsatz in dem Sammelband »Die Krise im Kosovo« sowie 2002 das Buch »Sozialpolitik in Deutschland und Europa«. Zudem war er Autor in dem Sammelband »Parteiendemokratie in der Bewährung« mit Beiträgen vom Who-is-Who der Politikwissenschaft der Universität Jena, konservativen Professoren wie Eckhard Jesse und Werner Patzelt sowie Vertretern der Politik, unter anderem Thüringens Ex-Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU).
Henkel ist bis in die jüngste Zeit – parallel zur Arbeit bei der AfD – weiterhin im akademischen Umfeld tätig, so zum Beispiel als Referent auf einer Tagung des »Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung« (HAIT) an der TU Dresden und des »Voegelin-Zentrums am Geschwister-Scholl-Institut der LMU München« im November 2015 in München zum Thema »Der Totalitarismus und die Abgründe der Moderne«. Auf dieser Tagung referierte unter anderem auch der Extremismus-Theoretiker Uwe Backes als stellvertretender Direktor des HAIT. Henkel steuerte auch einen Kommentar zu einem thematisch zur Tagung passenden Band »Disput über den Totalitarismus« bei, herausgegeben vom HAIT und dem »Voegelin-Zentrum«.

»Einspeisung« neu-rechten Denkens in die Wissenschaft
Auch um die Beschäftigung mit von der »Neuen Rechten« eingemeindeten Denkern bemühte sich Henkel in akademischen Publikationen, zum Beispiel um den Konservativen Michael Oakeshott. In einem 2013 von ihm mit herausgegebenen Buch »Praxis und Politik – Michael Oakeshott im Dialog« wurden die Beiträge der Tagung »Michael Oakeshott on Ethics and Reason« des »Hellmuth-Loening-Zentrums für Staatswissenschaften« an der Universität Jena aus dem Jahr 2007 gesammelt. Mit dem Band, so lobte der neu-rechte Akademiker Till Kinzel (s. drr Nr. 115) in einer Besprechung, würden Henkel und sein Mitherausgeber »einen wichtigen Beitrag zur Einspeisung Oakeshotts in die politikwissenschaftliche Diskussion« leisten. Wiederholt (2000, 2002 und 2003) publizierte Henkel zudem in der CDU-nahen Zeitschrift »CIVIS mit SONDE«, verfasste 1996 eine Buchbesprechung in den »Thüringer Verwaltungsblättern« und ist seit vielen Jahren für das renommierte »Hellmuth-Loening-Zentrum für Staatswissenschaften« in Jena tätig, mit Vorträgen 2009 (»Freiheit und Relativismus. Über paradoxe Entwicklungen der Demokratie«) und 2012 (»Von der Postdemokratie zur Prädespotie? Über politische Entwicklungstendenzen in der Gegenwart«) oder durch die Herausgabe eines Sammelbandes in der Schriftenreihe des Zentrums (»Staat, Politik und Recht beim frühen Hegel«, 2002). Unter den Mitgliedern, Vorständen und ReferentInnen des Zentrums finden sich renommierte ProfessorInnen, JuristInnen und VerwaltungsmitarbeiterInnen des Thüringer Landtages. Henkel setzt so seit Jahren – bisher öffentlich nahezu unbemerkt – die Strategie der »Neuen Rechten« um, der es in der Vergangenheit nicht um parlamentarische Mehrheiten oder Präsenz in Boulevard-Medien, sondern um die Erringung von Hegemonie in Hochschulen, bei Intellektuellen und unter gesellschaftlichen Eliten ging.

Katholische Kirche
Zwischen 2013 und 2016 lehrte Henkel auch an der »Katholischen Hochschule Freiburg«. Die Hochschule teilte mit, er habe vier Lehraufträge absolviert. Nachdem dort im Juni 2016 Henkels Tätigkeit für die AfD bekannt wurde, sei die Zusammenarbeit »umgehend beendet« worden. Bereits im Januar 2011 hatte er zudem für die »Katholische Akademie Bayern« in München zum Thema »Eric Voegelin in Deutschland: Zur Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte eines Unbekannten in Deutschland« referiert. Besondere Bedeutung hat die Tatsache, dass Henkel zwischen Dezember 2014 und September 2015 Mitglied der 20-köpfigen Programmkommission zur Vorbereitung des 100. Deutschen Katholikentages im Jahr 2016 in Leipzig war – zuständig für »Neue Veranstaltungsformen«. Die Kommission war »für die Programmplanung und Durchführung des gesamten Programms des Katholikentags zuständig«. Dass er beruflich für die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag tätig ist, wurde durch die Kirche nicht erwähnt. Nachdem der Blog »Thüringen rechtsaussen« im August 2016 über Henkels Arbeit für die AfD berichtete, bestätigte das »Zentralkomitee der deutschen Katholiken« (ZdK) Henkels Mitarbeit in dem Gremium des Katholikentags. Jedoch sei er zu Beginn der Mitarbeit in der Kommission noch nicht für die AfD tätig gewesen. Als das Zentralkomitee im Februar 2015 Kenntnis von der Anstellung erhielt, sei der Arbeitsauftrag der Kommission bereits beendet gewesen. Die katholische Kirche hatte auf dem Katholikentag selbst dafür gesorgt, dass keine VertreterInnen der AfD im Programm auftreten konnten. Während sich die Spitzen der Kirche und unzählige Mitglieder für Flüchtlinge und gegen rassistische Hetze engagieren, gibt es offensichtlich in der Organisation zugleich auch einflussreiche AfD-nahe AkteurInnen.

Kampf um Einfluss
Henkel hat als Grundsatzmitarbeiter relevanten Einfluss auf den rechten Scharfmacher Höcke. Zugleich gelingt es ihm seit Jahren, Thesen und Ansichten von Konservativen und Neu-Rechten in Wissenschaft, in Teilen der katholischen Kirche und in renommierten Strukturen gesellschaftlicher Eliten aus Politik und Verwaltung Thüringens einzuspeisen. Der bisher fest im etablierten akademischen Milieu verankerte, an gesellschaftliche Eliten angebundene Wissenschaftler mit organisatorischer Nähe zur katholischen Kirche und zum Spektrum der »Extremismus-Theoretiker« schreibt ein anti-muslimisches Buch für eine Partei der extremen Rechten, die mit dem Schüren von Ängsten vor Muslimen, mit Rassismus und einer an den NS angelehnten Rhetorik Wahlen gewinnen und die heutige Demokratie beschädigen will. Ein paradoxes Zusammenspiel – oder aus Sicht der AfD eine gelungene Mischung, um Einfluss zu gewinnen.