Papiertiger
von Kurt Fellen
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 168 - September 2017
Der NSU-Untersuchungsausschuss in Nordrhein-Westfalen (NRW) hat im April 2017 seinen Abschlussbericht vorgelegt.
Zweieinhalb Jahre Arbeit, 1.150 Seiten Papier, 75 ZeugInnen, 18 Sachverständige und rund 5.000 ausgewertete Aktenstücke: Eine ordentliche Bilanz konnte der NSU-Untersuchungsausschuss NRW bei seinem Abschluss im April 2017 vorweisen. Inhaltlich bietet das Arbeitsergebnis allerdings wenig Neues; der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz konnte aufatmen.
Kein Strukturversagen festgestellt
Der Ausschuss unter dem Vorsitz von Sven Wolf (SPD), der aus den Fraktionen von SPD, CDU, »Bündnis 90/Die Grünen«, FDP sowie »Piraten« bestand, war mit dem Auftrag gestartet, mögliches Fehlverhalten der nordrhein-westfälischen Sicherheits- und Justizbehörden hinsichtlich der Taten des NSU im Bundesland zu untersuchen. Außerdem sollte er den dreifachen PolizistInnenmord des Neonazis Michael Berger (14. Juni 2000), den Sprengstoffanschlag am S-Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn (27. Juli 2000) und den Tod des V-Mannes »Corelli« (April 2014) beleuchten.
Politische Sprengkraft boten die Themen durchaus: Auf das Konto des NSU ging in NRW unter anderem der Sprengstoffanschlag in der Kölner Keupstraße am 9. Juni 2004; bei den polizeilichen Ermittlungen wurden BewohnerInnen der Keupstraße – insbesondere die teils schwer verletzten Opfer – verdächtigt, mit der Tat zu tun gehabt zu haben. Ähnliches geschah nach dem Mord an Mehmet Kuba??k am 4. April 2006 in Dortmund, als die ErmittlerInnen das Umfeld des Opfers durchleuchteten, ihm Kontakte ins Drogenmilieu und eine Geliebte unterstellten. Nur an wenigen Punkten gelang es dem Ausschuss jedoch, die Ermittlungsmethoden politisch zu kritisieren – strukturelle Missstände bei den Behörden vermochte er nicht zu erkennen. Rassismus suchten und fanden die Abgeordneten vor allem bei den Neonazis, nicht in der Polizei oder der Justiz.
Der Wahrheitsfindung den Garaus gemacht
Ein Blick in den Abschlussbericht zeigt, dass der Darstellung der extremen Rechten in Nordrhein-Westfalen großes Gewicht beigemessen wurde. In den Tatortstädten Köln und Dortmund existierten militante Neonazi-Szenen, die sich, vor allem in Dortmund als äußerst terror- und waffenaffin zeigten. Die Erkenntnisse zu den NSU-Taten unterscheiden sich, außer in ihrer Ausführlichkeit, nicht fundamental von den Ergebnissen des ersten Untersuchungsausschusses des Bundestags. Einzig dass sich ein Kölner Neonazi, dessen Tatbeteiligung bei dem Sprengstoffanschlag in der Kölner Probsteigasse im Dezember 2000 zeitweilig überprüft worden war, als V-Mann des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes entpuppte, hatte Neuigkeitswert – veröffentlicht hatte die Information allerdings die Zeitung »Die Welt« im Juni 2015.
Auch die Untersuchung des Todes von Thomas Richter alias »Corelli«, der sich als V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) jahrelang im Umfeld des NSU-Trios bewegte und womöglich schon vor November 2011 von der Existenz des NSU gewusst hatte, brachte keine grundlegend neuen Erkenntnisse hervor. Die Staatsanwaltschaft Paderborn nahm allerdings die Ermittlungen zu den Todesumständen Richters wieder auf, nachdem ein Gutachter im Untersuchungsausschuss ausgesagt hatte, dass ein Fremdverschulden theoretisch möglich gewesen sei. Zutage kam, dass das BfV nicht nur versucht hatte, den Tod Richters unter den Teppich zu kehren – nicht einmal seine Angehörigen wurden informiert –, sondern auch, dass es von parlamentarischer Aufklärung nicht allzu viel hält. Für die im Fall Richter zuständige Abteilungsleiterin Dinchen Büddefeld stellte die Behörde erst keine Aussagegenehmigung für eine öffentliche Vernehmung aus. Erst nach öffentlichem Druck und erneuter Ladung erschien die Zeugin.
Überhaupt litten viele ZeugInnen des Ausschusses, insbesondere MitarbeiterInnen der Verfassungsschutzämter, aber auch der Justiz und der Polizei, an irreparablen »Erinnerungslücken«. Die Wahrheitssuche gestaltete sich für die Abgeordneten mühselig, bisweilen unmöglich. Fast schon höhnisch wirkte es, dass sich dieselben ZeugInnen in anderen, unwichtigen und unverfänglichen Details sehr gut erinnern konnten. Hier zeigten sich die Grenzen der parlamentarischen Aufklärung.
An Grenzen stieß der Ausschuss auch bei den Nachforschungen zu den Verfassungsschutzämtern, nicht zuletzt, weil Informationen zur Praxis des VS der Geheimhaltung unterliegen. So musste sich der Bericht auf verklausulierte Aussagen beschränken, etwa dass in NRW in der Vergangenheit ausstiegswillige Neonazis als V-Personen angeworben wurden oder dass es scheinbar nicht verpflichtete, also inoffizielle V-Personen gegeben habe. Presseberichten zufolge habe das Innenministerium NRW politischen Einfluss genommen, als es kurz vor der Veröffentlichung des Berichts massive Kürzungen durchsetzte, vor allem bei Ausführungen zur Praxis der V-Leute-Führungen.
Ohne Konsequenzen
Die Arbeit des Ausschusses zeigt, dass neben Betroffenheit, Sympathie für die Opfer neonazistischen Terrors und dem Bemühen nach Wahrheitsfindung politischer Wille vorhanden sein muss, den Ergebnissen der Untersuchung auch Konsequenzen folgen zu lassen. Davon war in Düsseldorf wenig zu spüren. Weder setzten die Abgeordneten durch, dass die vorgenommenen Streichungen rückgängig gemacht wurden, noch hatte es für ZeugInnen Konsequenzen, wenn sie die Unwahrheit sagten. Die Handlungsempfehlungen, die der Ausschuss in seinem Bericht veröffentlichte und die vor allem auf besseren Informationsaustausch und Fortbildungen abzielten, taten dem Verfassungsschutz in keiner Weise weh. So entpuppte sich der Untersuchungsausschuss am Ende als zahnloser Tiger.