»Deutsches Reich statt BRD«

von Lucius Teidelbaum

Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 165 - März/April 2017

Die Zahl derjenigen, die in ihren Vorgärten eine schwarz-weiß-rote Fahne hissen und für ihr Grundstück eine eigene Souveränität beanspruchen, scheint zu steigen. Ein Mord an einem Polizeibeamten führte zu einer gesteigerten Aufmerksamkeit für eine bisher wenig beachtete Strömung der extremen Rechten, die »Reichsbürger«.

Reichsbürgerliche Ideologie
»Reichsbürger« und auch solche, die diese Bezeichnung für sich ablehnen, behaupten, die Bundesrepublik Deutschland (BRD) sei illegal. Sie sprechen der BRD, ihrem staatlichen Gewaltmonopol sowie ihren Institutionen die Legitimität ab. »Reichsbürgern« geht es jedoch nicht um Kritik an Machtstrukturen, sondern um die Ersetzung dieser durch eigene. Sie versuchen zumeist an Monarchien orientierte Ersatz-Staaten herauszubilden.
Begründet wird die Nicht-Anerkennung der BRD mit dem Verweis auf alliierte Erlasse oder mit der verschwörungstheoretischen Behauptung, es handle sich bei der BRD in Wahrheit um eine GmbH.

Zumeist werden die USA für die angebliche Nicht-Souveränität Deutschlands verantwortlich gemacht. Deutschland gilt unter »Reichsbürgern« und SympathisantInnen als ein von den USA besetztes Land. Die HOGESA-Abspaltung »Gemeinsam-Stark Deutschland e. V.« sieht zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland »nach wie vor eine ‹Außenstelle› der alliierten Siegermächte«. Häufig werden aber auch in antisemitischer Manier ominöse Hintergrundmächte als die eigentlich Verantwortlichen ausgemacht. Manchmal bricht sich der Antisemitismus aber auch brachial Bahn. So veröffentlichte Klaus Rimpler, selbsternannter »Generalfeldmarschall des Staates Preußen« aus Mönchengladbach Aufrufe wie: »Tötet die Khasarenjuden überall in der Judenrepublik Deutschland!!!«.
Aus diesem Glauben leitet sich für viele »Reichsbürger« und SympathisantInnen ihrer Ideologie der Fortbestand des »Deutschen Reiches« ab. Daraus folgen häufig gebietsrevisionistische Ansprüche, in denen mal ein Deutschland in den Grenzen von 1914, mal in denen von 1937 gefordert wird.

Aktualisierung und Verbreitung
Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen nimmt die Ideologie der »Reichsbürger« zunehmend die Rolle einer rechten Krisenideologie ein. Dem Staat wird seine Legitimität abgesprochen, da dieser seiner Funktion, zum Wohle des »Deutschen Volkes« zu handeln, nicht mehr nachkomme. In der extremen Rechten wird beispielsweise die gestiegene Flüchtlingszahl als Ausdruck einer Vorbürgerkriegssituation fantasiert, was ihre Staatsablehnung verstärkt und zum Teil in eine Staatsleugnung im Sinne der »Reichsbürger« umschlagen lässt. Verbreitung findet die Ideologie zunehmend auch im Bereich der Esoterik. Einige Gruppen neueren Datums lassen sich eindeutig dem rechten Rand der Esoterik zuordnen. Eine wichtige Rolle zur Verbreitung und Selbstbestätigung von Verschwörungstheorien nehmen die sozialen Netzwerke ein. Frei nach Heinrich Heine: »Das ist schön bei uns Deutschen; / keiner ist so verrückt, / dass er nicht einen noch Verrückteren fände, / der ihn versteht«.
Neben den dezidiert politisch motivierten AkteurInnen treten in den Reihen der »Reichsbürger« auffällig häufig Personen mit psychischen Wahnvorstellungen in Erscheinung. Der Psychologe Jan-Gerrit Keil unterscheidet daher bei den »Reichsbürgern« zwischen politischen ProvokateurInnen und psychisch Kranken. Daneben scheinen sich auch Personen der Bewegung angeschlossen zu haben, die Schulden haben oder die Zahlung von Steuern verweigern wollen, und dort eine ideologische Begründung gefunden haben.
Anfang 2017 sprach das Bundesinnenministerium von 10.000 »Reichsbürgern« in der Bundesrepublik. Der »Bund Deutscher Gerichtsvollzieher«, der häufig mit »Reichsbürgern« konfrontiert ist, ging 2016 sogar von 40.000 aus.
In Anbetracht dieser Zahlen und der in den vergangenen Jahren zunehmenden politischen Intervention im öffentlichen Raum, beispielsweise bei den Montagsmahnwachen im Jahr 2014, kann trotz einer zu konstatierenden Zersplitterung und Zerstrittenheit der Szene, von einer Bewegung gesprochen werden. Für Bayern zählt ein Bericht auf, dass 70 Prozent der »Reichsbürger« zwischen 40 und 69 Jahre alt seien und 75 Prozent der »Reichsbürger« Männer sind. Ähnlich wie bei der »Alternative für Deutschland« (AfD) und PEGIDA handelt es sich also vornehmlich um eine Bewegung alter weißer Männer.

Ursprung und Reichsbürgerliche Kleinstaaterei
Der Mythos vom Fortbestehen des »Deutschen Reiches« ist keineswegs neu und wird innerhalb der extremen Rechten schon seit Jahrzehnten propagiert. Entgegen dem Vorgehen der heutigen »Reichsbürger«-Bewegung, war den damaligen ReichsromantikerInnen die Annahme gemein, das Reich müsse erkämpft werden und könne nicht ohne Zutun fortbestehen. Niemand bildete eine Regierung, ihr Mittel zum Erreichen des »Vierten Reichs« war der Umsturz der Bundesrepublik.
Auf dem Weg zur Herausbildung der »Reichsbürger«-Bewegung gab es aber auch Zwischenstationen. Noch vor Gründung der »Reichsbürger«-Bewegung gab es Gruppierungen mit ähnlichen Ansätzen in Bezug auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete. So wurde beispielsweise 1970 von revanchistischen Vertriebenen die »Notverwaltung des Deutschen Ostens« gegründet. Viele Vertriebenenverbände bemühten sich, Exilregierungen zu gründen, welche die Souveränität von Polen, Russland/UdSSR und Tschechien/CSSR über die abgetretenen Gebiete in Frage stellten. Die erste »Reichsbürger«-Gruppe wird auf den Berliner Wolfgang Gerhard Günter Ebel (1939-2014) aus Berlin zurückgeführt, der zwischen 1981 und 1985 die Ideologie der »Reichsbürger« entwickelt haben soll.
Die Fantasiestaaten der heutigen »Reichsbürger« nehmen zum Teil sektenartige Züge an. Beispielhaft ist die Gruppe um den selbsternannten »König von Deutschland«, Peter Fitzek aus Wittenberg, zu nennen. Fitzek herrschte in absolutistischer Manier über sein »Königreich Deutschland«. Zu der Gruppe mit angeblich mehreren tausend AnhängerInnen deutschlandweit gehörten eine »Königliche Reichsbank«, das »NeuZeit«-Magazin, ein Krankenhaus und eine eigene Währung. Sein Versuch parastaatliche Strukturen auszubilden führte Fitzek in den Konflikt mit den Behörden und brachte ihm schließlich eine Gefängnisstrafe ein.
Neben den »Reichsbürger«-Gruppen gibt es auch eigene Parteien – wie die »Interim Partei Deutschland« – und ihnen nahestehende Zeitschriften. Darunter das Magazin »2000plus«, dessen Herausgeberin Ingrid Schlotterbeck 2001 bis 2006 als »Außenministerin« der »Kommissarischen Regierung des Deutschen Reiches« fungierte.

Von Horst Mahler bis Xavier Naidoo
Ein Monitoring der »Reichsbürger«-Bewegung wird durch den Umstand erschwert, dass es Dutzende von Gruppierungen und Fantasiestaaten gibt, die häufig miteinander konkurrieren. Nicht alle Organisationen sind zudem leicht an ihrem Namen zu identifizieren. Während Namen wie »Kommissarische Reichsregierung« eindeutig auf die »Reichsbürger« verweisen, sind hingegen Gruppen wie die »Germaniten«, »Keltisch-Druidische Glaubensgemeinschaft e.V.«, »Freistaat Ur« oder die »Justiz-Opfer-Initiative« nicht direkt als »Reichsbürger«-Gruppierungen zu erkennen.
Daneben gibt es, ähnlich wie im Neonazismus, viele Personen, die der Ideologie anhängen, sich aber keiner Organisation angeschlossen haben. So ist der Einfluss der Ideologie der »Reichsbürger« deutlich größer als die Mitgliederzahl der Gruppen. Ein Beispiel für die Reichweite der Ideologie ist der Sänger Xavier Naidoo aus Mannheim. Naidoo äußerte 2011 im Morgenmagazin der ARD: »Aber nein, wir sind nicht frei, wir sind immer noch ein besetztes Land! Deutschland hat noch keinen Friedensvertrag und ist dementsprechend auch kein echtes Land und nicht frei.«
Im Spektrum der »Reichsbürger« finden sich jedoch auch Holocaustleugner wie Horst Mahler mit seiner »Völkischen Reichsbewegung« ebenso wie Mitglieder der NPD. Auch in den Reihen der AfD ließen sich immer wieder SympathisantInnen wie auch Aktive der Bewegung finden. Mit Axel von Baumbach wurde gar der »Reichsinnenminister« einer selbsternannten »kommissarischen Reichsregierung« als AfD-Abgeordneter in den Kreistag im hessischen Hersfeld-Rotenburg gewählt. Auch die Zeitschrift »Compact« von Jürgen Elsässer gibt der Ideologie der »Reichsbürger« Raum. Der Herausgeber des auflagenstarken Rohkost-Magazins »Die Wurzel« hat sich 2016 der Reichsbürger-Gruppierung »Keltisch-Druidische Glaubensgemeinschaft e. V.« angeschlossen, womit in die Öko-Szene hineingewirkt werden kann.

Nicht nur harmlose Spinner
Die tödlichen Schüsse durch einen »Reichsbürger« auf einen SEK-Beamten im mittelfränkischen Georgensmünd vom 19. Oktober 2016 scheinen den Rechtsstaat und die Medien aufgerüttelt zu haben. Hausdurchsuchungen bei »Reichsbürgern« förderten zahlreiche Waffensammlungen zutage. Da »Reichsbürger« durch ihre Staatsleugnung immer wieder in Konflikt mit Behörden geraten, war es kein Zufall, dass das erste Todesopfer ein Polizeibeamter war, der das staatliche Gewaltmonopol durchsetzen wollte. Jan Rathje von der Amadeu Antonio Stiftung beobachtet seitens der »Reichsbürger« schon länger einen »Kleinkrieg mit Behörden, Verwaltungen und staatlichen Stellen«. Vom Gewaltpotenzial der »Reichsbürger« zeugten bereits vor dem erwähnten Mord zahllose bundesweit zu beobachtende Beleidigungen und Bedrohungen gegen Beamte. Wiederholt kam es auch zu Gewalttaten bis hin zu einer Geiselnahme. Am 23. November 2012 nahmen im sächsischen Bärwalde uniformierte Angehörige der Gruppierung »Deutsches Polizei Hilfswerk« einen Gerichtsvollzieher für mehrere Stunden gefangen.
Rassistische Drohbriefe verschickte die »Reichsbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen« im Jahr 2012 an »alle raum-, wesens- und kulturfremden Ausländer in Deutschland, insbesondere an Türken, Muslime und Negroide (Schwarze u. Halbschwarze)« mit der Forderung, sie sollten Deutschland verlassen.
Unter einer gestiegenen Krisenangst hat sich die »Reichbürger«-Bewegung in der Bundesrepublik erkennbar vergrößert. Es handelt sich um eine extrem rechte Bewegung, der ein Verschwörungsmythos zugrundeliegt. Durch die Teilnahme an den rechten Querfront-Montagsmahnwachen vom März bis zum September 2014 und als Narrensaum von PEGIDA, »Merkel muss weg« und Co. wurden die »Reichsbürger« stärker als Bewegung in der Öffentlichkeit sichtbar. Besonders viel Zulauf scheinen sie unter EsoterikerInnen und Verschwörungsgläubigen zu haben, zumal hier strukturelle und inhaltliche Verbindungen bestehen.
Im Gegensatz zu der Einschätzung der Sicherheitsbehörden sollte die gesamte »Reichsbürger«-Bewegung der extremen Rechten zugeordnet werden. Dafür sprechen ihr Gebietsrevisionismus, ihre Demokratie-Feindlichkeit, völkische Elemente, ihr Antisemitismus und ihre latente Gewaltbereitschaft, die bei den zwangsläufig entstehenden Konflikten mit Behörden häufig zu Tage tritt. Die »Reichsbürger« mögen Spinner sein, aber harmlos sind sie keineswegs.