Anschlag in Düsseldorf

von Annelies Senf

Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 165 - März/April 2017

Im Februar 2017 nahm die Polizei den mutmaßlichen Täter des Düsseldorfer Rohrbombenanschlags aus dem Jahr 2000 fest. Trotzdem bleiben mehr Fragen als Antworten – unter anderem nach dem Wissen eines Spitzels im Umfeld des Verdächtigen.

Am 27. Juli 2000 explodierte eine selbstgebaute Rohrbombe mit Fernzünder am Zugang zur S-Bahnhaltestelle Düsseldorf-Wehrhahn. Dabei wurden zehn Personen zum Teil schwer verletzt. Eine schwangere Frau verlor ihr ungeborenes Kind. Die Opfer kamen von einer nahe gelegenen Sprachschule und waren aus der ehemaligen Sowjetunion zugewandert. Sechs von ihnen waren jüdischen Glaubens.

Reaktionen
Einen Tag nach dem Anschlag begannen die öffentlichen Spekulationen zu den Hintergründen der Tat. Zunächst zitierte die »Westdeutsche Zeitung« den Düsseldorfer Polizeisprecher: »Wir gehen nicht von einem politischen Anschlag aus. Wir haben kein Bekennerschreiben gefunden.« Es hieß dann aber auch: »Wir schließen eine politisch motivierte Straftat nicht mehr gänzlich aus.« »BILD« dagegen brachte eine mögliche »Beziehungstat« und eine »Eifersuchtstat« in die Debatte und erwähnte, dass die Polizei Kontakte der Opfer ins kriminelle Milieu prüfe. In der Politik wurde dagegen recht früh von einer politisch motivierten Tat ausgegangen. Klare Worte fanden beispielsweise die damaligen Bundesminister Otto Schily (SPD) und Joschka Fischer (Bündnis 90 / Die Grünen). Beide sprachen von möglichem Rassismus und »Ausländerhass« als »wahrscheinlichstem Hintergrund«. Der damalige Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Fritz Behrens (SPD), rief zu einer »Wehrübung der aufrechten Demokraten« auf. Und wenig später forderte dann der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zu einem »Aufstand der Anständigen« auf, nachdem am 2. Oktober 2000 auch noch auf die Düsseldorfer Synagoge ein Anschlag verübt worden war. Die Debatten über Rassismus, Antisemitismus und Neonazismus erhielten einen neuen Impuls. Bundesweite Aufrufe zur Aufklärung der Taten setzten die Behörden unter Handlungsdruck. Wie widersprüchlich die Einschätzungen der ermittelnden Behörden blieben, macht eine »Sachstandseinschätzung« der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft aus dem Jahr 2001 deutlich: Es liege »intern die Auffassung vor, wonach eine Begehung der Tat durch Neonazis als eher unwahrscheinlich anzusehen ist. Grundlage dieser Einschätzung ist es, dass zahllose Vernehmungen von Aussteigern aus der rechten Szene und eine Vielzahl bundesweit geführter TÜ-Maßnahmen (Anm. d. Red.: Telekommunikationsüberwachungs-Maßnahmen) ohne Hinweise auf eine Täterschaft Rechtsgesinnter geblieben« seien. Der unaufgeklärte Wehrhahn-Anschlag wurde schließlich 2014 Teil des Untersuchungsauftrages des vom nordrhein-westfälischen Landtag eingesetzten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU). Dieser forderte eine erneute Untersuchung der Rolle der Behörden bei der Aufklärung des sich in das kollektive Bewusstsein der DüsseldorferInnen festgesetzten Anschlags.

Der Tatverdächtige
Am 1. Februar 2017 nahm die Polizei nun den 50-jährigen Ralf Spies fest, der zuletzt in Ratingen lebte. Laut seiner Facebook-Seite bot er sich beruflich in den letzten Jahren als Ausbilder und Detektiv im Sicherheitsbereich und Personenschutz an. Spies war bereits unmittelbar nach dem Anschlag im Jahre 2000 als möglicher Attentäter ins Visier der Ermittler geraten. Denn er betrieb damals unweit des Tatortes den Laden »Survival Security & Outdoor«, in dem er Militaria- und Sicherheitsausstattung sowie RechtsRock-CDs verkaufte. Zudem wohnte er nahe dem Tatort. Aufgefallen war er den AnwohnerInnen durch seine Patrouillengänge im Stadtteil mit seinem Hund. Spies galt im Viertel als bekannter Waffennarr und Rassist. Unmittelbar nach dem Anschlag, am 29. Juli 2000, erfolgte bei ihm eine erste Hausdurchsuchung. Wie der leitende Ermittler der später eingesetzten Ermittlungskommission »Acker« in der Anhörung vor dem NSU-PUA am 7. Februar 2017 sagte, sei die Razzia durch den polizeilichen Staatsschutz eher ein »oberflächlicher Stubendurchgang« als eine angemessene Durchsuchung gewesen. Am 2. August 2000 erfolgte die zweite Hausdurchsuchung, diesmal durch die Ermittlungskommission selbst. Insgesamt wurden damals vier Objekte durchsucht: die Wohnung der damaligen Freundin von Spies, eine Gartenlaube, sein Laden und seine Wohnung. Doch die Ermittlungen ergaben nichts Konkretes, so dass die Behörden keine Beweise gegen Spies in der Hand hatten. Heute gehen Staatsanwaltschaft und Polizei von einem Einzeltäter aus. Es könne allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass es MitwisserInnen gegeben habe, sagte der leitende Oberstaatsanwalt.

Rechte Szene in Düsseldorf
Antifaschistische Gruppen wiesen schon im Jahr 2000 darauf hin, dass Spies Kontakte in die neonazistische Szene Düsseldorfs pflegte – so frequentierten beispielsweise Mitglieder der »Kameradschaft Düsseldorf« seinen Laden. Die Gruppe war landes- und bundesweit in der militanten Neonaziszene verankert. In ihr waren ehemalige Mitglieder der »Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei« (FAP), der »Nationalistischen Front« (NF) und der »Jungen Nationaldemokraten« (JN). Die Mitglieder der »Kameradschaft« nahmen an vielen überregionalen Neonazi-Aufmärschen teil. Hin und wieder kam es zu landesweiten Vernetzungstreffen in Düsseldorf, zu denen die Gruppe einlud. Auch gab es enge Kontakte zu »Kameraden« in den Niederlanden, wie beispielsweise zur »Niederländischen Volksunion« (NVU).
Düsseldorf galt Ende der 1990er Jahre als eine Hochburg des Neonazismus in den alten Bundesländern und hatte eine gefestigte Struktur, die in ein bundesweites Netzwerk eingebunden war. So stellte Sven Skoda mit dem »Nationalen Info-Telefon Rheinland« eine wichtige überregionale Vernetzungs- und Informationsplattform bereit. Bis heute ist er wichtiger Kader in der bundesweiten Neonazi-Szene und tritt regelmäßig als Redner bei Aufmärschen der Partei »Die Rechte« auf. Seit 2012 muss er sich in dem Prozess gegen das militante »Aktionsbüro Mittelrhein« verantworten. Und Melanie Dittmer, heute bekannt durch ihre DÜGIDA-Demonstrationen 2015 in Düsseldorf und die »Identitäre Aktion«, betrieb hier damals den CD-Versand »Hagalaz-Versand«. Die damals noch sehr junge Dittmer war Ende der 1990er Jahre ein wichtiges Bindeglied zwischen der JN und der neonazistischen Skinhead-Szene. In ihrem Versand gab es zeitweise vor allem Produkte aus dem Angebot des Düsseldorfers Torsten Lemmer, der mit dem rechten »MZ Vertrieb«, dem Label »Funny Sound«, der Firma »Creative Zeiten« und dem Magazin »Rock Nord« einer der wichtigen Anbieter der RechtsRock-Szene der damaligen Zeit war.
Zwei rechte Gewalttaten kurz vor dem Wehrhahn-Anschlag zeigen die Gewaltbereitschaft der damaligen Zeit in Düsseldorf und betteten den Anschlag in eine Reihe rassistischer Angriffe in der Region ein: Am 3. Juli 2000 hatten in der Nähe des Bahnhofs Wehrhahn sieben Personen, darunter Mitglieder der Düsseldorfer RechtsRock-Band »Reichswehr«, zwei Migranten griechischer und afghanischer Herkunft angegriffen und einen von ihnen dabei verletzt. Und am 9. Juli 2000 griffen Neonazis TeilnehmerInnen einer Gedenkveranstaltung am Mahnmal der KZ-Gedenkstätte Kemna nahe Wuppertal an.

Neue Ermittlungen
Die neuen Ermittlungen zum Wehrhahn-Anschlag kamen 2014 ins Rollen, nachdem Spies in der Haft in der Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel gegenüber einem Mithäftling die Tat gestanden haben soll. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm daher nun vor, einen selbstgebauten TNT-Sprengsatz per Fernzünder ausgelöst zu haben. Das wertet der Staatsanwalt als 12-fachen Mordversuch. Die Düsseldorfer Polizei und Staatsanwaltschaft befragte in den vergangenen zwei Jahren erneut ZeugInnen und sichtete die Akten der damaligen Durchsuchungs- und Überwachungsmaßnahmen. Mit zeitlichem Abstand waren die ZeugInnen nun offenbar gesprächiger. Im Untersuchungsausschuss wurde auch der Frage nach dem Alibi von Spies für den Tatzeitpunkt nachgegangen. Doch Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück sagte vor dem PUA, dass Spies ohnehin nie ein wasserdichtes Alibi gehabt habe. Bei der Aussage einer Zeugin habe es »sich allein um die Schilderung des Tagesablaufs des Beschuldigten gehandelt«. Auf der Grundlage dieser Darstellung »wäre es für den Beschuldigten schwierig gewesen, die Tat zu begehen, da das Zeitfenster sehr eng gewesen wäre«. Die Ermittler gingen davon aus, dass es mit dem geschilderten Zeitablauf »schwierig gewesen« sei, »Ralf Spies um 15.03 Uhr an den Tatort zu kriegen«. In Befragungen gab Spies damals an, dass er zum fraglichen Zeitpunkt zu Hause telefoniert habe. Die Abfrage der Verbindungsdaten bestätigte ein Gespräch um 15.07 Uhr. Doch aufgrund der räumlichen Nähe wäre es ihm theoretisch möglich gewesen, um 15.03 Uhr am Tatort gewesen zu sein, als dort die Rohrbombe explodierte.
Heute geht die Polizei davon aus, dass Spies die Gruppe der SprachschülerInnen bewusst als Opfer ausgesucht habe. Bereits Tage vor dem Anschlag soll er die Gruppe observiert haben. Laut Zeugenaussage saß er in einer Bushaltestelle mit Sicht auf den Fußweg, den die Opfer regelmäßig entlang gingen. Und im vorangegangenen Herbst 1999 hatten Bekannte von Spies SchülerInnen einer Außenstelle der Sprachschule, die seinem Geschäft gegenüber lag, terrorisiert. Spies mietete zudem wenige Wochen danach eine zweite Wohnung in der Nähe des Tatortes und kündigte sie einen Tag nach dem Anschlag wieder. In dieser bastelte er offensichtlich die Bombe. Unklar ist die Finanzierung der Zweitwohnung, da Spies notorisch pleite war. Belastend kommt hinzu, dass der ehemalige Zeitsoldat Spies über eine Sprengstoffausbildung bei der Bundeswehr verfügte.

V-Mann im Umfeld
Brisant ist, dass im direkten Kontakt zum mutmaßlichen Täter das »Landesamt für Verfassungsschutz« (LfV) Nordrhein-Westfalen einen V-Mann hatte. Wie aus Unterlagen des Amtes bekannt wurde, sollte André Stefan Minini (Tarnname »Apollo«) von August 1999 bis Mai 2000 über die Düsseldorfer Neonazi-Szene berichten. Er arbeitete als Wachmann in der Security-Firma von Spies. Minini soll an diversen Aktionen der »Kameradschaft Düsseldorf« beteiligt gewesen sein. Es bestehen Zweifel, ob er tatsächlich schon wieder im Frühjahr 2000 – also vor dem Anschlag – als Spitzel abgeschaltet wurde. Die V-Mann-Tätigkeit hielten das Innenministerium und der Nachrichtendienst gegenüber den damaligen Ermittlern von Polizei und Staatsanwaltschaft 12 Jahre lang geheim. Erst 2012 offenbarten sie diese Tatsache der Polizei in einem vertraulichen Gespräch. Am Ende bleiben mehr Fragen als Antworten zum Anschlag in Düsseldorf-Wehrhahn: Welche Rolle spielte der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen in den Jahren seit 2000? Und warum wurde der mutmaßliche Wehrhahn-Attentäter Ralf Spies erst 17 Jahre nach dem Bombenanschlag gefasst, wenn er doch schon damals als Hauptverdächtiger galt?